Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.343/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_343/2012

Urteil vom 8. Januar 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
nebenamtlicher Bundesrichter Rüedi,
Gerichtsschreiberin Unseld.

Verfahrensbeteiligte
1. X.________,
2. Y.________,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Bohren,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
2. B.________, vertreten durch Rechtsanwalt Till Gontersweiler,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Fahrlässige Tötung; Willkür etc.,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, vom 15. März 2012.

Sachverhalt:

A.
B.________ ist Inhaber und Geschäftsführer der Bauunternehmung C.________ AG.
Am 7. August 2007, um 13.05 Uhr, geschah auf einer Baustelle dieser
Bauunternehmung in Kilchberg ein tödlicher Unfall. Der Bauführer A.________
hatte angeordnet, dass der Bauarbeiter D.________ und der Hilfsarbeiter
E.________ gemeinsam den Rückbau einer Baugrubenspriessung vornehmen. Am
Unfalltag wollte D.________ die Stahlträger von einem Kran wegheben lassen,
nachdem er sie zuvor angeschnitten hatte. Während er sich entfernte, um den
Kran zu besorgen, blieb E.________ zurück. In der Folge begab sich dieser aus
ungeklärten Gründen in die Baugrube, die sich unter den Stahlträgern befand.
Dort wurde er von einem herabstürzenden Träger erschlagen.

B.
Die Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis eröffnete eine Strafuntersuchung wegen
fahrlässiger Tötung gegen B.________, A.________ und D.________. Mit Verfügung
vom 5. Dezember 2008 wurde die Untersuchung eingestellt. Die Eltern des
Verstorbenen, X.________ und Y.________, erhoben dagegen einen Rekurs, den das
Obergericht des Kantons Zürich am 16. Juni 2009 abwies. Gegen diesen Entscheid
führten die Eltern Beschwerde in Strafsachen. Das Bundesgericht hiess diese
gut, hob den angefochtenen Entscheid auf und wies die Sache zu neuer
Entscheidung an das Obergericht zurück (Urteil 6B_601/2009 vom 24. November
2009).

C.
Am 18. August 2010 stellte die Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis die
Strafuntersuchung gegen D.________ erneut ein, während sie gegen B.________ und
A.________ Anklage erhob wegen fahrlässiger Tötung im Sinne von Art. 117 StGB.
Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Horgen sprach B.________
am 1. Dezember 2010 frei. Die dagegen erhobene Berufung der Eltern wies das
Obergericht des Kantons Zürich am 15. März 2012 ab.

D.
X.________ und Y.________ führen gegen das obergerichtliche Urteil Beschwerde
in Strafsachen und beantragen, B.________ sei anklagegemäss schuldig zu
sprechen, angemessen zu bestrafen und zu verpflichten, Genugtuung und
Schadenersatz zu bezahlen. Sie ersuchen um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung.

Erwägungen:

1.
1.1 Zur Beschwerde in Strafsachen ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG berechtigt, wer
vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur
Teilnahme erhalten hat (lit. a) und ein rechtlich geschütztes Interesse an der
Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (lit. b). Die
Privatklägerschaft hat ein rechtlich geschütztes Interesse, wenn sich der
angefochtene Entscheid auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann
(Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG).

1.2 Als Eltern des verstorbenen Opfers haben die Beschwerdeführer am kantonalen
Verfahren teilgenommen. Der Freispruch des Beschwerdegegners 2 kann sich auf
ihre Zivilansprüche auswirken (Art. 45 und Art. 47 OR). Auf ihre Beschwerde ist
einzutreten.

2.
2.1 Die Beschwerdeführer rügen, der Beschwerdegegner 2 habe als Geschäftsführer
der Bauunternehmung nicht dafür gesorgt, dass die Fähigkeiten der Mitarbeiter
systematisch erfasst und neu eintretenden Kaderleuten mitgeteilt werden.
Dadurch habe er das Risiko geschaffen, dass Mitarbeiter falsch eingeschätzt
werden. So habe der Bauführer A.________, der vor dem Unfall erst sechs Monate
bei der Bauunternehmung gewesen sei, die Fähigkeiten des Bauarbeiters
D.________ überschätzt. Die Beschwerdeführer beanstanden die vorinstanzliche
Schlussfolgerung, wonach die Organisation der Bauunternehmung den gesetzlichen
Anforderungen genügt (Beschwerde S. 15-19).

