Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.208/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_208/2012

Urteil vom 30. August 2012
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Denys, Schöbi,
Gerichtsschreiberin Unseld.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard Jüsi,
Beschwerdeführer,

gegen

Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Zürcherstrasse 323, 8510
Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Neubeurteilung (Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz als schwerer
Fall);
Willkür, rechtliches Gehör etc.,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
des Kantons Thurgau vom 9. Februar 2012.

Sachverhalt:

A.
A.a Am 15. Juni 1992 überkletterten A.________ und B.________ den Grenzzaun, um
von Konstanz (Deutschland) nach Kreuzlingen zu gelangen. Sie führten sechs
Kilogramm Heroin mit sich. Die schweizerische Grenzwache nahm die beiden fest.
Im Laufe des Ermittlungsverfahrens stellte sich heraus, dass die Verhafteten
nach der Einreise X.________ und C.________ im Restaurant D.________ treffen
wollten, um mit deren Hilfe die Drogen nach Rorschach weiterzutransportieren
und an Dritte zu übergeben.
A.b Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau klagte X.________ am 29. März
1993 wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz an und
beantragte eine Zuchthausstrafe von vier Jahren.
A.c Das Bezirksgericht Kreuzlingen lud X.________ am 26. April 1993 zur
Hauptverhandlung vom 21. Juni 1993 vor. Wenige Tage später ersuchte der
amtliche Verteidiger um freies Geleit für X.________. Das Bezirksgericht
Kreuzlingen bewilligte dieses Gesuch am 6. Mai 1993. X.________ reiste am 7.
Mai 1993 aus der Schweiz aus, nachdem sein Asylgesuch definitiv abgelehnt
worden war. Er blieb der Hauptverhandlung vom 21. Juni 1993 fern.
A.d Das Bezirksgericht Kreuzlingen verurteilte X.________ am 21. Juni 1993 im
Abwesenheitsverfahren wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz zu fünf Jahren Zuchthaus, unter Anrechnung der
Untersuchungshaft von 70 Tagen. Dieses Urteil erwuchs unangefochten in
Rechtskraft.
A.e Am 10. Oktober 2011 wurde X.________ bei seiner Einreise in die Schweiz
verhaftet und dem Strafvollzug zugeführt.

B.
X.________ beantragte am 19. Oktober 2011, das Strafverfahren sei neu zu
beurteilen, und es sei festzustellen, dass die Verfolgungsverjährung
eingetreten sei. Die Berufungsfrist sei wiederherzustellen. Das Bezirksgericht
Kreuzlingen wies das Gesuch mit Beschluss vom 30. Dezember 2011 ab. Das
Obergericht des Kantons Thurgau lehnte die dagegen gerichtete Beschwerde am 9.
Februar 2012 ab, soweit auf sie einzutreten war.

C.
X.________ erhebt gegen das Urteil des Obergerichts Beschwerde in Strafsachen.
Er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben. Das Bezirksgericht
Kreuzlingen sei anzuweisen, das Urteil vom 21. Juni 1993 aufzuheben, das
Verfahren wieder aufzunehmen, die Verjährung zu prüfen und festzustellen, dass
diese eingetreten sei. Eventualiter sei die Frist zur Anmeldung der Berufung
gegen das Urteil des Bezirksgerichts Kreuzlingen vom 21. Juni 1993
wiederherzustellen, und es sei festzustellen, dass diese gewahrt worden sei,
unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der Vorinstanz. Es sei ihm die
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu bewilligen.

D.
Das Gesuch von X.________ um aufschiebende Wirkung bzw. um Haftentlassung wurde
mit Präsidialverfügung vom 17. April 2012 abgewiesen.

E.
Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft beantragen die Abweisung der
Beschwerde.

F.
Das Bundesgericht hat den Entscheid öffentlich beraten.

Erwägungen:

1.
Nicht einzutreten ist auf die Ausführungen, in welchen der Beschwerdeführer auf
frühere Rechtsschriften verweist (vgl. Beschwerde S. 8 und S. 10; BGE 133 II
396 E. 3.1 mit Hinweisen).

