Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.327/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_327/2012

Urteil vom 14. Januar 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Oberholzer,
Gerichtsschreiberin Unseld.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Beat Rohrer,
Beschwerdeführerin,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Versuchter Betrug; Willkür,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer,
vom 15. März 2012.

Sachverhalt:

A.
Das Bezirksgericht Kulm verurteilte X.________ am 30. November 2010 wegen
versuchten Betrugs (Art. 146 Abs. 1 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB) zu einer
bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je Fr. 30.-- und einer Busse von Fr.
500.--.

B.
Das Obergericht des Kantons Aargau wies die Beschwerde von X.________ gegen das
Urteil des Bezirksgerichts Kulm am 15. März 2012 ab, soweit darauf einzutreten
war. Es hält folgenden Sachverhalt für erwiesen:
Die Finanzdirektion des Kantons Zürich stellte X.________ im Nachgang zur
Erbschaft ihres Onkels Fr. 24'560.-- Erbschaftssteuern in Rechnung.
Rechtsanwalt A.________ reichte im Auftrag von X.________ am 22. April 2005 bei
der Finanzdirektion des Kantons Zürich ein Gesuch um Erlass der
Erbschaftssteuer ein. Er führte darin aus, X.________ habe das geerbte Geld auf
Anraten eines Freundes in eine im Jahre 2004 gegründete Transportgesellschaft
investiert, was sich als wenig glücklich erwiesen habe, da diese ohne Aussicht
auf Besserung rote Zahlen schreibe. Es sei deshalb davon auszugehen, dass ihre
Investition wertlos sei (Urteil E. 4.2 S. 11). Mit Schreiben vom 1. Juli 2005
reichte X.________ der Finanzdirektion des Kantons Zürich einen auf den 23.
März 2004 zurückdatierten Darlehensvertrag zwischen ihr und der B.________ AG
über Fr. 150'000.-- ein. Der Darlehensvertrag wurde seitens der B.________ AG
von C.________ unterzeichnet (Urteil E. 4.2 und E. 4.3.1 S. 11 f.). In Tat und
Wahrheit hatte X.________ das geerbte Geld in die im Jahre 2004 gegründete und
im Gütertransport tätige D.________ AG investiert (Urteil E. 4.3.3 S. 13). Der
Darlehensvertrag veranlasste die Finanzdirektion des Kantons Zürich, das
Steuererlassgesuch vom 22. April 2005 genau zu prüfen, bevor sie dieses mit
Verfügung vom 28. September 2005 abwies (Urteil E. 4.3.1 S. 12 und E. 4.3.4 S.
13).

C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das Urteil vom 15.
März 2012 aufzuheben und sie von der Anklage des versuchten Betrugs
freizusprechen. Sie ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

D.
Die Oberstaatsanwaltschaft und das Obergericht reichten eine Vernehmlassung
ein. X.________ nahm dazu Stellung.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Vorinstanz verurteilte die Beschwerdeführerin wegen versuchten Betrugs
zum Nachteil der Finanzdirektion des Kantons Zürich, weil sie mittels des
fiktiven Darlehensvertrags einen Erlass der Erbschaftssteuern von Fr. 24'560.--
bewirken wollte. Die Beschwerdeführerin rügt, die Verurteilung basiere auf
einer willkürlichen Sachverhaltsfeststellung und verletze Art. 146 Abs. 1 StGB,
da ihr Verhalten nicht arglistig gewesen sei.

