Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.427/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_427/2012

Urteil vom 18. April 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Oberholzer,
Gerichtsschreiber Faga.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Advokat Markus Loher,
Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, Postfach, 4001
Basel,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Revisionsgesuch (versuchte vorsätzliche Tötung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons
Basel-Stadt, Appellationsgerichtspräsidentin, vom 22. Juni 2012.

Sachverhalt:

A.
Das Strafgericht Basel-Stadt sprach X.________ mit Urteil vom 3. November 2009
der versuchten vorsätzlichen Tötung schuldig. Es bestrafte ihn mit einer
Freiheitsstrafe von 6 ½ Jahren.

Auf Appellation von X.________ und des Opfers bestätigte das
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 14. Januar 2011 den Schuldspruch
und setzte die Freiheitsstrafe auf 5 ½ Jahre fest.

B.
X.________ reichte am 25. Mai 2011 bei der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt ein
Revisionsgesuch betreffend die Verurteilung vom 14. Januar 2011 ein. Das
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt trat am 20. September 2011 auf das
Gesuch nicht ein.

Am 10. Juni 2012 stellte X.________ wiederum ein Revisionsgesuch, auf welches
das Appellationsgericht am 22. Juni 2012 nicht eintrat.

C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, der Entscheid des
Appellationsgerichts vom 22. Juni 2012 sei aufzuheben. Auf das Revisionsgesuch
sei einzutreten, eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege und Verbeiständung.

D.
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt beantragt, die Beschwerde sei
gutzuheissen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt beantragt die
Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer verlangt wie bereits im kantonalen Verfahren, es sei
A.________ vorsorglich zum Vorfall vom 13. März 2009 zu befragen. Er gehe davon
aus, dass der Zeuge aus der Schweiz ausreise, weshalb sich eine vorsorgliche
Einvernahme aufdränge (Beschwerde S. 2). Die Notwendigkeit einer solchen
vorsorglichen Massnahme (Art. 104 BGG) ist grundsätzlich durch den
Gesuchsteller darzutun. Die vom Beschwerdeführer vermutete Wegweisung erschöpft
sich in einer blossen und nicht substanziierten Behauptung. Zudem bleibt
unerwähnt, in welches Land A.________ ausgeschafft werden soll und inwieweit
eine (rechtshilfeweise) Einvernahme nicht möglich ist. Darauf ist nicht
einzutreten.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 21 Abs. 3 StPO. Die
Vorsitzende im Appellationsverfahren betreffend das Urteil des Strafgerichts
Basel-Stadt sei B.________ gewesen. Die gleiche Richterin habe auch im
vorinstanzlichen Revisionsverfahren mitgewirkt (Beschwerde S. 8).

2.2 Nach Art. 21 Abs. 3 StPO können Mitglieder des Berufungsgerichts nicht im
gleichen Fall als Revisionsrichter tätig sein. Damit wird praktisch der
Ausstandsgrund von Art. 56 lit. b StPO wiederholt (ANDREAS KELLER, in:
Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2010, N. 4 zu Art. 21 StPO).
Die Rechtsprechung zu Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Abs. 1 EMRK schliesst zwar
nicht aus, dass der Berufungsrichter in der gleichen Sache als Revisionsinstanz
amtet (BGE 117 Ia 157 E. 2b S. 161; Urteil 1B_96/2009 vom 11. August 2009 E. 2;
je mit Hinweisen). Gleichwohl soll nach der Regelung der Schweizerischen
Strafprozessordnung nicht das gleiche Gericht über das Gesuch um Revision
entscheiden wie dasjenige, welches den in Revision zu ziehenden Entscheid
fällte. Der Gesetzgeber hat sich für eine strikte Trennung der verschiedenen
Funktionen entschieden (HENZELIN/MAEDER, in: Commentaire romand, Code de
procédure pénale suisse, 2011, N. 10 zu Art. 21 StPO). Mit Art. 21 Abs. 2 und 3
StPO werden Bund und Kantone verpflichtet, eine solche Trennung auf geeignete
Weise, wenn auch nur gerichtsintern, umzusetzen (Botschaft vom 21. Dezember
2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1140 Ziff.
2.2.1.3).

