Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.333/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_333/2012

Urteil vom 11. März 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Oberholzer,
Gerichtsschreiber Briw.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

1. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, Postfach,
4001 Basel,
2. A.Y.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Missbrauch einer Fernmeldeanlage; Recht auf Befragung des Belastungszeugen,

Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt,
Ausschuss,
vom 14. März 2012.

Sachverhalt:

A.
A.Y.________ und B.Y.________ stellten am 20. Mai 2008 bei der Polizei
Strafantrag gegen X.________ wegen Nötigung, Drohung und Missbrauchs einer
Fernmeldeanlage. A.Y.________ erklärte, X.________ habe im März 2008 wieder mit
ihren Belästigungen begonnen. Sie möchte Geld von ihnen haben. Sie habe am
Telefon gesagt, dass sie nirgendwo zu finden sei. Mittlerweile belästige sie
ihn täglich bis Mitternacht. Es sei nicht mehr auszuhalten (act. 35).

B.
Die Strafgerichtspräsidentin Basel-Stadt verurteilte X.________ am 20. November
2009 wegen versuchter Erpressung und mehrfachen Missbrauchs einer
Fernmeldeanlage zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu Fr. 70.--, davon 60
Tagessätze bedingt mit 4 Jahren Probezeit, und zu einer Busse von Fr. 600.--.

Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt bestätigte am 14. März 2012 das
strafgerichtliche Urteil im Schuldpunkt. Es verurteilte X.________ zu 440
Stunden gemeinnütziger Arbeit, davon 220 Stunden bedingt bei einer Probezeit
von 4 Jahren, sowie zu einer Busse von Fr. 600.--.

C.
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das Urteil des
Appellationsgerichts sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Es sei ihr die unentgeltliche Rechtspflege zu
gewähren.

Das Appellationsgericht verzichtete auf eine Vernehmlassung. Die
Staatsanwaltschaft beantragt, auf die Beschwerde sei mangels genügender
Begründung nicht einzutreten und die unentgeltliche Rechtspflege sei zu
verweigern. A.Y.________ liess sich innert Frist nicht vernehmen.

Erwägungen:

1.
Das erstinstanzliche Urteil erging vor dem Inkrafttreten der StPO am 1. Januar
2011. Massgeblich ist das kantonale Verfahrensrecht (Art. 453 f. StPO).

Die Beschwerdeführerin ficht das Urteil bezüglich des Strafantragstellers
B.Y.________ nicht an, so dass die Sache unter diesem Gesichtspunkt nicht zu
beurteilen ist (Art. 107 Abs. 1 BGG).

2.
2.1 Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf
Konfrontation mit dem Belastungszeugen A.Y.________. Nur dieser könne darlegen,
ob er durch den Missbrauch einer Fernmeldeanlage in einer Art. 179septies StGB
entsprechenden Intensität beunruhigt oder belästigt worden sei. Die Vorinstanz
komme zum Ergebnis, die Faxzustellungen an A.Y.________ erfüllten den
Tatbestand von Art. 179septies StGB. Er sei überdies mit rund 20 Telefonanrufen
belästigt worden. Die Vorinstanz berücksichtige die Telefonanrufe zu Unrecht.
Denn sie habe festgestellt, diese dürften nicht verwertet werden, da
A.Y.________ nicht befragt worden sei. Die Beschwerdeführerin macht zudem eine
willkürliche Beweiswürdigung und die Verletzung des Grundsatzes in dubio pro
reo geltend.

2.2 Wie die Vorinstanz feststellt, war A.Y.________ (im Gegensatz zu seinem
Bruder B.Y.________) im staatsanwaltschaftlichen Untersuchungsverfahren und in
der strafgerichtlichen Hauptverhandlung nicht einvernommen worden. A.Y.________
habe lediglich bei der Strafantragsstellung eine nicht unterschriftliche
Aussage auf dem Polizeiposten deponiert und ausgesagt, er werde seit März 2008
und mittlerweile täglich bis Mitternacht telefonisch belästigt. Ferner habe er
der Staatsanwaltschaft eine Aufstellung der Zeitpunkte und Nummern der
erhaltenen Anrufe sowie fünf Faxschreiben eingereicht. Bezüglich der von
A.Y.________ empfangenen Telefonanrufe sei dessen Zeugnis zweifellos das
ausschlaggebende Beweismittel, so dass er vom Appellationsgericht zu befragen
wäre, sofern der Beschwerdeführerin lediglich eine telefonische Belästigung zur
Last gelegt würde. Das Zeugnis sei aber nicht von ausschlaggebender Bedeutung,
weil auch ein Faxgerät unter den Begriff der Fernmeldeanlage falle.
Diesbezüglich seien von A.Y.________ keine ergänzenden Aufschlüsse zu erwarten.
Weil damit bereits der Tatbestand von Art. 179septies StGB erfüllt sei, brauche
es keine Konfrontation zum Nachweis der Urheberschaft der Telefonanrufe. Das
Konfrontationsrecht sei nicht verletzt. Auf eine Ladung von A.Y.________ könne
verzichtet werden.

