Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.184/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_184/2012

Urteil vom 11. Oktober 2012
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Denys, Schöbi,
Gerichtsschreiber Borner.

Verfahrensbeteiligte
S.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Joachim Breining,
Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Bahnhofstrasse 29, 8200
Schaffhausen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Einziehung und Verwertung; Kostenauflage (Erschleichen einer Falschbeurkundung
usw.); Willkür, rechtliches Gehör,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 10.
Februar 2012.

Sachverhalt:

A.
S.________ führte unter seinem Namen ein Architekturbüro als Einzelfirma. Am
12. Juni 1992 gründete er die S.________ Architekturbüro AG und liberierte das
Aktienkapital von Fr. 50'000.-- durch Sacheinlage der Einzelfirma. Dazu gehörte
unter anderem das Kontokorrentkonto "Ordinario".

Die S.________ Architekturbüro AG war Eigentümerin der Stockwerkeinheit GB
Schaffhausen Nr. XY700 (5-Zimmer-Terrassenhaus) und von drei Achteln
Miteigentumsanteil an der Stockwerkeinheit Nr. XY704 (Einstellhalle). Auf
diesen Liegenschaften wurde am 7. März 1997 ein Namenschuldbrief über Fr.
128'000.-- mit der Schaffhauser Kantonalbank als Gläubigerin und der
Aktiengesellschaft als Schuldnerin errichtet. Am 22. Juli 1998 wurde der Betrag
des Schuldbriefs auf Fr. 530'000.-- erhöht und S.________ als solidarisch
haftender Schuldner aufgeführt. Der Schuldbrief wurde nie belehnt.

Am 27. August 1998 übertrug die S.________ Architekturbüro AG die erwähnten
Liegenschaften an S.________, der den Kaufvertrag für sich und die
Aktiengesellschaft unterzeichnete. Der Erwerber hatte den Kaufpreis von Fr.
530'000.-- zu tilgen, indem er "(...) Fr. 530'000.-- (... übernahm) zur
alleinigen Verzinsung und Bezahlung zu den heute geltenden und ihm bekannten
Zins- und Zahlungsbestimmungen mit Zinspflicht auf eigene Rechnung ab
Antrittstag unter Entlassung der Veräusserin aus der Solidarhaft". Da der
Schuldbrief nicht belehnt war, erhielt S.________ die Liegenschaften
unentgeltlich.

Am 10. Dezember 1999 wurde über die S.________ Architekturbüro AG der Konkurs
eröffnet.

B.
Das Kantonsgericht Schaffhausen verurteilte S.________ am 23. Mai 2007 wegen
Urkundenfälschung, mehrfacher Erschleichung einer falschen Beurkundung,
ungetreuer Geschäftsbesorgung und Gläubigerschädigung durch
Vermögensverminderung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 14 Monaten. Zudem
ordnete es die Einziehung und Verwertung der Stockwerkeinheit GB Schaffhausen
Nr. XY700 zugunsten der Staatskasse an.

Eine Berufung des Verurteilten hiess das Obergericht des Kantons Schaffhausen
am 10. Februar 2012 teilweise gut. Es stellte das Verfahren wegen
Urkundenfälschung und mehrfacher Erschleichung einer falschen Beurkundung ein,
weil die Verjährung eingetreten war, und sprach ihn vom Vorwurf der ungetreuen
Geschäftsbesorgung frei. Es verurteilte ihn wegen Erschleichung einer falschen
Beurkundung und Gläubigerschädigung durch Vermögensverminderung zu einer
bedingten Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu Fr. 135.--. Zudem ordnete es an,
"die Stockwerkeinheit GB Schaffhausen Nr. XY700 (...) sowie die total drei
Achtel Miteigentumsanteile Nrn. 16579 und 16581 am Grundstück XY704 werden
zugunsten der Staatskasse eingezogen und verwertet. Im Fr. 731'500.--
übersteigenden Betrag wird der Verwertungserlös dem Angeklagten
zurückerstattet."

