Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.299/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_299/2012

Urteil vom 20. September 2012
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Denys,
nebenamtlicher Bundesrichter Rüedi,
Gerichtsschreiberin Unseld.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Marcel Bosonnet,
Beschwerdeführerin,

gegen

Schweizerische Bundesanwaltschaft, 3003 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Mehrfache Gefährdung durch Sprengstoffe in verbrecherischer Absicht,
Sachbeschädigung, Aufbewahrung von Sprengstoffen,

Beschwerde gegen das Urteil des Bundesstrafgerichts, Strafkammer, vom 8.
November 2011.

Sachverhalt:

A.
In der Nacht auf den 30. September 2002 wurde an der Hotzestrasse 23 in Zürich
bei der Hintertüre des spanischen Generalkonsulats eine unkonventionelle
Spreng- und Brandvorrichtung befestigt, die mit Bengalfackeln zur Detonation
hätte gebracht werden sollen. Da die Fackeln abfielen, bevor die Zündschnur
Feuer fing, kam es zu keiner Explosion. Am 2. Mai 2006, kurz vor Mitternacht,
explodierte an der Eingangstüre der Kantonspolizei Zürich an der
Kasernenstrasse 49 in Zürich ein Knallkörper, wodurch ein Türfenster zu Bruch
ging. Am 6. Mai 2008 wurde im Zimmer von X.________ an der A.________-gasse in
Zürich eine unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung gefunden.

B.
Das Bundesstrafgericht verurteilte X.________ am 8. November 2011 und mit
Berichtigung vom 21. März 2012 wegen mehrfacher Gefährdung durch Sprengstoffe
in verbrecherischer Absicht gemäss Art. 224 StGB, Sachbeschädigung gemäss Art.
144 Abs. 1 StGB und Aufbewahrung von Sprengstoffen gemäss Art. 226 Abs. 2 StGB.
Es verhängte eine Freiheitsstrafe von 17 Monaten, teilweise als Zusatz zu den
Urteilen des Bezirksgerichts Zürich vom 1. Oktober 2003 und 5. Juli 2005. Zudem
verfügte es die Einziehung und Vernichtung verschiedener Gegenstände. Auf
letzteres bezieht sich eine Berichtigung des Urteils vom 21. März 2012.

C.
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das Urteil des
Bundesstrafgerichts sei aufzuheben, und sie sei freizusprechen. Sie ersucht um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

Erwägungen:

1.
1.1 Auf Gegenständen, die bei den beiden Anschlägen verwendet wurden, befanden
sich DNA-Spuren. Diese wurden mit einem DNA-Profil der Beschwerdeführerin aus
dem Jahr 2002 verglichen, welches die Bundesanwaltschaft vom Bezirksgericht
Zürich erhalten hatte. Das Institut für Rechtsmedizin der Universität Basel
erklärte am 21. Januar 2008, dass die Spuren und das Profil übereinstimmen. Die
Beschwerdeführerin macht geltend, die DNA-Daten in den Akten des
Bezirksgerichts Zürich hätten überhaupt nicht mehr existieren dürfen. Sie rügt
eine Verletzung der Bestimmungen zur Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter
Beweise gemäss Art. 141 StPO, des informationellen Selbstbestimmungsrechts
gemäss Art. 13 Abs. 2 BV, der körperlichen Integrität gemäss Art. 10 Abs. 2 BV
und des Anspruchs auf ein faires Verfahren gemäss Art. 6 Abs. 1 und 2 EMRK
(Beschwerde S. 5-27).

