Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.106/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_106/2012

Urteil vom 26. September 2012
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Schöbi,
Gerichtsschreiber Briw.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Rolf Bühler,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Staatsanwaltschaft des Kantons Nidwalden, Kreuzstrasse 2, 6371 Stans,
2. Y.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Viktor Rüegg,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Üble Nachrede,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Nidwalden, Strafabteilung, vom 15. Juni 2011.

Sachverhalt:

A.
Y.________ warf X.________ in einer Strafklage vor, am 26. November 2007 um ca.
14.15 Uhr auf dem Vorplatz eines Wohn- und Geschäftshauses in seiner
Anwesenheit gegenüber A.________ und B.________ geäussert zu haben, er
(Y.________) sei "in die Attikawohnung von Frau C.________ eingedrungen"
(Anklageschrift der Staatsanwaltschaft des Kantons Nidwalden vom 24. Februar
2010, Ziff. 2.1.5). Die Staatsanwaltschaft beantragte in der Folge, X.________
wegen übler Nachrede im Sinne von Art. 173 Ziff. 1 Abs. 1 StGB (sowie wegen
einer vorliegend nicht mehr relevanten fahrlässigen Verkehrsregelverletzung) zu
bestrafen, weil er Y.________ am 26. November 2007 gegenüber zwei Drittpersonen
des Hausfriedensbruchs und damit einer ehrenrührigen Handlung beschuldigt habe.

B.
Das Kantonsgericht des Kantons Nidwalden sprach X.________ am 15. Juni 2010 vom
Vorwurf der üblen Nachrede frei. Zur Begründung des Freispruchs führte es unter
Berufung auf den Grundsatz "cogitationis poenam nemo patitur" (Ulpian, D.
48,19,18; Gedanken sind straffrei bzw. "Fürs Denken darf man niemanden henken")
aus, X.________ habe bei der verhörrichterlichen Einvernahme am 24. Oktober
2008 (lediglich) eingestanden, dass er Y.________ des Hausfriedensbruchs
bezichtigen wollte. Das besage nicht, dass er die Aussage wirklich machte.
Damit verblieben erhebliche Zweifel, ob sich der Sachverhalt tatsächlich so
zugetragen habe, wie Y.________ behaupte.

Das Obergericht des Kantons Nidwalden hiess am 15. Juni 2011 die Appellation
von Y.________ gut und sprach X.________ der üblen Nachrede im Sinne von Art.
173 Ziff. 1 Abs. 1 StGB schuldig. Es bestrafte ihn (unter Berücksichtigung des
kantonsgerichtlichen Schuldspruchs wegen fahrlässiger Verkehrsregelverletzung)
mit einer Geldstrafe von 5 Tagessätzen zu Fr. 65.-- als Zusatzstrafe zu
mehreren Strafurteilen und verpflichtete ihn zur Zahlung einer Genugtuung von
Fr. 300.-- an Y.________.

C.
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das
obergerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen oder ihn eventualiter vom Vorwurf der üblen Nachrede
freizusprechen.
Die Vorinstanz und die Staatsanwaltschaft des Kantons Nidwalden verzichten auf
Vernehmlassung. Der Beschwerdegegner beantragt die Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.
Verfahrensgegenstand ist das Geschehen am 26. November 2007 in Gegenwart zweier
Zeugen. Ob das Hausverbot zu Recht bestand, ist unerheblich. Soweit der
Beschwerdeführer bemängelt, dass Frau C.________ kein weiteres Mal befragt
wurde, fehlt es an einer genügenden Begründung. Die Beurteilung der
Glaubhaftigkeit von Aussagen ist Sache des Gerichts. Das Erfordernis einer
Begutachtung ist weder ersichtlich noch hinreichend begründet. Darauf ist nicht
einzutreten (Art. 42 Abs. 2 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG).

2.
Der Beschwerdeführer macht eine aktenwidrige Beweiswürdigung geltend. Am 24.
Oktober 2008 habe er vor dem Verhörrichter ausgesagt, dass er am 26. November
2007 lediglich die Aussage des Beschwerdegegners wiederholte, er [dieser] sei
in der Wohnung von Frau C.________ gewesen. Er habe dazu bemerkt, dass der
Beschwerdegegner diese Wohnung nicht ohne sein Einverständnis als Eigentümer
hätte betreten dürfen. Daraus lasse sich keine ehrenrührige Äusserung
konstruieren. Es sei nicht erstellt, dass er den Beschwerdegegner des
Hausfriedensbruchs bezichtigte. Diese Aussage müsste gegenüber Dritten gemacht
werden. Die beiden Zeugen könnten sich aber nicht daran erinnern. Auch das Wort
"eingedrungen" werde von niemandem bestätigt.

3.
3.1 Die Vorinstanz führt aus, die Erstinstanz lasse bei der verhörrichterlichen
Einvernahme vom 24. Oktober 2008 ausser Betracht, dass der Beschwerdeführer auf
Vorhalt der ihm zur Last gelegten Äusserung eingestanden habe: "Ich habe im
Gespräch lediglich seine Aussage [die Aussage des Beschwerdegegners]
wiederholt, wonach er selber gesagt hatte, er sei in dieser Wohnung von Frau
C.________ gewesen. Ich habe dann lediglich dazu bemerkt, dass er diese Wohnung
nicht ohne mein Einverständnis als Eigentümer habe betreten dürfen." Vor diesem
Hintergrund erweise sich die erstinstanzliche These als aktenwidrig, der
Beschwerdeführer habe den Beschwerdegegner des Hausfriedensbruchs bezichtigen
wollen, und das sage noch nichts über eine tatsächliche Äusserung aus. Die
Erstinstanz lege eine aktenwidrige tatsächliche Annahme zugrunde (angefochtenes
Urteil S. 8).

3.2 Die Vorinstanz würdigt die Einvernahme der Zeugin C.________ mit dem
Ergebnis, dieser lasse sich entnehmen, dass der Beschwerdegegner die Wohnung
nach Voranmeldung und mit ihrer Zustimmung betreten habe (angefochtenes Urteil
S. 12). Wann der Beschwerdegegner ihre Wohnung betrat, konnte die Zeugin nicht
darlegen. Sie äussert sich zum fraglichen Hausverbot, nicht aber zum Vorkommnis
vom 26. November 2007.

3.3 Die Vorinstanz hält fest, der Zeuge A.________ wisse nicht, ob der
Beschwerdeführer dem Beschwerdegegner sagte, er habe ein Hausverbot missachtet.
Der Beschwerdeführer habe dem Beschwerdegegner vorgeworfen, eine vermietete
Wohnung betreten zu haben. Ob er das Wort "eingedrungen" verwendet habe, wisse
er nicht mehr. Nach der Vorinstanz lassen sich aus diesen Zeugenaussagen
schlüssige Erkenntnisse entnehmen. Der Zeuge bestätige, der Beschwerdeführer
habe sinngemäss gesagt, der Beschwerdegegner habe eine vom Beschwerdeführer
vermietete Wohnung betreten, obwohl er mit einem Hausverbot belegt worden sei
(angefochtenes Urteil S. 13).

3.4 Die Vorinstanz führt aus, der Zeuge B.________ erinnere sich nicht mehr an
den konkreten Wortlaut der damaligen Gespräche, auch nicht, ob der
Beschwerdeführer dem Beschwerdegegner ein unrechtmässiges oder unerlaubtes
Betreten der Wohnung vorgeworfen habe. Trotz Erinnerungslücken würden seine
Aussagen Wesentliches zur Sachverhaltsfeststellung beitragen. Denn er könne
sich zumindest daran erinnern, dass der Beschwerdeführer irgendetwas gesagt
habe, worauf der Beschwerdegegner ihn aufgefordert habe, dies aufzuschreiben,
weil er diesbezüglich vor Gericht gehen wolle (angefochtenes Urteil S. 13 f.).

3.5 Schliesslich setzt sich die Vorinstanz mit der Glaubhaftigkeit der Aussagen
des Beschwerdegegners auseinander und kommt zum Schluss, dass auf dessen
Aussagen abzustellen sei (angefochtenes Urteil S. 17). Zwischen den Parteien
bestehe ein jahrelanger Streit, und sie seien verfeindet (angefochtenes Urteil
S. 15).

3.6 Die Vorinstanz stützt ihren Schuldspruch auf das Beweisergebnis, der
Beschwerdeführer habe den Beschwerdegegner "beschuldigt, in die von der Zeugin
C.________ bewohnte Wohnung trotz eines Hausverbotes eingedrungen zu sein bzw.
diese betreten zu haben" (angefochtenes Urteil S. 20).

Diese Feststellung lässt sich nicht auf die vorinstanzlich erwähnten
Zeugenaussagen stützen. Die Zeugin C.________ kann keine Aussagen zum Gespräch
vom 26. November 2007 machen (oben E. 3.2). Der Zeuge A.________ vermag sich
nur "sinngemäss" an eine Aussage des Beschwerdeführers zu erinnern (oben E.
3.3). Der Zeuge B.________ erinnert sich nicht an den "konkreten Wortlaut" des
Gesprächs (oben E. 3.4). Es bleiben einzig die Aussagen des Beschwerdeführers
("bemerkt, dass er diese Wohnung nicht ohne mein Einverständnis als Eigentümer
habe betreten dürfen") und des Beschwerdegegners (Vorwurf, "er sei in die
Wohnung eingedrungen"). An die Äusserung "eingedrungen" kann sich kein Zeuge
erinnern.

4.
Gemäss Art. 173 Ziff. 1 Abs. 1 StGB ist in der hier relevanten
Tatbestandsvariante strafbar, "wer jemanden bei einem andern eines
unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf
zu schädigen, beschuldigt". Es handelt sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt
(BGE 103 IV 22 E. 7). Der Erfolg setzt die Kenntnisnahme der (ehrenrührigen)
Äusserung durch Dritte voraus. Sobald der Dritte die Äusserung vernommen hat,
ist die Tat vollendet (BGE 102 IV 35 E. 2b). Die Ehrenrührigkeit ist aufgrund
einer objektiven Interpretation nach dem Sinn, den ein unbeteiligter Dritter
einer Äusserung unter den konkreten Umständen zuschreiben muss, zu beurteilen (
BGE 119 IV 44 E. 2a). Voraussetzung dieser Beurteilung ist die Feststellung des
tatsächlichen Wortlauts der Äusserung, den ein Dritter zur Kenntnis nahm.

Die Vorinstanz nimmt an, die eingeklagte Äusserung sei gegenüber dem
Beschwerdegegner und den Zeugen A.________ und B.________ gemacht worden. Damit
sei das Erfordernis der Drittkundgabe erfüllt. Dies sei zumindest beim Zeugen
A.________ der Fall (angefochtenes Urteil S. 20).

Das Tatbestandsmerkmal "bei einem andern" kann einzig die am 26. November 2007
auf dem Vorplatz anwesenden zwei Zeugen betreffen. Wie der Beschwerdeführer
vorbringt, bestätigen die Zeugen die vom Beschwerdegegner behauptete Äusserung
nicht. Sie erinnern sich nicht an den Wortlaut des Gesprächs. Erhielten die
Zeugen keine beweismässig verwertbare Kenntnis von der behaupteten Äusserung,
fehlt es an einer Äusserung gegenüber "andern". Eine versuchte
Tatbestandserfüllung wird dem Beschwerdeführer nicht vorgeworfen.

Damit kann offenbleiben, wie die behaupteten Äusserungen (oben E. 3.6) als
solche gemäss Art. 173 StGB zu beurteilen wären.

5.
Die Beschwerde ist gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist, und das
angefochtene Urteil aufzuheben. Die Sache ist zu neuer Beurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Der Beschwerdegegner unterliegt mit seinem
Vernehmlassungsantrag. Er hat die Kosten vor Bundesgericht zu tragen (Art. 66
Abs. 1 BGG) und den Beschwerdeführer zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, das Urteil des
Obergerichts des Kantons Nidwalden vom 15. Juni 2011 wird aufgehoben und die
Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3.
Der Beschwerdegegner hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Nidwalden,
Strafabteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. September 2012

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Briw