Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.105/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_105/2012

Urteil vom 14. Mai 2012
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Denys,
Gerichtsschreiber Adamczyk.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Zürcherstrasse 323, 8510
Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Grobe Verletzung der Verkehrsregeln; rechtliches Gehör,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
des Kantons Thurgau vom 12. Dezember 2011.

Sachverhalt:

A.
X.________ überholte am 15. Juli 2011 um 11.02 Uhr in Frauenfeld auf der
Hauptstrasse H466, von Matzingen herkommend in Fahrtrichtung Frauenfeld, mit
seinem Motorrad einen vor ihm fahrenden Lieferwagen und überschritt dabei die
allgemeine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h ausserorts um 59 km/h nach Abzug
der Messtoleranz.

B.
Das Obergericht des Kantons Thurgau verurteilte X.________ am 12. Dezember 2011
in Bestätigung des Urteils des Bezirksgerichtes Frauenfeld vom 11. Oktober 2011
wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln (in Anwendung von Art. 90 Ziff. 2
SVG in Verbindung mit Art. 27 Abs. 1 SVG sowie Art. 4a Abs. 1 lit. b und Abs. 3
VRV) zu einer bedingten Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu Fr. 120.-- bei einer
Probezeit von zwei Jahren und zu einer Busse von Fr. 1'500.--.

C.
Gegen dieses Urteil führt X.________ Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt
sinngemäss die Aufhebung des Entscheids und seine Freisprechung.

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer wirft der ersten Instanz und der Vorinstanz vor, er sei
innerhalb nur weniger Minuten "abgefertigt" worden. Die Richter der Vorinstanz
hätten "müde und interessenlos" agiert und ihm keine Fragen gestellt. Er sei
sich vorgekommen, als hätte er "mit den Wänden geredet". Auf diese Weise habe
sich die Vorinstanz von den konkreten Umständen kein richtiges Bild machen
können (Beschwerde, S. 3). Der Beschwerdeführer rügt somit sinngemäss eine
Verletzung des verfassungsmässigen Anspruchs auf Gewährung des rechtlichen
Gehörs gemäss Art. 29 Abs. 2 BV.

1.1 Das rechtliche Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV dient einerseits der
Sachaufklärung, andererseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes
Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheides dar, welcher in die
Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu gehört insbesondere das Recht des
Betroffenen, sich vor einem solchen Entscheid zur Sache zu äussern und angehört
zu werden (BGE 135 II 286 E. 5.1 S. 293 mit Hinweisen).

1.2 Der Beschwerdeführer machte an den Verhandlungen sowohl vor der ersten
Instanz als auch vor der Vorinstanz von der Möglichkeit Gebrauch, sich zum
Tatvorwurf zu äussern. Insbesondere anlässlich seines Parteivortrages vor der
Vorinstanz legte er seinen Standpunkt zu den seines Erachtens sich stellenden
Fragen ausführlich dar. Wenn die Richter der Vorinstanz - welchen zudem eine
schriftliche Einsprachebegründung gegen den Strafbefehl sowie zwei Eingaben
gegen das Urteil der ersten Instanz vorlagen - dem Beschwerdeführer darüber
hinaus keine zusätzlichen Fragen mehr stellten, kann darin keine Verletzung des
Anspruchs auf rechtliches Gehör gesehen werden. Im Übrigen macht der
Beschwerdeführer nicht geltend, er habe sich nicht ungehindert äussern können.
Die Rüge ist unbegründet.

2.
Die Beschwerde richtet sich gegen die Qualifizierung der
Geschwindigkeitsüberschreitung als grobe Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90
Ziff. 2 SVG).

2.1 Gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder
Geldstrafe bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine
ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. Der
Tatbestand ist objektiv erfüllt, wenn der Täter eine wichtige
Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die
Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet. Wer die zulässige Höchstgeschwindigkeit
ausserorts von 80 km/h um 30 km/h oder mehr überschreitet, begeht ungeachtet
der konkreten Umstände objektiv eine schwere Verkehrsregelverletzung (BGE 124
II 259 E. 2c S. 263 mit Hinweis). In subjektiver Hinsicht wird nach der
Rechtsprechung ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend verkehrswidriges
Verhalten gefordert, d. h. ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln
mindestens grobe Fahrlässigkeit. Diese ist zu bejahen, wenn der Täter sich der
allgemeinen Gefährlichkeit seiner verkehrswidrigen Fahrweise bewusst ist. Grobe
Fahrlässigkeit kann aber auch vorliegen, wenn der Täter die Gefährdung anderer
Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht gezogen, also unbewusst
fahrlässig gehandelt hat. In solchen Fällen ist grobe Fahrlässigkeit zu
bejahen, wenn das Nichtbedenken der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auf
Rücksichtslosigkeit beruht. Rücksichtslos ist unter anderem ein bedenkenloses
Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern. Dieses kann auch in einem blossen
(momentanen) Nichtbedenken der Gefährdung fremder Interessen bestehen (BGE 131
IV 133 E. 3.2 S. 136 mit Hinweisen). Je schwerer die Verkehrsregelverletzung
objektiv wiegt, desto eher wird die Rücksichtslosigkeit zu bejahen sein, soweit
nicht besondere Indizien dagegen sprechen (Urteil 6B_703/2007 vom 6. Februar
2008 E. 6.3).

