Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.416/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_416/2012

Urteil vom 26. Oktober 2012
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Denys,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

Verfahrensbeteiligte
X._________,
vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Federspiel,
Beschwerdeführerin,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, vom 4. Mai 2012.

Sachverhalt:

A.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X._________ im Berufungsverfahren am
4. Mai 2012 der Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz im Sinne von
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 3 und 5 aBetmG (Einfuhr, Besitz) i.V.m. Art. 19 Ziff. 2
lit. a aBetmG schuldig. Vom Vorwurf des Anstaltentreffens im Sinne von Art. 19
Ziff. 1 Abs. 6 aBetmG i.V.m. Art. 19 Ziff. 2 lit. a aBetmG sprach es sie frei.
Es bestrafte sie mit 5 Jahren Freiheitsstrafe (unter Anrechnung der
Untersuchungshaft von 269 Tagen) und auferlegte ihr die Kosten des
Berufungsverfahrens, mit Ausnahme der Kosten der amtlichen Verteidigung, zu
sechs Siebteln.

B.
X._________ erhebt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt die Aufhebung des
obergerichtlichen Urteils (Dispositivziffern 1, 3, 4, 6) und ihre Freisprechung
vom Vorwurf der Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz im Sinne von
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 3 und 5 aBetmG i.V.m. Art. 19 Ziff. 2 lit. a aBetmG. Es
sei ihr eine angemessene Entschädigung und Genugtuung zuzusprechen.
Eventualiter seien vor einem Entscheid weitere Sachabklärungen vorzunehmen oder
vornehmen zu lassen. Subeventualiter sei sie deutlich milder zu bestrafen.
X._________ ersucht überdies um unengeltliche Rechtspflege.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerdeführerin rügt eine willkürliche Beweiswürdigung, eine Verletzung
der Unschuldsvermutung sowie einen Verstoss gegen den Grundsatz "in dubio pro
reo". Sie macht geltend, die sie belastenden Aussagen des Mitbeschuldigten
A._________ dürften keinesfalls als glaubhaft erachtet werden. Dieser habe ein
Motiv gehabt, sie wahrheitswidrig anzuschuldigen. Er habe sich an ihr rächen
wollen, weil er davon ausgegangen sei, sie habe ihn bei der Polizei verraten.
Diese "Rachetheorie" erscheine aufgrund einer "Lücke in der polizeilichen
Observation" zumindest möglich. Überdies habe A._________ laut der Vorinstanz
selbst ein Interesse daran gehabt, sich in einem möglichst günstigen Licht
darzustellen. Die Vorinstanz hätte deshalb Zweifel an seiner Person und an der
Glaubhaftigkeit seiner Aussagen hegen müssen. Da seine Belastungen jedenfalls
nicht glaubhafter seien als ihre Bestreitungen, sei "in dubio pro reo" auf ihre
Sachverhaltsversion abzustellen (Beschwerde, S. 4-7).

Die Beschwerdeführerin rügt weiter das rechtliche Gehör als verletzt. Die
Vorinstanz habe ihren Antrag abgewiesen, die Akten im Strafverfahren gegen
B._________ in Peru beizuziehen oder diesen als Zeugen einzuvernehmen. Damit
habe ihr die Vorinstanz verunmöglicht, das von ihr geltend gemachte Rachemotiv
A._________s zu belegen (Beschwerde, S. 7).
1.1
1.1.1 Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann nur gerügt werden, wenn
sie willkürlich (Art. 9 BV) ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 134 IV 36 E. 1.4.1).
Willkür (vgl. BGE 134 I 140 E. 5.4) muss die beschwerdeführende Person anhand
des angefochtenen Urteils darlegen. Auf appellatorische Kritik ist nicht
einzutreten (BGE 136 I 49 E. 1.4.1; 136 II 101 E. 3, 489 E. 2.8). Dem von der
Beschwerdeführerin angerufenen Grundsatz "in dubio pro reo" kommt in seiner
Funktion als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor dem Bundesgericht keine
über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (BGE 127 I 38
E. 2a; 124 IV 86 E. 2a; je mit Hinweisen).
1.1.2 Die Parteien haben Anspruch auf Abnahme der rechtzeitig und formrichtig
angebotenen rechtserheblichen Beweise. Das rechtliche Gehör wird nicht
verletzt, wenn das Gericht auf die Abnahme beantragter Beweismittel verzichtet,
weil es sich aufgrund der bereits abgenommenen Beweise seine Überzeugung
gebildet hat und ohne Willkür in antizipierter Beweiswürdigung annehmen kann,
dass seine Überzeugung durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert würde (BGE
136 I 229 E. 5.3; 134 I 140 E. 5.3; je mit Hinweisen).

