Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.395/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_395/2012

Urteil vom 18. Dezember 2012
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiber Borner.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. iur. Silvia Brauchli,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Hirschengraben 16, 6003 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Führen eines Schiffes in fahrunfähigem Zustand
(Art. 41 Abs. 1 BSG und Art. 4 Abs. 1 BSV),

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Luzern, 4. Abteilung, vom 16. Mai 2012.

Sachverhalt:

A.
X.________ steuerte am 21. August 2010, um 22.50 Uhr, ein Motorschiff durch die
Luzerner Seebucht. Die Wasserpolizei stellte bei ihm eine
Atemalkoholkonzentration von 1,38 Promille fest. Die spätere Blutanalyse ergab
für den Zeitpunkt der Fahrt einen Wert von minimal 1,06 und maximal 1,55
Promille.

B.
Das Bezirksgericht Luzern verurteilte X.________ am 22. Dezember 2011 wegen
Führens eines Schiffes in angetrunkenem Zustand zu einer Geldstrafe von 15
Tagessätzen zu je Fr. 50.-- und Fr. 200.-- Busse.

Auf Berufung des Verurteilten bestätigte das Obergericht des Kantons Luzern am
16. Mai 2012 das erstinstanzliche Urteil.

C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das angefochtene
Urteil sei aufzuheben, und er sei von Schuld und Strafe freizusprechen;
eventualiter sei die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, das Bundesgesetz über die Binnenschifffahrt
(BSG; SR 747.201) kenne im Gegensatz zum Strassenverkehrsrecht keinen
Blutalkohol-Grenzwert, ab welchem die Fähigkeit, ein Schiff zu führen,
wesentlich beeinträchtigt gelte. Deshalb müssten sowohl die äusseren Umstände
als auch die Eigenschaften des Schiffführers konkret geprüft werden. Die
Vorinstanz habe jedoch den qualifizierten SVG-Grenzwert (Art. 1 Abs. 2 der
Verordnung der Bundesversammlung über Blutalkoholgrenzwerte im Strassenverkehr;
SR 741.13) analog herangezogen und damit Art. 41 BSG und Art. 1 StGB verletzt.
Die Vorwürfe sind unbegründet.

1.1 Der Gesetzgeber stufte die Gefahren im Schiffsverkehr gegenüber dem
Strassenverkehr als weniger hoch ein. Deshalb übernahm er die damalige
Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach jeder Fahrzeuglenker mit einer
Blutalkoholkonzentration (BAK) von 0,8 Promille als angetrunken gilt, nicht ins
BSG. Dieses setzt voraus, dass die Fähigkeit des Schiffführers wegen
Angetrunkenheit aufgehoben oder wesentlich beeinträchtigt ist (Art. 41 Abs. 1
BSG; AB 1974 N 1778 ff., vgl. insb. Voten Felber, AB 1974 N 1790 f.; AB 1975 S
447 ff., vgl. insb. Votum Andermatt, AB 1975 S 452). Wie der Beschwerdeführer
zu Recht geltend macht, sind zusätzlich zur BAK sowohl die äusseren Umstände
als auch die Eigenschaften des Schiffführers konkret zu prüfen. Diesen
Anforderungen genügt der angefochtene Entscheid.

1.2 Die Vorinstanz weist zutreffend darauf hin, dass die Grenzwerte im
Strassenverkehrsrecht auf gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen über die
Auswirkungen von Alkoholkonsum auf die Leistungs-, Konzentrations- und
Reaktionsfähigkeit, das Sehvermögen und das Risikoverhalten beruhen. Dabei ist
zwischen automatisierten und kontrollierenden Funktionsabläufen zu
unterscheiden. Erstere sind wenig alkoholempfindlich und werden im Durchschnitt
erst ab einer BAK von 1 Promille gestört. Letztere hingegen - der
Fahrzeuglenker muss z.B. auf ein unverhofft auftauchendes Hindernis reagieren -
sind ausgesprochen alkoholsensibel, nachweislich bereits ab einer BAK von
0,4-0,5 Promille (THOMAS SIGRIST, Zum Nachweis der Fahrunfähigkeit wegen
Angetrunkenheit, in: AJP 5/1996 S. 1112 Ziff. 4).

Gestützt auf echte Fahrversuche, Untersuchungen mit Fahrsimulatoren und
laborexperimentelle Studien ist allgemein anerkannt, dass im Strassenverkehr
eine BAK von 0,4-0,5 Promille kritisch und ab 1 Promille absolut unverträglich
ist. Bei BAK-Werten ab 0,7-0,8 Promille ist die Fahrsicherheit bereits
allgemein aufgehoben, wenn der Lenker eine kritische Verkehrslage meistern muss
(PETER KÖNIG, Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, Berlin 2008, 12. Auflage, §
316 N. 16c mit Hinweisen).

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über alkoholisch bedingte
Leistungseinbussen eines Menschen sind allgemein gültig, unabhängig davon, ob
es sich um einen Fahrzeuglenker oder einen Schiffsführer handelt. Dass im
Schiffsverkehr weniger Unfälle zu verzeichnen sind, geht wohl vorwiegend auf
die geringere Verkehrsdichte zurück, sicher aber nicht auf weniger grosse
Leistungseinbussen bei Schiffsführern als bei Fahrzeuglenkern mit gleichem
Alkoholpegelstand. Viele deutschsprachige Kantone (Zürich, Thurgau, St. Gallen,
Nidwalden, Uri, Schwyz, Obwalden, Zug) wenden die 0,8 Promille-Grenze der
Verordnung der Bundesversammlung analog auf Art. 41 Abs. 1 BSG an (Akten des
Obergerichts, Belege der Staatsanwaltschaft, S. 2). Ob diese Praxis mit Art. 41
Abs. 1 BSG vereinbar ist, kann vorliegend offen bleiben. Der Kanton Bern
fordert zusätzlich zu den 0,8 Promillen einen Hinweis im ärztlichen Protokoll,
der den angetrunkenen Zustand bestätigt (a.a.O.).

