Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.270/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_270/2012

Urteil vom 30. November 2012
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Schöbi,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Beat Hauri,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Grobe Verletzung der Verkehrsregeln; Willkür, rechtliches Gehör,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer,
vom 14. Februar 2012.

Sachverhalt:

A.
X.________ soll am 26. März 2010 um 10.15 Uhr mit seinem Motorrad die auf der
Bözbergstrasse, Fahrtrichtung Gallenkirch, zulässige Höchstgeschwindigkeit von
80 km/h ausserorts (nach Abzug der Sicherheitsmarge von 4 km/h) um 32 km/h
überschritten haben.

B.
Die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach verurteilte X.________ mit Strafbefehl vom
11. Januar 2011 in Anwendung von Art. 90 Ziff. 2 SVG i.V.m. Art. 4a Abs. 1 lit.
b VRV wegen grober Verkehrsregelverletzung zu einer bedingt vollziehbaren
Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu Fr. 140.-- und zu einer Busse von Fr. 850.--.
Auf Einsprache hin bestätigte der Gerichtspräsident I des Bezirksgerichts Brugg
am 26. Juli 2011 den Schuldspruch wegen grober Verkehrsregelverletzung und die
sich auf Fr. 1'400.-- belaufende, bedingt vollziehbare Geldstrafe. Die Busse
setzte er auf Fr. 250.-- fest.
Das Obergericht des Kantons Aargau wies die Berufung von X.________ mit Urteil
vom 14. Februar 2012 ab.

C.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, das obergerichtliche Urteil
vom 14. Februar 2012 sei aufzuheben, und er sei vom Vorwurf der groben
Verletzung von Verkehrsregeln freizusprechen. Eventuell sei auf die Anklage
nicht einzutreten.

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör,
weil die Vorinstanz entgegen seinem Antrag keinen Augenschein durchführte
(Beschwerde, S. 8).
Zum Anspruch auf rechtliches Gehör zählt das Recht auf Abnahme rechtzeitig und
formrichtig angebotener rechtserheblicher Beweismittel. Diese
Verfassungsgarantie steht einer Ablehnung nicht rechtserheblicher Beweismittel
in vorweggenommener Beweiswürdigung nicht entgegen (BGE 134 I 140 E. 5.3).
Dass die Vorinstanz den beantragten Augenschein ablehnte, ist nicht zu
beanstanden. Sie beruft sich zur Hauptsache darauf, die erste Instanz kenne die
örtlichen Verhältnisse an der Bözbergstrasse und im Bereich Linn bestens,
weshalb im Wesentlichen auf deren Ausführungen abzustellen sei. Sie weist
weiter darauf hin, die örtlichen Verhältnisse seien auch ihr bekannt und
liessen sich überdies ohne weiteres anhand von Karten und Luftbildern
verifizieren (Entscheid, S. 5). Unter diesen Umständen bestand für die
Vorinstanz keine Veranlassung, einen Augenschein durchzuführen. Unbehelflich
ist der Vorwurf der "geheimen Aktenergänzung" (Beschwerde, S. 7). Die von der
Vorinstanz zu den Akten genommene, allgemein zugängliche Luftbildfotografie
gibt lediglich vergrössert wieder, was bereits dem bei den Akten liegenden
Luftbild (act. 65 f.) zu entnehmen ist. Vor diesem Hintergrund kann keine Rede
davon sein, dass diese Luftbildfotografie und die richterliche Kenntnis der
Ortsverhältnisse in Verletzung des rechtlichen Gehörs zum Nachteil des
Beschwerdeführers verwertet wurden.

2.
Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz eine aktenwidrige und willkürliche
Sachverhaltsfeststellung vor (Beschwerde, S. 7 ff.).

