Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.447/2012
Zurück zum Index Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2012
Retour à l'indice Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2012



Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_447/2012

Urteil vom 28. Februar 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer,
Gerichtsschreiber Faga.

Verfahrensbeteiligte
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Zentralstrasse 28, 6003 Luzern,
Beschwerdeführerin,

gegen

X.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Betrugsversuch,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Luzern, 4. Abteilung, vom 8. Mai 2012.

Sachverhalt:

A.
X.________ inszenierte in der Nacht vom 13. auf den 14. März 2010 einen
Einbruchdiebstahl in drei Kellerabteile, ohne etwas zu entwenden. Mieterin
eines der Kellerabteile war die A.________ GmbH, deren Inhaber X.________ war.
Dieser gab der Polizei an, es seien Werkzeuge und Material im Gesamtwert von
rund Fr. 128'500.-- entwendet worden. Gegenüber der Versicherung der A.________
GmbH machte er eine Forderung von Fr. 170'000.-- geltend. Diese leistete keine
Zahlungen.

B.
Das Kriminalgericht des Kantons Luzern sprach X.________ am 18. November 2011
der mehrfachen Urkundenfälschung, der Irreführung der Rechtspflege, der
mehrfachen Sachbeschädigung und des Hausfriedensbruchs schuldig. Vom Vorwurf
des versuchten Betrugs, der Urkundenfälschung (in Bezug auf fiktive
Materiallisten) und des Hausfriedensbruchs (in einem Fall) sprach es ihn frei.
Das Kriminalgericht bestrafte X.________ mit einer bedingten Freiheitsstrafe
von 11 Monaten bei einer Probezeit von drei Jahren.

In Abweisung der Berufung der Staatsanwaltschaft Abteilung 4 Luzern bestätigte
das Obergericht des Kantons Luzern am 8. Mai 2012 den Freispruch vom Vorwurf
des versuchten Betrugs wie auch die erstinstanzliche Freiheitsstrafe. Zugleich
stellte es fest, dass die übrigen Schuld- und Freisprüche in Rechtskraft
erwachsen waren.

C.
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern führt Beschwerde in Strafsachen.
Sie beantragt, das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern sei aufzuheben,
und die Sache sei an die Vorinstanz zurückzuweisen zur Verurteilung von
X.________ wegen versuchten Betrugs.

Erwägungen:

1.
Die Vorinstanz geht, teilweise unter Hinweis auf die erstinstanzlichen
Erwägungen, von folgendem unbestrittenen Sachverhalt aus (Entscheid S. 2 f. und
S. 10 ff. mit Verweis auf das erstinstanzliche Urteil S. 13 f.): X.________
(Beschwerdegegner) gab der Polizei wahrheitswidrig an, bestohlen worden zu
sein. Er reichte der B.________ AG von ihm gefälschte Rechnungen mit dem
Briefkopf "C.________" sowie Materiallisten ein. Damit wollte er den Kauf von
Werkzeugen und Material zum Pauschalpreis von Fr. 200'000.-- sowie deren
Lagerung im Kellerabteil der A.________ GmbH dartun. Der Kaufpreis, so die
Darstellung in den Belegen, wurde innerhalb einer Woche in zwei Raten zu je Fr.
100'000.-- bar bezahlt. Bei der A.________ GmbH handelt es sich um einen
kleinen Einmannbetrieb im Bereich von Maurer- und Reinigungsarbeiten. Die
Rechnungen und Materiallisten weisen verschiedene Unstimmigkeiten auf (wie etwa
einen Briefkopf mit Orthographiefehler im Firmennamen der angeblichen Käuferin;
vgl. Untersuchungsakten Faszikel 4.1 Beilage 3 ff.). Die B.________ AG liess
sich durch den inszenierten Einbruchdiebstahl und die durch den
Beschwerdegegner erstellten Rechnungen und Listen nicht täuschen.