2.
2.1 Der Beschwerdeführer rügt, der von der Vorinstanz hinsichtlich des Gesuchs
um Neubeurteilung festgestellte Sachverhalt sei willkürlich. Aus seinem Antrag
um freies Geleit könne nicht abgeleitet werden, er habe Kenntnis von der
Vorladung gehabt. Der Kontakt zu seinem Verteidiger sei abgebrochen gewesen.
Dieser habe seine Interessen ohne Rücksprache bestmöglich wahren wollen.

2.2 Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann nur gerügt werden, wenn
sie willkürlich (Art. 9 BV) ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 134 IV 36 E. 1.4.1).
Willkür bei der Beweiswürdigung liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid
offensichtlich unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem
Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar
oder gar zutreffender erscheint, genügt für die Annahme von Willkür nicht (BGE
137 I 1 E. 2.4; 134 I 140 E. 5.4; je mit Hinweisen).

2.3 Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer habe von der Vorladung und der
Anklageschrift gewusst. Dies ergebe sich aus seinem Antrag vom 29. April 1993
auf freies Geleit (Urteil S. 8, S. 10). Darin führt der Rechtsvertreter des
Beschwerdeführers wörtlich aus:
"In oberwähnter Strafsache findet am 21.06.1993, 08.00 Uhr, die
Gerichtsverhandlung statt. Da die Schweizerische Asylrekurskommission das
Asylgesuch des Angeklagten am 02.04.1993 rechtskräftig abgewiesen hat und er
demzufolge die Schweiz bis zum 15.05.1993 verlassen muss, kann er an der
Gerichtsverhandlung nicht teilnehmen. X.________ möchte jedoch unbedingt an der
Gerichtsverhandlung selbst auch teilnehmen, weshalb ich Sie ersuche, ihm freies
Geleit zuzusichern, und zwar in der Weise, als er wegen der in der
'Geleitserklärung' bezeichneten strafbaren Handlung nicht in Haft gesetzt
wird."

2.4 Die Vorinstanz durfte ohne Willkür zum Schluss gelangen, der
Beschwerdeführer habe die Anklage und die Vorladung zur Hauptverhandlung
erhalten und darüber mit seinem amtlichen Verteidiger gesprochen. Dieser konnte
Ende April 1993 nur aufgrund einer aktuellen Instruktion durch den
Beschwerdeführer wissen, dass dessen Asylgesuch Anfang April 1993 definitiv
abgewiesen worden war. Ein vorsorglich, ohne Absprache mit dem Beschwerdeführer
erfolgter Antrag um freies Geleit fällt aufgrund der Wortwahl des Verteidigers,
sein Mandant wolle als Angeklagter "unbedingt" an der Verhandlung vom 21. Juni
1993 teilnehmen, ausser Betracht. Nur der Beschwerdeführer konnte entscheiden,
ob er den Aufwand einer Wiedereinreise auf sich nehmen wollte. Das Argument,
der Kontakt zum Verteidiger sei abgebrochen gewesen, ist daher nicht
stichhaltig. Hinzu kommt, dass sich auch den Akten, namentlich dem Urteil vom
21. Juni 1993, keine Hinweise entnehmen lassen, dass der Beschwerdeführer vor
der Hauptverhandlung keinen Kontakt mehr zu seinem damaligen Verteidiger hatte.
Für den Erhalt der Vorladung spricht schliesslich der Umstand, dass die
Vorladung an die vom Beschwerdeführer wiederholt angegebene Zustelladresse
erfolgte, und die Post die eingeschriebene Sendung nicht als unzustellbar an
das Gericht zurücksandte (Urteil S. 7 mit Verweis auf das erstinstanzliche
Urteil S. 14). Hingegen lässt sich aus den aktuelleren Visumsanträgen und aus
der Einreise kurz vor Ablauf der Vollzugsverjährung (Beschwerde S. 7, S. 10, S.
12) nichts zum Informationsstand des Beschwerdeführers im früheren Verfahren
ableiten. Die Rügen erweisen sich als unbegründet, soweit darauf einzutreten
ist (Art. 97 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 136 I 65 E. 1.3.1 mit
Hinweisen).

