Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.100/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_100/2012

Urteil vom 5. Juni 2012
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Schöbi,
Gerichtsschreiber C. Monn.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Advokat Dr. Stefan Suter,
Beschwerdeführerin,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, Postfach, 4001
Basel,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Diebstahl; Willkür,

Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt,
Ausschuss, vom 9. Dezember 2011.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
X.________ verstaute am 22. Mai 2009 im Migros Claramarkt in Basel 70 Artikel
im Gesamtwert von Fr. 300.-- in vier von ihr mitgebrachte Einkaufstaschen, die
sich in einem Einkaufswagen befanden. Den gefüllten Wagen steuerte sie an der
Kassenreihe im ersten Stock vorbei. Sie begab sich zum Lift und fuhr mit diesem
ins Parterre. Dort ging sie an einer weiteren Kasse vorbei und verliess das
Gebäude mit dem Einkaufswagen durch die Drehtüre. Draussen wurde sie durch zwei
Ladendetektivinnen angehalten. Gemäss ihren Angaben wollte sie beim Gemüsestand
der Migros, der sich ausserhalb des Gebäudes befindet, noch Gemüse kaufen und
den gesamten Einkauf bei der Aussenkasse bezahlen.

Das Appellationsgericht des Kantons Basel Stadt verurteilte X.________ am 9.
Dezember 2011 im Appellationsverfahren wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von
zehn Tagessätzen zu Fr. 60.--, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von
zwei Jahren, sowie zu einer Busse von Fr. 200.-- bzw. zwei Tagen
Ersatzfreiheitsstrafe.

X.________ führt Beschwerde beim Bundesgericht und beantragt, der Entscheid des
Appellationsgerichts sei aufzuheben. Sie sei freizusprechen.

2.
Die Beschwerdeführerin bestreitet den ihr vorgeworfenen Sachverhalt (Beschwerde
S. 2 Ziff. 2). Die Beweiswürdigung und die darauf beruhende Feststellung des
Sachverhalts können vor Bundesgericht nur angefochten werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG bzw. willkürlich im
Sinne von Art. 9 BV sind. Willkür liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid
offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem
Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass
verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE
137 I 1 E. 2.4). Die angebliche Willkür ist präzise zu rügen, und die Rüge ist
zu begründen (Art. 106 Abs. 2 BGG). Soweit sich die Beschwerde in Bezug auf den
Sachverhalt in weiten Teilen auf unzulässige appellatorische Kritik beschränkt,
ist darauf nicht einzutreten.

Die Vorinstanz geht nach einer ausführlichen Würdigung des Falles davon aus,
dass es sich bei der Angabe der Beschwerdeführerin, sie habe die Ware an der
Aussenkasse bezahlen wollen, um eine Schutzbehauptung handelt (angefochtener
Entscheid S. 7 E. 2.5.3). Dagegen wendet die Beschwerdeführerin vor
Bundesgericht ein, sie habe an der Aussenkasse bezahlen können und dies auch
gewollt (vgl. Beschwerde S. 2 Ziff. 3). Aus dem Umstand, dass an der
Aussenkasse bezahlt werden konnte, ergibt sich indessen nicht zwingend, dass
die Beschwerdeführerin dies auch beabsichtigte.

Die Vorinstanz stellt in diesem Zusammenhang fest, die Idee, nicht weniger als
70 Artikel an der Aussenkasse bezahlen zu wollen, obwohl dort die Abstellfläche
für eine derartige Warenmenge viel zu klein sei und eine effektive
Unterscheidung der bereits eingescannten und der noch nicht erfassten Artikel
deshalb praktisch nicht durchgeführt werden könne, sei lebensfremd. Nach
Angaben des Filialleiters sei es denn auch noch nie vorgekommen, dass jemand
eine derartige Warenmenge am Gemüsestand bezahlt habe (vgl. angefochtenen
Entscheid S. 6). Die von der Vorinstanz angeführten Umstände sprechen dagegen,
dass die Beschwerdeführerin an der Aussenkasse bezahlen wollte. Die Annahme der
Vorinstanz ist jedenfalls nicht willkürlich. Das Vorbringen der
Beschwerdeführerin, aus den Gegebenheiten bei der Aussenkasse dürfe nichts
hergeleitet werden, weil es sich dabei um "ein Problem von Migros" handle
(Beschwerde S. 4 Ziff. 10), geht an der Sache vorbei.

3.
Einen Diebstahl begeht, wer jemandem eine fremde bewegliche Sache zur Aneignung
wegnimmt, um sich oder einen anderen damit unrechtmässig zu bereichern (Art.
139 Ziff. 1 StGB). Wegnehmen ist Bruch fremden und Begründung neuen, meist
eigenen Gewahrsams. Dieser besteht in der tatsächlichen Sachherrschaft,
verbunden mit dem Willen, sie auszuüben. Bruch des Gewahrsams ist die Aufhebung
des fremden Gewahrsams gegen den Willen des bisherigen Inhabers. Ob der neue
Gewahrsam begründet worden ist, bestimmt sich nach den allgemeinen Anschauungen
und den Regeln des sozialen Lebens (BGE 132 IV 108 E. 2.1 mit Hinweisen).

Die Vorinstanz kommt zum Schluss, spätestens als die Beschwerdeführerin den mit
den vollen Einkaufstaschen gefüllten Einkaufswagen durch die Drehtür aus dem
Gebäude ins Freie hinaus gesteuert habe, sei nach den Regeln des sozialen
Lebens der Gewahrsamsbruch eingetreten und der Diebstahl vollendet gewesen
(angefochtener Entscheid S. 5). Demgegenüber macht die Beschwerdeführerin
geltend, das Durchschreiten der Drehtüre könne keinen Gewahrsamsbruch
darstellen, sofern man noch an einer Aussenkasse bezahlen könne (Beschwerde S.
2 Ziff. 4, S. 3 Ziff. 7 und 8).

Ob dies ausnahmsweise bei nur sehr wenigen Artikeln einmal bejaht werden kann,
muss im vorliegenden Fall nicht geprüft werden. Der Einwand dringt jedenfalls
nicht durch, wenn es - wie im vorliegenden Fall - um sehr viele Waren geht und
diese am Gemüsestand angesichts der konkreten Ausgestaltung der dortigen Kasse
gar nicht sinnvoll und effizient abgerechnet werden können. Es ist
offensichtlich, dass die Waren in solchen Fällen spätestens an der letzten
Innenkasse bezahlt werden müssen. Wer sie stattdessen in Einkaufstaschen
verstaut und durch eine Drehtüre nach draussen befördert, bricht den Gewahrsam
des Ladeninhabers gegen dessen Willen.

Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf
einzutreten ist. Mit dem Entscheid in der Sache ist das Gesuch um aufschiebende
Wirkung gegenstandslos geworden.

4.
Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt, Ausschuss, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 5. Juni 2012

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Monn