2.
2.1 Die Vorinstanz sprach den Beschwerdegegner in Bestätigung des
erstinstanzlichen Entscheids mangels Arglist vom Vorwurf des versuchten Betrugs
frei. Sie erwägt, der Beschwerdegegner habe einen Einbruchdiebstahl in mehrere
Kellerabteile vorgetäuscht. Er habe der Versicherung gefälschte Rechnungen und
Materiallisten zukommen lassen. Damit habe er sich besonderer Machenschaften
bedient. Ihm habe bei einer behaupteten Schadenssumme von Fr. 170'000.-- klar
sein müssen, dass die Versicherung nebst einem Polizeirapport und einer
Schadenanzeige weitere Unterlagen betreffend das Deliktsgut erwarten würde. Die
entsprechenden Unterlagen hätten ernsthafte Anzeichen für ihre Unechtheit
enthalten, was bereits bei einer oberflächlichen Prüfung habe auffallen müssen.
Zudem hätte die Versicherung nebst den bereits eingereichten Dokumenten
zusätzliche Belege verlangt, was aus der Befragung des Beschwerdegegners durch
einen Spezialisten der Versicherung hervorgehe. Auch weitere Abklärungen durch
die Versicherung wären zumutbar gewesen. Dies sei jedoch nicht nötig gewesen,
da der Beschwerdegegner ein Geständnis abgelegt habe, nachdem eine
Hausdurchsuchung belastendes Material zu Tage gefördert hätte. Die durch
Machenschaften versuchte Täuschung sei äusserst unbeholfen und offensichtlich
gewesen. Zu berücksichtigen sei weiter, dass es sich bei der B.________ AG um
eine Versicherungsgesellschaft mit einer für Schadenfälle spezialisierten
Abteilung handle. Für sie sei die Täuschung schon bei geringster Aufmerksamkeit
einfach zu durchschauen gewesen. Ihre Fachkenntnis und Geschäftserfahrung seien
in Rechnung zu stellen. Ein arglistiges Verhalten des Beschwerdegegners sei
deshalb zu verneinen (Entscheid S. 10 ff.).

2.2 Gemäss Art. 146 Abs. 1 StGB macht sich des Betrugs unter anderem schuldig,
wer in der Absicht, sich oder einen andern unrechtmässig zu bereichern,
jemanden durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig
irreführt und so den Irrenden zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich
selbst oder einen andern am Vermögen schädigt.

Die Täuschung ist arglistig, wenn der Täter ein ganzes Lügengebäude errichtet
oder sich besonderer Machenschaften oder Kniffe bedient. Ein Lügengebäude liegt
vor, wenn mehrere Lügen derart raffiniert aufeinander abgestimmt sind und von
besonderer Hinterhältigkeit zeugen, dass sich selbst eine kritische Person
täuschen lässt. Als besondere Machenschaften gelten Erfindungen und Vorkehren
sowie das Ausnützen von Begebenheiten, die allein oder gestützt auf Lügen oder
Kniffe geeignet sind, den Betroffenen irrezuführen (BGE 135 IV 76 E. 5.2 S. 81
mit Hinweisen). Einfache falsche Angaben gelten als arglistig, wenn deren
Überprüfung nicht oder nur mit besonderer Mühe möglich oder nicht zumutbar ist,
und wenn der Täter das Opfer von der möglichen Überprüfung abhält oder nach den
Umständen voraussieht, dass dieses die Überprüfung der Angaben aufgrund eines
besonderen Vertrauensverhältnisses unterlassen werde. Der Gesichtspunkt der
Überprüfbarkeit der falschen Angaben erlangt auch bei einem Lügengebäude oder
bei betrügerischen Machenschaften Bedeutung (BGE 135 IV 76 E. 5.2 S. 81 f. mit
Hinweisen).