2.2 Der Beschwerdeführer rügt, er habe nicht in rücksichtsloser,
grobfahrlässiger Weise im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG gehandelt. Zur
Begründung macht er im Wesentlichen geltend, er habe bei seinem Überholmanöver
weder Gefährdungen anderer Verkehrsteilnehmer in Kauf genommen noch stelle
seine Geschwindigkeitsüberschreitung ein bewusst rücksichtsloses Schnellfahren
dar. Er habe sich vor Beginn seines Überholmanövers vollständig und nach allen
Seiten hin vergewissert, dass keine Gefahren bestünden. Die Strasse sei frei
gewesen, und es habe weder Hindernisse noch Gegenverkehr gegeben. Sein zu
schnelles Fahren sei ein Fehler im Trubel des Überholens gewesen. Er habe sein
Motorrad unbewusst und unkontrolliert zu stark beschleunigt. Der dabei -
allerdings nur kurzzeitig - erreichte Spitzenwert von 143 km/h sei wirklich
hoch gewesen. Sein alleiniges Ziel sei das Überholen gewesen.

2.3 Die Geschwindigkeitsüberschreitung erfüllt objektiv klarerweise den
qualifizierten Tatbestand der groben Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von
Art. 90 Ziff. 2 SVG (vgl. E. 2.1 vorstehend). In subjektiver Hinsicht ist davon
auszugehen, dass in aller Regel vorsätzlich oder mindestens grobfahrlässig
handelt, wer die Höchstgeschwindigkeit in derart massiver Weise überschreitet
(BGE 123 II 37 E. 1f S. 41; 121 IV 230 E. 2c S. 234; Urteile 6B_283/2011 vom 3.
November 2011 E. 1.2; 6S.99/2004 vom 25. August 2004 E. 2.3). Wohl mögen für
den Beschwerdeführer auf den ersten Blick keine offensichtlichen
Gefahrenquellen im Hinblick auf sein beabsichtigtes Überholen erkennbar gewesen
sein. Bei derart hohen Überholgeschwindigkeiten - auch wenn sie nur kurz
andauern - bestehen jedoch praktisch keine angemessenen Reaktionsmöglichkeiten
mehr für den Fall unvorhergesehener Ereignisse, etwa bei einem überraschenden
Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer. Vorliegend befanden sich während der
Geschwindigkeitsüberschreitung des Beschwerdeführers zwei weitere Fahrzeuge in
dessen unmittelbarer Nähe, nämlich der während der Geschwindigkeitsmessung
überholte Lieferwagen und ein weiter vorausfahrender Personenwagen, der in der
Folge vom Beschwerdeführer ebenfalls überholt wurde (vgl. Akten der ersten
Instanz, act. 6). Bei einem unvorhergesehenen Verhalten der Lenker dieser
Fahrzeuge wäre es dem Beschwerdeführer angesichts seiner massiven
Geschwindigkeitsüberschreitung nahezu unmöglich gewesen, richtig zu reagieren,
und es hätte die hohe Wahrscheinlichkeit von gravierenden Personen- oder
Sachschäden bestanden. Auch ein Fehlverhalten des Beschwerdeführers selber
während seines Überholmanövers hätte für die weiteren Verkehrsteilnehmer
erhebliche Folgen haben können. Dass der Beschwerdeführer diese Gefahrenlage
gerade als langjährig erfahrener und gemäss seiner Darstellung sonst auf
Sicherheit bedachter Strassenverkehrsteilnehmer in der konkreten Situation
kurzfristig nicht in seine Überlegungen miteinbezog, stellt ein schweres
Verschulden dar, womit der subjektive Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG
erfüllt ist.

2.4 Zusammenfassend ergibt sich, dass der Schuldspruch wegen grober Verletzung
der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG nicht gegen Bundesrecht
verstösst.

3.
Der Beschwerdeführer wendet sich sinngemäss gegen die Strafzumessung. Es sei
"eine Schande zu behaupten", dass sein Vorleben, die persönlichen Verhältnisse
sowie die Wirkung der Strafe auf sein Leben berücksichtigt worden seien
(Beschwerde, S. 6).

3.1 Das Gericht misst die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es
berücksichtigt das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung
der Strafe auf das Leben des Täters (Art. 47 Abs. 1 StGB). Das Verschulden wird
nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts,
nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters
sowie danach bestimmt, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren
Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden (Art. 47
Abs. 2 StGB). Im Rahmen der Strafzumessung steht dem urteilenden Gericht bei
der Gewichtung der einzelnen Komponenten ein erheblicher Spielraum des
Ermessens zu. Die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts greift in diesen
auf Beschwerde in Strafsachen u. a. nur ein, wenn das vorinstanzliche Gericht
von rechtlich nicht massgebenden Gesichtspunkten ausgegangen ist oder wenn es
wesentliche Komponenten ausser Acht gelassen bzw. in Überschreitung oder
Missbrauch seines Ermessens falsch gewichtet hat (BGE 135 IV 130 E. 5.3.1 S.
134 f.; 134 IV 17 E. 2.1 S. 19 f.; je mit Hinweisen).

