Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.75/2012
Zurück zum Index II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2012
Retour à l'indice II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2012


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_75/2012

Urteil vom 6. Februar 2012
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichter Marazzi, von Werdt,
Gerichtsschreiber Zbinden.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland, Poststrasse 25, 3072 Ostermundigen.

Gegenstand
Fürsorgerische Freiheitsentziehung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern,
Zivilabteilung, Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehung, vom 5.
Januar 2012.

Sachverhalt:

A.
A.a X.________ (geb. xxxx 1953) leidet an einer paranoiden Schizophrenie mit
Residuum, mit Negativsymptomatik und war deswegen seit 1992 mehrmals im Rahmen
fürsorgerischer Freiheitsentziehungen in Anstalten untergebracht. Zu der
beschriebenen Erkrankung gesellte sich ab 2004 ein die Behandlung mit Insulin
erheischender Diabetes mellitus mit multiplen Organfolgeschäden (Urteil 5A_716/
2008 vom 24. Oktober 2008 E. 2.2). Mit Urteil vom 19. August 2011 wies das
Bundesgericht letztmals eine Beschwerde der Betroffenen gegen die Verweigerung
der Entlassung ab (Urteil 5A_526/2011).

A.b Mit Verfügung vom 20. Dezember 2011 wies das Regierungsstatthalteramt
Bern-Mittelland ein erneutes Entlassungsgesuch von X.________ ab.

B.
Dagegen erhob die Betroffene am 28. Dezember 2011 Rekurs. Das Obergericht des
Kantons Bern, Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehung, hörte
X.________ am 5. Januar 2012 persönlich an. Des weiteren zog es die Akten,
insbesondere ein Ergänzungsgutachten von Dr. med. Z.________, Facharzt für
Psychiatrie und Psychotherapie, vom 10. November 2011, den Verlaufsbericht des
Wohnheims A.________ sowie die ärztlichen Stellungnahmen von Dr. med.
Y.________, Facharzt für Psychiatrie, vom 4. Juli 2011 und vom 7. Dezember 2011
sowie einen ärztlichen Bericht von Dr. med. W.________ vom 29. Dezember 2011
bei und wies den Rekurs mit Entscheid vom gleichen Tag ab.

C.
Gegen diesen Entscheid hat X.________ am 23. Januar 2012 (Postaufgabe) beim
Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Sie ersucht um sofortige
Entlassung. Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Endentscheid (Art. 75 Abs. 1
und Art. 90 BGG) betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung. Er betrifft
eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit, die in engem Zusammenhang mit dem
Zivilrecht steht und demzufolge mit Beschwerde in Zivilsachen beim
Bundesgericht angefochten werden kann (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG). Die
begründete Ausfertigung des angefochtenen Entscheids ist der Beschwerdeführerin
am 10. Januar 2012 zugestellt worden, womit die am 23. Januar 2012 erhobene
Beschwerde rechtzeitig erfolgt ist (Art. 100 Abs. 1 BGG).

2.
Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten, soweit die Beschwerdeführerin damit
die Art der Behandlung und Betreuung in der Anstalt kritisiert, sind doch diese
Fragen nicht Gegenstand des Verfahrens nach Art. 397d ZGB, in dem es
ausschliesslich darum geht, die Rechtmässigkeit einer fürsorgerischen
Freiheitsentziehung zu überprüfen.

3.
Eine mündige oder entmündigte Person darf wegen Geisteskrankheit,
Geistesschwäche, Trunksucht, anderen Suchterkrankungen oder schwerer
Verwahrlosung in einer geeigneten Anstalt untergebracht oder zurückbehalten
werden, wenn ihr die nötige persönliche Fürsorge nicht anders erwiesen werden
kann (Art. 397a Abs. 1 ZGB). Wie bei der Einweisung in eine Anstalt ist auch
bei der Zurückbehaltung des Betroffenen das Prinzip der Verhältnismässigkeit zu
beachten. Erforderlich ist, dass der Betroffene infolge der im Gesetz
umschriebenen Schwächezustände persönlicher Fürsorge bedarf, die ihm nur in
einer Anstalt gewährt werden kann (BGE 114 II 213 E. 5). Ferner ist die
Belastung zu berücksichtigen, welche die Person für ihre Umgebung bedeutet
(Art. 397a Abs. 2 ZGB). Sobald es sein Zustand erlaubt, muss der von der
fürsorgerischen Freiheitsentziehung Betroffene entlassen werden (Art. 397a Abs.
3 ZGB; siehe zum Ganzen: BGE 134 III 289 E. 4).

