Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.352/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_352/2012

Urteil vom 1. November 2012
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiber Held.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Fürsprecher Philipp Kunz,
Beschwerdeführer,

gegen

Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Strafzumessung (qualifizierte Widerhandlungen gegen das
Betäubungsmittelgesetz),

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung,
2. Strafkammer, vom 15. November 2011.

Sachverhalt:

A.
Das Regionalgericht Berner Jura-Seeland verurteilte X.________ am 7. Juni 2011
wegen mehrfacher qualifizierter Widerhandlungen gegen das
Betäubungsmittelgesetz (BetmG) zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren,
welche das Obergericht des Kantons Bern am 15. November 2011 bestätigte.

B.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, er sei gestützt auf
die Schuldsprüche zu einer angemessenen, 55 Monate nicht übersteigenden
Freiheitsstrafe zu verurteilen. Eventualiter sei das vorinstanzliche Urteil
aufzuheben und zur Neubeurteilung zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung.

C.
Das Obergericht beantragt die Abweisung der Beschwerde. Die
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern und X.________ haben auf eine
Vernehmlassung respektive Stellungnahme verzichtet.

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer beanstandet die Strafzumessung und macht eine Verletzung
von Art. 47 StGB geltend. Die gegen ihn ausgesprochene Freiheitsstrafe von
sieben Jahren sei für die gehandelte Menge Kokain und die Anzahl der Delikte
unverhältnismässig hoch. Die Vorinstanz habe Strafzumessungsfaktoren falsch
gewichtet und ihn für Delikte bestraft, die weder angeklagt noch nachgewiesen
seien.

2.
2.1 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG), prüft die bei ihm angefochtenen Entscheide aber grundsätzlich nur auf
Rechtsverletzungen, die in der Beschwerde geltend gemacht werden (vgl. Art. 42
Abs. 2 BGG).

2.2 Gemäss Art. 47 Abs. 1 StGB misst das Gericht die Strafe nach dem
Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben, die persönlichen
Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters. Nach Abs. 2
derselben Bestimmung bestimmt sich die Bewertung des Verschuldens nach der
Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der
Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie
danach, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage
war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden. Das Bundesgericht hat die
Grundsätze der Strafzumessung und die an sie gestellten Anforderungen
wiederholt dargelegt (vgl. nur BGE 134 IV 17 E. 2.; 129 IV 6 E. 6.1; je mit
Hinweisen). Dem Sachgericht steht bei der Gewichtung der verschiedenen
Strafzumessungsfaktoren ein erheblicher Ermessensspielraum zu. Das
Bundesgericht greift auf Beschwerde hin in die Strafzumessung nur ein, wenn die
Vorinstanz den gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn sie
von rechtlich nicht massgebenden Kriterien ausgegangen ist oder wesentliche
Gesichtspunkte ausser Acht gelassen bzw. in Überschreitung oder Missbrauch
ihres Ermessens falsch gewichtet hat.

2.3 Gemäss Art. 50 StGB hat das Gericht, sofern es sein Urteil begründen muss,
die für die Zumessung der Strafe erheblichen Umstände und deren Gewichtung
festzuhalten. Es hat seine Überlegungen in den Grundzügen wiederzugeben, so
dass die Strafzumessung nachvollziehbar ist. Die schriftliche Urteilsbegründung
muss auf alle wesentlichen Strafzumessungskriterien eingehen. Besonders hohe
Anforderungen an die Begründung der Strafzumessung werden unter anderem
gestellt, wenn die ausgesprochene Strafe ungewöhnlich hoch oder auffallend
milde erscheint (BGE 134 IV 17 E. 2.1; 129 IV 6 E. 6.1).

3.
3.1 In Fällen schwerer Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz reicht
der Strafrahmen von einem bis 20 Jahren Freiheitsstrafe, womit eine Geldstrafe
verbunden werden kann (Art. 19 Ziff. 2 BetmG). Ein mengenmässig schwerer Fall
im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG ist bei 18 Gramm reinem Kokain
gegeben (BGE 109 IV 143 E. 3b S. 145). Die Betäubungsmittelmenge ist ein
wichtiger Strafzumessungsfaktor, indes nicht von vorrangiger Bedeutung (BGE 121
IV 202 E. 2d/cc S. 206; Urteil 6B_558/2011 vom 21. November 2011 E. 3.3.2).