1.2 Das Bundesgericht wendet Bundesrecht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Eingangs ist zu prüfen, ob Art. 146 StGB zur Anwendung gelangt.
1.2.1 Gemäss § 62 des Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes des Kantons
Zürich vom 28. September 1986 (ESchG/ZH) kann die Finanzdirektion die
Steuerschuld ganz oder teilweise erlassen, wenn die Bezahlung der Steuern für
den Steuerschuldner infolge besonderer Verhältnisse eine grosse Härte bedeutet.
Der Betrug gemäss Art. 146 Abs. 1 StGB wird als Verbrechen (Art. 10 Abs. 2
StGB) mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. Handelt der Täter
gewerbsmässig, lautet die Strafe bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe, bei einer
Mindestgeldstrafe von 90 Tagessätzen (Art. 146 Abs. 2 StGB). Täuscht ein
Steuerpflichtiger die Steuerbehörde, wird die Tat demgegenüber in der Regel als
Übertretung (Art. 103 StGB) mit einer blossen Busse (Steuerhinterziehung),
allenfalls als Vergehen im Sinne von Art. 10 Abs. 3 StGB (Steuerbetrug)
geahndet (so die Widerhandlungen auf dem Gebiet der Einkommens- und
Vermögenssteuer, siehe Art. 175 und Art. 186 DBG [SR 642.11] bzw. Art. 56 und
Art. 59 StHG [SR 642.14]).
1.2.2 Die Erbschaftssteuer ist eine rein kantonale Steuer (XAVIER OBERSON,
Droit fiscal suisse, 4. Aufl. 2012, N. 1 S. 459). Die Kantone sind gemäss Art.
335 Abs. 2 StGB befugt, die Widerhandlungen gegen das kantonale Verwaltungs-
und Prozessrecht mit Sanktionen zu bedrohen. Das Steuerstrafrecht wurde
bezüglich der kantonalen Steuern vollständig den Kantonen überlassen (BGE 112
IV 19 E. 2b). Der Steuerhinterziehung nach § 68 Abs. 1 ESchG/ZH macht sich
strafbar, wer als Steuerpflichtiger vorsätzlich oder fahrlässig bewirkt, dass
er unvollständig eingeschätzt wird. Einen Steuerbetrug im Sinne von § 74 Abs. 1
ESchG/ZH begeht, wer zum Zweck der Steuerhinterziehung gefälschte, verfälschte
oder inhaltlich unwahre Urkunden zur Täuschung gebraucht. Die
Steuerhinterziehung wird mit einer Strafsteuer geahndet, die ein Viertel bis
das Dreifache, in der Regel das Einfache der hinterzogenen Steuer beträgt (§ 68
Abs. 1 ESchG/ZH). Begeht der Steuerpflichtige einen Steuerbetrug, wird er
unabhängig von der Festsetzung einer Strafsteuer mit Freiheitsstrafe bis zu
drei Jahren oder Geldstrafe bestraft (§ 74 Abs. 1 ESchG/ZH).
1.2.3 Die Fiskalstraftatbestände gehen dem gemeinrechtlichen Betrug von Art.
146 StGB als speziellere und privilegierende Bestimmungen grundsätzlich vor.
Die Tragweite von Art. 146 StGB wird entsprechend eingeschränkt. Dies gilt
gemäss der Rechtsprechung auch, wenn im konkreten Fall eine anwendbare
Spezialnorm fehlt, z.B. weil der zuständige Kanton keine solche Strafbestimmung
kennt oder weil es sich um ein in der Schweiz gegen einen ausländischen Staat
begangenes Fiskaldelikt handelt. Der strengere Betrugstatbestand von Art. 146
StGB greift nicht subsidiär ein, wo das für den Bereich der Fiskaldelikte
zuständige Recht gar keine Strafbestimmung enthält oder aus irgendwelchen
Gründen nicht zur Anwendung kommt (BGE 110 IV 24 E. 2d).
Der gesetzgeberische Grund für die mildere Strafdrohung bei Fiskaldelikten
liegt wie bei allen Spezialbestimmungen über täuschendes Verhalten in einem
Verwaltungsverfahren darin, dass der Täter einer hoheitlich handelnden, mit
besonderen Kompetenzen ausgestatteten Behörde gegenübersteht und vielfach vor
allem im Bereich des Abgaberechts ex lege dem betreffenden Verfahren
unterworfen wird. Der Grund für die Privilegierung entfällt, wenn ein Täter
nicht als Steuerpflichtiger in einem gegen ihn eingeleiteten
Veranlagungsverfahren oder ihm durch den vorangehenden Quellensteuerabzug
aufgezwungenen Rückerstattungsverfahren betrügerische Handlungen begangen,
sondern aus eigener Initiative entschlossen hat, sich durch Irreführung der
Behörden unrechtmässig zu bereichern, indem er beispielsweise auf raffinierte
Weise systematisch fiktive Rückerstattungsansprüche existierender oder
erfundener Personen geltend macht und mittels falscher Urkunden die Auszahlung
erwirkt. Ein solches Verhalten ist als gemeinrechtlicher Betrug zum Nachteil
des betroffenen Gemeinwesens und nicht als Steuerbetrug zu ahnden, da jeder
Zusammenhang mit einem regulären Steuerverfahren fehlt (BGE 110 IV 24 E. 2e).