1.2 Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Nach den verbindlichen
Feststellungen der Vorinstanz war der Beschwerdeführerin am 1. Februar 2002 in
einem Zürcher Strafverfahren eine Haarprobe entnommen und davon ein DNA-Profil
erstellt worden (Entscheid E. 3.2.1c S. 33). Damals galt im Kanton Zürich die
Verordnung vom 18. April 2001 über die Erhebung und Bearbeitung von
DNA-Analysen im Strafverfahren (LS 321.5). Gemäss § 4 Abs. 1 dieser Verordnung
waren Personendaten und DNA-Profile nach einem Vergleich umgehend zu löschen,
wenn sie nicht in das DNA-Profil-Informationssystem des Bundes aufgenommen
wurden. Auf Bundesebene war die Verordnung vom 31. Mai 2000 über das
DNA-Profil-Informationssystem massgeblich (SR 361.1; vgl. AS 2000 1715 ff.).
Art. 15 Abs. 1 lit. a dieser Verordnung sah vor, dass die Löschung von
DNA-Profilen angeordnet werden musste, sobald die Täterschaft der betroffenen
Person ausgeschlossen werden konnte. Nachdem die Beschwerdeführerin im
damaligen kantonalen Strafverfahren freigesprochen wurde vom Vorwurf der
Widerhandlung gegen das Waffengesetz, hätten ihre DNA-Daten gelöscht werden
müssen.
1.3
1.3.1 Art. 141 StPO enthält Vorschriften zur Verwertbarkeit rechtswidrig
erlangter Beweise. Für Beweise, die mit verbotenen Beweiserhebungsmethoden
erhoben wurden, sieht Art. 141 Abs. 1 Satz 1 StPO ein absolutes
Beweisverwertungsverbot vor. Dasselbe gilt, wenn das Gesetz einen Beweis als
unverwertbar bezeichnet (Art. 141 Abs. 1 Satz 2 StPO). Beweise, die
Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von
Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, dürfen demgegenüber verwertet werden,
wenn sie zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich sind (Art. 141 Abs. 2
StPO). Art. 141 Abs. 2 StPO findet auf Fälle Anwendung, in denen eine Strafnorm
verletzt wurde, ohne dass zugleich eine verbotene Methode der Beweiserhebung
angewandt worden wäre, beispielsweise bei einer Hausdurchsuchung ohne gültigen
Befehl. Eine Verwertung kommt auch in Betracht, wenn die Beweise unter
Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben wurden. Solche
Gültigkeitsvorschriften sind von blossen Ordnungsvorschriften abzugrenzen (vgl.
Art. 141 Abs. 3 StPO). Hat die Verfahrensvorschrift für die Wahrung der zu
schützenden Interessen der betreffenden Person eine derart erhebliche
Bedeutung, dass sie ihr Ziel nur erreichen kann, wenn bei Nichtbeachtung die
Verfahrenshandlung ungültig ist, liegt eine Gültigkeitsvorschrift vor (zum
Ganzen BBl 2006 1183 f.).
1.3.2 Im vorliegenden Fall war die Beschaffung der DNA-Daten an sich nicht
rechtswidrig. Namentlich haben die Strafbehörden weder in strafbarer Weise noch
unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften gehandelt. Allerdings hätten die
DNA-Daten überhaupt nicht mehr existieren dürfen. Der Zugriff darauf verletzte
das Recht der Beschwerdeführerin auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 13
Abs. 2 BV; vgl. hierzu BGE 128 II 259 E. 3.3). Ob die vom Bezirksgericht Zürich
an die Bundesanwaltschaft weitergegebenen DNA-Daten der Beschwerdeführerin nach
Art. 141 StPO oder zumindest in analoger Anwendung dieser Bestimmung einem
Beweisverwertungsverbot unterliegen, kann offenbleiben.
1.4
1.4.1 Die Vorinstanz verurteilte die Beschwerdeführerin nicht gestützt auf die
DNA-Daten aus dem kantonalen Strafverfahren, sondern auf der Grundlage des
Gutachtens des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Basel vom 21. Januar
2008. Darin wird festgestellt, dass die DNA-Spuren auf den Tatmitteln und das
DNA-Profil aus dem kantonalen Strafverfahren übereinstimmen. Allerdings basiert
das Gutachten auf dem DNA-Profil, das aus den Akten des Bezirksgerichts Zürich
hätte entfernt werden müssen. Ermöglichte ein Beweis, der nach Art. 141 Abs. 2
StPO nicht verwertet werden darf, die Erhebung eines weiteren Beweises, so ist
auch dieser unverwertbar, wenn er ohne die vorhergehende Beweiserhebung nicht
möglich gewesen wäre (Art. 141 Abs. 4 StPO). Einer Verwertung des mittelbar
erlangten Folgebeweises steht demgegenüber nichts entgegen, wenn dieser auch
ohne den rechtswidrigen Primärbeweis erhoben worden wäre (vgl. BGE 133 IV 329
E. 4.5 und 4.6; siehe dazu auch BGE 137 I 218 E. 2.4.1 und Urteil 6B_805/2011
vom 12. Juli 2012 E. 3.3, zur Publikation vorgesehen).
1.4.2 Die Erstellung eines DNA-Profils kommt grundsätzlich einer
erkennungsdienstlichen Massnahme gleich (vgl. BGE 128 II 259). Als das
Bezirksgericht Zürich der Bundesanwaltschaft die fraglichen DNA-Daten
übermittelte, stand das Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege in Kraft
(aBStP). Art. 73quater lit. a aBStP sah vor, dass Beschuldigte
erkennungsdienstlich behandelt werden dürfen, soweit es zur Beweiserhebung
notwendig ist. Ob die Beschwerdeführerin zu jenem Zeitpunkt beschuldigt war,
ist unerheblich. Denn Art. 73quater lit. b aBStP erlaubte die
erkennungsdienstliche Behandlung auch für andere Personen, um die Herkunft von
Spuren zu klären. Überdies bestand gegen die Beschwerdeführerin ein
hinreichender Tatverdacht, was durch den Umstand belegt wird, dass die
Bundesanwaltschaft beim Bezirksgericht Zürich DNA-Daten über sie anforderte. Es
hätte also ohne weiteres ein DNA-Profil der Beschwerdeführerin erstellt werden
können. Somit wäre das Gutachten auch ohne das möglicherweise unverwertbare
DNA-Profil aus dem kantonalen Strafverfahren zustande gekommen. Das Gutachten
darf bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden.

