Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.116/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_116/2012
6B_117/2012

Urteil vom 30. März 2012
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
nebenamtlicher Bundesrichter Rüedi,
Gerichtsschreiberin Unseld.

Verfahrensbeteiligte
6B_116/2012
X.A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt André Kuhn,
Beschwerdeführer,

und

6B_117/2012
X.B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt André Kuhn,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 12,
Wielandhaus, 5001 Aarau,
2. A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Serge Flury,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Versuchte schwere Körperverletzung, Angriff; Strafzumessung,

Beschwerden gegen die Urteile des Obergerichts des Kantons Aargau,
Strafgericht, 2. Kammer, vom 8. Dezember 2011.

Sachverhalt:

A.
B.________ schlug am 17. Januar 2010 mit dem Griff einer Pistole mehrmals auf
den Kopf von A.________ ein, während die Brüder X.A.________ und X.B.________
diesen an den Armen festhielten. A.________ erlitt einen Nasenbeinbruch, eine
Zahnfraktur und mehrere Rissquetschwunden am Schädel.

B.
Das zuständige Bezirksamt verurteilte X.A.________ und X.B.________ am 17.
November 2010 wegen Angriffs je zu einer bedingten Geldstrafe von 150
Tagessätzen zu Fr. 100.--. Gegen diese Strafbefehle erhoben X.A.________ und
X.B.________ Einsprache.

C.
Der Präsident des Bezirksgerichts Zurzach sprach X.A.________ und X.B.________
am 14. Februar 2011 frei. Auf Berufung von A.________ verurteilte das
Obergericht des Kantons Aargau X.A.________ und X.B.________ am 8. Dezember
2011 wegen versuchter schwerer Körperverletzung und Angriffs je zu einer
bedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten bei einer Probezeit von 2 Jahren.

D.
X.A.________ und X.B.________ führen je Beschwerde in Strafsachen beim
Bundesgericht mit dem Antrag, sie seien nur wegen Gehilfenschaft zu versuchter
schwerer Körperverletzung und Angriff zu verurteilen und milder zu bestrafen.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgericht vereinigt mehrere Verfahren, wenn sie in einem engen
sachlichen Zusammenhang stehen und die gleichen Parteien und Rechtsfragen
betreffen (vgl. BGE 126 V 283 E. 1). Diese Voraussetzungen sind vorliegend
erfüllt.

2.
2.1 Die Beschwerdeführer rügen, die Vorinstanz habe sie in unrichtiger
Anwendung von Art. 25 StGB als Mittäter statt als Gehilfen qualifiziert.
B.________ habe die Tat schon vollendet gehabt, als sie den Entschluss gefasst
hätten, in das Geschehen einzugreifen (Beschwerden Rz. 12 ff.).

2.2 Die Vorinstanz führt aus, B.________ habe mit dem Griff einer Pistole fünf-
bis siebenmal auf den Kopf des Privatklägers eingeschlagen, während die
Beschwerdeführer diesen von hinten an beiden Armen festhielten, so dass er sich
nicht zur Wehr setzen konnte. Der Beitrag aller beschuldigten Personen sei für
das Delikt wesentlich gewesen, weshalb sie alle als Mittäter zu betrachten
seien (Entscheide S. 10 f. Ziff. 4.3).

2.3 Nach der Rechtsprechung ist Mittäter, wer bei der Entschliessung, Planung
oder Ausführung eines Deliktes vorsätzlich und in massgebender Weise mit
anderen Tätern zusammenwirkt, so dass er als Hauptbeteiligter dasteht. Dabei
kommt es darauf an, ob der Tatbeitrag nach den Umständen des konkreten Falles
und dem Tatplan für die Ausführung des Deliktes so wesentlich ist, dass sie mit
ihm steht oder fällt. Das blosse Wollen der Tat, der subjektive Wille allein
genügt zur Begründung von Mittäterschaft jedoch nicht. Der Mittäter muss
vielmehr bei der Entschliessung, Planung oder Ausführung der Tat tatsächlich
mitwirken. Mittäterschaft setzt unter anderem einen gemeinsamen Tatentschluss
voraus, wobei dieser nicht ausdrücklich bekundet werden muss. Es genügt, wenn
er konkludent zum Ausdruck kommt. Nicht erforderlich ist, dass der Mittäter bei
der Entschlussfassung mitwirkt, sondern es reicht aus, dass er sich später den
Vorsatz seiner Mittäter aneignet. Wenn die Rechtsprechung angenommen hat,
Mittäterschaft könne auch darin liegen, dass einer der Teilnehmer massgeblich
bei der Entschliessung oder Planung des Deliktes mitgewirkt hat, so darf daraus
nicht geschlossen werden, Mittäterschaft sei ausschliesslich möglich, wenn die
Tat im Voraus geplant und aufgrund eines vorher gefassten gemeinsamen
Tatentschlusses ausgeführt wurde. Demgegenüber ist gemäss Art. 25 StGB als
Gehilfe strafbar, wer zu einem Verbrechen oder Vergehen lediglich vorsätzlich
Hilfe leistet (BGE 130 IV 58 E. 9.2.1; 125 IV 134 E. 3a; 120 IV 265 E. 2c/aa;
je mit Hinweisen).