Arglist scheidet aus, wenn der Getäuschte den Irrtum mit einem Mindestmass an
Aufmerksamkeit hätte vermeiden können. Dabei sind die jeweilige Lage und die
Schutzbedürftigkeit des Betroffenen im Einzelfall entscheidend. Rücksicht zu
nehmen ist namentlich auf geistesschwache, unerfahrene oder aufgrund von Alter
oder Krankheit beeinträchtigte Opfer oder auf solche, die sich in einem
Abhängigkeits- oder Unterordnungsverhältnis oder in einer Notlage befinden, und
deshalb kaum imstande sind, dem Täter zu misstrauen. Auf der anderen Seite sind
besondere Fachkenntnis und Geschäftserfahrung des Opfers in Rechnung zu
stellen. Auch unter dem Gesichtspunkt der Opfermitverantwortung erfordert die
Erfüllung des Tatbestands indes nicht, dass das Täuschungsopfer die
grösstmögliche Sorgfalt walten lässt und alle erdenklichen Vorkehren trifft.
Arglist scheidet lediglich aus, wenn es die grundlegendsten Vorsichtsmassnahmen
nicht beachtet. Entsprechend entfällt der strafrechtliche Schutz nicht bei
jeder Fahrlässigkeit des Getäuschten, sondern nur bei Leichtfertigkeit, welche
das betrügerische Verhalten des Täters in den Hintergrund treten lässt. Die zum
Ausschluss der Strafbarkeit des Täuschenden führende Opferverantwortung kann
nur in Ausnahmefällen bejaht werden (BGE 135 IV 76 E. 5.2 S. 80 f. mit
Hinweisen; URSULA CASSANI, Der Begriff der arglistigen Täuschung als
kriminalpolitische Herausforderung, ZStrR 117/1999 S. 163).

2.3 Die Beschwerdeführerin wiederholt zu einem wesentlichen Teil wörtlich ihre
Ausführungen vor Vorinstanz. Wohl wendet das Bundesgericht Bundesrecht von
Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Das bedeutet jedoch nicht, dass überhaupt
nicht zu erörtern wäre, inwiefern der angefochtene Entscheid bundesrechtliche
Normen verletzen könnte. Mit den rechtlichen Erwägungen des vorinstanzlichen
Urteils setzt sich die Beschwerdeführerin nur am Rande argumentativ
auseinander. Ob ihre Beschwerde den Anforderungen von Art. 42 Abs. 2 BGG
überhaupt genügt, kann offenbleiben. Sie ist unbegründet.
Die Vortäuschung eines Diebstahls oder die Abfassung einer falschen
Schadenanzeige ist nach der Rechtsprechung grundsätzlich immer arglistig. Eine
allzu weitgehende Überprüfungspflicht ist dem Versicherer nicht zumutbar. Dies
gilt in jedem Fall, wenn es sich um einen eher geringfügigen Betrag handelt.
Hier bedeutet eine Überprüfung oftmals einen unverhältnismässigen Aufwand, der
in keinem vernünftigen Kostenverhältnis mehr steht (Urteil 6S.722/2001 vom 17.
April 2002 E. 4 mit Hinweisen). Zu Recht hebt die Vorinstanz die vom
Beschwerdegegner reklamierte Schadenssumme von Fr. 170'000.-- hervor. Damit
waren für die B.________ AG weitere Abklärungen nach der Schadenanzeige
zweifelsohne angezeigt und zumutbar.