2.1 Die Vorinstanz würdigt die Beweise sachlich. Sie gelangt unter Hinweis auf
die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil zum Schluss, der Beschwerdeführer
sei auf der Bözbergstrasse (Unterbözberg) im Bereich zwischen Vierlinden und
Passhöhe Bözberg mit einer Geschwindigkeit von 116 km/h gemessen worden. Seine
Version, er sei von Linn herkommend in die Bözbergstrasse eingefahren und habe
demzufolge die Messstelle gar nicht passiert, verwirft sie als nicht glaubhaft.
Die von ihm geschilderte Fahrtroute erscheine abenteuerlich. Der ortsunkundige
Beschwerdeführer habe vom Zürcher Oberland über Brugg nach Zeihen fahren
wollen. Er habe angegeben, seine Ausfahrten mittels Karten zu planen. Es habe
ihm deshalb bekannt sein müssen, dass Zeihen über den Bözberg oder die
Staffelegg erreichbar sei. Nicht plausibel erscheine, dass der Beschwerdeführer
in Thalheim - unmittelbar vor dem für Motorradfahrer interessantesten
Streckenabschnitt vor der Staffelegg-Passhöhe - hätte umkehren und den nur
teilweise asphaltierten Weg über Linn auf den Bözberg nehmen sollen. Bei seiner
Anhaltung habe er die ihm vorgehaltene Geschwindigkeitsüberschreitung um netto
32 km/h anerkannt und ausgeführt, er habe dermassen starken Seitenwind gehabt,
dass er beinahe umgestossen worden sei, weshalb er - zur Stabilisierung des
Fahrzeugs - schneller gefahren sei. Seine Aussage passe nicht zum
Streckenabschnitt von der Einmündung in Linn bis zur Anhaltestelle, weil sich
diese Strecke in einer Senke befinde und eher windgeschützt sei. Die über eine
Hochebene führende Bözbergstrasse zwischen Vierlinden und der Passhöhe sei
dagegen oft starkem Seitenwind ausgesetzt. Auch diese Umstände sprächen dafür,
dass der Beschwerdeführer der vom Lasermessgerät erfasste Motorradfahrer sei.
Die Mitteilung des messenden an den anhaltenden Polizeibeamten sei im Übrigen
unmittelbar nach der Messung erfolgt. Der anhaltende Polizist sei davon
ausgegangen, beim gemessenen Motorradfahrer handle es sich um den
Beschwerdeführer, weil im massgebenden Zeitraum keine weiteren Motorräder die
Anhaltestelle passierten. Dass der vom Lasermessgerät erfasste Motorradfahrer
vom Messposten unbemerkt in das Restaurant Bären hätte einkehren oder nach
rechts in Richtung Alt-Stalden - Oberbözberg abbiegen können, schliesst die
Vorinstanz als unwahrscheinlich aus. Sie begründet ihre Annahme mit dem
Standort des Messpostens am oberen Ende des zum Restaurant gehörenden
Parkplatzes, welcher an der Strasse nach Alt-Stalden - Oberbözberg liegt
(Entscheid, S. 10 f.).
Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; Art. 105 Abs. 2 BGG).
Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die
Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 137 III 226 E. 4.2 mit
Hinweisen; zum Begriff der Willkür BGE 138 I 49 E. 7.1; 136 III 552 E. 4.2; je
mit Hinweisen). Eine entsprechende Rüge muss klar und substantiiert begründet
werden (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 137 IV 1 E. 4.2.3; 136 I 65
E. 1.3.1; je mit Hinweisen).

2.2 Was der Beschwerdeführer vorbringt, ist nicht geeignet, die vorinstanzliche
Beweiswürdigung in Frage zu stellen. Er beschränkt sich bei seiner Kritik
darauf, einzelne Gesichtspunkte von untergeordneter Bedeutung - beispielsweise
die Feststellungen zu den Windverhältnissen (Beschwerde, S. 8 f.) - aus der
Gesamtwürdigung herauszugreifen und unter Darlegung der eigenen Sicht
anzufechten, ohne indes aufzuzeigen, inwiefern das Beweisergebnis auf einer
schlechterdings nicht haltbaren Beweiswürdigung beruht oder mit der
tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht (BGE 138 I 49 E. 7.1; 138 V
74 E. 7; 137 I 1 E. 2.4; je mit Hinweisen). Mit einer solchen Kritik lässt sich
Willkür nicht begründen. Entsprechendes gilt, soweit der Beschwerdeführer
einwendet, es sei nicht zwingend, dass der Polizist beim Messposten ein
allfälliges Einkehren des gemessenen Motorradfahrers in den Gasthof Bären
wahrgenommen hätte, weil jener sein Fahrzeug vor dem Restaurant Bären entlang
der Bözbergstrasse hätte abstellen können. Dass eine solche Würdigung, wie sie
der Beschwerdeführer in diesem Punkt für richtig ansieht, auch in Betracht
gezogen werden könnte, mag zutreffen, doch genügt dies für die Begründung von
Willkür nicht. Denn Willkür liegt nicht schon vor, wenn das angefochtene Urteil
mit der Darstellung des Beschwerdeführers nicht übereinstimmt oder eine andere
Lösung oder Würdigung vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, sondern
nur, wenn der Entscheid auch im Ergebnis auf einer schlechterdings unhaltbaren
oder widersprüchlichen Beweiswürdigung beruht (BGE 138 I 49 E. 7.1; 138 V 74 E.
7). Das ist hier weder dargetan noch ersichtlich.