C.
S.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt nebst anderem, der
angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur neuen Berechnung des
Einziehungsbetrages an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Das Obergericht hat sich vernehmen lassen, ohne einen Antrag zu stellen (act.
11), während die Staatsanwaltschaft begehrt, die Beschwerde sei abzuweisen
(act. 12). S.________ hat Gegenbemerkungen eingereicht (act. 14).

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, das Kantonsgericht habe lediglich die
Liegenschaft GB Schaffhausen Nr. XY700 eingezogen. Die Vorinstanz habe
zusätzlich die Miteigentumsanteile Nrn. 16579 und 16581 am Grundstück XY704
eingezogen und dadurch das erstinstanzliche Urteil verschärft. Dies sei ein
willkürlicher Verstoss gegen Art. 323 Abs. 2 aStPO/SH, der eine
Schlechterstellung verbiete.

Die Einziehung gegen den bösgläubigen Erwerber besitzt keinen Strafcharakter,
weil sie nicht in dessen Vermögensrechte eingreift (BGE 126 IV 255 E. 4b S.
265). Dies gilt erst recht für den Täter, der durch die Straftat Besitzer wird.
In der Literatur wird die Vermögenseinziehung mehrheitlich als sachliche
Massnahme ohne repressiven Charakter angesehen. Das heisst, dass damit im
Unterschied zur Strafe das Zufügen eines Nachteils bzw. eine soziale
Missbilligung nicht verbunden ist (FLORIAN BAUMANN, in: Basler Kommentar,
Strafgesetzbuch I, Basel, 2003, Art. 59 N 7 mit Hinweisen).

Art. 323 Abs. 2 aStPO/SH lautet: "Das Obergericht darf keine schärfere Strafe
aussprechen als die Vorinstanz, wenn nur der Angeklagte oder zu dessen Gunsten
die Staatsanwaltschaft appelliert hat. Die Anordnung von Massnahmen mit
Ausnahme der Verwahrung gemäss Art. 64 StGB gilt nicht als schärfere
Bestrafung."

Die Bestimmung verbietet eine Schlechterstellung nur in Bezug auf Strafen und
die Verwahrung, nicht aber hinsichtlich bessernder und der übrigen sichernden
Massnahmen. Zu sachlichen Massnahmen spricht sie sich nicht aus. Da die
Einziehung keine Strafe ist und Art. 323 Abs. 2 aStPO/SH - abgesehen von der
Verwahrung - nur in dieser Hinsicht eine Schlechterstellung verbietet, ist die
Willkürrüge unbegründet.

Die Vorinstanz begründet ausführlich, wie der Beschwerdeführer auch die
Miteigentumsanteile Nrn. 16579 und 16581 am Grundstück XY704 deliktisch erlangt
hat und dass solches Vermögen der Einziehung unterliegt. Deshalb ist die Rüge,
die Vorinstanz habe den Anspruch auf eine nachvollziehbare Begründung und damit
das rechtliche Gehör verletzt, nicht stichhaltig.

2.
Der Beschwerdeführer bringt vor, die Vorinstanz habe den Verkehrswert der
Liegenschaften geschätzt, ohne ihn vorgängig anzuhören. Damit habe sie seinen
Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 29 Abs. 2 BV).

Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör ergibt sich insbesondere das Recht der
Betroffenen, sich vor Erlass eines Entscheids zur Sache zu äussern, erhebliche
Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen
Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise
entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn
dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen. Der Anspruch auf
rechtliches Gehör umfasst als Mitwirkungsrecht somit alle Befugnisse, die einer
Partei einzuräumen sind, damit sie in einem Verfahren ihren Standpunkt wirksam
zur Geltung bringen kann (BGE 136 I 265 E. 3.2 mit Hinweisen). In der Literatur
zu Art. 59 Ziff. 4 aStGB wird verlangt, dass dem Betroffenen offen stehen müsse
zu beweisen oder mindestens glaubhaft zu machen, dass der Gesamtumfang nicht
der Schätzung entspricht, die der Richter vorzunehmen sich anschickt. Daraus
folge, dass dem Betroffenen vor Vornahme dieser Schätzung das rechtliche Gehör
zu gewähren sei (NIKLAUS SCHMID, Zu den neuen Bestimmungen des
Strafgesetzbuches in Art. 58 f., 260ter und 305ter Abs. 2, ZGRG 14/1995 S. 7
Ziff. 3.5 am Ende; FLORIAN BAUMANN, a.a.O., Art. 59 N 36 am Ende).

Die Vorinstanz schätzte den ursprünglichen Wert der Liegenschaften und
berechnete daraus, ab welchem Betrag der Verwertungserlös dem Beschwerdeführer
herauszugeben sei, ohne ihn vorgängig anzuhören. Damit verletzte sie dessen
Anspruch auf rechtliches Gehör, zumal er in der Berufung verlangt hatte, soweit
der ursprüngliche Wert der Liegenschaft geschätzt werden sollte, sei ihm nach
Massgabe des rechtlichen Gehörs die Möglichkeit einzuräumen, zur Person des
Schätzers wie auch zum Ergebnis der Schätzung Stellung zu nehmen (kantonale
Akten, act. 340). Deshalb ist der angefochtene Entscheid aufzuheben und zur
Gewährung des rechtlichen Gehörs an die Vorinstanz zurückzuweisen.

3.
Im Sinne der Prozessökonomie drängt es sich auf, zu einigen umstrittenen
Punkten Stellung zu nehmen:

3.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe wertvermehrende Investitionen
vorgenommen. Für diesen Fall sei mit NIKLAUS SCHMID (Kommentar Einziehung,
Organisiertes Verbrechen, Geldwäscherei, Band 1, 2. Auflage, S. 138 N 63) davon
auszugehen, dass die Sache weiterhin einziehbar sei, aber an sich nur im Umfang
des Wertes im Zeitpunkt der einziehungsbegründenden Tatsache. In einem solchen
Fall sei dem Betroffenen die Möglichkeit einzuräumen, gegen Entrichtung dieses
Wertes die Sache auszulösen. Wenn von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht
werde, sei das Einziehungsobjekt zu verwerten, wobei der massgebliche Wert
einzuziehen und der verbleibende Rest dem Betroffenen auszuhändigen sei.

Eine solche Lösung wäre stossend, wenn die wertvermehrende Investition im
Verhältnis zum einziehbaren Wert verschwindend klein ist. Denn so würde sich
das strafbare Verhalten für den Täter lohnen, indem er (zwar gegen Bezahlung
des Wertes der Sache) immerhin Eigentümer einer ihm nicht zustehenden Sache
würde. Um diesen ungerechtfertigten Vorteil auszugleichen, ist es sachgerecht,
den Betroffenen die Sache erst auslösen zu lassen, wenn die wertvermehrenden
Investitionen deutlich grösser sind als der Wert der einziehbaren Quote. Diesen
Entscheid beurteilt der Richter nach seinem Ermessen und nach dem Grundsatz der
Verhältnismässigkeit.

3.2 Der Beschwerdeführer bestreitet, dass vom Verwertungserlös dem Staat der
Wert der Grundstücke im Zeitpunkt des deliktischen Erwerbs zuzüglich der
allgemeinen Wertsteigerung zufalle.

Es trifft zwar zu, dass das Bundesgericht für die Festsetzung des
unrechtmässigen Vermögensvorteils auf den Zeitpunkt der deliktischen Handlung
und nicht auf denjenigen des Urteils abgestellt hat (BGE 100 IV 104 E. 4, 263
E. 4; 103 IV 142). Diese Entscheide ergingen jedoch gestützt auf Art. 24
aBetmG. Zudem waren Sachverhalte zu beurteilen, bei welchen Gewinne aus dem
Betäubungsmittelhandel im Zeitpunkt des Urteils nicht mehr bzw. nur noch
teilweise vorhanden waren. Diese Sachverhalte sind mit dem hier zu
beurteilenden nicht vergleichbar.