1.3 Der Beschwerdeführer steuerte um 22.50 Uhr sein Boot mit einer BAK von
mindestens 1,06 Promille. Der Arzt stellte bei ihm eine knappe Stunde nach der
Fahrt einen schwankenden Gang fest. Angesichts der Höhe der BAK, bei welcher in
kritischen Situationen deutliche Leistungseinbussen zu erwarten sind, der
schlechten Sicht in der Dunkelheit und des ärztlichen Trunkenheitshinweises
erachtete die Vorinstanz den Tatbestand des Art. 41 Abs. 1 BSG zu Recht als
erfüllt.

1.4 Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung. Die
Vorinstanz habe aus dem Arztbericht einzig seinen schwankenden Gang
berücksichtigt, hingegen alle anderen Tests und Ergebnisse, die ihm volle
Reaktionsfähigkeit und Aufmerksamkeit bescheinigten, ausser Acht gelassen.

Die Vorinstanz erwägt, der Arzt habe "bei sonst unauffälligem Befund" einen
schwankenden Gang des Beschwerdeführers festgestellt (angefochtener Entscheid
S. 6 oben). Somit hat sie die nicht negativen Befunde berücksichtigt. Dass
diese die volle Reaktionsfähigkeit und Aufmerksamkeit bescheinigen würden,
trifft nicht zu (siehe E. 1.5).

1.5 Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe am Abend ausreichend gegessen
und hinreichend Wasser getrunken. Er sei von statthafter Postur und weise eine
gute Alkoholverträglichkeit auf.

Es trifft zwar zu, dass alkoholgewöhnte Personen auch bei einer BAK von 1
Promille automatisierte Funktionsabläufe (siehe E. 1.2 Abs. 1) in der Regel
unfallfrei ausführen können. Bei den kontrollierenden hingegen ist das nicht
mehr der Fall (PETER KÖNIG, a.a.O., N. 16e). Dass der Beschwerdeführer die
meisten ärztlichen Tests unauffällig absolvierte, deutet angesichts der
errechneten BAK lediglich auf eine gute Alkoholgewöhnung hin. Sein Hinweis, er
habe das schwierige Manöver, mit dem Boot vom Inseli Luzern abzulegen,
problemlos gemeistert, geht fehl. Als langjähriger Bootsführer (seit 1957) und
Ausbildner (seit 1962), der mit den lokalen Verhältnissen bestens vertraut ist,
fällt dieses Manöver unter die automatisierten Funktionsabläufe. Dasselbe gilt
für seine Vorbringen, auf die polizeiliche Aufforderung anzuhalten habe er
problemlos reagieren können (vgl. SIGRIST/EISENHART, Fahrunfähigkeit wegen
Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenwirkung, in: Jahrbuch zum
Strassenverkehrsrecht, St. Gallen 2006, S. 53). In diesem Zusammenhang ist auch
die antizipierte Beweiswürdigung der Vorinstanz nicht zu beanstanden. Der
Beschwerdeführer zeigt nicht auf, dass die abgelehnte Zeugin von Situationen
auf der fraglichen Fahrt hätte berichten können, die der Beschwerdeführer nur
mittels kontrollierender Funktionsabläufe hätte meistern können.

Die starke Alkoholgewöhnung hilft dem Beschwerdeführer auch hinsichtlich der
gemessenen BAK nicht. Im Gegenteil: Die auf den Ereigniszeitpunkt
zurückgerechnete BAK von minimal 1,06 und maximal 1,55 Promille basiert unter
anderem auf der Annahme, dass der menschliche Körper pro Stunde zwischen 0,1
und 0,2 Promille abbaut. Bei besonders alkoholgewöhnten Personen erreicht
dieser Wert sogar 0,3 Promille (PETER KÖNIG, a.a.O., N. 41). Für den
Beschwerdeführer würde das bedeuten, dass der Maximalwert auf mehr als 1,55
Promille zu stehen käme.

Ausreichendes Essen und Wasser trinken beeinflussen lediglich die
Anflutungsphase, ändern jedoch nichts an der errechneten BAK. Die statthafte
Postur des Beschwerdeführers lässt angesichts der unbestrittenen BAK nur den
Schluss zu, dass er mehr als die angegebenen 3-4 Gläser Wein (angefochtener
Entscheid S. 6 oben) getrunken haben muss.

1.6 Der Vorwurf des Beschwerdeführers, die Vorinstanz habe die
Blutalkoholgrenzwerte des Strassenverkehrs per Analogieschluss auf Art. 41 Abs.
1 BSG angewandt, ist unbegründet. Denn diesfalls hätte sie ohne weitere
Begründung erwägen können, der Beschwerdeführer habe die qualifizierte BAK von
0,8 Promille überschritten. Damit liess sie es aber nicht bewenden, sondern zog
weitere Elemente zur Begründung heran.

2.
Die Beschwerde ist kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG) abzuweisen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, 4.
Abteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. Dezember 2012

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Borner