3.
3.1 Der Beschwerdeführer beanstandet, die Vorinstanz lehne seinen Antrag auf
eine neue Beurteilung des Strafverfahrens zu Unrecht ab. Die Vorinstanz
verletze Art. 368 StPO (SR 321.0), die Ansprüche auf rechtliches Gehör nach
Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 BV und auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Ziff. 2
EMRK sowie das Willkürverbot nach Art. 9 BV.

3.2 Gemäss der übergangsrechtlichen Bestimmung von Art. 452 Abs. 2 StPO werden
nach dem 1. Januar 2011 gestellte Gesuche um neue Beurteilung nach einem unter
dem kantonalen Strafprozessrecht ergangenen Abwesenheitsurteil nach dem Recht
beurteilt, das für die gesuchstellende Person günstiger ist. Der
Beschwerdeführer geht mit der Vorinstanz von der Anwendbarkeit von Art. 368
StPO als günstigerem Recht aus.
3.3
3.3.1 Das Recht auf persönliche Teilnahme an der Verhandlung ergibt sich aus
den Ansprüchen auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV und auf ein faires
Verfahren nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Es gilt jedoch nicht absolut.
Abwesenheitsverfahren sind zulässig, sofern der Verurteilte nachträglich
verlangen kann, dass ein Gericht, nachdem es ihn zur Sache angehört hat,
nochmals überprüft, ob die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen begründet sind.
Der Anspruch auf Neubeurteilung kann von bestimmten Formen und Fristen abhängig
gemacht werden. Ferner ist es mit Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK
vereinbar, wenn eine Neubeurteilung deswegen abgelehnt wird, weil der in
Abwesenheit Verurteilte sich geweigert hat, an der Verhandlung teilzunehmen
oder er die Unmöglichkeit, dies zu tun, selbst verschuldet hat (BGE 129 II 56
E. 6.2 mit Hinweisen, namentlich auf die Rechtsprechung des EGMR). Nach der
bundesgerichtlichen Praxis ist die Abwesenheit nicht nur im Falle höherer
Gewalt, d.h. bei objektiver Unmöglichkeit zu erscheinen, gültig entschuldigt,
sondern auch im Falle subjektiver Unmöglichkeit aufgrund der persönlichen
Umstände oder eines Irrtums (BGE 127 I 213 E. 3a; 126 I 36 E. 1b). Abwesenheit
aus Furcht vor einer Verhaftung wird gemäss BGE 127 I 213 E. 4 nicht als
entschuldbare subjektive Unmöglichkeit gewertet, da das öffentliche Interesse
an der Durchführung des Strafverfahrens (auch gegen einen Abwesenden) schwerer
wiegt als das gegenläufige persönliche Interesse des Beschuldigten, sich einer
in einem anderen Verfahren bereits rechtskräftig ausgesprochenen Strafe durch
Flucht entziehen zu können. Hingegen ist die Wiederaufnahme des Strafverfahrens
grundsätzlich zu gewährleisten, wenn der in Abwesenheit Verurteilte von der
gerichtlichen Vorladung keine Kenntnis erhalten und auch nicht versucht hat,
sich der Strafverfolgung zu entziehen (BGE 129 II 56 E. 6.2 mit Hinweisen).
3.3.2 Diese Rechtsprechung wurde in Art. 368 StPO verankert. Gemäss Art. 368
Abs. 3 StPO lehnt das Gericht das Gesuch um Neubeurteilung ab, wenn die
verurteilte Person ordnungsgemäss vorgeladen worden, aber der Hauptverhandlung
unentschuldigt ferngeblieben ist.
In Anlehnung an die Rechtsprechung des EGMR dürfen an die Entschuldbarkeit des
Fernbleibens im Sinne von Art. 368 Abs. 3 StPO keine strengen Anforderungen
gestellt werden. Verlangt wird, dass die beschuldigte Person der Verhandlung
bewusst und freiwillig fernblieb (vgl. etwa NIKLAUS SCHMID, Schweizerische
Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2009, N. 5 zu Art. 368 StPO; DERS.,
Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2009, N. 1411 S. 645; SARAH
SUMMERS, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/
Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2010, N. 8 zu Art. 368 StPO; vgl. auch THOMAS MAURER,
in: Schweizerische Strafprozessordnung, Basler Kommentar, N. 15 zu Art. 368
StPO; GOLDSCHMID/MAURER/SOLLBERGER, Kommentierte Textausgabe zur
Schweizerischen Strafprozessordnung, 2008, zu Art. 368 StPO). Der Betroffene
muss die entschuldigenden Gründe glaubhaft vorbringen. Der Nachweis, dass die
Abwesenheit verschuldet war, obliegt dem Staat (vgl. BGE 129 II 56 E. 6.2;
SCHMID, Praxiskommentar, a.a.O., N. 6 zu Art. 368 StPO; DERS., Handbuch,
a.a.O., N. 1411 S. 645; SUMMERS, a.a.O., N. 13 f. zu Art. 368 StPO; MAURER,
a.a.O., N. 15 zu Art. 368 StPO).