3.
Der Beschwerdeführer rügt erstmals vor Bundesgericht eine Verletzung des
Anklageprinzips. Es sei nicht klargestellt worden, ob ihm Fahrlässigkeit oder
Vorsatz vorgeworfen werde (Beschwerde, S. 4 ff.).

3.1 Gemäss Art. 9 StPO kann eine Straftat nur gerichtlich beurteilt werden,
wenn die Staatsanwaltschaft gegen eine bestimmte Person wegen eines genau
umschriebenen Sachverhalts beim zuständigen Gericht Anklage erhoben hat. Nach
Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO bezeichnet die Anklageschrift "möglichst kurz, aber
genau die der beschuldigten Person vorgeworfene Tat". Das Anklageprinzip
gewährleistet das rechtliche Gehör und die Verteidigungsrechte des Angeklagten
(BGE 120 IV 348 E. 2b). Damit die Anklageschrift ihre doppelte Funktion der
Umgrenzung und Information wahrnehmen kann, muss sie hinreichend präzise
formuliert sein (vgl. BGE 133 IV 235 E. 6.2; 120 IV 348 E. 2b).

3.2 Der Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung nach Art. 90 Ziff. 2 SVG
setzt subjektiv mindestens grobe Fahrlässigkeit voraus. Er kann aber auch
vorsätzlich begangen werden, wobei Eventualvorsatz genügt. In der Regel handelt
der Fahrzeuglenker, der die Höchstgeschwindigkeit ausserorts um 30 km/h oder
mehr überschreitet, mindestens grobfahrlässig. Der subjektive Tatbestand von
Art. 90 Ziff. 2 SVG ist in derartigen Fällen regelmässig zu bejahen (BGE 121 IV
230 E. 2c; 123 II 37 E. 1 f.), sofern nicht besondere Umstände vorliegen (vgl.
BGE 124 II 97 E. 2c; 126 II 202 E. 1a; siehe auch Urteile 6B_171/2010 vom 19.
April 2010 E. 3.2 und 6B_817/2011 vom 12. Juni 2012 E. 2.4.2).
Dem Beschwerdeführer wurde gemäss Strafbefehl der Staatsanwaltschaft vom 11.
Januar 2011, welcher an die Stelle der Anklage tritt (Art. 356 Abs. 1 StPO),
unter Hinweis und in Anwendung von Art. 90 Ziff. 2 SVG vorgeworfen, die
zulässige Höchstgeschwindigkeit ausserorts von 80 km/h um netto 32 km/h
überschritten zu haben. Indem die Staatsanwaltschaft den Beschwerdeführer wegen
grober Verkehrsregelverletzung gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG anklagte, brachte sie
zum Ausdruck, dass keine besonderen Umstände im Sinne der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung vorliegen und sie zumindest von Grobfahrlässigkeit ausging. Die
Vorinstanz qualifizierte die zu beurteilende Geschwindigkeitsüberschreitung
denn auch als grobfahrlässig (Entscheid, S. 14). Eine Verletzung des
Anklageprinzips ist nicht ersichtlich. Die von der Vorinstanz zusätzlich
angeführten Elemente des Gegenverkehrs und Wildwechsels sind zur Begründung der
groben Fahrlässigkeit nicht erforderlich. Dass sich der Beschwerdeführer hierzu
nicht aussprechen konnte, führt nicht zu einer Gehörsverweigerung.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Die Kosten für
das bundesgerichtliche Verfahren hat der Beschwerdeführer zu tragen (Art. 66
Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. November 2012

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill