Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.276/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_276/2012

Urteil vom 8. November 2012
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Schöbi,
Gerichtsschreiber Adamczyk.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Näpflin,
Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Zentralstrasse 28, 6002 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Verletzung der Verkehrsregeln; Willkür,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Luzern, 4. Abteilung, vom 24. Februar 2012.

Sachverhalt:

A.
X.________ wird unter anderem vorgeworfen, am 9. Juni 2010 um 11.15 Uhr mit
seinem Personenwagen auf der Hauptstrasse von Wolhusen in Richtung Entlebuch in
einer langgezogenen Rechtskurve einen Lastwagen mit Anhänger überholt zu haben.
Dabei habe er einen auf der Gegenfahrbahn entgegenkommenden Personenwagen zu
einem starken Bremsmanöver und zu einem Ausweichen an den rechten Strassenrand
gezwungen.

B.
Das Obergericht des Kantons Luzern sprach X.________ am 24. Februar 2012
zweitinstanzlich schuldig wegen Überholens mit einem Personenwagen trotz
Gegenverkehrs, Befahrens einer markierten Sperrfläche und Überschreitens der
allgemeinen Höchstgeschwindigkeit ausserorts um 26 km/h. Es verurteilte
X.________ zu einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 80.-- bei
einer Probezeit von 3 Jahren und zu einer Busse von Fr. 1'000.--. Anstelle der
Bezahlung der Busse ordnete das Obergericht die Leistung von 40 Stunden
gemeinnütziger Arbeit an.

C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des
Obergerichts sei in Bezug auf das in Frage stehende Überholmanöver aufzuheben,
und er sei vom entsprechenden Vorwurf freizusprechen. Er sei mit einer Busse
von höchstens Fr. 700.-- zu bestrafen, wobei anstelle deren Bezahlung die
Leistung gemeinnütziger Arbeit anzuordnen sei.

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und
Beweiswürdigung sowie eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo".

1.1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Feststellung des
Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG, vgl. auch Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich unrichtig
im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie
willkürlich ist (BGE 137 III 226 E. 4.2 S. 234 mit Hinweisen).

Willkür in der Beweiswürdigung nach Art. 9 BV liegt vor, wenn die Behörde in
ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in
klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Das
Bundesgericht hebt einen Entscheid jedoch nur auf, wenn nicht bloss die
Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist. Dass das angefochtene
Urteil mit der Darstellung des Beschwerdeführers nicht übereinstimmt oder eine
andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar
vorzuziehen wäre, genügt für die Annahme von Willkür nicht (BGE 138 I 49 E. 7.1
S. 51; 136 III 552 E. 4.2 S. 560; je mit Hinweisen).

1.2 Aus der in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK sowie nunmehr auch in
Art. 10 Abs. 1 StPO verankerten Unschuldsvermutung wird die Rechtsregel "in
dubio pro reo" abgeleitet. In seiner vom Beschwerdeführer angerufenen Funktion
als Beweiswürdigungsregel besagt dieser Grundsatz, dass sich der Strafrichter
nicht von einem für den Beschuldigten ungünstigen Sachverhalt überzeugt
erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung erhebliche und nicht zu
unterdrückende Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat.
Der Unschuldsvermutung als Beweiswürdigungsregel kommt keine über das
Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende selbständige Bedeutung zu (BGE 138 V
74 E. 7 S. 81 f. mit Hinweisen).

1.3 Wird die Verletzung von Grundrechten (einschliesslich der willkürlichen
Anwendung von kantonalem Recht und Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung)
gerügt, gelten qualifizierte Anforderungen an die Begründung. Eine solche Rüge
prüft das Bundesgericht nur, wenn sie in der Beschwerde substanziiert begründet
worden ist. Das bedeutet, dass klar und detailliert anhand der Erwägungen des
angefochtenen Entscheids darzulegen ist, inwiefern verfassungsmässige Rechte
verletzt worden sein sollen (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 5;
136 I 65 E. 1.3.1 S. 68; je mit Hinweisen).