3.4 Die Vorinstanz durfte eine ordnungsgemässe Vorladung gemäss Art. 368 Abs. 3
StPO bejahen. Der Beschwerdeführer hatte nach den willkürfreien Feststellungen
der Vorinstanz Kenntnis vom Verhandlungstermin und von der Anklage (vgl. oben
E. 2). Seine Einwände gegen die gesetzeskonforme Zustellung sind nicht
stichhaltig.

3.5 Der Beschwerdeführer verkennt, dass die Landesabwesenheit für sich gesehen
keine Entschuldbarkeit im Sinne von Art. 368 Abs. 3 StPO begründet. Mit der
Bewilligung des freien Geleits schuf das Bezirksgericht Kreuzlingen die
Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer nach seiner migrationsrechtlichen
Wegweisung zur Verhandlung vom 21. Juni 1993 in die Schweiz einreisen konnte.
Weitere Gründe, welche die Abwesenheit als unverschuldet erscheinen lassen
könnten, macht er nach zutreffender Auffassung der Vorinstanz nicht glaubhaft.
Insbesondere behauptet er nicht, er habe aus finanziellen Gründen auf die Reise
verzichtet oder die türkischen Behörden hätten ihn zur Zeit der Verhandlung
festgehalten. Die angeblichen Verhöre durch die türkischen Behörden bei der
Einreise in sein Heimatland sowie die Organisation von Unterkunft und Arbeit
reichen nicht aus, um die Abwesenheit an der Verhandlung zu entschuldigen, weil
diese Termine zeitlich koordiniert werden konnten. Soweit der Beschwerdeführer
die Aufmerksamkeit der türkischen Behörden durch eine erneute Ausreise nicht
auf sich bzw. auf seine Familie lenken wollte (Beschwerde S. 10 f.), begründet
dies keinen entschuldbaren Hinderungsgrund. Der Beschwerdeführer konnte auch
nicht annehmen, das Verfahren habe sich erledigt. Ihm stand ein amtlicher
Verteidiger zur Seite, der ihn zum Verfahrensablauf beraten und den er
jederzeit kontaktieren konnte. Aufgrund der längeren Untersuchungshaft und des
hohen Strafantrags der Staatsanwaltschaft lag es auf der Hand, dass das
Strafverfahren schwerwiegende Vorwürfe umfasste, die nicht formlos fallen
gelassen würden. Der Beschwerdeführer kann sich nicht darauf berufen, er sei
stets von seiner Unschuld bzw. von harmlosen Vorwürfen ausgegangen, und die
Mitangeklagten hätten ihn erst in der Hauptverhandlung erheblich belastet (vgl.
Beschwerde S. 9). Seine Rügen sind unbegründet.

4.
4.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz verletze Art. 94 StPO,
indem sie die Wiederherstellung der Berufungsfrist ablehne.

4.2 Die Vorinstanz geht davon aus, das Urteil vom 21. Juni 1993 sei dem
Beschwerdeführer gültig zugestellt worden (Urteil S. 10). Der Beschwerdeführer
beanstandet dies nicht.