NIKLAUS SCHMID (a.a.O., S. 102 N 21) bezeichnet gestützt auf die zitierten
Bundesgerichtsentscheide im Regelfall den Zeitpunkt des Delikts als
massgeblich, fügt jedoch an, diese Regel bedürfe in einzelnen Konstellationen
(etwa bei Erträgnissen des Deliktserlöses oder Vermischungen und ähnlichen
Sachverhalten) gewisser Nuancierungen. FLORIAN BAUMANN (a.a.O., Art. 59 N 34)
hält dafür, den unrechtmässigen Vorteil anhand der im Zeitpunkt des
Einziehungsurteils vorliegenden Fakten und unter Berücksichtigung allenfalls
noch zu erwartender Vorteile zu beurteilen, weil Deliktsvorteile und Erträge
auf diesen auch nach Beendigung der Tat über längere Zeiträume kontinuierlich
anfallen können (z.B. Zinsen, Mieteinnahmen etc.).
Das unbestrittene Gebot "strafbares Verhalten soll sich nicht lohnen"
erheischt, dass auch Wertsteigerungen und Erträge von unrechtmässigen
Vermögensvorteilen der Einziehung unterliegen. Bei Vermischungen mit
rechtmässigen Vermögensbestandteilen ist die deliktische Quote einzuziehen.

3.3 Die Vorinstanz ist bei der Einziehung - abgesehen davon, dass sie den
Beschwerdeführer nicht vorgängig anhörte (E. 2) - korrekt vorgegangen:
Sie schätzte den Wert der Immobilien im Zeitpunkt, als sie ins Eigentum des
Beschwerdeführers übergingen. Dabei verzichtete sie zu Recht darauf, einen
Gutachter beizuziehen, weil sich dieser im Wesentlichen auf dieselben
Informationen hätte stützen müssen, die aktenmässig vorlagen. Zutreffend
beurteilte sie auch, dass Gelder (inklusive die Kapitalleistungen aus den
Säulen 3a und 3b), die bis zur Konkurseröffnung über die S.________
Architekturbüro AG über das Konto "Ordinario" flossen, nicht dem
Beschwerdeführer persönlich zustanden.

Die Vorinstanz hat die allgemeine Wertsteigerung der Grundstücke seit der
Eigentumsübertragung in die Einziehung aufgenommen. Das ist nicht zu
beanstanden. Im Rahmen der deliktischen Quote kann sie auch den Eigenmietwert
für den entsprechenden Zeitraum einziehen, soweit sich dies als
verhältnismässig erweist (E. 3.2).

4.
Der Beschwerdeführer wendet sich einzig gegen die Einziehung, nicht aber gegen
die vorinstanzlichen Schuldsprüche. Soweit er vorbringt, er habe die
Liegenschaften rechtmässig erworben, ist darauf nicht einzutreten. Dasselbe
gilt für seine Privateingabe, worin er seine Sicht der Dinge schildert, ohne
sich jedoch mit den vorinstanzlichen Erwägungen auseinanderzusetzen.

5.
Die Beschwerde ist, soweit darauf einzutreten ist, teilweise gutzuheissen.
Entsprechend hat der Beschwerdeführer reduzierte Gerichtskosten zu tragen und
vom Kanton Schaffhausen eine reduzierte Entschädigung zugut (Art. 66 und 68 je
Abs. 1 BGG).

Im Lichte der Erwägung 3 sind alle Eventualanträge des Beschwerdeführers
abzuweisen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, teilweise gutgeheissen. Das
Urteil des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 10. Februar 2012 wird
aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen zu neuer Entscheidung an die
Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Der Kanton Schaffhausen hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. Oktober 2012

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Borner