Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.312/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_312/2012

Urteil vom 20. August 2012
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Denys, Schöbi,
Gerichtsschreiber C. Monn.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Rita Gettkowski,
Beschwerdeführer,

gegen

Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau, Amt für
Justizvollzug, Bahnhofplatz 3c, 5001 Aarau 1 Fächer,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug gemäss Art. 86 StGB; Willkür,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 1.
Kammer, vom 28. März 2012.

Erwägungen:

1.
1.1 Der mehrfach vorbestrafte kosovarische Staatsangehörige X.________ wurde
vom Bezirksgericht Muri am 16. Mai 2000 wegen verschiedener Delikte zu einer
Gefängnisstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Unter Anwendung
von Gewalt gegen einen Vollzugsbeamten flüchtete er am 3. April 2010 zusammen
mit zwei Mithäftlingen zum zweiten Mal aus dem Strafvollzug. X.________ wurde
kurz darauf in Albanien verhaftet und an die Schweiz ausgeliefert. Seit dem 21.
Juli 2011 verbüsst er die Reststrafe von 388 Tagen der gegen ihn vom
Bezirksgericht Muri ausgesprochenen Freiheitsstrafe. Am 10. November 2011 waren
zwei Drittel der Freiheitsstrafe vollzogen.
Am 27. Oktober 2011 verweigerte das Departement Volkswirtschaft und Inneres,
Amt für Justizvollzug, des Kantons Aarau dem Beschwerdeführer die bedingte
Entlassung. Die von ihm dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht
des Kantons Aargau am 28. März 2012 ab.

1.2 X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des
Verwaltungsgerichts vom 28. März 2012 sei aufzuheben, und die kantonalen
Behörden seien anzuweisen, ihn bedingt aus dem Strafvollzug zu entlassen.
Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung zurückzuweisen. Zudem ersucht er
um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung für das
bundesgerichtliche Verfahren. Er rügt, die Vorinstanz verletze Art. 86 StGB,
indem sie die bundesgerichtlichen Vorgaben (BGE 124 IV 193) missachte, wonach
die bedingte Entlassung nach zwei Dritteln der Strafdauer in der Regel zu
erfolgen habe und nur aus guten Gründen verweigert werden dürfe. Sie
überschreite ihr Ermessen, indem sie keine Gesamtwürdigung der massgebenden
Kriterien zur Beurteilung seiner Legalprognose vornehme.

2.
Gemäss Art. 86 Abs. 1 StGB ist der Gefangene nach Verbüssung von zwei Dritteln
der Strafe bedingt zu entlassen, wenn es das Verhalten im Strafvollzug
rechtfertigt und nicht anzunehmen ist, er werde weitere Verbrechen oder
Vergehen begehen. Die bedingte Entlassung stellt die Regel und die Verweigerung
die Ausnahme dar (BGE 133 IV 201 E. 2.2). Die Prognose über das künftige
Wohlverhalten ist in einer Gesamtwürdigung zu erstellen, welche nebst dem
Vorleben, der Persönlichkeit und dem Verhalten des Täters während des
Strafvollzugs vor allem dessen neuere Einstellung zu seinen Taten, seine
allfällige Besserung und die nach der Entlassung zu erwartenden
Lebensverhältnisse berücksichtigt. Dabei steht der zuständigen Behörde ein
Ermessensspielraum zu. Das Bundesgericht greift in die Beurteilung der
Bewährungsaussicht nur ein, wenn sie ihr Ermessen über- oder unterschritten
oder missbraucht und damit Bundesrecht verletzt hat (a.a.O., E. 2.3 S. 203 f.
mit Hinweisen).

2.1 Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer habe am 11. November 2011 zwei
Drittel seiner Freiheitsstrafe verbüsst. Sein Verhalten während des
Strafvollzugs, insbesondere die Flucht mit Gewaltanwendung gegen einen
Vollzugsbeamten, sowie die daraus und aus seinem Vorleben abzuleitenden völlig
unsicheren Zukunftsperspektiven sprächen insgesamt gegen eine bedingte
Entlassung.

2.2 Der Einwand des Beschwerdeführers, sein positives Verhalten während des
Strafvollzugs und sein Vorleben seien von der Vorinstanz nicht bzw.
unvollständig gewürdigt worden, ist unzutreffend. Die Vorinstanz berücksichtigt
zu seinen Gunsten die guten Arbeitsleistungen im Strafvollzug als
prognoserelevant und lässt die gegen ihn mehrfach verhängten
Disziplinarmassnahmen bei der Beurteilung ausser Betracht. Die Vorstrafen des
Beschwerdeführers wertet sie negativ. Dies ist aufgrund der Art und Anzahl der
begangenen Straftaten nicht zu beanstanden.

2.3 Die Vorinstanz begeht keine Ermessensüberschreitung, indem sie die
Gewaltanwendung gegen einen Vollzugsbeamten beim zweiten Ausbruch zu Ungunsten
des Beschwerdeführers berücksichtigt. Dieser lässt keine Reue oder Einsicht
erkennen und gibt die Schuld für die Tat den beiden anderen entflohenen
Häftlingen. Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass die Vorinstanz die
Zukunftsperspektiven des Beschwerdeführers als unsicher einstuft und im Rahmen
der Legalprognose negativ bewertet. Die Einschätzung erfolgt aufgrund der nicht
geklärten Arbeitssituation nach der Rückkehr des Beschwerdeführers in seine
Heimat. Dass der Beschwerdeführer zur Ausreise bereit ist, ändert an der
späteren Situation nichts.

2.4 Unzutreffend ist die Rüge, die Vorinstanz nehme keine Gesamtwürdigung der
relevanten Faktoren zur Beurteilung der Prognose über das künftige
Wohlverhalten des Beschwerdeführers vor. Sie würdigt in ihrem Urteil in einem
ersten Schritt jeweils isoliert sein Vorleben (Ziff. 3.1), sein Verhalten im
Vollzug (Ziff. 3.2) sowie die zu erwartenden Lebensverhältnisse nach der
Entlassung aus dem Strafvollzug (Ziff. 3.3). Anschliessend nimmt die Vorinstanz
eine abschliessende Gesamtwürdigung der zuvor von ihr als prognoserelevant
erachteten Aspekte vor. Diese Vorgehensweise entspricht grundsätzlich den
bundesgerichtlichen Vorgaben für die Legalprognose im Sinne von Art. 86 Abs. 1
StGB. Die Vorinstanz äussert sich zwar nicht zur Frage, ob das Rückfallrisiko
bei einer bedingten Entlassung höher sei als bei Vollverbüssung der Strafe
(sog. Differenzialprognose). Sie durfte jedoch bereits aus den übrigen
Umständen willkürfrei und ohne Verletzung von Bundesrecht auf eine ungünstige
Prognose schliessen.

2.5 Die vorinstanzliche Beurteilung der Bewährungsaussicht ist insgesamt nicht
zu beanstanden. Der Beschwerdeführers vermag keinen Ermessensfehler oder
-missbrauch der Vorinstanz zu belegen, so dass auch die Kostenauflage an den
Beschwerdeführer im vorinstanzlichen Verfahren zu Recht erfolgte. Die
Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen.

3.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung ist abzuweisen, da die
Beschwerde von vornherein aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Seiner
finanziellen Lage ist mit herabgesetzten Gerichtskosten Rechnung zu tragen
(Art. 65 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau,
1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. August 2012

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: C. Monn