2.2 Der Beschwerdegegner 2 sagte aus, die Befähigung der Mitarbeiter werde
durch die zuständigen Bauführer geprüft und die daraus gewonnene Information
werde weitergegeben. Gemäss der Vorinstanz wird diese Darstellung vom
Bauarbeiter und weiteren Angestellten bestätigt (Entscheid S. 17). Die
befragten Mitarbeiter hätten die Fähigkeiten des Bauarbeiters gekannt und seien
sich einig gewesen, dass er für Baugrubenarbeiten kompetent sei. In diesem
Sinne sei auch der neu eingetretene Bauführer informiert worden (Entscheid S.
18). Die Vorinstanz führt aus, die Bauunternehmung verfüge demnach über ein
funktionierendes - mündliches - internes System zur Qualifikation der
Mitarbeiter und zur Weitergabe der entsprechenden Informationen an die
Kaderleute. Die Fähigkeiten der Mitarbeiter könnten durch deren Vorgesetzte
anhand der persönlichen Erfahrungen aus konkreter Zusammenarbeit effizient und
zeitnah beurteilt werden und liessen sich im persönlichen Gespräch detailliert
und aktuell an neue Vorgesetzte weitergeben. Inwieweit eine alternative
Qualifikationserfassung hierzu besser geeignet sein solle, sei nicht
ersichtlich. Eine mangelnde systematische Erfassung und Weitergabe von
Mitarbeiterqualifikationen könne dem Beschwerdegegner 2 deshalb nicht
vorgeworfen werden (Entscheid S. 18 f.). Es lägen keine Anhaltspunkte vor, die
erlauben würden, von eigentlichen Missständen in der Bauunternehmung zu
sprechen (Entscheid S. 20). Zusammengefasst könne dem Beschwerdegegner 2 nicht
vorgeworfen werden, er habe durch mangelnde Erfassung und Weitergabe der
Qualifikationen das Risiko geschaffen, dass die Fähigkeiten eines Mitarbeiters
im Betrieb falsch eingeschätzt worden seien (Entscheid S. 21 sowie S. 37).

2.3 Nach Art. 328 Abs. 2 OR hat der Arbeitgeber zum Schutz von Leben,
Gesundheit und persönlicher Integrität der Arbeitnehmer die Massnahmen zu
treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar
und den Verhältnissen des Betriebs angemessen sind, soweit es mit Rücksicht auf
das einzelne Arbeitsverhältnis und die Natur der Arbeitsleistung ihm
billigerweise zugemutet werden kann. Gemäss Art. 82 Abs. 1 UVG ist der
Arbeitgeber verpflichtet, zur Verhütung von Berufsunfällen alle Massnahmen zu
treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar
und den gegebenen Verhältnissen angemessen sind. Die Vorinstanz stellt
verbindlich fest, dass in der Bauunternehmung des Beschwerdegegners 2 ein
mündlicher Informationsfluss bestand, der es erlaubte, die Fähigkeiten der
Arbeitnehmer einzuschätzen und die entsprechenden Informationen zu verbreiten.
Es ist nicht ersichtlich, inwiefern damit Bundesrecht verletzt sein soll.
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer (Beschwerde S. 18 f.) müssen die
Fähigkeiten der Mitarbeiter einer Bauunternehmung nicht schriftlich
dokumentiert werden, solange auf andere Weise ein hinreichender
Informationsfluss sichergestellt ist.

3.
3.1 Dem Beschwerdegegner 2 wird in der Anklageschrift vorgeworfen, er hätte für
eine Stellvertretung sorgen müssen, nachdem der Bauführer am 6. August 2007 mit
Krücken im Büro erschienen sei.

