Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.301/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_301/2012

Urteil vom 25. September 2012
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Schöbi,
Gerichtsschreiber C. Monn.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Fürsprecher Urs Lienhard,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
2. Y.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Einfache Körperverletzung; geringfügige Sachbeschädigung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer,
vom 13. März 2012.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 6. September 2007 kam es in der Wohnung von X.________ zwischen diesem und
einem Nachbarn zu Handgreiflichkeiten. Der Nachbar erlitt unter anderem eine
Distorsion der Halswirbelsäule und eine Kontusion des Oberkiefers und der Nase.
Zudem wurde sein Pullover beschädigt.

Das Obergericht des Kantons Aargau verurteilte X.________ am 13. März 2012 im
Berufungsverfahren in teilweiser Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils
wegen einfacher Körperverletzung und geringfügiger Sachbeschädigung zu 45
Tagessätzen Geldstrafe zu Fr. 10.--, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit
von zwei Jahren, sowie einer Busse von Fr. 180.-- bzw. einer
Ersatzfreiheitsstrafe von 18 Tagen.

X.________ führt Beschwerde beim Bundesgericht und beantragt, das Urteil des
Obergerichts sei in Bezug auf die Schuldsprüche aufzuheben. Er sei vom Vorwurf
der einfachen Körperverletzung freizusprechen. Das Verfahren betreffend
geringfügige Sachbeschädigung sei zufolge Eintritts der Verjährung
einzustellen.

2.
In Bezug auf die Körperverletzung ging die Anklage davon aus, der
Beschwerdeführer habe den Beschwerdegegner 2 ins Gesicht geschlagen, wobei
dieser die erwähnten Verletzungen erlitten habe (angefochtener Entscheid S. 3).
Der Beschwerdeführer bestritt die Schläge ins Gesicht und gab an, er habe den
Beschwerdegegner 2 nur "mit dem Ellbogen" in den Flur "rausgestossen". Die
Vorinstanz kommt zum Schluss, es spiele keine Rolle, ob der Beschwerdeführer
den Beschwerdegegner 2 direkt ins Gesicht geschlagen oder ihn mit dem Ellbogen
aus der Wohnung gedrängt habe, denn es bestünden keine Zweifel am
Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Beschwerdeführers und den
Verletzungen des Beschwerdegegners 2 (angefochtener Entscheid S. 11).

Ob zwischen dem Verhalten des Beschwerdeführers und den Verletzungen des
Beschwerdegegners 2 ein Kausalzusammenhang besteht, betrifft den Sachverhalt.
Dieser kann vor Bundesgericht angefochtenen werden, wenn die Vorinstanz ihn
offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG bzw. willkürlich im
Sinne von Art. 9 BV festgestellt hat. Eine Feststellung ist willkürlich, wenn
sie offensichtlich unhaltbar ist bzw. mit der tatsächlichen Situation in klarem
Widerspruch steht (BGE 137 I 1 E. 2.4). Dass Willkür vorliegt, ist in der
Beschwerde präzise zu rügen, und die Rüge ist zu begründen (Art. 106 Abs. 2
BGG).

Der Beschwerdeführer bezieht sich auf den Arztbericht vom 7. September 2007,
wonach er den Beschwerdegegner 2 unmöglich direkt ins Gesicht geschlagen haben
könne (vgl. Beschwerde S. 3/4). Der Arzt ging bei der Anamnese davon aus, dass
der Beschwerdegegner 2 im Verlauf des Streits plötzlich "einen dumpfen Schlag
auf den Oberkiefer und (die) Nase" bemerkte und in der Folge über Schmerzen in
diesem Bereich, Schwindel und Erbrechen klagte. Er diagnostizierte eine
Distorsion der Halswirbelsäule und eine Kontusion von Oberkiefer und Nase (KA
act. 368). Dass diese Verletzungen "unmöglich" auf das Verhalten des
Beschwerdeführers zurückgeführt werden könnten, ergibt sich aus dem Arztbericht
nicht. Folglich erweist sich die Annahme der Vorinstanz nicht als
offensichtlich unhaltbar.