1.4 Die Vorinstanz stützt die dem angefochtenen Schuldspruch zugrunde liegenden
tatsächlichen Feststellungen auf die Zeugenaussagen der Polizisten A.________
und B.________, die den Überholvorgang des Beschwerdeführers von einem
stationären zivilen Fahrzeug aus beobachteten. Sie durfte aufgrund der in den
wesentlichen Punkten übereinstimmenden Aussagen der Zeugen ohne Willkür zum
Schluss kommen, dass sich der Sachverhalt so zutrug wie vorstehend (Buchstabe
A) beschrieben. So konnte sie insbesondere die gleichlautenden Feststellungen
der Polizisten als erheblich belastend werten, wonach der dem Beschwerdeführer
während seines Überholmanövers entgegenkommende Personenwagen habe abbremsen
und auf den Radstreifen ausweichen müssen, um eine Kollision zu vermeiden
(Entscheid, S. 6 f.). Ebenfalls durfte sie den Aussagen der Zeugen, wonach sie
den fraglichen Streckenabschnitt von ihrem Standort aus gut hätten einsehen
können (Entscheid, S. 7), ein bedeutendes Gewicht beimessen. Die Vorinstanz
wertete zudem willkürfrei die Umstände, dass keine Motive der Polizisten für
eine Falschbelastung ersichtlich waren und beide als Zeugen unter
Wahrheitspflicht aussagten, als ebenfalls belastend (Entscheid, S. 11).
1.5
1.5.1 Der Beschwerdeführer rügt, die gesamte Arbeit der rapportierenden
Polizisten sei widersprüchlich, ungenau und damit nicht verwertbar. Dies sei
anhand des von ihm nicht angefochtenen Vorwurfs ersichtlich, wonach er kurze
Zeit nach dem Überholmanöver eine Sperrfläche überfahren haben soll. Der
Polizist C.________ habe ausgesagt, dass er lediglich eine von zwei vorhandenen
Sperrflächen befahren habe. Auch A.________ habe als Zeuge ausgesagt, dass
C.________ ihm gegenüber (per Funk) nur ein einmaliges Befahren der Sperrfläche
erwähnt habe. Dagegen sei in der Übersichtsaufnahme der Anzeige das Überfahren
zweier Sperrflächen eingezeichnet. Gleichwohl halte die Vorinstanz fest, dass
sich die Zeugenaussagen von B.________ und A.________ nicht widersprächen
beziehungsweise sich vielmehr ein nachvollziehbares und realitätsbezogenes
Gesamtbild des Geschehens ergebe (Beschwerde, S. 7 f.).
Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die vom Beschwerdeführer vorstehend
dargelegte Diskrepanz die Arbeit der Polizisten, insbesondere in Bezug auf das
zu beurteilende Überholmanöver, in Frage stellen könnte, zumal C.________
diesbezüglich keine Beobachtungen machen konnte, sondern lediglich mit dem
Vorfall des Befahrens einer Sperrfläche befasst war und diesen auch
rapportierte.
1.5.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Polizisten hätten widersprüchlich
ausgesagt. B.________ und A.________ hätten einerseits übereinstimmend erklärt,
dass Letzterer das Überholmanöver zuerst wahrgenommen habe. Andererseits habe
B.________ feststellen können, dass das Überholmanöver in der langgezogenen
Rechtskurve eingeleitet worden sei. Diese Feststellung von B.________ habe die
Vorinstanz zu Unrecht als blosse Annahme bezeichnet (Beschwerde, S. 8).
Die Vorinstanz hält fest, dass es sich bei der Aussage von B.________, der
Beschwerdeführer habe in der langgezogenen Rechtskurve zum Überholen angesetzt,
um eine mit Blick auf das beobachtete Überholmanöver nachvollziehbare Annahme
handle. B.________ habe weder hinsichtlich des Beginns noch der Beendigung des
Überholmanövers genaue Ortsangaben gemacht, sondern übereinstimmend mit
A.________ erklärt, dass sich die ganze Situation im Bereich der langgezogenen
Rechtskurve ereignet habe. Entscheidend sei nicht der genaue Ort, an dem der
Beschwerdeführer zum Überholen angesetzt habe, sondern die Tatsache, dass er
das Manöver trotz Gegenverkehrs in der Rechtskurve ausgeführt habe (Entscheid,
S. 9). Der Beschwerdeführer vermag nicht darzutun, dass diese Erwägungen
willkürlich sind.
1.5.3 Der Beschwerdeführer beanstandet, entgegen der vorinstanzlichen
Auffassung sei der genaue Ort des Überholmanövers massgebend, denn er habe viel
weiter unten vor der Kurve überholt, wo kein Gegenverkehr geherrscht und daher
auch keine Kollisionsgefahr bestanden habe. Der Sachverhalt müsse so präzise
umschrieben werden, dass die Vorwürfe, vorliegend insbesondere die angebliche
Kollisionsgefahr, genügend konkretisiert seien. Dies ergebe sich auch aus dem
Anklagegrundsatz. Die Vorinstanz sei jedoch in willkürlicher Weise
pauschalisierend und prima vista von einer Kollisionsgefahr ausgegangen, ohne
zu überprüfen, ob eine solche überhaupt möglich gewesen wäre. Zudem wäre
angesichts der in der Anzeige eingezeichneten Position des entgegenkommenden
Fahrzeuges und der Aussage von A.________, wonach der Beschwerdeführer am Ende
der Rechtskurve wieder im Begriff gewesen sei, auf seine Fahrspur zu wechseln,
eine Kollision unvermeidbar gewesen. Eine solche habe sich jedoch bekanntlich
nicht ereignet (Beschwerde, S. 9).
Die Vorinstanz gewichtet den Umstand, dass die Polizisten übereinstimmend
aussagten, der Beschwerdeführer habe in der langgezogenen Rechtskurve trotz
Gegenverkehrs überholt, stärker als eine genaue Lokalisierung des Beginns und
der Beendigung des Überholmanövers. Darin kann keine Willkür erblickt werden.
Auch angesichts von weiteren, im Detail übereinstimmenden Aussagen der Zeugen
(vgl. Entscheid, S. 11) kann willkürfrei auf die Glaubhaftigkeit ihrer
Schilderungen geschlossen werden.
1.5.4 Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz sei zu Unrecht von der
Schilderung der beiden Zeugen ausgegangen, wonach sie zum Tatzeitpunkt eine
gute Sicht auf den fraglichen Strassenabschnitt gehabt hätten. Das Gras der
Wiese zwischen dem Standort der Zeugen und dem zu beobachtenden
Streckenabschnitt sei zur Tatzeit derart hoch gewesen, dass keine freie Sicht
auf das Geschehen bestanden habe. Sein Vorbringen, das Gras sei erst am 12.
Juni 2010 und somit nach der Tat geschnitten worden, ignoriere die Vorinstanz
mit dem Hinweis, seine Behauptung stütze sich nur auf eine Ende August 2010
eingeholte Auskunft des dortigen Bauern (Beschwerde, S. 6).
Die Vorinstanz durfte ohne Willkür annehmen, dass die Polizisten eine
uneingeschränkte Sicht auf den fraglichen Streckenabschnitt hatten.
Insbesondere hält sie willkürfrei fest, dass sich die Polizisten kaum so
positioniert haben dürften, dass sie von vornherein den Verkehr nicht hätten
überblicken können. Zudem spricht unter anderem die Beobachtung beider
Polizisten, der entgegenkommende Fahrzeuglenker habe eine Ausweichbewegung
machen müssen, und die Bremslichter seines Fahrzeuges hätten aufgeleuchtet
(Entscheid, S. 11), dafür, dass sie eine ungehinderte Sicht hatten.
1.5.5 Die Rügen, der Sachverhalt sei willkürlich festgestellt und der Grundsatz
"in dubio pro reo" sei verletzt worden, sind unbegründet.

2.
Den Antrag, er sei in Abänderung des vorinstanzlichen Urteils lediglich mit
einer Busse von höchstens Fr. 700.-- zu bestrafen, beziehungsweise anstelle
deren Bezahlung sei gemeinnützige Arbeit anzuordnen, begründet der
Beschwerdeführer nicht. Auf sein Vorbringen ist nicht einzutreten.

3.
Der Antrag des Beschwerdeführers, es seien ihm lediglich 2/5 der Kosten für das
kantonale Verfahren aufzuerlegen, und es sei ihm für seine Anwaltskosten eine
angemessene Entschädigung zu entrichten, ist abzuweisen. Er steht im
Zusammenhang mit dem beantragten Freispruch vom Vorwurf der groben
Verkehrsregelverletzung. Es bleibt aber bei der Verurteilung.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens sind die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art.
66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, 4.
Abteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. November 2012

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Adamczyk