Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.379/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_379/2012

Urteil vom 30. August 2012
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Denys, Schöbi,
Gerichtsschreiber C. Monn.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Brunner,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Strafzumessung (mehrfache versuchte vorsätzliche Tötung etc.),

Beschwerde gegen das Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Zürich vom 12.
Mai 2009.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Nachdem X.________ in der Nacht vom 10. März 2007 von Sicherheitskräften aus
einer Bar an der Beethovenstrasse in Zürich gewiesen worden war, ging er nach
Hause in Zürich-Altstetten und holte dort seine Pistole samt Munition. Obwohl
er alkoholisiert war und Kokain konsumiert hatte, fuhr er mit einem Auto zur
Bar zurück, wo er in die Richtung von sieben Personen, die sich vor dem Eingang
der Bar befanden, sechs Mal schoss, bis das Magazin leer war. Eine Kugel traf
einen Sicherheitsmann in den Unterschenkel, zwei Kugeln trafen einen weiblichen
Gast in die Oberarme. X.________ flüchtete und konnte schliesslich durch die
ihn verfolgenden Türsteher festgehalten werden.

Das Geschworenengericht des Kantons Zürich sprach X.________ am 12. Mai 2009
der mehrfachen versuchten vorsätzlichen Tötung, des Fahrens in fahrunfähigem
Zustand sowie des mehrfachen Vergehens gegen das Waffengesetz schuldig und
bestrafte ihn mit 14 Jahren Freiheitsstrafe.

Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies eine dagegen gerichtete kantonale
Nichtigkeitsbeschwerde am 21. Mai 2012 ab, soweit darauf eingetreten werden
konnte.

X.________ wendet sich mit Beschwerde vom 22. Juni 2012 ans Bundesgericht und
beantragt, das Urteil des Geschworenengerichts vom 12. Mai 2009 sei im
Strafpunkt aufzuheben und er sei mit einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren zu
bestrafen.

2.
Gemäss dem bis zum Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung am 1.
Januar 2011 geltenden Art. 100 Abs. 6 BGG beginnt der Fristenlauf für die
Beschwerde ans Bundesgericht, wenn der Entscheid eines oberen kantonalen
Gerichts mit einem Rechtsmittel, das nicht alle Rügen nach Art. 95 ff. BGG
zulässt, bei einer zusätzlichen kantonalen Gerichtsinstanz angefochten worden
ist, erst mit der Eröffnung des Entscheids dieser Instanz. Der Entscheid des
Kassationsgerichts wurde dem Beschwerdeführer am 23. Mai 2012 eröffnet. Die
Beschwerde vom 22. Juni 2012 ist fristgerecht.

3.
Gemäss Art. 47 Abs. 1 StGB misst das Gericht die Strafe nach dem Verschulden
des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben, die persönlichen Verhältnisse
und die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters. Die Bewertung des
Verschuldens richtet sich gemäss Abs. 2 derselben Bestimmung nach der Schwere
der Verletzung oder der Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der
Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie
danach, wie weit er nach den innern und äussern Umständen in der Lage war, die
Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden. Es liegt im Ermessen des Sachgerichts,
in welchem Umfang es den verschiedenen Strafzumessungsfaktoren Rechnung trägt.
Das Bundesgericht greift nur ein, wenn die Vorinstanz den gesetzlichen
Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn sie von rechtlich nicht
massgebenden Kriterien ausgegangen ist oder wesentliche Gesichtspunkte ausser
Acht gelassen bzw. in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens falsch
gewichtet hat (BGE 134 IV 17 E. 2.1 mit Hinweisen).

Die Vorinstanz hat sich ausführlich zur Strafzumessung geäussert, worauf hier
verwiesen werden kann (vgl. angefochtenen Entscheid S. 65 ff.). Der
Beschwerdeführer bemängelt, die Vorinstanz habe einerseits die objektive
Tatschwere (Beschwerde S. 4 ff.) und anderseits das subjektive Verschulden
falsch bewertet (Beschwerde S. 7 ff.). Eine richtige Bewertung von objektivem
und subjektivem Schuldgehalt der Tat führe zu einer Einsatzstrafe von ungefähr
10 ½ bis 11 ½ Jahren, welche in Berücksichtigung der nicht gerügten weiteren
Erwägungen der Vorinstanz um ein Jahr zu reduzieren sei (Beschwerde S. 10 f.).

3.1 In Bezug auf die objektive Tatschwere stellt die Vorinstanz fest, der
Beschwerdeführer habe völlig unkontrolliert und ziellos, geradezu willkürlich
und ohne jegliche rechtfertigende Faktoren, sondern aufgrund einer nichtigen
Veranlassung aus geringer Distanz auf eine Gruppe von sieben zufällig
anwesenden Personen so lange geschossen, bis das Magazin leer war. Dass die
sieben Personen überlebten und die Verletzungen der beiden Getroffenen nicht
gravierender ausfielen, sei einzig und allein einem Zufall zu verdanken. Es
hätte auch mehrere Tote und Verletzte geben können. Daran zeige sich nicht nur
eine ausserordentlich rücksichtslose Haltung ohne jegliche Verantwortung,
sondern auch eine erhebliche kriminelle Energie. Dass der Beschwerdeführer die
Tat nicht von langer Hand geplant hatte, sondern aufgrund der Ereignisse des
vorangegangenen Abends mit einer gewissen Spontaneität und Emotionalität
gehandelt habe, vermöge sich vor dem Hintergrund der übrigen Faktoren nicht
verschuldensmindernd auszuwirken. Insgesamt sei die objektive Tatschwere als
ausserordentlich schwer zu werten und rechtfertige eine hypothetische
Einsatzstrafe in der Grössenordnung von 17 bis 20 Jahren (vgl. angefochtenen
Entscheid S. 69 f.).

Der Beschwerdeführer macht geltend, die Annahme der Vorinstanz, die objektive
Tatschwere sei ausserordentlich schwer, erscheine unhaltbar (vgl. Beschwerde S.
4 ff.). Die Rüge ist unbegründet. Wer aus nichtigem Anlass aus geringer Distanz
auf eine Gruppe von mehreren Menschen sechs Schüsse abfeuert, begeht eine
ausserordentlich schwerwiegende Tat. Demgegenüber ist nicht ersichtlich,
inwieweit der vorliegende Fall Aspekte einer Affekttat aufweisen könnte. Der
Beschwerdeführer war zwar wütend und gekränkt, aber dies genügt nach der
zutreffenden Feststellung der Vorinstanz nicht, um einen entschuldbaren Affekt
anzunehmen (angefochtener Entscheid S. 62). Es kam denn auch nicht spontan zur
Tat, sondern der Beschwerdeführer musste zunächst nach Hause, um die Pistole zu
holen, wo er auch noch duschte und sich umzog (angefochtener Entscheid S. 71).
Bis zu den Schüssen verging nach den Feststellungen der Vorinstanz rund eine
Stunde (angefochtener Entscheid S. 49). Unter diesen Umständen durfte die
Vorinstanz die Tatsache, dass der Beschwerdeführer die Tat nicht von langer
Hand vorbereitet hatte, ausser Acht lassen. Die Annahme einer hypothetischen
Einsatzstrafe von mindestens 17 Jahren verletzt kein Bundesrecht. Und auch die
Begründung genügt den Anforderungen von Art. 50 StGB.

3.2 In Bezug auf das subjektive Verschulden stellt die Vorinstanz zunächst
fest, der Beschwerdeführer habe den Tod der von ihm beschossenen sieben
Personen nicht per se gewollt, sondern lediglich in Kauf genommen, was
verschuldensmindernd zu berücksichtigen sei (angefochtener Entscheid S. 70).
Der Beschwerdeführer macht dazu geltend, die Vorinstanz habe den
Eventualvorsatz offenbar nur sehr geringfügig und damit nicht hinreichend
berücksichtigt (vgl. Beschwerde S. 7 f.). Nachdem er aus naher Distanz und mit
ausgestrecktem, waagrecht zum Boden verlaufenden Arm (angefochtener Entscheid
S. 51) sechsmal in die Gruppe der sieben Geschädigten schoss, muss festgehalten
werden, dass der Fall jedenfalls an der Grenze zum direkten Vorsatz liegt. Auch
wenn der Beschwerdeführer den Tod der Geschädigten nicht "per se" wollte,
musste dieser Umstand nicht weitergehend strafmindernd ins Gewicht fallen.
Weiter stellt die Vorinstanz in Bezug auf das subjektive Verschulden fest,
Beweggrund für die Schussabgabe sei gewesen, sich für den als Unrecht
empfundenen Rauswurf aus der Bar bei den Türstehern zu rächen, welches Motiv
sich leicht verschuldenserhöhend auswirke, zumal die Abgabe der Schüsse
gemessen am Anlass völlig unangemessen gewesen sei (angefochtener Entscheid S.
70 f.). Diese Erwägung der Vorinstanz ist nach Auffassung des Beschwerdeführers
zu einseitig, weil sie übergehe, dass er wütend, frustriert, zornig und
emotional geladen gewesen sei (vgl. Beschwerde S. 8). Insoweit ist indessen zu
berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer zwischen dem Rauswurf und der
Rückkehr zur Bar genügend Zeit und Gelegenheit gehabt hätte, sich zu besinnen
(angefochtener Entscheid S. 71). Unter diesen Umständen kommt der Tatsache,
dass er nach dem Rauswurf aus der Bar zornig und frustriert war, keine
erhebliche Bedeutung für die Strafzumessung zu.

Schliesslich stellt die Vorinstanz in Bezug auf das subjektive Verschulden
fest, das planvolle Vorgehen spreche gegen einen schweren Rauschzustand, und
der Beschwerdeführer habe denn auch selber ausgesagt, wie aufmerksam er gewesen
sei und wie blitzschnell er reagiert habe. Übrigens spreche auch das von ihm
geschilderte bewusste Schwenken der Waffe nach links und sein Nachtatverhalten
gegen eine für die Frage der Schuldfähigkeit relevante Beeinträchtigung durch
den genossenen Alkohol und das Kokain. Er sei unmittelbar nach der Flucht in
der Lage gewesen, sein Verhalten so zu ändern, dass er, wäre er nicht von den
ihn verfolgenden Türstehern erkannt worden, als unbeteiligter Passant hätte
gelten können. Immerhin sei der Einfluss des konsumierten Alkohols und des
Kokains leicht verschuldensmindernd zu berücksichtigen (vgl. angefochtenen
Entscheid S. 71 f.). Diese Erwägung wird in der Beschwerde nicht bemängelt.

Die Vorinstanz kommt zum Schluss, zwar vermöchten die subjektiven Aspekte die
als ausserordentlich schwer eingestufte objektive Tatschwere leicht zu mindern,
insgesamt sei aber immer noch von einem sehr schweren Tatverschulden auszugehen
(angefochtener Entscheid S. 72). Diese Erwägung ist nicht zu beanstanden, und
davon, dass eine "sehr mässige" subjektive Tatschwere "zu einer ganz
erheblichen Reduktion" der aufgrund der objektiven Tatschwere gefundenen
Einsatzstrafe hätte führen müssen (Beschwerde S. 9 f.), kann nicht die Rede
sein. Im Übrigen genügt die Begründung im vorinstanzlichen Urteil auch in
diesem Punkt den Anforderungen von Art. 50 StGB.

3.3 In Bezug auf den vollendeten Versuch als verschuldensunabhängige
Tatkomponente stellt die Vorinstanz fest, nachdem das Ausbleiben des
tatbestandsmässigen Erfolges des wilden und ziellosen Drauflosballerns
ausschliesslich einer glücklichen Fügung zuzuschreiben sei und es ohne Weiteres
auch zu mehreren Toten hätte kommen können, sei der Versuch nur leicht
strafmindernd zu berücksichtigen (angefochtener Entscheid S. 73). Weiter führt
sie aus, bei der Strafzumessung komme zwei Vorstrafen aus den Jahren 1998 und
2004 von sechs Monaten bzw. vier Jahren eine wichtige Rolle zu. Sie seien stark
straferhöhend zu gewichten, nicht zuletzt, weil die vorliegend zu beurteilende
Tat während des laufenden Vollzugs der vierjährigen Zuchthausstrafe begangen
worden sei. Schliesslich könne das Nachtatverhalten leicht strafmindernd
berücksichtigt werden, da der Beschwerdeführer immerhin den äusseren
Sachverhalt von Anfang an anerkannt habe, wenn auch angesichts der Beweislage
notgedrungen. Wirkliche Reue und Einsicht seien demgegenüber nicht spürbar. Im
Übrigen habe er sich in der Untersuchung und vor Gericht anständig verhalten
(vgl. angefochtenen Entscheid S. 75 ff.). Diese Erwägungen werden vom
Beschwerdeführer zu Recht akzeptiert bzw. jedenfalls für vertretbar gehalten
(Beschwerde S. 10).

3.4 In Würdigung aller erwähnten Strafzumessungsfaktoren kommt die Vorinstanz
zum Schluss, es erscheine eine Einsatzstrafe im Bereich von knapp 14 Jahren
Freiheitsstrafe den Verhältnissen als angemessen. Die Tatmehrheit führe
lediglich zu einer leichten Erhöhung, weshalb der Beschwerdeführer mit einer
Freiheitsstrafe von 14 Jahren zu bestrafen sei (vgl. angefochtenen Entscheid S.
77 ff.). Gesamthaft gesehen ist die Strafe nicht zu beanstanden.

4.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes, da die
Vorinstanz für die Begründung des Urteils zwei Jahre gebraucht habe (Beschwerde
S. 11). Diese Dauer erscheint tatsächlich als lang. Seit der Tat sind indessen
bis heute nur etwas mehr als fünf Jahre vergangen. Da es um ein recht
aufwändiges Verfahren gegangen ist, erweist sich die Verfahrensdauer insgesamt
jedenfalls als noch vertretbar (vgl. die Beispiele im Urteil 6B_440/2008 vom
11. November 2008 E. 6.1). Eine Strafminderung drängt sich nicht auf.

5.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang sind die Gerichtskosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege ist in Anwendung von Art. 64 BGG abzuweisen, weil
die Rechtsbegehren aussichtslos erschienen. Der finanziellen Lage des
Beschwerdeführers ist bei der Bemessung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen
(Art. 65 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Geschworenengericht des Kantons Zürich
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. August 2012

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Monn