3.2 Die Vorinstanz bewertet das objektive Tatverschulden als schwer. Der
Beschwerdeführer habe eine hohe hierarchische Stellung im Drogengeschäft inne
gehabt und als regelrechter Importeur und Grosshändler fungiert. Er habe
ausschliesslich aus egoistischen, pekuniären Beweggründen ohne äussere
Zwangslage gehandelt und sei sehr intensiv deliktisch tätig gewesen. Dies lasse
auf eine hohe kriminelle Energie schliessen. Für sämtliche verübten
Betäubungsmitteldelikte sei eine "Einsatzstrafe" von 54 Monaten festzusetzen.
Zudem sei der Beschwerdeführer einschlägig vorbestraft und habe sich auch von
längeren Gefängnisstrafen nicht beeindrucken lassen. Er habe im Ausland während
der Probezeit delinquiert und die zu beurteilenden Straftaten nur zwei Jahre
nach seiner Haftentlassung in Österreich begangen. Ein Geständnisrabatt könne
ihm gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht zugestanden werden. In
Berücksichtigung der stark straferhöhend zu gewichtenden Täterkomponeten sei
eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren auszusprechen.

3.3 Der Beschwerdeführer macht geltend, bei einer Menge von 1.15 kg reinem
Kokain und elf Drogengeschäften innert fünf Monaten liege keine sehr intensive,
deliktische Tätigkeit vor. Innerhalb des weiten Strafrahmens für qualifizierte
Widerhandlungen (gegen das BetmG) sei sein Tatverschulden im mittleren Bereich
anzusiedeln. Er weist darauf hin, dass die ausgesprochene Strafe deutlich über
dem der Literatur angeführten praxisgestützten Vergleichsrahmen von 48 Monaten
für Straftaten mit 1.15 kg Kokain liege (vgl. THOMAS FINGERHUT/CHRISTOF
TSCHURR, Kommentar zum Betäubungsmittelgesetz, Zürich 2007, N. 30 zu Art. 47
StGB).

Die vom Beschwerdeführer dargelegte mathematische Berechnung der "angemessenen"
Einsatzstrafe eignet sich nicht, um die vorinstanzliche Strafzumessung als
bundesrechtswidrig in Frage zu stellen. Die Strafzumessung ist keiner exakten
Berechnung zugänglich (BGE 136 IV 55 E. 5.6 S. 62). Die in der Literatur
angegebenen Strafmasse binden den Richter nicht, sondern können von diesem als
Orientierungshilfe im Sinne einer Kontrolle und im Interesse der
Rechtssicherheit herangezogen werden (Urteil 6S.350/2004 vom 3. Februar 2005 E.
1.2.1).
Dass die Vorinstanz das Verschulden des Beschwerdeführers insgesamt als schwer
bewertet, aber dennoch eine Strafe in der unteren Hälfte des Strafrahmens
ausfällt, ist widersprüchlich (vgl. dazu auch BGE 136 IV 55 E. 5.9). Dies lässt
eher darauf schliessen, dass die Vorinstanz von einem nicht mehr leichten bis
mittleren Verschulden des Beschwerdeführers ausgegangen ist. Sie hat mit der
"Einsatzstrafe" von 54 Monaten angesichts der Drogenmenge und der Dauer der
deliktischen Tätigkeit ihr Ermessen nicht überschritten.