4.3 Für die Frage, ob der Beschwerdeführer Anspruch auf Wiederherstellung der
Berufungsfrist hat, muss das bis am 31. Dezember 2010 geltende kantonale
Strafprozessrecht zur Anwendung gelangen, wenn das erstinstanzliche Urteil wie
vorliegend vor dem 1. Januar 2011 erging und sich gemäss Art. 453 Abs. 1 StPO
auch das Berufungsverfahren nach dem alten Prozessrecht richtet (vgl. NIKLAUS
SCHMID, Übergangsrecht der Schweizerischen Strafprozessordnung, 2010, N. 112 f.
S. 31).
Nachdem die Vorinstanz zu Unrecht von der Anwendbarkeit der StPO ausgeht, kann
dem Beschwerdeführer nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er sich in seiner
Beschwerde auf Art. 94 StPO beruft und keine willkürliche Anwendung der
thurgauischen Strafprozessordnung rügt. Da sowohl Art. 94 Abs. 1 StPO als auch
§ 43 Abs. 2 StPO/TG vom Beschwerdeführer verlangen, dass er zumindest glaubhaft
macht, dass ihn an der Säumnis kein Verschulden trifft, schadet ihm die
Anwendung des neuen anstelle des alten Prozessrechts aber nicht.

4.4 In der Sache durfte die Vorinstanz eine unverschuldete Säumnis verneinen.
Der Beschwerdeführer wiederholt, er sei erst an der Hauptverhandlung von den
Mitangeklagten massiv belastet worden, er habe keinen Kontakt zu seinem
amtlichen Verteidiger gehabt, dieser habe seine Interessen mangels Anfechtung
des Urteils nicht hinreichend wahrgenommen oder er sei ein Jahr vor Ablauf der
Vollzugsverjährung in die Schweiz eingereist, was die fehlende Kenntnis von der
Verurteilung belege (Beschwerde S. 10 ff.).
Diese Rügen sind nicht geeignet, das fehlende Verschulden an der Säumnis
glaubhaft darzutun. Der von Beschwerdeführer zu verantwortende spätere Abbruch
des Kontakts zu seinem Verteidiger in der Schweiz lässt die Säumnis nicht
entschuldbar erscheinen. Entgegen dem Einwand des Beschwerdeführers kann dem
amtlichen Verteidiger nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er den Entscheid
vom 21. Juni 1993 nicht vorsorglich anfocht, da nicht gegen jedes
erstinstanzliche Urteil der Rechtsmittelweg ergriffen werden muss und sich der
Beschwerdeführer - wie sich gezeigt hat - bis zu seiner Festnahme im Jahre 2011
auch nicht weiter um das Urteil kümmern wollte.

5.
5.1 Der Beschwerdeführer wendet ein, das öffentliche Interesse und das
Verhältnismässigkeitsprinzip nach Art. 5 Abs. 2 BV bzw. § 2 Abs. 2 und § 8 Abs.
1 der Verfassung des Kantons Thurgau vom 16. März 1987 (KV/TG; RB 101) seien
verletzt, sofern die Strafe vollzogen werde. Infolge des Zeitablaufs habe das
Strafbedürfnis abgenommen. Er habe sich nichts mehr zuschulden kommen lassen.

5.2 Der Gesetzgeber hat mit den Bestimmungen über die Vollstreckungsverjährung
geregelt, wie lange der Vollzug einer Strafe im öffentlichen Interesse liegt
und verhältnismässig ist. Er ging davon aus, bis zu den in Art. 99 Abs. 1 StGB
festgesetzten Fristen seien ein öffentliches Interesse am Strafvollzug gegeben
und der Verhältnismässigkeitsgrundsatz gewahrt. Das Bundesgericht ist daran
gebunden (Art. 190 BV). Eine Verletzung von Art. 99 Abs. 1 StGB macht der
Beschwerdeführer zu Recht nicht geltend.

6.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist gutzuheissen, da die
Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos war und die Bedürftigkeit des
Beschwerdeführers erstellt scheint (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Es sind keine
Kosten zu erheben. Der Vertreter des Beschwerdeführers ist für das Verfahren
vor dem Bundesgericht aus der Bundesgerichtskasse zu entschädigen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Bernhard Jüsi, wird für
das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- aus der
Bundesgerichtskasse ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. August 2012

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Die Gerichtsschreiberin: Unseld