3.2 Die Vorinstanz erwägt, der Bauführer sei vom Arzt zu 100 % arbeitsunfähig
geschrieben worden und habe an Krücken gehen müssen, nachdem er sich am
Freitagabend bei einem Nichtbetriebsunfall verletzt habe. Dennoch sei er am
Montagmorgen und am Dienstagmorgen mit dem Auto in den Betrieb gefahren, um
dort Bürodienst zu verrichten. Unklar sei, ob er am Montag auch auf der
Baustelle war (Entscheid S. 23 f.). Dem Beschwerdegegner 2 könne nicht
vorgeworfen werden, er habe nicht für eine Stellvertretung gesorgt. Vielmehr
hätte der Bauführer dies selber tun müssen. Denn er habe erklärt, er werde sich
täglich um die Baustelle kümmern. Den Wunsch nach einer Stellvertretung habe er
nie geäussert. Bei dieser Sachlage habe der Beschwerdegegner 2 darauf vertrauen
dürfen, dass der Bauführer die Baustelle hinreichend überwachen werde. Auf das
Vertrauensprinzip hätte sich der Beschwerdegegner 2 nur nicht mehr berufen
dürfen, wenn er die Pflicht gehabt hätte, den Bauführer zu überwachen oder wenn
konkrete Anzeichen bestanden hätten, dass der Bauführer die Baustelle entgegen
seiner Mitteilung nicht überwachen würde. Beides müsse verneint werden. Vor
diesem Hintergrund könne dem Beschwerdegegner 2 keine
Sorgfaltspflichtverletzung vorgeworfen werden (Entscheid S. 24 f.).

3.3 Dass die Vorinstanz mit diesen Erwägungen Bundesrecht verletzt, ist nicht
ersichtlich und wird von den Beschwerdeführern auch nicht geltend gemacht.

4.
4.1 Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung im Sinne von Art. 117 StGB setzt
voraus, dass der Täter eine Sorgfaltspflicht verletzt hat. Dem Beschwerdegegner
2 kann nicht vorgehalten werden, er sei seinen Sorgfaltspflichten nicht
nachgekommen, weil er nicht dafür gesorgt habe, dass die Fähigkeiten der
Mitarbeiter seiner Bauunternehmung erfasst und neu eintretenden Kaderleuten zur
Kenntnis gebracht werden (vgl. E. 2 vorstehend). Auch muss er sich nicht
vorwerfen lassen, er habe seine Sorgfaltspflicht verletzt, weil er keine
Stellvertretung für den verletzten Bauführer aufgeboten hat (vgl. E. 3
vorstehend). Weitere Vorwürfe werden in der Anklage nicht erhoben (Entscheid S.
8-9; vgl. auch Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis vom 18.
August 2010, vorinstanzliche Akten act. 34 S. 2-4).

4.2 Der Beschwerdegegner 2 wurde zu Recht freigesprochen. Bei diesem Ausgang
ist nicht mehr zu prüfen, ob die Vorinstanz in Willkür verfällt, wenn sie
feststellt, der Bauarbeiter sei beim Rückbau der Stahlträger sorgfältig
vorgegangen (vgl. Beschwerde S. 6-8) und für diese Arbeit hinreichend
qualifiziert gewesen (vgl. Beschwerde S. 9-15).

5.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist infolge Aussichtslosigkeit
der Beschwerde abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Bei diesem Ausgang tragen die
Beschwerdeführer die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens (Art. 66 Abs. 1
Satz 1 BGG), wobei sie solidarisch haften. Ihrer finanziellen Lage ist bei der
Festsetzung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).
Dem Beschwerdegegner 2 ist keine Entschädigung zuzusprechen, da ihm im
bundesgerichtlichen Verfahren keine Umtriebe entstanden sind.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden den Beschwerdeführern unter
solidarischer Haftung auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. Januar 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Die Gerichtsschreiberin: Unseld