Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.212/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_212/2012

Urteil vom 14. Februar 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Denys, Oberholzer,
Gerichtsschreiber Borner.

Verfahrensbeteiligte
Schweizerische Bundesanwaltschaft, 3003 Bern,
Beschwerdeführerin,

gegen

1. G.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Hälg,
Beschwerdegegner,
2. Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Bahnhofstrasse 29, 8200
Schaffhausen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Mehrfache Übertretung des Heilmittelgesetzes,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Schaffhausen vom 24. Februar 2012.

Sachverhalt:

A.
Der Arzt G.________ bestellte zwischen Mai 2004 und Mai 2006 ca. 1000 Dosen
Glucosamin- und Chondroitinsulfat ("GC") und gab sie in der Folge an seine
Patienten ab.

B.
Das Kantonsgericht Schaffhausen sprach G.________ am 21. Mai 2008 schuldig der
mehrfachen Übertretung des Heilmittelgesetzes, verzichtete aber auf eine
Bestrafung. Es verpflichtete ihn, den unrechtmässig erzielten Vermögensvorteil
von Fr. 15'000.-- an die Staatskasse abzuliefern.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen hiess das Obergericht des Kantons
Schaffhausen am 24. Februar 2012 gut. Es sprach ihn vom Vorwurf der mehrfachen
Übertretung des Heilmittelgesetzes frei und verzichtete auf eine
Ersatzforderung.

C.
Die Bundesanwaltschaft führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, der
angefochtene Entscheid sei aufzuheben und das Urteil des Kantonsgerichts zu
bestätigen.

G.________ beantragt in seiner Vernehmlassung zur Hauptsache, auf die
Beschwerde sei nicht einzutreten bzw. sie sei abzuweisen (act. 15). Auf
Ersuchen hat die Bundesanwaltschaft zum Antrag auf Nichteintreten Stellung
genommen (act. 19 f.).

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdegegner bringt vor, gemäss eindeutigem Gesetzeswortlaut (Art. 15
Abs. 1 lit. c StBOG; SR 173.71) wäre nur der Bundesanwalt oder die
Bundesanwältin sachlich legitimiert gewesen, Beschwerde zu führen, nicht jedoch
"lediglich" ein juristischer Mitarbeiter.
Gestützt auf Art. 9 Abs. 3 StBOG hat der Bundesanwalt das Reglement über die
Organisation und Verwaltung der Bundesanwaltschaft vom 22. November 2010 (SR
173.712.22) erlassen. Dessen Art. 5 Abs. 6 bestimmt, dass der Rechtsdienst
Rechtsmittel gemäss Art. 381 Abs. 4 lit. a StPO ergreifen kann. Da in einem
Rechtsdienst juristische Mitarbeiter die fachlichen Aufgaben zu erledigen
haben, kommt ihnen Vertretungsbefugnis zu. Auf die Beschwerde des juristischen
Mitarbeiters ist somit einzutreten.

2.
Die Vorinstanz erwägt, am 2. Juli 2008 sei ein Präparat mit "GC" als
Nahrungsergänzungsmittel vom Bundesamt für Gesundheit bewilligt worden. Da "GC"
somit nicht mehr unter die Arzneimittel falle, sei der Beschwerdegegner in
Anwendung des milderen Rechts (Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 333 Abs. 1 StGB)
freizusprechen.

Die lex mitior (Art. 2 Abs. 2 StGB) ist auch auf Übertretungen anwendbar (Art.
104 StGB). Bei Verwaltungsstrafnormen gilt der Grundsatz aber nicht allgemein.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung greift der Grundsatz, wenn in der
neuen Regelung eine mildere ethische Wertung zum Ausdruck kommt, nicht jedoch
bei Änderungen aus Gründen der Zweckmässigkeit (BGE 123 IV 84 E. 3; 116 IV 258
E. 3; 89 IV 113 E. I/1). Diese Rechtsprechung wird, insbesondere wenn
Verhaltensnormen einen Blankettstraftatbestand ausfüllen, kritisiert (POPP/
LEVANTE, in: Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, 2. Auflage, Art. 2 N 9; ZR
102/2003 Nr. 64 S. 289 ff., je mit Hinweisen).

Die Zulassung von Präparaten wie "GC" ist ein generell-konkreter Hoheitsakt. Da
solche hinsichtlich der lex mitior selbst von Kritikern der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung als Grenzfall betrachtet werden (POPP/LEVANTE, a.a.O.), ist die
bisherige Rechtsprechung jedenfalls in Bezug auf generell-konkrete Hoheitsakte
nicht in Frage zu stellen (vgl. auch Urteil 6B_979/2009 vom 21. Oktober 2010,
insbesondere E. 4.5.3). Damit verletzt der vorinstanzliche Entscheid
Bundesrecht.

3.
Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung
an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der mitunterliegende Beschwerdegegner hat die
Hälfte der bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid des Obergerichts des Kantons
Schaffhausen vom 24. Februar 2012 aufgehoben und die Sache zur neuen
Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Dem Beschwerdegegner werden Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. Februar 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Borner