2.4 Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann nur gerügt werden, wenn
sie willkürlich (Art. 9 BV) ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 134 IV 36 E. 1.4.1).
Es gelten erhöhte Begründungsanforderungen (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 137 IV 1
E. 4.2.3; 136 II 489 E. 2.8; je mit Hinweisen).
Soweit die Beschwerdeführer geltend machen, sie hätten erst nach der
vollendeten Tat in das Geschehen eingegriffen, weichen sie von der
vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung ab. Darauf ist nicht einzutreten, da
die Beschwerdeführer nicht dartun, weshalb die Beweiswürdigung der Vorinstanz
offensichtlich unhaltbar und damit willkürlich sein soll (Art. 105 Abs. 1 BGG).

2.5 Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hinderten die
Beschwerdeführer den Privatkläger daran, seine Hände schützend vor den Kopf zu
halten. Gerade deshalb war es B.________ möglich, fünf- bis siebenmal auf den
ungeschützten Kopf des wehrlosen Privatklägers einzuschlagen und den Tatbestand
der versuchten schweren Körperverletzung zu verwirklichen (Entscheide S. 7
Ziff. 3.4, S. 12 Ziff. 6.2). Die Vorinstanz qualifiziert die Beschwerdeführer
daher zu Recht als Mittäter. Eine Verletzung von Art. 25 StGB liegt nicht vor.

3.
Die Beschwerdeführer beanstanden die vorinstanzliche Strafzumessung.

3.1 Der neue Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches hat die bisher geltenden
Strafzumessungsgrundsätze in Art. 47 Abs. 1 StGB beibehalten (BGE 136 IV 55 E.
5.4 mit Hinweisen). Danach misst das Gericht die Strafe nach dem Verschulden
des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben, die persönlichen Verhältnisse
sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters. Die Bewertung des
Verschuldens wird in Art. 47 Abs. 2 StGB dahin gehend präzisiert, dass dieses
nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts,
nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters
sowie danach bestimmt wird, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren
Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden.
Es liegt im Ermessen des Gerichts, in welchem Umfang es die verschiedenen
Strafzumessungsfaktoren berücksichtigt. Es ist nicht gehalten, in Zahlen oder
Prozenten anzugeben, wie es die einzelnen Strafzumessungskriterien wertet (BGE
136 IV 55 E. 5.6; 127 IV 101 E. 2c). Das Bundesgericht greift auf Beschwerde in
Strafsachen hin nur in die Strafzumessung ein, wenn die Vorinstanz den
gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn sie von rechtlich
nicht massgebenden Kriterien ausgegangen ist oder wesentliche Gesichtspunkte
ausser Acht gelassen beziehungsweise in Überschreitung oder Missbrauch ihres
Ermessens falsch gewichtet hat (BGE 136 IV 55 E. 5.6; 134 IV 17 E. 2.1 mit
Hinweisen).

3.2 Die Vorinstanz legt den Strafrahmen in Übereinstimmung mit Art. 49 Abs. 1
StGB fest und führt zutreffend aus, dass der Versuch gemäss Art. 22 Abs. 1 StGB
im konkreten Fall innerhalb dieses Strafrahmens zu berücksichtigen ist
(Entscheide S. 11 Ziff. 5). Sie würdigt die Tat- und Täterkomponenten. Bei der
versuchten schweren Körperverletzung berücksichtigt sie das feige Verhalten der
Beschwerdeführer sowie die Gefahr für die Gesundheit des Privatklägers, welche
die Beschwerdeführer bewusst in Kauf nahmen. Die Beschwerdeführer offenbarten
gemäss der Vorinstanz ein massives Gewaltpotenzial und eine grosse kriminelle
Energie. Dass der Taterfolg nicht noch schlimmer ausfiel, sei alleine dem
Zufall zu verdanken. Zu beachten sei jedoch, dass der Privatkläger keine
schweren Körperverletzungen davontrug, was sich zugunsten der Beschwerdeführer
auswirke (Entscheide S. 12 Ziff. 6.2). Beim Angriff wertet die Vorinstanz das
skrupellose Vorgehen der Beschwerdeführer und den Umstand, dass diese sich aus
nichtigem Grund daran beteiligten (Entscheide S. 12 f. Ziff. 6.2). Sie trägt
den beruflichen, familiären und finanziellen Verhältnissen der Beschwerdeführer
Rechnung. Einsicht und Reue, die zu deren Gunsten hätten gewertet werden
können, verneint sie (Entscheide S. 13 Ziff. 6.3). Im Ergebnis geht sie von
einem mittelschweren bis schweren Verschulden aus (Entscheide S. 13 Ziff. 6.4).

3.3 Die Beschwerdeführer rügen, die Vorinstanz habe bei der schweren
Körperverletzung nicht berücksichtigt, dass es sich um einen Versuch handelte.
Die Strafzumessung sei bezüglich der Gewichtung des blossen Versuchs nicht
überprüfbar und verletze Art. 47 StGB sowie Art. 50 StGB (Beschwerden Rz. 16
ff.).
Dies trifft nicht zu. Der Strafrahmen der schweren Körperverletzung ist weit
gesteckt. Art. 122 StGB sieht Geldstrafe nicht unter 180 Tagessätzen oder
Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren vor. Die Vorinstanz musste das Verschulden
innerhalb des grossen Spektrums vergleichbarer Taten gewichten. Die konkreten
Tatumstände legen keinesfalls ein leichtes Verschulden nahe. Die Vorinstanz
durfte das Verschulden der Beschwerdeführer als mittelschwer bis schwer
einstufen. Die gestützt darauf festgesetzte Strafe von 16 Monaten liegt
innerhalb des richterlichen Ermessens. Die Vorinstanz berücksichtigt
hinreichend, dass es beim Versuch blieb. Sie prüft in einem ersten Schritt, ob
der Strafrahmen wegen des Versuchs zu unterschreiten ist (Entscheide S. 11
Ziff. 5). Sodann trägt sie bei der Strafzumessung innerhalb dieses Strafrahmens
dem Umstand Rechnung, dass der Privatkläger keine schweren Körperverletzungen
davontrug (Entscheide S. 12 Ziff. 6.2). Ihre Entscheide sind ausreichend
begründet. Die Gewichtung des Versuchs ergibt sich aus den angefochtenen
Urteilen.

3.4 Die Beschwerdeführer beanstanden, die Vorinstanz habe Art. 47 StGB
verletzt, indem sie keine besondere Strafempfindlichkeit angenommen habe. Weil
sie zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt worden seien,
liefen sie Gefahr, die Schweiz verlassen und in ein Land zurückkehren zu
müssen, in welchem sie keine Perspektiven hätten. Dies sei für sie und ihre
Familien verheerend. Die Ausbildung und die Zukunftschancen seien in der
Schweiz besser. Es sei notorisch, dass die Arbeitslosigkeit in Serbien hoch und
dort keine Arbeit zu finden sei (Beschwerden Rz. 19 ff.).
Nach Art. 62 lit. b sowie Art. 63 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes über die
Ausländerinnen und Ausländer vom 16. Dezember 2005 (SR 142.20) können
Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligungen widerrufen werden, wenn eine
ausländische Person zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt worden
ist. Dieser Widerrufsgrund liegt vor, wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als
einem Jahr ausgesprochen wurde (BGE 135 II 377 E. 4.2). Die zuständige Behörde
entzieht die Bewilligung nur, wenn die Interessenabwägung im Einzelfall dies
als verhältnismässig erscheinen lässt. Dabei berücksichtigt sie namentlich die
Schwere des Verschuldens, den Grad der Integration beziehungsweise die Dauer
der bisherigen Anwesenheit sowie die dem Betroffenen und seiner Familie
drohenden Nachteile (BGE 135 II 377 E. 4.3). Die ausländerrechtlichen Folgen,
welche die Beschwerdeführer allenfalls treffen könnten, drohen jeder
ausländischen Person, die zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr
verurteilt wurde. Sie führen nicht ohne weiteres zu einer Strafminderung
(Urteile 6B_829/2010 vom 28. Februar 2011 E. 5.4; 6B_892/2010 vom 22. Dezember
2010 E. 3.3 mit Hinweisen). Die Beschwerdeführer legen nicht dar, dass sie
wegen einer besonderen Strafempfindlichkeit ungleich schwerer getroffen werden
als andere ausländische Personen.

3.5 Die Rügen der Beschwerdeführer sind unbegründet. Die Vorinstanz nahm die
Strafzumessung korrekt vor. Verletzungen von Art. 47 StGB oder Art. 50 StGB
liegen nicht vor.

4.
Die Beschwerden sind abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei
diesem Ausgang tragen die Beschwerdeführer die Kosten des bundesgerichtlichen
Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verfahren 6B_116/2012 und 6B_117/2012 werden vereinigt.

2.
Die Beschwerden werden abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

3.
Den Beschwerdeführern werden Gerichtskosten in der Höhe von je Fr. 2'000.--
auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Strafgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. März 2012

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Die Gerichtsschreiberin: Unseld