3.
Die Vorinstanz stellt in Bezug auf den subjektiven Tatbestand fest, auch wenn
der Wille des Beschwerdeführers primär darauf gerichtet gewesen sei, den
Beschwerdegegner 2 aus seiner Wohnung zu drängen, sei aufgrund der Verletzungen
darauf zu schliessen, dass der Beschwerdeführer diese zumindest in Kauf
genommen habe (angefochtener Entscheid S. 11). Nach Auffassung des
Beschwerdeführers ist diese Ansicht unhaltbar (vgl. Beschwerde S. 4/5). Wer
indessen eine andere Person derart mit dem Ellbogen traktiert, dass sie so
gravierende Verletzungen im Bereich von Hals und Gesicht erleidet wie der
Beschwerdegegner 2, muss dazu eine erhebliche Kraft einsetzen, so dass ihm die
Konsequenzen nicht verborgen bleiben können und er sie für den Fall ihres
Eintritts mindestens in Kauf nimmt.

4.
Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, er habe in einer rechtfertigenden
Notwehr im Sinne von Art. 15 StGB gehandelt, weil er nur auf das unberechtigte
Eindringen des Beschwerdegegners 2 in sein Zimmer reagiert habe (vgl.
Beschwerde S. 5). Die Vorinstanz stellt demgegenüber fest, zum Zeitpunkt der
Handlungen des Beschwerdeführers sei gar kein Angriff des Beschwerdegegners 2
im Gange gewesen (angefochtener Entscheid S. 12). Dagegen bringt der
Beschwerdeführer vor, zum Zeitpunkt seiner Abwehr habe der Beschwerdegegner 2
nach wie vor unberechtigt in seinem Zimmer verweilt. Dies ändert indessen
nichts daran, dass er diesem Missstand nicht mit einem derartigen
Gewaltausbruch hätte begegnen dürfen. Von einer den Umständen angemessenen
Abwehr im Sinne von Art. 15 StGB kann nicht die Rede sein.

5.
In Bezug auf die geringfügige Sachbeschädigung macht der Beschwerdeführer
geltend, es sei nicht erstellt, dass er den Pullover tatsächlich beschädigte
(Beschwerde S. 6). Er legt indessen nicht dar, dass und inwieweit die
Vorinstanz in Willkür verfallen sein könnte. Die Beschwerde genügt in diesem
Punk den Anforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG nicht.

6.
Weiter rügt der Beschwerdeführer, die geringfügige Sachbeschädigung sei
verjährt (vgl. Beschwerde S. 6/7).

Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung tritt wie bei den anderen
Straftaten auch bei Übertretungen die Verfolgungsverjährung nach einem
erstinstanzlichen Urteil nicht mehr ein (BGE 135 IV 196; letztmals bestätigt im
Urteil 6B_770/2010 vom 28. Februar 2011 E. 5.3). Was der Beschwerdeführer
vorbringt, wurde bei der Fällung der bundesgerichtlichen Präjudizien
berücksichtigt, weshalb darauf verwiesen werden kann. Den Ausführungen sind
keine stichhaltigen Hinweise dafür zu entnehmen, dass der Gesetzgeber
schwerwiegendere Straftaten und Übertretungen bei der Verfolgungsverjährung
nach einem erstinstanzlichen Urteil unterschiedlich behandeln wollte und Art.
97 Abs. 3 StGB auf Übertretungen nicht anwendbar sein sollte. An der
Rechtsprechung ist festzuhalten.

Die erstinstanzliche Verurteilung wegen geringfügiger Sachbeschädigung datiert
vom 8. Juni 2010 (angefochtener Entscheid S. 4). Zu diesem Zeitpunkt war die
Verjährungsfrist von drei Jahren für die Tat vom 6. September 2007 noch nicht
abgelaufen.

7.
Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf
einzutreten ist. Bei diesem Ausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege ist in Anwendung von Art. 64 BGG abzuweisen, weil
die Rechtsbegehren aussichtslos erschienen. Der finanziellen Lage des
Beschwerdeführers (vgl. act. 15 und 16) ist bei der Bemessung der
Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). Dem Beschwerdegegner 2
ist keine Entschädigung auszurichten, weil er vor Bundesgericht keine Umtriebe
hatte.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Strafgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. September 2012

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Monn