3.2 Die Vorinstanz hält zur Strafzumessung im Wesentlichen fest, das
Verschulden des Beschwerdeführers wiege schwer. Um ein Überholmanöver
durchzuführen, habe er die gesetzliche Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um
rechtlich relevante 59 km/h überschritten. Dabei habe er nicht nur sich selber,
sondern auch die übrigen Verkehrsteilnehmer und insbesondere den Gegenverkehr
in hohem Masse gefährdet, womit er grobfahrlässig gehandelt habe. Die erste
Instanz habe das Verhalten des Beschwerdeführers zu Recht als uneinsichtig
eingestuft, und es könne ihm nicht grundsätzlich eine gute Prognose gestellt
werden. Dies gelte umso mehr, als er vor der ersten Instanz zu Protokoll
gegeben habe, er würde in der gleichen Situation erneut überholen, jedoch auf
den Tacho achten, um mit maximal 90 km/h zu überholen. In der
Berufungserklärung habe der Beschwerdeführer versucht, sein Verhalten zu
rechtfertigen, woraus ersichtlich werde, dass er sich nach wie vor nicht
bewusst sei, welche Gefahr er für sich und die übrigen Verkehrsteilnehmer
geschaffen habe. Anlässlich der Berufungsverhandlung habe er zudem ausgeführt,
mit dem Motorrad sei man "schnell zu schnell". Er verkenne dabei gerade, dass
es seine Pflicht sei, sein Motorrad zu beherrschen und mit angepasster
Geschwindigkeit zu fahren. Mit einer erneuten Überschreitung der
Höchstgeschwindigkeit und neuem Fehlverhalten müsse daher gerechnet werden. In
Bezug auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers könne
vollumfänglich auf die Ausführungen der ersten Instanz verwiesen werden, welche
festhielt, dass er sich auf einen einwandfreien Leumund berufen könne. In
Anbetracht aller Umstände erschienen die verhängte Geldstrafe von 40
Tagessätzen zu Fr. 120.-- sowie die ausgesprochene Busse von Fr. 1'500.--
angemessen, wobei die erste Instanz eher milde gewesen sei.

3.3 Die Vorinstanz misst der vom Beschwerdeführer hervorgerufenen hohen
Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer (siehe E. 2.3 hievor) zu Recht ein
wesentliches Gewicht zu. Hinzu kommt, dass vom Beschwerdeführer gerade als
erfahrenem Strassenverkehrsteilnehmer erwartet werden muss, sein Motorrad auch
bei einem Überholmanöver so kontrolliert zu beschleunigen, dass er dabei die
Höchstgeschwindigkeit nicht überschreitet. Entgegen den Andeutungen in der
Beschwerde wirft die Vorinstanz dem Beschwerdeführer nicht vor, dass er ein
"Raser" sei. Dem Beschwerdeführer ist jedoch mit der Vorinstanz insofern
Uneinsichtigkeit anzulasten, als er sich der durch ihn geschaffenen Gefährdung
anderer Verkehrsteilnehmer nicht bewusst ist. Allerdings räumte der
Beschwerdeführer in seiner Berufungsschrift ein, dass ihm ein Fehler
unterlaufen sei, und dies tue ihm leid. Überholen berechtige ihn nicht zu
Geschwindigkeitsüberschreitungen. Er habe die Konsequenzen daraus gezogen und
seine Überholvorgänge geändert (Berufungsschrift vom 13. November 2011, S. 3).
Auch unter Berücksichtigung dieses zu seinen Gunsten sprechenden Umstandes, der
im angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich erwähnt wird, hält sich die
Vorinstanz bei der Strafzumessung im Rahmen des sachrichterlichen Ermessens.

Die Rüge ist unbegründet.

3.4 Der Beschwerdeführer rügt sinngemäss, die Strafe sei zu hoch ausgefallen.
Sein Einwand, dass er sich noch nie etwas habe zuschulden kommen lassen (vgl.
Akten der ersten Instanz, act. 38), wurde bei der Beurteilung berücksichtigt,
ob die Geldstrafe bedingt oder unbedingt auszusprechen sei. Bei der Festsetzung
der Strafe wirkt sich nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung die
Vorstrafenlosigkeit grundsätzlich neutral aus und führt deshalb nicht zu einer
Strafminderung (BGE 136 IV 1 E. 2.6 S. 2 ff. mit Hinweisen). Eine Ausnahme von
diesem Grundsatz ist vorliegend nicht ersichtlich.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die
Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. Mai 2012

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Adamczyk