4.
4.1 Nach den tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts, die sich unter
anderem auf ein Ergänzungsgutachten von Dr. med. Z.________, Facharzt für
Psychiatrie und Psychotherapie, vom 10. November 2011 stützen, leidet die
Beschwerdeführerin nach wie vor an einer paranoiden Schizophrenie mit Residuum
und Negativsymptomatik (IDC-10 F20.0). Nach der ärztlichen Stellungnahme vom 4.
Juli 2011 wurde das psychische Zustandsbild der Beschwerdeführerin als "stabil
unter Behandlung mit Neuroleptika und pflegerischer Umsorgung" beschrieben. An
dieser Beurteilung vom Juli 2011 hat sich laut ärztlicher Stellungnahme vom 29.
Dezember 2011 nichts geändert. Das Obergericht hält in tatsächlicher Hinsicht
weiter fest, aufgrund des verbesserten Zustandes habe die Diabetes-Medikation
abgesetzt werden können. Die Beschwerdeführerin zeigt sich - nach den
obergerichtlichen Feststellungen - aber nach wie vor krankheits- und
behandlungsuneinsichtig. In seinem Bericht vom 10. November 2011 kommt Dr. med.
Z.________ anhand der Geschichte der Beschwerdeführerin und seiner aktuellen
Einschätzung zum Schluss, die Beschwerdeführerin sei aufgrund ihrer Krankheit
nicht in der Lage, selbständig zu wohnen. Das Obergericht verweist im Weiteren
auf den Bericht von Dr. med. Y.________, Facharzt für Psychiatrie, vom 7.
Dezember 2011, wonach die Beschwerdeführerin keine Behandlungseinsicht zeigt;
im Fall einer Entlassung wird sie laut dieser gutachterlichen Auffassung die
verordneten Medikamente nicht mehr einnehmen und sich auf diese Weise selbst
gefährden. Nach den Ausführungen von Dr. med. W.________ vom 29. Dezember 2011
bestehen bei der Beschwerdeführerin ein medikamentös eingestellter Diabetes
mellitus inklusive Folgeerkrankungen seitens der Augen, der Nieren sowie ein
chronischer Druckulkus an der Fusssohle, ein arterieller Bluthochdruck und eine
paroxysmale Tachykardie. Dem Bericht, den das Obergericht in seinem Urteil
berücksichtigt hat, lässt sich weiter entnehmen, dass die Beschwerdeführerin
bei bewilligten Ausgängen ins Dorf übermässig Nahrung zu sich nahm, was zu
einem deutlichen Anstieg ihres Gewichts und zu einer "Entgleisung" des Diabetes
und zu weiterem Behandlungsbedarf führte. Nach den weiteren tatsächlichen
Feststellungen bedarf die Beschwerdeführerin nach wie vor erheblicher
Unterstützung bei der Raum- und Körperpflege. Sie kotet bei Durchfall ein und
es kam auch des öfteren vor, dass das Pflegepersonal nach ihrem Stuhlgang WC,
Lavabo und den Boden reinigen musste. Nach Auffassung von Dr. W.________ beruht
die Annahme der Beschwerdeführerin, sie werde ihre Alltagsverrichtungen
selbständig verrichten können, auf einer Fehleinschätzung seitens der
Betroffenen.

4.2 Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen den vom Obergericht festgestellten
Sachverhalt richtet und insbesondere behauptet, sie sei nicht krank, beschränkt
sie sich auf eine appellatorische Kritik am Sachverhalt und macht damit nicht
rechtsgenüglich geltend, die tatsächlichen Feststellungen seien offensichtlich
unrichtig oder beruhten sonstwie auf einer Rechtsverletzung. Auf die
entsprechenden Sachverhaltsrügen ist nicht einzutreten.