1.5 Am 6. Mai 2008 wurde ein weiteres DNA-Profil der Beschwerdeführerin
erstellt, welches die Grundlage für die Meldung des Automatisierten
Fingerabdruck-Identifizierungssystems (AFIS) vom 26. Mai 2008 bildete
(Entscheid E. 3.2.1c S. 33 sowie E. 3.4.1c S. 43). Art. 73quater aBStP gab auch
für die Erstellung dieses DNA-Profils eine hinreichende Grundlage (E. 1.4.2
vorstehend).

1.6 Die Vorinstanz gründet ihr Urteil zu Recht auf das Gutachten des Instituts
für Rechtsmedizin der Universität Basel vom 21. Januar 2008 (E. 1.4 vorstehend)
und die Meldung des AFIS vom 26. Mai 2008 (E. 1.5 vorstehend). Art. 141 StPO
und der Anspruch der Beschwerdeführerin auf ein faires Verfahren sind nicht
verletzt.

2.
2.1 Beim Anschlag an der Hotzestrasse 23 wurde eine umgebaute
"Horror-Knall-Rakete" verwendet, während an der Kasernenstrasse 49 ein
"Donnerschlag Nr. 2" gezündet wurde. Die Beschwerdeführerin rügt eine
Verletzung von Art. 224 Abs. 1 StGB. Sie macht geltend, die Vorinstanz habe die
Gefährlichkeit des "Donnerschlags Nr. 2" falsch beurteilt (Beschwerde S.
27-31).