1.3 Das Bundesgericht lud die Parteien unter Hinweis auf BGE 110 IV 24 und Art.
335 Abs. 2 StGB ein, zur Anwendbarkeit von Art. 146 StGB Stellung zu nehmen, da
die Frage im bisherigen Verfahren nicht aufgeworfen wurde und sich auch die
Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde dazu nicht äusserte.
1.3.1 Das Obergericht stellt sich in seiner Vernehmlassung auf den Standpunkt,
an der in BGE 110 IV 24 begründeten Rechtsprechung könne nicht festgehalten
werden. Nicht einsichtig sei, weshalb ein Täter, der sowohl die objektiven als
auch subjektiven Tatbestandsmerkmale des Betrugs gemäss Art. 146 StGB erfülle,
nur kantonalem Steuerstrafrecht unterstehen solle. Sinn und Zweck von Art. 335
StGB sei die Schliessung von Strafbarkeitslücken und nicht die Privilegierung
von Tätern. Da die Kantone nur Übertretungsstrafrecht aufstellen könnten, habe
dies im Ergebnis eine nicht zu rechtfertigende Bevorzugung eines Täters und
eine Bagatellisierung seines Verhaltens in einem vom kantonalen
Steuerstrafrecht erfassten Bereich zur Folge. Gelange ausschliesslich
kantonales Steuerstrafrecht zur Anwendung, führe dies sodann zu uneinheitlichen
gesetzlichen Regelungen mit unterschiedlichen Strafandrohungen, was nicht zu
befriedigen vermöge. Auch sei nicht ersichtlich, weshalb die betrügerische
Erschleichung kantonaler und kommunaler Leistungen unter Art. 146 StGB falle,
die betrügerische Erschleichung des Erlasses einer kantonalen Erbschaftssteuer
hingegen nicht (act. 13).
1.3.2 Die Staatsanwaltschaft vertritt die Auffassung, der Vorbehalt des
Fiskalstrafrechts betreffe lediglich qualifizierte Täuschungshandlungen zum
Zwecke einer Steuerhinterziehung durch Verwendung falscher Urkunden, während im
Übrigen gegebenenfalls der gemeinrechtliche Betrugstatbestand anwendbar bleiben
müsse. §§ 68 und 74 ESchG/ZG würden bloss qualifizierte Täuschungen im
Veranlagungsverfahren, nicht aber solche im Erlassverfahren erfassen. Demnach
müsse hier wiederum das gemeine Strafrecht des Bundes greifen, wenn die
öffentliche Hand mittels qualifizierter Täuschungen um die Durchsetzung
rechtskräftiger Forderungen geprellt werden soll (act. 12).
1.3.3 Die Beschwerdeführerin hält dem entgegen, kantonales Steuerstrafrecht
habe vor dem Betrugstatbestand von Art. 146 StGB Vorrang. Da das ESchG/ZH (§§
68 und 74) nur das Bewirken einer unvollständigen Einschätzung mit Strafe
bedrohe, nicht hingegen das Erwirken eines ungerechtfertigten Erlasses, sei sie
freizusprechen (act. 17 Ziff. 1). Dies erkläre auch, weshalb die
Finanzdirektion des Kantons Zürich seinerzeit trotz Anzeigepflicht nach § 76
ESchG/ZH auf eine Anzeige verzichtet habe (act. 17 Ziff. 4).

1.4 An der bisherigen Rechtsprechung ist festzuhalten. Die privilegierende
Verfolgung von Fiskaldelikten basiert auf einem bewussten Entscheid des
Gesetzgebers. Der Gedanke dahinter ist klar (oben E. 1.2.3). Das Bundesgericht
ist daran gebunden. Entgegen der Auffassung des Obergerichts ist es den
Kantonen im Rahmen von Art. 335 Abs. 2 StGB nicht untersagt, Widerhandlungen
gegen das kantonale Steuerrecht anders als mittels blosser
Übertretungstatbestände zu ahnden (vgl. TRECHSEL/LIEBER, Schweizerisches
Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2008, N. 12 zu Art. 335 StGB; GÜNTER
STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 4. Aufl. 2011, N.
22 S. 94; ROLAND WIPRÄCHTIGER, in: Basler Kommentar, 2. Aufl. 2007, N. 27 zu
Art. 335 StGB).

1.5 Nicht gefolgt werden kann auch der Auffassung der Staatsanwaltschaft.
Zutreffend ist, dass der Tatbestand der Steuerhinterziehung von § 68 Abs. 1
ESchG/ZH (auf welchen auch in § 74 Abs. 1 ESchG/ZH Bezug genommen wird) nur die
unvollständige Steuereinschätzung erwähnt. Anders als Art. 175 Abs. 1 DBG und
Art. 56 Abs. 1 al. 3 StHG, aber auch etwa der auf dem Gebiet der Erbschafts-
und Schenkungssteuer anwendbare Tatbestand der Steuerhinterziehung des
Steuergesetzes des Kantons Aargau vom 15. Dezember 1998 (vgl. § 1 Abs. 1 lit. f
i.V.m. § 236 Abs. 1 lit. c StG/AG) wird das Bewirken eines ungerechtfertigten
Steuererlasses in § 68 Abs. 1 ESchG/ZH nicht explizit unter Strafe gestellt.
Von § 68 Abs. 1 ESchG/ZH ausdrücklich erfasst wird nur das
Steuerveranlagungsverfahren, nicht jedoch der Steuerbezug, obschon es auch
insofern um eine fiskalische Tat geht. Daraus kann nicht der Schluss gezogen
werden, Art. 146 StGB sei anstelle des kantonalen Steuerstrafrechts anwendbar
(vgl. BGE 110 IV 24 E. 2d). Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, weshalb sich
der Kanton Aargau für die Auslegung von § 68 Abs. 1 ESchG/ZH und die
Strafverfolgung gestützt auf zürcherisches Steuerstrafrecht für zuständig
erachtet. Die Staatsanwaltschaft äussert sich nicht dazu.

1.6 Art. 146 StGB gelangt auf die der Beschwerdeführerin vorgeworfene
(versuchte) Täuschung der Finanzdirektion des Kantons Zürich nicht zur
Anwendung.

2.
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Der Kanton Aargau hat der Beschwerdeführerin
für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung
auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG). Die Entschädigung ist ihrem Rechtsvertreter
zuzusprechen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
gegenstandslos. Es werden keine Kosten erhoben (Art. 66 Abs. 4 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau vom 15. März 2012 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die
Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kanton Aargau hat Rechtsanwalt Beat Rohrer für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Strafgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. Januar 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Die Gerichtsschreiberin: Unseld