5.
5.1 Aufgrund der verbindlichen obergerichtlichen Sachverhaltsfeststellungen
leidet die Beschwerdeführerin an einer paranoiden Schizophrenie mit Residuum
und Negativsymptomatik (IDC-10 F20.0). Bei ihr liegt demnach eine
Geistesschwäche im Sinn von Art. 397a Abs. 1 ZGB vor. Des weiteren leidet sie
an einem Diabetes mellitus mit Folgeschäden. Die Beschwerdeführerin ist nicht
in der Lage, ihre Krankheit und die Behandlungsbedürftigkeit einzusehen, und
zudem ausserstande, ihre Alltagsverrichtungen selbständig zu verrichten; dies
zeigt sich namentlich in ihren Defiziten in der Körper- und Raumpflege; zudem
ist eine ärztliche Behandlung unumgänglich. Damit ist ein durch ihr Leiden
bedingter Fürsorgebedarf im Sinn von Art. 397a Abs. 1 ZGB in Form einer
Behandlung der Krankheit sowie einer umfassenden Betreuung gegeben. Dem
Obergericht ist ferner darin beizupflichten, dass vorliegend im Fall einer
Entlassung der Beschwerdeführerin von einer konkreten Verwahrlosungsgefahr
auszugehen ist, kann doch infolge ihrer fehlenden Krankheits- und
Behandlungseinsicht nicht in guten Treuen angenommen werden, sie biete bar
jeglichen Drucks zu einer selbständigen Einnahme der Medikamente Hand.
Angesichts der Unmöglichkeit, ihre Körperpflege selbständig zu verrichten und
dem Unterhalt ihrer Wohnumgebung selbständig nachzukommen, ist sie der
konkreten Gefahr einer schweren Verwahrlosung ausgesetzt. Dass der
erforderliche Behandlungs- und Betreuungsbedarf von einer nahestehenden Person
der Beschwerdeführerin übernommen werden könnte, ist nicht erstellt. Nach den
Ausführungen von Dr. med. W.________ waren bereits 2008 Versuche, die
Beschwerdeführerin mithilfe der Spitex in einer eigenen Wohnung zu betreuen, an
ihrer Uneinsichtigkeit gescheitert. Mit Bezug auf die Folgen der unterbliebenen
Behandlung und Betreuung in einer Anstalt kann auch auf die Ausführungen im
Urteil 5A_716/2008 vom 24. Oktober 2008 E. 2.2 verwiesen werden, wonach die
Beschwerdeführerin am 27. Oktober 2007 in der UPD hospitalisiert gewesen und im
Anschluss daran mit einer maximal umfangreichen ambulanten Behandlung in ihre
eigene Wohnung ausgetreten ist; weil das Betreuungskonzept unter anderem
aufgrund fehlender Mitarbeit der Beschwerdeführerin versagte und diese
dekompensierte "mit resultierender quasi somatischer Vitalgefährdung (u.a.
drohende Amputation des Unterschenkels rechts)", ist es zu einer neuen
Einweisung gekommen. Mit dem Obergericht ist somit festzuhalten, dass der
erforderliche Fürsorgebedarf nur in einer geeigneten Einrichtung gewährt werden
kann.

5.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die fürsorgerische
Freiheitsentziehung müsse in jedem Fall befristet sein. Soweit sie damit die
Ansicht vertritt, sie sei infolge der eingetretenen Stabilisierung ihres
Gesundheitszustandes zu entlassen, kann ihr nicht beigepflichtet werden: Zwar
muss die betroffene Person nach der einschlägigen Regelung (Art. 397a Abs. 3
ZGB) entlassen werden, sobald es ihr Zustand erlaubt. In diesem Zusammenhang
ist von Bedeutung, dass sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin nach
eingehender Betreuung und medikamentöser Behandlung stabilisiert hat. Trotzdem
kann eine Entlassung nicht ins Auge gefasst werden: Aus den tatsächlichen
Feststellungen des angefochtenen Urteils lässt sich schliessen, dass bei einer
sofortigen Entlassung infolge der beschriebenen krankheitsbedingten Unfähigkeit
der Beschwerdeführerin, ihren Bedürfnissen selbstständig nachzukommen und zu
einer Mitarbeit mit den zuständigen Pflegeorganen Hand zu bieten, eine baldige
erneute Einweisung geradezu vorprogrammiert wäre. Unter solchen Vorzeichen ist
eine Entlassung derzeit nicht zu verantworten (siehe dazu: z.B. Urteil 5A_146/
2009 vom 1. April 2009 E. 2.3; zum Ganzen auch EUGEN SPIRIG, Zürcher Kommentar
3. Aufl. 1995, N. 303 zu Art 397a ZGB). Es kann im Übrigen auf den im Urteil
5A_716/2008 vom 24. Oktober 2008 E. 2.2 erwähnten Sachverhalt verwiesen werden
(E. 5.1 hiervor).

6.
Damit erweist sich der angefochtene Entscheid als bundesrechtskonform. Die
Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Den konkreten
Verhältnissen des Falles entsprechend sind keine Kosten zu erheben.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Regierungsstatthalteramt
Bern-Mittelland und dem Obergericht des Kantons Bern, Zivilabteilung,
Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehung, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 6. Februar 2012
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Hohl

Der Gerichtsschreiber: Zbinden