Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.400/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_400/2012

Urteil vom 15. November 2012
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Schöbi,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Hans Hegetschweiler,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Versuchte schwere Körperverletzung, mehrfache Drohung, mehrfache
Freiheitsberaubung; Willkür etc.,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 30. April 2012.

Sachverhalt:

A.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X.________ am 30. April 2012
zweitinstanzlich der versuchten schweren Körperverletzung, der mehrfachen
Freiheitsberaubung und der mehrfachen, teilweise qualifizierten Drohung zum
Nachteil von A.________ und B.________ schuldig. Zudem verurteilte es ihn im
Nebendossier wegen Angriffs und versuchter falscher Anschuldigung. Bezüglich
des Schuldspruchs wegen mehrfacher einfacher Körperverletzung und der
Freisprüche (von den Vorwürfen des Hausfriedensbruchs und der versuchten
schweren Körperverletzung zum Nachteil von C.________) stellte es die
Rechtskraft des bezirksgerichtlichen Urteils vom 30. Juni 2011 fest. Das
Obergericht fällte eine Freiheitsstrafe von 4 Jahren unter Anrechnung der
Untersuchungs- und Sicherheitshaft von 549 Tagen aus, ordnete eine ambulante
Behandlung ohne Aufschub des Vollzugs an und regelte den Kostenpunkt.
Den Schuldsprüchen der versuchten schweren Körperverletzung, der mehrfachen
Freiheitsberaubung und der mehrfachen, teilweise qualifizierten Drohung liegt
folgender Sachverhalt zugrunde:
X.________ drang am 5. März 2010 um circa 02.40 Uhr gewaltsam in die Wohnung
seiner früheren Freundin B.________ ein, worin er bis zum besagten Vorfall -
zumindest offiziell - ebenfalls gewohnt hatte. Nachdem er diese im Schlafzimmer
mit ihrem neuen Freund A.________ gefunden hatte, geriet er ausser sich. Er
schlug B.________, teils mit der offenen Hand, teils mit der Faust, vornehmlich
ins Gesicht. Mit einem zwischenzeitlich behändigten Beilhammer versuchte er
A.________ mehrfach, d.h. zwei- resp. drei- bis viermal, direkt auf den Kopf zu
schlagen. Dieser konnte den Schlägen teilweise ausweichen bzw. vermochte sie
teilweise abzuwehren. Dennoch wurde er mindestens zweimal mit dem Beilhammer am
Körper getroffen. X.________ zwang die Opfer, sich auf ein Sofa zu setzen und
Fragen zu beantworten, ansonsten er mit dem Beilhammer zuschlagen würde.
A.________ drohte er, den Penis abzuhacken. Nachdem er die Opfer 20 bis 30
Minuten festgehalten hatte, gelang es B.________ die Wohnung zu verlassen und
wegzurennen.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________ die Aufhebung des
angefochtenen Urteils (Ziff. 1, 2, 3, 6). Er sei wegen mehrfacher einfacher
Körperverletzung (Schuldspruch bereits rechtskräftig), Angriffs und versuchter
falscher Anschuldigung schuldig zu sprechen. In den übrigen Punkten (versuchte
schwere Körperverletzung, mehrfache, teilweise qualifizierte Drohung und
mehrfache Freiheitsberaubung) sei er freizusprechen. Er sei mit einer bedingten
Freiheitsstrafe von 2 Jahren (unter Anrechnung der Untersuchungshaft), bei
einer Probezeit von 2 Jahren, zu bestrafen. Zudem sei ihm die Weisung zu
erteilen, die ambulante Therapie weiterzuführen. X.________ ersucht um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

Erwägungen:

1.
1.1 Der Beschwerdeführer macht eine willkürliche Beweiswürdigung und eine
Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" geltend. Die Vorinstanz stelle -
soweit ihm vorgeworfen werde, einen Beilhammer eingesetzt zu haben - einseitig
auf die Aussagen der Belastungszeugen ab, ohne die überwältigenden
Gegenindizien zu würdigen (Beschwerde, S. 5 ff.).