2.3 Im vorinstanzlichen Entscheid vom 22. Juni 2012, mit dem auf das
Revisionsgesuch des Beschwerdeführers nicht eingetreten wurde, wirkten die
Richterin B.________ sowie die Gerichtsschreiberin C.________ mit. Beide
Gerichtspersonen waren Teil des Spruchkörpers, der mit Urteil vom 14. Januar
2011 den erstinstanzlichen Schuldspruch der versuchten vorsätzlichen Tötung
bestätigte und auf eine Freiheitsstrafe von 5 ½ Jahren erkannte (Verfahren
AS.2009.403). Die Rüge des Beschwerdeführers ist begründet. Der Kanton
Basel-Stadt hat Berufungs- und Beschwerdeinstanz im Appellationsgericht
institutionell zusammengelegt (vgl. § 17, 18 und 22 des Gesetzes des Kantons
Basel-Stadt vom 13. Oktober 2010 über die Einführung der Schweizerischen
Strafprozessordnung [EG StPO; SG 257.100] sowie § 72 ff. des
Gerichtsorganisationsgesetzes des Kantons Basel-Stadt vom 27. Juni 1895 [GOG;
SG 154.100]). Diese Möglichkeit sieht die Schweizerische Strafprozessordnung
vor (vgl. Art. 20 Abs. 2 StPO). Sicherzustellen ist aber, dass die
Ausstandsregeln im Sinne von Art. 21 Abs. 2 und 3 StPO eingehalten werden
können.

Der Beschwerdeführer gelangte mit Revisionsgesuch vom 10. Juni 2012 an die
Vorinstanz. Diese zog die Verfahrensakten bei, verzichtete auf Stellungnahmen
und fällte am 22. Juni 2012 den angefochtenen Nichteintretensentscheid. Am 3.
Juli 2012 wurde er dem Beschwerdeführer schriftlich eröffnet. Dannzumal erfuhr
der Beschwerdeführer, wer am Entscheid mitwirkte (Entscheid S. 1 und 6). Dass
ihm die personelle Zusammensetzung der Vorinstanz (Richterin B.________ und
Gerichtsschreiberin C.________) bereits zu einem früheren Zeitpunkt mitgeteilt
wurde, geht aus den vorinstanzlichen Akten nicht hervor und wird auch in der
Vernehmlassung nicht behauptet. Ebenso wenig musste der Beschwerdeführer damit
rechnen, dass die Vorinstanz in gleicher Besetzung wie im früheren
Revisionsverfahren (DG.2011.12) entscheiden würde. Er macht den Ausstandsgrund
mit der Beschwerde ans Bundesgericht geltend. Die Rüge ist rechtzeitig erfolgt
(vgl. MARKUS BOOG, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung,
2011, N. 6 zu Art. 58 StPO; Urteil des Kassationsgerichts des Kantons Zürich
vom 10. Dezember 2002, in: ZR 102/2003 S. 157).

2.4 Indem die Richterin B.________ und die Gerichtsschreiberin C.________ über
das Revisionsgesuch des Beschwerdeführers befanden, nachdem beide in der
gleichen Sache im Appellationsverfahren AS.2009.403 mitgewirkt hatten, wird
Art. 21 Abs. 3 StPO verletzt. Damit erübrigt es sich, die weiteren Rügen
(Beschwerde S. 8 ff.) näher zu prüfen.

3.
Die Beschwerde ist teilweise gutzuheissen. Soweit die vorsorgliche
Zeugeneinvernahme verlangt wird, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Der
angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens rechtfertigt es sich, keine Kosten zu
erheben. Der Kanton Basel-Stadt hat dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers
eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2
BGG). Damit wird das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, der Entscheid des
Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 22. Juni 2012 aufgehoben und
die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Hinsichtlich
der beantragten vorsorglichen Zeugeneinvernahme wird auf die Beschwerde nicht
eingetreten.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Basel-Stadt hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Advokat
Markus Loher, für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu
entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt, Appellationsgerichtspräsidentin, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. April 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Faga