3.4 Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz messe den Vorstrafen zu hohes
Gewicht bei, berücksichtige seine Teilgeständnisse hingegen nicht. Dass die
Vorinstanz die Einsatzstrafe aufgrund der Vorstrafen erhöht, ist dem Grundsatz
nach nicht zu beanstanden. Die Erhöhung um 30 Monate ist hingegen nicht
nachvollziehbar. Stützt sich das Gericht auf Vergleichsurteile, muss es diese
benennen und sich mit den Argumenten auseinandersetzen, ansonsten verletzt es
seine Begründungspflicht (vgl. Art. 50 StGB; BGE 134 IV 17 E. 2.1 S. 20; Urteil
6B_974/2009 vom 18. Februar 2010 E. 7). Indem sich die Vorinstanz ohne weitere
Begründung auf vergleichbare kantonale Fälle beruft, verstösst sie gegen
Bundesrecht. Sie wird sich eingehend mit den einzelnen Vorstrafen (Art der
Drogen und der Begehung, Drogenmenge und -qualität, Anzahl der deliktischen
Handlungen, etc.) auseinandersetzen müssen, um die massive Erhöhung der
"Einsatzstrafe" um 30 Monate, die damit nur geringfügig niedriger ausfällt als
die Summe der vom Beschwerdeführer verbüssten drei Freiheitsstrafen (34
Monate), hinreichend zu begründen.
Geständnisse können grundsätzlich strafmindernd berücksichtigt werden,
namentlich wenn sie Ausdruck von Einsicht und Reue des Täters sind (BGE 121 IV
202 E. 2d). Ein Verzicht auf Strafminderung kann sich demgegenüber aufdrängen,
wenn das Geständnis die Strafverfolgung nicht erleichtert hat, namentlich weil
der Täter nur aufgrund einer erdrückenden Beweislage oder gar erst nach
Ausfällung des erstinstanzlichen Urteils geständig war (Urteil 6B_558/2011 vom
21. November 2011 E. 2.3 mit Hinweisen). Nach den verbindlichen Feststellungen
der Vorinstanz hat der Beschwerdeführer nur zugegeben, was ohnehin auf der Hand
gelegen habe. Die Teilgeständnisse hätten weder zur weiteren Tataufdeckung
beigetragen, noch liessen sie auf Einsicht in das begangene Unrecht schliessen.
Inwiefern die vorinstanzlichen Erwägungen willkürlich sein sollen, legt der
Beschwerdeführer nicht substanziiert dar. Auf eine derartige Rüge ist nicht
einzutreten.

3.5 Der Beschwerdeführer macht geltend, indem die Vorinstanz ausführe, "es
handle sich bei den beurteilten Delikten nur um die Spitze des Eisbergs", habe
sie ihn erkennbar für Handlungen bestraft, die weder angeklagt noch bewiesen
seien. Die Vorinstanz räumt in ihrer Vernehmlassung ein, dass die Formulierung
unangebracht sei und missverstanden werden könne, jedoch nicht zu einer
Erhöhung der Einsatzstrafe geführt habe. Der Beschwerdeführer sei nur für die
ihm nachgewiesenen Delikte sanktioniert worden.
Die von der Vorinstanz gewählte Formulierung ist zur Urteilsbegründung
ungeeignet, da diese sich auf die entscheidrelevanten Kriterien zu beschränken
hat; nicht massgebliche oder nebensächlich erscheinende Faktoren sind nicht zu
erörtern. Angesichts der im sachrichterlichen Ermessen liegenden
"Einsatzstrafe" von 54 Monaten kann nicht davon ausgegangen werden, dass die
Vorinstanz im Rahmen der Strafzumessung unzulässige Kriterien berücksichtigt
hat. Die Rüge ist unbegründet.

4.
Die Beschwerde ist teilweise gutzuheissen, das angefochtene Urteil aufzuheben
und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Im
Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat
der Beschwerdeführer die Hälfte der Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1
BGG). Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen
Aussichtslosigkeit abzuweisen, soweit es nicht gegenstandslos wird. Der Kanton
Bern hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche
Verfahren reduziert zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des
Kantons Bern vom 15. November 2011 aufgehoben und die Sache zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde
abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen, soweit es nicht
gegenstandslos geworden ist.

3.
Dem Beschwerdeführer werden Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- auferlegt.

4.
Der Kanton Bern hat dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Fürsprecher
Philipp Kunz, für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr.
1'000.-- auszurichten.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern,
Strafabteilung, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. November 2012

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Held