1.2 Die Vorinstanz hält den Anklagesachverhalt für erstellt. Sie stützt sich
unter Hinweis auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil auf die ihr
glaubhaft scheinenden Aussagen der Opfer, insbesondere auf diejenigen von
A.________. Die Opfer hätten das Geschehen lebendig, konstant und in sich
stimmig geschildert. Das gelte namentlich für die dem Beschwerdeführer zur Last
gelegte Verwendung des Beilhammers. Es lägen zahlreiche Realitätskriterien vor,
weshalb davon auszugehen sei, den Schilderungen der Opfer liege tatsächlich
Erlebtes zu Grunde. Eine Absprache zwischen diesen schliesst die Vorinstanz
aufgrund der zeitlichen Begebenheiten aus (Entscheid, S. 12 ff.). Selbst wenn
sich eine Gelegenheit dazu geboten hätte, spräche es gegen jegliche
Lebenserfahrung, dass jemand, der einen andern vorsätzlich und wahrheitswidrig
der Verwendung einer Waffe bezichtige, diese nicht einmal benennen, sondern nur
zeichnen könne (Entscheid, S. 13 f. mit Hinweis auf die Aussage von B.________:
"Dann hatte er in der linken Hand eine Axt, also es war auf der einen Seite
eine Axt und auf der anderen ein Hammer. Ich muss es ihnen zeichnen.").
Der Umstand, dass die Polizei keinen Beilhammer am Tatort finden konnte,
B.________ der Staatsanwaltschaft die vermeintliche "Tatwaffe" aber rund acht
Wochen nach dem Vorfall einreichte, beurteilt die Vorinstanz als seltsam. Auch
die Verwunderung A.________s hierüber erscheine echt (Entscheid, S. 14 mit
Hinweis auf dessen Reaktion: "Ob es genau dieser Beilhammer war, kann ich nicht
so genau sagen. Diese Geschichte finde ich aber komisch, dass die Sache nicht
da war und jetzt hat sie sie wieder."). Für sich alleine vermöge dieser Umstand
die glaubhaften Aussagen namentlich von A.________ aber nicht in Frage zu
stellen. Ob es sich beim eingereichten Beilhammer um die Tatwaffe handle, könne
deshalb offenbleiben (Entscheid, S. 14).
Die Aussagen des Beschwerdeführers erachtet die Vorinstanz als nicht schlüssig.
Er bestreite lediglich, einen Beilhammer eingesetzt zu haben, und mache
geltend, B.________ habe sich am Türgriff und A.________ am Fenster gestossen
und verletzt (Entscheid, S. 10 f.).

1.3 Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; Art. 105 Abs. 2 BGG).
Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die
Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 137 III 226 E. 4.2 mit
Hinweisen; zum Begriff der Willkür BGE 138 I 49 E. 7.1; 136 III 552 E. 4.2; je
mit Hinweisen). Eine entsprechende Rüge muss klar und substantiiert begründet
werden (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 137 IV 1 E. 4.2.3; 136 I 65
E. 1.3.1; je mit Hinweisen). Dem vom Beschwerdeführer angerufenen Grundsatz "in
dubio pro reo" kommt in seiner Funktion als Beweiswürdigungsregel im Verfahren
vor dem Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende
Bedeutung zu (BGE 127 I 38 E. 2a; 124 IV 86 E. 2a; je mit Hinweisen).

1.4 Der Beschwerdeführer bezeichnet die "Beilhammergeschichte" als unstimmig
(Beschwerde, S. 6). Er wendet sich insofern gegen die Person und die Aussagen
von B.________ und bezichtigt diese der "krassen", "frechen" und
"unverschämten" Lügen, weil sie der Anklage "einen falschen Beilhammer
unterschoben" habe (Beschwerde, S. 8). Die Vorinstanz hätte diese Lügen
feststellen müssen, sich von den Aussagen des angeblichen Opfers nicht
überzeugen und die Frage nicht offenlassen dürfen, ob es sich beim
eingereichten Hammer um die Tatwaffe handle (Beschwerde, S. 8, 9, 10 f., 16).
Die Kritik geht an der Sache vorbei. Ob B.________ den Behörden die Tatwaffe
einreichte, ist für die Frage, ob der Beschwerdeführer einen Beilhammer
einsetzte, nicht massgeblich. Im Übrigen stellt die Vorinstanz betreffend die
Verwendung eines Beilhammers nicht (entscheidend) auf die Aussagen von
B.________ ab. Sie stützt sich zur Hauptsache auf die Schilderungen von
A.________. Soweit sich der Beschwerdeführer mit dessen Aussagen bzw. der
diesbezüglichen Beweiswürdigung der Vorinstanz überhaupt befasst, macht er zur
Sache im Wesentlichen nur geltend, A.________ habe "die Schrecken dieser Nacht
überdramatisch" geschildert (Beschwerde, S. 12 f.). Auch in eine zum Teil
wahrheitsgetreue Schilderung könnten Lügen eingebaut werden. Es sei nicht sehr
schwierig, bei einer Schlägerei noch den Einsatz einer Waffe zu erfinden
(Beschwerde, S. 15). Diese Ausführungen sind rein appellatorisch. Der
Beschwerdeführer begründet nicht, inwiefern die vorinstanzlichen
Schlussfolgerungen zu den Schilderungen A.________s unhaltbar sind. Er legt nur
seine Sicht der Dinge dar und unterstellt, die Vorinstanz wende bei der
Beurteilung seiner Aussagen und derjenigen der Zeugen unterschiedlich strenge
"Beweiswürdigungsstandards" an (Beschwerde, S. 13). Im Übrigen weist der
Beschwerdeführer selber ausdrücklich auf den weitgehend appellatorischen
Charakter seiner Ausführungen hin (Beschwerde, S. 16).