2.3 Gemäss Art. 6 Ziff. 1 i.V.m. Ziff. 3 lit. d EMRK hat der Beschuldigte einen
Anspruch auf Befragung des Belastungszeugen. Eine Konfrontation kann auch
erstmals vor dem Appellationsgericht beantragt werden (Urteil 6B_583/2009 vom
27. November 2009 E. 2.5). Der Anspruch gilt uneingeschränkt, wenn dem
Zeugenbeweis ausschlaggebende Bedeutung zukommt, dieser also den einzigen oder
den wesentlichen Beweis darstellt (BGE 129 I 151 E. 3.1). Es kann darauf nur
unter besonderen Umständen verzichtet werden (BGE 131 I 476 E. 2.2 S. 481 ff.).
Von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen, in denen eine Konfrontation
nicht möglich war, ist eine belastende Zeugenaussage grundsätzlich nur
verwertbar, wenn die Beschuldigte den Belastungszeugen wenigstens einmal
während des Verfahrens in direkter Konfrontation befragen konnte (BGE 133 I 33
E. 3.1; Urteil 6B_251/2012 vom 2. Oktober 2012 E. 2.3.2).
2.3.1 Die Vorinstanz stellt fest, es befänden sich fünf Faxschreiben bei den
Akten. Diese und ihr Inhalt seien auch ohne Konfrontation mit A.Y.________
objektiv nachgewiesen. Von seiner Zeugenaussage seien keine ergänzenden
Aufschlüsse zu erwarten (Urteil S. 6).

Der Tatbestand von Art. 179septies StGB ist nicht bereits mit dem Nachweis des
Empfangs entsprechender Faxschreiben erfüllt. Nach dieser Bestimmung wird
bestraft, wer aus Bosheit oder Mutwillen eine Fernmeldeanlage zur Beunruhigung
oder Belästigung missbraucht. Die Bestimmung schützt nicht vor jeder
Beeinträchtigung. Sie muss eine gewisse minimale quantitative Intensität oder
qualitative Schwere erreichen (BGE 126 IV 216 E. 2b/aa). Die Vorinstanz setzt
sich mit der Frage des subjektiven Empfindens des Empfängers nicht auseinander.
Dazu wäre eine Einvernahme von A.Y.________ unerlässlich gewesen. Da er nicht
mit der Beschwerdeführerin konfrontiert wurde, ist seine belastende Aussage
nicht verwertbar, was zur Gutheissung der Beschwerde führt.
2.3.2 Die Vorinstanz nimmt an, bezüglich der Telefonanrufe sei das Zeugnis von
A.Y.________ von ausschlaggebender Bedeutung (Urteil S. 5). Da mit der
Zusendung der Faxschreiben der Tatbestand bereits erfüllt sei, brauche es keine
Konfrontation der Beschwerdeführerin mit A.Y.________ zum Nachweis der
Urheberschaft der Telefonanrufe (Urteil S. 6). Es ist unklar, ob damit der
entsprechende Vorwurf fallen gelassen wird.
Sollte die Vorinstanz annehmen, mit dem Nachweis der Urheberschaft der
Telefonanrufe sei der Tatbestand erfüllt, könnte ihr aus den oben (E. 2.3.1)
dargelegten Gründen nicht gefolgt werden. Mangels Konfrontation wäre die
belastende Aussage von A.Y.________ nicht verwertbar.

Bei der rechtlichen Würdigung erwähnt die Vorinstanz die Telefonanrufe an
A.Y.________ nicht. Sie führt lediglich aus, die Faxschreiben an A.Y.________
seien belästigend und erreichten die erforderliche Intensität. Indem sie
fortfährt, "Gleiches gilt noch ausgeprägter für die Fax-Mitteilungen an
A.Y.________, der überdies mit rund 20 Telefonanrufen belästigt worden war"
(Urteil S. 8 E. 6), nimmt sie versehentlich auf A.Y.________ Bezug. Gemeint ist
offensichtlich B.Y.________, dem diese 20 Telefonanrufe zuzuordnen sind (Urteil
S. 3; erstinstanzliches Urteil S. 10). Die Erstinstanz sprach die
Beschwerdeführerin jedoch auch bezüglich der Telefonanrufe an A.Y.________
schuldig (erstinstanzliches Urteil S. 10). In dem die Vorinstanz in ihren
Erwägungen in rechtlicher Hinsicht vollumfänglich dem erstinstanzlichen Urteil
folgte und dieses im Schuldpunkt bestätigte, verletzte sie Bundesrecht.

Das Urteil ist ebenfalls bezüglich der angeklagten Telefonanrufe an
A.Y.________ aufzuheben.

3.
Die Beschwerde ist wegen Verletzung des Konfrontationsanspruchs der
Beschwerdeführerin gutzuheissen. Die Sache ist an die Vorinstanz zu neuer
Entscheidung zurückzuweisen. Mit der Gutheissung ist das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos geworden. Es sind keine
Gerichtskosten zu erheben. Der nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin
ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 BGG; BGE 133 III 439 E. 4).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Appellationsgerichts des
Kantons Basel-Stadt vom 14. März 2012 aufgehoben und die Sache zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben und keine Parteientschädigung
ausgerichtet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt, Ausschuss, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. März 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Briw