2.2 Wer vorsätzlich und in verbrecherischer Absicht durch Sprengstoffe oder
giftige Gase Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr
bringt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft (Art. 224 Abs.
1 StGB). Ist nur Eigentum in unbedeutendem Umfang gefährdet worden, so kann auf
Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe erkannt werden (Art. 224
Abs. 2 StGB). Der Sprengstoffbegriff von Art. 224 Abs. 1 StGB deckt sich im
Wesentlichen mit dem Begriff im Bundesgesetz über explosionsgefährliche Stoffe
(Sprengstoffgesetz, SprstG; SR 941.41). Als Sprengstoffe gelten gemäss Art. 5
Abs. 1 SprstG "einheitliche chemische Verbindungen oder Gemische solcher
Verbindungen, die durch Zündung, mechanische Einwirkung oder auf andere Weise
zur Explosion gebracht werden können und die wegen ihrer zerstörenden Kraft,
sei es in freier oder verdämmter Ladung, schon in verhältnismässig geringer
Menge gefährlich sind". Feuerwerkskörper und andere gebrauchsfertige
Erzeugnisse mit einem Explosiv- oder Zündsatz, die bloss dem Vergnügen dienen,
gelten hingegen als pyrotechnische Gegenstände und fallen nicht unter den
Sprengstoffbegriff (Art. 7 lit. b SprstG). Pyrotechnische Gegenstände sind
grundsätzlich nicht als Sprengstoff im Sinne von Art. 224 Abs. 1 StGB zu
qualifizieren. Ausgenommen sind Erzeugnisse, die besonders grosse Zerstörungen
bewirken oder zum Zwecke der Zerstörung verwendet werden (BGE 104 IV 232 E.
1a).

2.3 Die Vorinstanz führt aus, die gutachterlichen Aussagen zur Gefährlichkeit
der "Horror-Knall-Rakete" gälten auch für den "Donnerschlag Nr. 2". Dieser
enthalte im Gegensatz zu einer "Horror-Knall-Rakete" nur 30 statt 50 g
Blitzknallsatz. Auf einer Glasscheibe fixiert entfalte er jedoch eine
vergleichbare Kraft, weshalb hinsichtlich des Zerstörungspotentials und der
Gefährlichkeit auf die Ausführungen zur "Horror-Knall-Rakete" verwiesen werden
könne. Die Befestigung mit Draht direkt vor einer Türscheibe und die
anschliessende Zündung zeigten, dass die Beschwerdeführerin den
Feuerwerkskörper zum Zwecke der Zerstörung einsetzte (Entscheid E. 3.4.1b S.
42-43 mit Verweis auf E. 3.2.1 sowie E. 3.1.1).

2.4 Die Beschwerdeführerin trägt vor, die deutsche Bundesanstalt für
Materialforschung und -prüfung habe erklärt, die Gefährlichkeit des
"Donnerschlags Nr. 2" lasse sich nur schwer bestimmen, da Angaben zum
Satzgewicht fehlten (Beschwerde S. 28). Diese Behauptung trifft nicht zu. Zwar
führte die Bundesanstalt am 21. September 2011 aus, die Gefährlichkeit lasse
sich "nur schwer einschätzen, da keine Angaben zum Satzgewicht vorgefunden
wurden". Nachdem ihr in der Folge aber mitgeteilt wurde, dass der "Donnerschlag
Nr. 2" 30 g Blitzknallsatz enthalte, erklärte sie am 26. September 2011, dass
die allgemeinen Aussagen zur Gefährlichkeit der "Horror-Knall-Rakete" auch für
den "Donnerschlag Nr. 2" gälten (vgl. Erweiterte gutachterliche Stellungnahme
vom 26. September 2011; vorinstanzliche Akten act. 20 684 008-011, S. 2 Frage 3
sowie S. 3 Erweiterte Antwort zur Frage 1).

2.5 Indem die Beschwerdeführerin den "Donnerschlag Nr. 2" mit Draht direkt vor
einer Türscheibe befestigte und anschliessend zündete, setzte sie ihn zu
zerstörerischen Zwecken ein. Der "Donnerschlag Nr. 2" ist daher als Sprengstoff
im Sinne von Art. 224 Abs. 1 StGB zu qualifizieren. Der Einwand der
Beschwerdeführerin ist unbegründet.

3.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die
Beschwerdeführerin wird ausgangsgemäss kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Sie ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Das Gesuch ist
abzuweisen, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 BGG). Den
angespannten finanziellen Verhältnissen der Beschwerdeführerin ist mit
reduzierten Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bundesstrafgericht, Strafkammer,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. September 2012

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Schneider

Die Gerichtsschreiberin: Unseld