1.5 Die Vorinstanz gelangt aufgrund der zeitlichen Begebenheiten zum Schluss,
die Opfer hätten sich über die Verwendung des Beilhammers nicht absprechen
können (Entscheid, S. 13). Dieser Schluss ist nicht willkürlich. B.________
begab sich, nachdem sie aus der Wohnung fliehen und den Beschwerdeführer mit
Hilfe einer Passantin in die Flucht schlagen konnte, direkt auf den
Polizeiposten, wo sie bereits mündlich berichtete, der Beschwerdeführer habe
einen gelben Hammer oder eine Axt in der Hand gehabt und sie damit geschlagen
(Entscheid, S. 13 mit Hinweis auf act. HD 1, Polizeirapport, S. 7). A.________
wurde von der Polizei direkt am Tatort angetroffen. Auch er sprach auf dem
Posten davon, der Beschwerdeführer habe ein Werkzeug in der Hand gehabt,
eventuell einen Hammer (act. HD 1, Polizeirapport, S. 7). Zwischen Flucht und
Eintreffen auf dem Polizeiposten bestand mithin nach den nachvollziehbaren
Feststellungen der Vorinstanz keine Gelegenheit zur Absprache. Der Einwand, die
Opfer hätten sich im D.________-spital in der Notfallaufnahme im Hinblick auf
die nachträglichen Einvernahmen abgesprochen (Beschwerde, S. 14), geht mithin
fehl. Nicht einzugehen ist unter diesen Umständen auf die vorinstanzliche
Eventualbegründung, es widerspreche jeglicher Lebenserfahrung, dass jemand
einen andern vorsätzlich und wahrheitswidrig der Verwendung einer Waffe
bezichtige, die er nicht einmal benennen könne, und die in diesem Punkt
ebenfalls rein appellatorischen Ausführungen des Beschwerdeführers (Entscheid,
S. 13; Beschwerde, S. 7 f.).

1.6 Nach der Vorinstanz sind die ärztlichen Feststellungen im Bericht des
D.________-spitals zum Verletzungsbild der Opfer mit der Verwendung eines
Beilhammers vereinbar. Sie stützten die Version der Opfer (Entscheid, S. 14 mit
Hinweis auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil, S. 61 f.). In dieser
Schlussfolgerung ist keine Willkür und keine Verletzung des Grundsatzes "in
dubio pro reo" erkennbar, auch wenn kein vertiefter forensisch-medizinischer
Bericht zu den festgestellten Verletzungen vorliegt (Beschwerde, S. 11 f.). Der
Beschwerdeführer macht geltend, ein Gutachten hätte aufzeigen können, ob bzw.
wie ernsthaft er versucht habe, den Hammer einzusetzen, weil ein (permanentes)
Einschlagen auf die Opfer mit einem Hammer zu erheblichen Verletzungen hätte
führen müssen. Bei seiner Kritik geht er von einem Sachverhalt aus, der ihm
nicht vorgeworfen wird (vgl. Beschwerde, S. 14 f.). Darauf ist nicht
einzutreten. Inwiefern die Vorinstanz ihren Entscheid unzureichend begründet
haben könnte, ist aufgrund der Beschwerdevorbringen nicht ersichtlich
(Entscheid, S. 14 mit Verweis auf erstinstanzliches Urteil, S. 62; vgl.
Beschwerde, S. 12).

2.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist wegen Aussichtslosigkeit
abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer hat die
bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Seine angespannte
finanzielle Situation ist bei der Bemessung der Gerichtskosten angemessen zu
berücksichtigen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. November 2012

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill