Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.35/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_35/2012

Urteil vom 30. März 2012
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Denys,
Gerichtsschreiberin Koch.

Verfahrensbeteiligte
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

X.________, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Wirz,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Veruntreuung, Betrug,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, vom 8. Dezember 2011.

Sachverhalt:

A.
A.a Das Bezirksgericht Horgen verurteilte X.________ am 25. Februar 2009 wegen
Betruges und Veruntreuung zum Nachteil von A.________. In Gutheissung der
Berufung sprach ihn das Obergericht des Kantons Zürich am 16. November 2009
frei.
A.b Das Bundesgericht hob das Urteil des Obergerichts am 8. Juni 2010 auf
Beschwerde von A.________ hin auf und wies die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurück (Urteil 6B_22/2010), weil die Vorinstanz die Aussagen von
A.________ und des Zeugen Z.________ zu Unrecht als unverwertbar erachtet
hatte.
A.c Das Obergericht des Kantons Zürich befand X.________ mit Urteil vom 16.
Dezember 2010 der Veruntreuung und des Betrugs schuldig. Es bestrafte ihn mit
einer bedingt vollziehbaren Freiheitsstrafe von 15 Monaten, als Zusatzstrafe
zum Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis vom 2. Juni 2008.
X.________ wurde verpflichtet, A.________ Fr. 476'129.10 Schadenersatz nebst
Zins zu bezahlen. Das Bundesgericht hob dieses Urteil auf Beschwerde von
X.________ wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör am 20. Juni
2011 auf und wies die Sache erneut an die Vorinstanz zurück (Urteil 6B_57/
2011).

B.
Am 8. Dezember 2011 sprach das Obergericht des Kantons Zürich X.________
vollumfänglich frei. Gegen dieses Urteil erhebt die Oberstaatsanwaltschaft des
Kantons Zürich Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, das angefochtene
Urteil sei wegen Verletzung von Bundesrecht aufzuheben und zur neuen
Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei das Urteil des
Obergerichts des Kantons Zürich vom 16. Dezember 2010 zu bestätigen, der
Beschwerdeführer sei gemäss Dispositiv dieses Urteils schuldig zu sprechen, zu
bestrafen und zur Leistung von Schadenersatz und Entschädigung zu verpflichten.

C.
X.________ stellt in seiner Stellungnahme vom 21. März 2012 keinen bestimmten
Antrag. Das Obergericht des Kantons Zürich verzichtete auf Bemerkungen zur
Beschwerde.

Erwägungen:

1.
1.1 Der Beschwerdegegner stellt die Beschwerdelegitimation der
Staatsanwaltschaft hinsichtlich des adhäsionsweise geführten Zivilverfahrens in
Frage.

1.2 Zur Beschwerde in Strafsachen ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG berechtigt, wer
(lit. a) vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit
zur Teilnahme erhalten hat, und (lit. b) ein rechtlich geschütztes Interesse an
der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat, insbesondere die
Staatsanwaltschaft (Ziff. 3).

1.3 Die beschwerdeführende Oberstaatsanwaltschaft gilt nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung als verfahrensbeteiligt, da sie als oberste
Anklagebehörde des Kantons jederzeit die Möglichkeit behält, über ihre
Aufsichts- und Weisungsbefugnisse auf das vorinstanzliche Rechtsmittelverfahren
Einfluss zu nehmen (BGE 134 IV 36 E. 1.3.2 S. 39). Sie ist zur Erhebung der von
ihr geltend gemachten Rügen des Bundes- und Verfassungsrechts berechtigt
(a.a.O. E. 1.4.3 und E. 1.4.4 S. 41 ff. mit Hinweisen). Diese betreffen
insbesondere die Bindungswirkung des bundesgerichtlichen
Rückweisungsentscheids, die Strafprozessordnung, das Willkürverbot und den
Anspruch auf rechtliches Gehör. Die Frage der Legitimation der
Oberstaatsanwaltschaft zur Anfechtung des Zivilpunkts stellt sich nicht und
kann offen bleiben, denn die Beschwerde richtet sich gegen formelle bzw.
prozessuale Fehler. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.
2.1 Die Beschwerdeführerin stellt die Tragweite der Bindungswirkung des
bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheids vom 20. Juni 2011 zur Diskussion.
Sie ist der Ansicht, dieser Entscheid lasse keinen Raum für eine vollständig
neue und freie Beweiswürdigung. Die Vorinstanz sei auf ihren früheren Entscheid
zurückgekommen, ohne dass sich nach Heilung des früheren formellen Mangels
etwas am Beweisergebnis geändert hätte. Die Stellungnahme, bezüglich welcher
das rechtliche Gehör verweigert worden sei, habe keinen Einfluss auf den
angefochtenen Entscheid gehabt.

2.2 Die Bindungswirkung bundesgerichtlicher Rückweisungsentscheide ergibt sich
aus ungeschriebenem Bundesrecht (BGE 135 III 334 E. 2 und E. 2.1 S. 335; Urteil
6B_372/2011 vom 12. Juli 2011 E. 1.1.1; je mit Hinweisen). Im Falle eines
Rückweisungsentscheids hat die mit der Neubeurteilung befasste kantonale
Instanz die rechtliche Beurteilung, mit der die Zurückweisung begründet wird,
ihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Diese Beurteilung bindet auch das
Bundesgericht, falls ihm die Sache erneut unterbreitet wird. Wegen dieser
Bindung der Gerichte ist es ihnen wie auch den Parteien, abgesehen von
allenfalls zulässigen Noven, verwehrt, der Beurteilung des Rechtsstreits einen
anderen als den bisherigen Sachverhalt zu unterstellen oder die Sache unter
rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, die im Rückweisungsentscheid
ausdrücklich abgelehnt oder überhaupt nicht in Erwägung gezogen worden sind
(BGE 135 III 334 E. 2 und E. 2.1 S. 335 f. mit Hinweisen). Diese Rechtsprechung
beruht auf dem Gedanken, dass das Strafverfahren prinzipiell mit dem Urteil der
(oberen) kantonalen Instanz abgeschlossen ist (BGE 117 IV 97 E. 4a S. 104 mit
Hinweisen).
Die kantonale Instanz hat sich bei der neuen Entscheidung somit auf das zu
beschränken, was sich aus den bundesgerichtlichen Erwägungen als Gegenstand der
neuen Beurteilung ergibt. Es soll nicht das ganze Verfahren neu in Gang gesetzt
werden, sondern nur soweit dies notwendig ist, um den verbindlichen Erwägungen
des Bundesgerichts Rechnung zu tragen. In den Grenzen des Verbots der
reformatio in peius kann sich dabei die neue Entscheidung auch auf Punkte
beziehen, die vor Bundesgericht nicht angefochten waren, sofern dies der
Sachzusammenhang erfordert (BGE 123 IV 1 E. 1 S. 3; Urteil 6B_372/2011 vom 12.
Juli 2011 E. 1.1.2; je mit Hinweisen).

2.3 Thema des zweiten bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheides bildete die
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Das Bundesgericht hiess die
Beschwerde gut, weil die Vorinstanz dem Beschwerdegegner die Stellungnahme der
Staatsanwalt vom 7. September 2010 vorenthalten hatte. Die vorinstanzliche
Beweiswürdigung hatte das Bundesgericht nicht zu prüfen. Auch wenn das
Bundesgericht das Urteil der Vorinstanz vom 16. Dezember 2010 und damit den
Schuldspruch formell vollständig aufgehoben hatte, ging aus den Erwägungen klar
hervor, dass sich die Aufhebung auf einen Teilaspekt beschränkte. Mit der
Rückweisung zur Gewährung des rechtlichen Gehörs war der Rahmen für neue
kantonale Verfahren eng gesteckt. Die Vorinstanz durfte nur soweit auf das
frühere Beweisergebnis zurückkommen, als sich aus der staatsanwaltschaftlichen
Stellungnahme oder zulässigen Noven ein anderes Bild ergab.

2.4 Das angefochtene Urteil bewegt sich ausserhalb der Grenzen des
bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheids. Die Vorinstanz nimmt gegenüber
ihrem Urteil vom 16. Dezember 2010 eine komplett neue Beweiswürdigung vor.
Dabei berücksichtigt sie sämtliche bereits im früheren Verfahren bekannten
Beweismittel sowie die neuen, inhaltlich unveränderten Aussagen des
Beschwerdegegners und der Geschädigten. Hingegen zieht sie die
staatsanwaltliche Stellungnahme nicht zur Urteilsbegründung heran (Urteil S. 22
ff.). Anders als in ihrem früheren Entscheid wertet sie die Aussagen der
Geschädigten im Zusammenhang mit deren Wissen und Willen zu den
Finanztransaktionen als unglaubhaft. Auch die schriftlichen Unterlagen sowie
die Finanzlage des Beschwerdegegners gewichtet die Vorinstanz anders. Sie geht
bei der Neubeurteilung von einem anderen Sachverhalt aus und gelangt im
Gegensatz zu ihrem Urteil vom 16. Dezember 2010 zu einem Freispruch (Urteil S.
27 bis S. 39, welches dem Urteil der Vorinstanz vom 16. Dezember 2010 S. 24 bis
S. 40 widerspricht). Mit diesem Vorgehen verletzt die Vorinstanz die
Bindungswirkung des Rückweisungsentscheids. Sie rollt das ganze Verfahren neu
auf, ohne dass ein Sachzusammenhang zur Gewährung des rechtlichen Gehörs für
die staatsanwaltliche Stellungnahme besteht.
Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und an die Vorinstanz zurückzuweisen,
damit sie unter Berücksichtigung der Bindungswirkung des bundesgerichtlichen
Rückweisungsentscheids ein neues Urteil fälle.

2.5 Soweit die Beschwerdeführerin rügt, das angefochtene Urteil verstosse gegen
weitere Bestimmungen des Bundes- und Verfassungsrechts (Art. 10 Abs. 2, Art. 80
Abs. 2, Art. 379 i.V.m. Art. 350 Abs. 2 und Art. 410 StPO, Art. 9 und Art. 29
Abs. 2 BV), können diese Fragen zufolge Gutheissung der Beschwerde offen
bleiben.

3.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1
BGG) und keine Parteientschädigungen zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1 und Abs. 3
BGG). Der Beschwerdegegner, der keine besonderen Anträge gestellt hat, ist
weder obsiegende noch unterliegende Partei.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons
Zürich vom 8. Dezember 2011 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung im
Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben und keine Entschädigungen zugesprochen.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. März 2012

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Die Gerichtsschreiberin: Koch