Bei den vom Beschwerdegegner in der Folge präsentierten Unterlagen (einer
"Rechnung" und "Pauschalrechnung" der "C.________" vom 10. November 2003 sowie
einer Materialliste der "A.________"; vgl. Untersuchungsakten Faszikel 4.1
Beilage 3 ff.) handelte es sich teilweise um gefälschte Urkunden im Sinne von
Art. 251 StGB. Eine damit verübte Täuschung ist grundsätzlich arglistig, da im
geschäftlichen Verkehr in aller Regel auf die Echtheit von Urkunden vertraut
werden darf. Man muss sich im Rechtsverkehr auf die Urkunden verlassen können (
BGE 133 IV 256 E. 4.4.3 S. 264 mit Hinweisen). Anders kann es sich verhalten,
wenn sich aus den vorgelegten Urkunden selbst ernsthafte Anhaltspunkte für
deren Unechtheit ergeben (Urteil 6S.74/2006 vom 3. Juli 2006 E. 2.4.2 mit
Hinweis). Mithin führt die Verwendung einer gefälschten oder verfälschten
Urkunde nicht per se zur Annahme einer arglistigen Täuschung (s. bereits BGE
120 IV 122 E. 6a/bb S. 133 f.). Die Vorinstanz gelangt in Bestätigung des
erstinstanzlichen Entscheids zur Überzeugung, dass bereits bei einer ersten
oberflächlichen Prüfung entsprechende Anhaltspunkte erkennbar waren. Sie weist
unter anderem auf den Briefkopf der Verkäuferin mit einem Orthographiefehler im
Firmennamen, die Diskrepanz zwischen Briefkopf und Firmenstempel auf der
nämlichen Seite sowie auf offensichtliche Ähnlichkeiten zwischen der
Pauschalrechnung der Verkäuferin ("C.________") und der Materialliste der
Käuferin ("A.________"). Diese Ähnlichkeiten sind in der Tat augenfällig und
betreffen selbst die Firmenbezeichnungen. Um Wiederholungen zu vermeiden, ist
auf die zutreffenden vorinstanzlichen Erwägungen zu verweisen (Entscheid S. 11
mit Hinweis auf das erstinstanzliche Urteil S. 13 f.).

Wesentlich ist, ob die Täuschung in einer hypothetischen Prüfung unter Einbezug
der dem Opfer nach Wissen des Täters zur Verfügung stehenden
Selbstschutzmöglichkeiten als nicht oder nur erschwert durchschaubar erscheint
(BGE 135 IV 76 E. 5.2 S. 79 mit Hinweisen). Der Beschwerdegegner inszenierte
wohl einen Einbruchdiebstahl. Bereits der Wert und die Vielzahl der mutmasslich
aus einem Kellerabteil entwendeten Gegenstände wie auch die Modalitäten der
(wenige Monate zuvor) angeblich erfolgten Kaufpreistilgung (zwei Ratenzahlungen
zu Fr. 100'000.-- in bar innerhalb einer Woche) verlangten nach einer näheren
Erklärung. Dies gilt nicht zuletzt auch deshalb, weil es sich bei der Käuferin
um einen kleinen Einmannbetrieb im Bereich von Maurer- und Reinigungsarbeiten
handelt. Die Vorinstanz unterstreicht zu Recht, dass dem Beschwerdegegner eine
Versicherung mit einer spezialisierten Abteilung und damit mit besonderer
Fachkenntnis und Geschäftserfahrung gegenüberstand. Die vom Opfer zu erwartende
Aufmerksamkeit richtet sich nach einem individuellen Massstab. Den vom
Beschwerdegegner kreierten Dokumenten kam für den Nachweis der behaupteten
Schadenssumme eine zentrale Bedeutung zu. Es war deshalb zu erwarten, dass die
Versicherung die darin enthaltenen Auffälligkeiten sehen und zum Anlass einer
näheren Prüfung nehmen würde. Die Täuschung war mit Blick auf die von der
Versicherungsgesellschaft zu erwartende Aufmerksamkeit deshalb durchschaubar,
und der Beschwerdegegner konnte nicht darauf vertrauen, die Vertragspartnerin
durch seine (von der Vorinstanz als äusserst unbeholfen bezeichnete)
Vorgehensweise hinters Licht zu führen. Insgesamt musste die Sachdarstellung
des Beschwerdegegners bei der B.________ AG Misstrauen wecken. Dies tat sie
auch (vgl. Besprechungsprotokoll, Untersuchungsakten Faszikel 4.1 Beilage 13).
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Versicherungsgesellschaft unter dem Titel
der Eigenverantwortlichkeit weitere Vorkehren (Entscheid S. 12) hätte treffen
müssen.

2.4 Indem die Vorinstanz den Beschwerdegegner vom Vorwurf des versuchten
Betrugs freispricht, verletzt sie kein Bundesrecht.

3.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Kosten
zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Dem Beschwerdegegner ist mangels Umtrieben im
bundesgerichtlichen Verfahren keine Entschädigung zuzusprechen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, 4.
Abteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 28. Februar 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Faga