1.2 Die Vorinstanz setzt sich ausführlich mit den Indizien für die Täterschaft
der Beschwerdeführerin, mit ihren Aussagen, denjenigen von A._________ und der
Darstellung der weiteren Tatbeteiligten auseinander. Sie gelangt mit
vertretbaren Argumenten zur Überzeugung, dass die Beschwerdeführerin
massgeblich an der Einfuhr von mehreren Kilo reinem Kokain (6.059 kg) beteiligt
war. Die Sachverhaltsversion der Beschwerdeführerin und ihre "Rachetheorie"
entkräftet die Vorinstanz vertretbar als in sich nicht überzeugend bzw. als
Schutzbehauptung. Sie weist den Antrag auf Aktenbeizug bzw. Befragung von
B._________ ab, weil in der Anklageschrift eine Beteiligung der
Beschwerdeführerin an jener (versuchten) Drogeneinfuhr durch B._________ nicht
thematisiert werde und sich ein solcher Zusammenhang auch im Rahmen der
Beweiswürdigung nicht ergebe. Die Erwägungen der Vorinstanz lassen keine
Willkür erkennen.

1.3 Die Beschwerdeführerin geht auf die vorinstanzlichen Ausführungen, wenn
überhaupt, nur sehr rudimentär ein. Sie beschränkt sich darauf, den Nachweis in
Bezug auf ihre Täterschaft zu bestreiten sowie die Glaubhaftigkeit der Aussagen
A._________s, insbesondere unter Hinweis auf ihre "Rachetheorie", in Frage zu
stellen. Ihre Einwände erschöpfen sich in einer unzulässigen appellatorischen
Kritik am Urteil. Entgegen ihrer Auffassung muss das Gericht nicht jede noch so
abwegige Erklärung der beschuldigten Person als gegeben annehmen, wenn
Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Vorbringen fehlen und es zur Überzeugung
gelangt, es handle sich um eine blosse Schutzbehauptung. Die Vorinstanz durfte
daher auch deren Antrag auf Aktenbeizug im Verfahren gegen B._________ bzw. auf
dessen Befragung ohne Willkür (und ohne Verletzung des rechtlichen Gehörs) in
antizipierter Beweiswürdigung abweisen. Die Sachverhaltsrügen sind unbegründet,
soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Beschwerdeführerin ficht den Schuldspruch der Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz wegen Einfuhr und Besitz von mehreren Kilogramm Kokain
in rechtlicher Hinsicht nicht an. Sie wendet sich gegen die Strafzumessung. Die
Strafe von fünf Jahren sei aus verschiedenen Gründen, namentlich mit Blick auf
den Freispruch vom Vorwurf des Anstaltentreffens und auf die Strafen der
Mitbeschuldigten, unvertretbar hoch (Beschwerde, S. 8).

2.1 Das Bundesgericht hat die Grundsätze der Strafzumessung nach Art. 47 ff.
StGB wiederholt dargelegt (BGE 136 IV 55 E. 5.4 ff. mit Hinweisen).

2.2 Der Strafrahmen für eine qualifizierte Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz reicht von einem bis 20 Jahren Freiheitsstrafe, womit
eine Geldstrafe verbunden werden kann. Innerhalb dieses Strafrahmens nimmt die
Vorinstanz die Strafzumessung nach Art. 47 ff. StGB vor. Sie weist darauf hin,
dass die Beschwerdeführerin massgeblich an der Einfuhr von 6.059 kg reinem
Kokain beteiligt war. Als Mittäterin sei ihr unter dem objektiven
Tatverschulden die ganze Einfuhrmenge zuzurechnen. Die Organisation der
Beschwerdeführerin und ihrer Mittäter sei mit einer KMU zu vergleichen. Die mit
der fehlenden Einbindung in eine grössere Organisation einhergehende
Selbständigkeit verstärke das Verschulden. Die Beschwerdeführerin habe
innerhalb dieses KMU-artigen Zusammenschlusses eine dominierende Stellung
eingenommen. Ihre hierarchische Position sei, bezogen auf den globalen
Drogenhandel, im Mittelbau anzusiedeln. Sie habe aus rein egoistischen
finanziellen Motiven gehandelt, ohne süchtig zu sein oder sich auf eine Notlage
berufen zu können. Das Tatverschulden sei damit erheblich. Die
schuldangemessene Strafe sei auf sechs Jahre festzusetzen. Ein Vergleich mit
den Strafen der Mittäter ergebe keinen Korrekturbedarf. Die persönlichen
Verhältnisse der Beschwerdeführerin seien neutral, ihre Strafempfindlichkeit
durchschnittlich. Wegen der Verletzung des Beschleunigungsgebots aufgrund einer
eineinhalbjährigen Bearbeitungslücke sei die Einsatzstrafe um neun Monate zu
reduzieren. Es resultiere eine Freiheitsstrafe von 5¼ Jahren. Da nur die
Beschwerdeführerin den erstinstanzlichen Entscheid angefochtenen habe, bleibe
es beim erstinstanzlichen Strafmass von 5 Jahren.
2.3
2.3.1 Die Vorinstanz begründet die Festsetzung der Einsatzstrafe, äussert sich
zum Strafrahmen und beurteilt die Tat- und Täterkomponenten. Sie nimmt die
Strafzumessung neu vor. Entgegen den Beschwerdevorbringen ist nicht zu prüfen,
ob die Vorinstanz aufgrund des Freispruchs vom Vorwurf des Anstaltentreffens
zur Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz eine im Vergleich zum Urteil
der ersten Instanz genügende Strafreduktion vorgenommen hat, sondern nur, ob
die vorinstanzlich festgesetzte Strafe Bundesrecht verletzt. Das Verbot der
reformatio in peius verlangt nicht, dass der Verurteilte bei teilweisem Erfolg
seines Rechtsmittels milder bestraft werden müsste, sondern einzig, dass er
nicht härter bestraft wird (BGE 80 IV 158 E. 8).
2.3.2 Nicht zu beanstanden ist, dass die Vorinstanz der Beschwerdeführerin die
gesamte Drogenmenge von 6.059 kg zurechnet, auch wenn ihr letztlich nur ein
Teil dieser Menge zugedacht war (Entscheid, S. 33). Entscheidend ist, dass die
Beschwerdeführerin an der Organisation der Einfuhr der gesamten Drogenmenge
massgeblich beteiligt war und sich ihr Vorsatz darauf (und nicht auf eine
Teilmenge) erstreckte. Sie versuchte mit dem gemeinsamen Vorgehen die mit einer
Einfuhr verbundenen Risiken zu minimieren und Synergien zu nutzen. Es kann auf
die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Entscheid, S.
33).
2.3.3 Dass die Beschwerdeführerin keiner international operierenden Drogenbande
mit mafiaähnlichen Strukturen zugehörte, spricht nicht zu ihren Gunsten und ist
entgegen ihrer Auffassung nicht strafmindernd zu berücksichtigen.
2.3.4 Die Vorinstanz stellt einen Bezug zwischen der für die Beschwerdeführerin
und für ihre Mittäter ausgefällten Strafen her. Die Mitbeschuldigte C._________
sei für die vorliegende und eine weitere Drogeneinfuhr mit einer teilbedingten
Freiheitsstrafe von 3 Jahren belegt worden. Sie habe bei der hier zu
beurteilenden Drogeneinfuhr jedoch nur einen untergeordneten Tatbeitrag
geleistet, sei in einem Abhängigkeitsverhältnis und einer hierarchischen
Unterordnung im Verhältnis zum Mitbeschuldigten A._________ gestanden, habe
sich in der Untersuchung kooperativ verhalten und sei als Mutter einer 15
Monate alten Tochter besonders strafempfindlich. D._________ sei als Financier
der Betäubungsmitteleinfuhr mit fünfeinhalb Jahren und der einschlägig
vorbestrafte A._________, unter Einbezug eines Strafrests von 711 Tagen aus
zwei früheren Verurteilungen, mit neun Jahren bestraft worden (vgl. hierzu
Urteil 6B_450/2010 vom 4. April 2011). Die Vorinstanz setzt sich mit dem
Verhältnis der verschiedenen Strafen hinreichend und nachvollziehbar
auseinander. Die Strafe der Beschwerdeführerin erweist sich auch im
Quervergleich mit den Mitbeteiligten nicht als zu hoch.
2.3.5 Aus welchen Gründen die persönlichen Umstände der Beschwerdeführerin
"doch schwierig" sind und sie überdies besonders strafempfindlich sein sollte,
ergibt sich aus der Beschwerde (S. 8) nicht und ist auch nicht ersichtlich.
2.3.6 Die Vorinstanz würdigt auch die weiteren für die Strafzumessung
relevanten Gesichtspunkte, ohne das Ermessen zu überschreiten. Dass sie sich
von rechtlich nicht massgeblichen Kriterien hätte leiten lassen oder
wesentliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt hätte, ist nicht ersichtlich.
Die ausgefällte Strafe von 5 Jahren hält sich auch bei einer Gesamtbetrachtung
innerhalb des sachrichterlichen Ermessens und ist nicht zu beanstanden.

3.
Die weiteren Anträge (betreffend die Aufhebung der Auflage der Verfahrenskosten
im Berufungsverfahren, die Ausrichtung von Entschädigung und Genugtuung für die
erstandene Haft, und die Vornahme von Sachverhaltsabklärungen) begründet die
Beschwerdeführerin nicht. Darauf ist nicht einzutreten.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem
Ausgang trägt die Beschwerdeführerin die Kosten des bundesgerichtlichen
Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG). Da ihr Rechtsbegehren von vornherein als
aussichtslos erschien, ist ihr Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen
(Art. 64 Abs. 1 BGG). Ihren eingeschränkten finanziellen Verhältnissen ist bei
der Festsetzung der Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. Oktober 2012

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill