Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.688/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_688/2012

Urteil vom 29. April 2013
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Marazzi, Herrmann,
Gerichtsschreiber Levante.

Verfahrensbeteiligte
Konkursamt des Kantons Appenzell Ausserrhoden,
vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Franco Lorandi,
Beschwerdeführer,

gegen

X.________ GmbH,
vertreten durch Rechtsanwälte Walter H. Boss und Hans-Ulrich Kupsch,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Ermächtigung zur Prozessführung durch das Konkursamt,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts von Appenzell A.Rh.,
Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs, vom 3. Juli 2012 (AB 11 9).

Sachverhalt:

A.
A.a Mit Entscheid vom 23. November 2010 ordnete der Einzelrichter am
Kantonsgericht von Appenzell A.Rh. die Auflösung der Y.________ AG
(nachfolgend: Y.________) mit Sitz in A.________ wegen Mängeln in der
gesetzlich vorgeschriebenen Organisation (Art. 731b OR) und die Liquidation
nach den Vorschriften über den Konkurs an. Der Konkurs wird nach richterlicher
Anordnung vom 4. März 2011 im summarischen Verfahren vom Konkursamt des Kantons
Appenzell A.Rh., Zweigstelle B.________, durchgeführt.

A.b Am 1. September 2011 ermächtigte das Konkursamt Z.________, die der
Schuldnerin gegen die Firma X.________ GmbH (vormals W.________ GmbH)
"zustehenden Auskunfts- und Schadenersatzansprüche wegen der erfolgten und nach
vor wie erfolgenden Benutzung der Bezeichnung 'V.________' und/oder des Logos
'V.________', wie es Gegenstand von zum Beispiel der deutschen Marke DE xxxx
ist, für den Betrieb von Restaurants in Deutschland, im Rahmen einer
Erweiterung bzw. Erhöhung der beim Landgericht Hamburg zur Geschäftsnummer yyyy
anhängigen Klage in eigenem Namen und auf eigenes Risiko bzw. auf eigene Kosten
geltend zu machen und für die Y.________ einzuziehen".
Am 4. Oktober 2011 erteilte das Konkursamt Z.________ zusätzlich die Befugnis
zur Geltendmachung von der Schuldnerin zustehenden Unterlassungsansprüchen.

B.
Hiergegen erhob die X.________ GmbH betreibungsrechtliche Beschwerde beim
Obergericht Appenzell A.Rh. als Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und
Konkurs und verlangte im Wesentlichen, es sei die Nichtigkeit der Verfügungen
vom 1. September/4. Oktober 2011 festzustellen. Mit Entscheid vom 3. Juli 2012
hiess die Aufsichtsbehörde die Beschwerde gut und stellte die Nichtigkeit der
beiden konkursamtlichen Verfügungen fest.

C.
Das Konkursamt hat am 18. September 2012 Beschwerde in Zivilsachen erhoben und
beantragt, der Entscheid der Aufsichtsbehörde vom 3. Juli 2012 sei aufzuheben
und die Vorinstanz sei anzuweisen, auf die betreibungsrechtliche Beschwerde
nicht einzutreten; eventuell sei die Sache an die Vorinstanz zur Feststellung
von rechtserheblichen Tatsachen und zur Neubeurteilung zurückzuweisen.
Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

Erwägungen:

1.
1.1 Angefochten ist ein Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde, welche das
Vorgehen des Konkursamtes zum Gegenstand hat. Entscheide kantonaler
Aufsichtsbehörden in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen unterliegen der
Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 Abs. 2 lit. a BGG i.V.m. Art. 19 SchKG). Sie
ist unabhängig von einer gesetzlichen Streitwertgrenze gegeben (Art. 74 Abs. 2
lit. c BGG). Die Beschwerde gegen den letztinstanzlichen Entscheid ist
fristgemäss erhoben worden (Art. 75 Abs. 1, Art. 100 Abs. 2 lit. a BGG).

1.2 Die Zwangsvollstreckungsorgane sind in begrenztem Umfang zur
betreibungsrechtlichen Beschwerde legitimiert. Die Praxis zu Art. 78 OG bzw.
aArt. 19 SchKG gilt auch nach Einführung des BGG (BGE 134 III 136 E. 1. 3 S.
138 f., mit Hinweisen). Ob das Konkursamt zur Beschwerde in Zivilsachen
berechtigt ist (Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG), wird - im Folgenden - von Amtes
wegen und mit freier Kognition geprüft (BGE 136 II 101 E. 1 S. 103).

2.
Auch im Schuldbetreibungs- und Konkursrecht gilt der Grundsatz, dass eine
Behörde ihren Standpunkt nicht auf dem Rechtsmittelweg durchzusetzen versuchen
soll (BGE 116 III 32 E. 1 S. 34). Nach ständiger Rechtsprechung ist die
Konkursverwaltung zur Beschwerde an die kantonalen Aufsichtsbehörden bzw. das
Bundesgericht grundsätzlich nur dann legitimiert, wenn sie Interessen der
Konkursmasse und damit der Gesamtheit der Gläubiger geltend macht (BGE 116 III
32 E. 1 S. 34; 100 III 64 E. 1 S. 65; GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale
sur la poursuite pour dettes et la faillite, Bd. I, 1999, N. 37 ff. zu Art. 18,
N. 66 zu Art. 19; HÄNZI, Die Konkursverwaltung nach schweizerischem Recht,
1979, S. 112 ff.). Ferner wird den Zwangsvollstreckungsorganen ungeachtet eines
fehlenden rechtlich geschützten Interesses das Recht zur Weiterziehung
zugestanden, um fiskalische bzw. gebührenrechtliche Interessen wahrzunehmen (
BGE 134 III 136 E. 1.3 S. 138; vgl. Art. 2 GebV SchKG).

2.1 Ob sich eine Konkursverwaltung auf die Interessen der Gesamtheit der
Gläubiger berufen kann, hat verschiedentlich Anlass zur Rechtsprechung gegeben.
Die Konkursverwaltung macht die Interessen der Gläubigergesamtheit geltend,
wenn sich der Streit vor der Aufsichtsbehörde z.B. um die Frage dreht, ob die
Konkursverwaltung verpflichtet werden kann, für einen Konkursgläubiger bei der
Depositenanstalt eine Dividende zu hinterlegen (BGE 40 III 441 E. 1 S. 443),
oder wenn die Aufsichtsbehörde einen Steigerungszuschlag (BGE 97 III 89 E. 1 S.
96), eine Sicherungsmassnahme betreffend das Konkursvermögen (BGE 116 III 32 E.
1 S. 34) oder einen Gläubigerbeschluss aufgehoben hat (BGE 103 III 79 E. 1 S.
81). Die Berufung auf Interessen der Gläubigergesamtheit genügt hingegen nicht,
wenn sich die Konkursverwaltung gegen die von der Aufsichtsbehörde auferlegte
Verpflichtung wehrt, den Abschluss eines Vergleichs den Gläubigern
vorzuschlagen (Urteil 7B.116/2002 vom 10. September 2002 E. 2; vgl. HUNKELER,
Beschwerdebefugnis der Konkursverwaltung, in: jusletter 14. Oktober 2002), oder
wenn sie mit einem Beschluss der ihr übergeordneten Gläubigerversammlung nicht
einverstanden ist (vgl. JAEGER, Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, 1911, N. 2
zu Art. 17, S. 30).

2.2 Vor der Aufsichtsbehörde war umstritten, ob die vom Konkursamt erteilten
"Ermächtigungen zur Prozessführung" vom 1. September/ 4. Oktober 2011 zu jenen
Handlungen gehört, welche die Zustimmung der Gläubigerversammlung erfordert.
2.2.1 Es ging darum, ob Z.________, der selber eine Konkursforderung eingegeben
hatte, ermächtigt werden kann, die strittigen Ansprüche gegenüber der
Beschwerdegegnerin (die ebenfalls Gläubigerin ist) in eigenem Namen auf eigenes
Risiko zur Einziehung an die Masse geltend zu machen, ohne dass die anderen
Gläubiger darüber beschlossen haben. Das Konkursamt hält fest, dass es bei den
Ermächtigungen bzw. bei der gewillkürten Prozessstandschaft funktional um die
gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen handelte.
2.2.2 Nach den Erwägungen der Aufsichtsbehörde kann die Konkursverwaltung
gemäss Art. 240 Abs. 1 SchKG die Masse wohl nach aussen selbständig vertreten;
allerdings könne sie nicht über die Aufhebung oder Weiterführung von Prozessen
entscheiden (mit Hinw. auf BGE 116 III 96 E. 4b S. 102; BÜRGI, in:
Kurzkommentar SchKG, 2009, N. 8 zu Art. 240). Weiter hat die Vorinstanz
festgehalten, dass der Entscheid über die Geltendmachung bzw. Prozessführung
von strittigen Ansprüchen nicht in den Anwendungsbereich von Art. 243 Abs. 1
SchKG falle, sondern über das Vorgehen ein Gläubigerbeschluss herbeizuführen
sei (vgl. SCHOBER, in: Kurzkommentar SchKG, 2009, N. 12 zu Art. 231); die
Gläubiger hätten darüber zu entscheiden, ob der Prozessweg beschritten oder das
Guthaben den Gläubigern zur Abtretung angeboten werden soll (mit Hinw. auf
BÜRGI, a.a.O., N. 1 zu Art. 260, N. 1 zu Art. 243 und BGE 108 III 21 E. 1 S.
22). Da die Entscheidung über die Geltendmachung der strittigen, im Inventar
aufgenommenen Ansprüche einzig von der Konkursverwaltung getroffen worden sei,
zeitliche Dringlichkeit nicht vorgelegen habe und die Gläubiger über das
Vorgehen nicht angehört worden seien, könnten die Ermächtigungen keine Wirkung
haben (mit Hinw. auf u.a. BERTI, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über
Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl. 2010, N. 20 ff. zu Art. 260).

2.3 Das Konkursamt macht geltend, mit den Ermächtigungen vom 1. September/4.
Oktober 2011 die Interessen der Gläubigergesamtheit wahrzunehmen, ebenso, wenn
es nun die Aufhebung der von der Aufsichtsbehörde festgestellten Nichtigkeit
der beiden Ermächtigungen verlange. Diese Auffassung geht fehl. Wenn die
Aufsichtsbehörde auf Beschwerde einer Gläubigerin hin entschieden hat, die
umstrittenen Ermächtigungen an Z.________ bzw. einen anderen Gläubiger seien
mangels Gläubigerbeschluss bzw. Mitwirkung aller Gläubiger ohne Wirkung, hat
sie eine Verfügung im Streit zwischen Gläubigern getroffen. Damit ist der
Konkursverwaltung die Weiterziehung versagt, denn der Entscheid der
Aufsichtsbehörde verletzt bzw. gefährdet die rechtlichen Interessen der
Gläubigergesamtheit nicht (vgl. HÄNZI, a.a.O., S. 114; JAEGER/DAENIKER,
Schuldbetreibungs- und Konkurs-Praxis der Jahre 1911-1945, Bd. I, 1947, N. 2 zu
Art. 17, S. 16). Die Aufsichtsbehörde hat das konkrete Vorgehen zur
gerichtlichen Geltendmachung der strittigen Ansprüche jenem Handlungsbereich
des Konkursamtes zugeordnet, welcher die Mitwirkung der Gläubiger verlangt.
Wenn das beschwerdeführende Konkursamt sich nach wie vor auf seine freie
Befugnis zu Erteilung der umstrittenen Ermächtigungen beruft, läuft dies darauf
hinaus, dass es die von der vorgesetzten Behörde vorgeschriebene Amtsführung
nicht anerkennen will, was zur Beschwerdeführung nicht berechtigt (vgl. BGE 48
III 182 S. 183; Urteil 7B.116/2002 vom 10. September 2002 E. 2; ESCHER, Zum
Rechtsschutz in Zwangsvollstreckungssachen nach dem Bundesgesetz über das
Bundesgericht, AJP 2006 S. 1250).

2.4 Im Übrigen genügt das Beschwerdeinteresse des Konkursamtes nicht, soweit es
im Verfahren gegen den Entscheid der Aufsichtsbehörde darum gehen sollte, das
Fehlen der Haftungsvoraussetzungen nach Art. 5 SchKG (wie Rechtmässigkeit des
Verhaltens, Nichteintritt eines Schadens) für Verantwortlichkeitsansprüche zu
beurteilen (vgl. BGE 97 III 89 E. 1 S. 96; 99 III 58 E. 2 S. 60). Aus dem
(positiven) Urteil des Landgerichts Hamburg vom 24. Mai 2012, auf welches sich
das Konkursamt beruft und wonach in Anwendung der umstrittenen Erklärungen die
Beklagte (Beschwerdegegnerin) verpflichtet werde, "allen Schaden zu ersetzen
(...)" und "sämtliche Zahlungen (...) an das Konkursamt zugunsten der
Konkursmasse zu leisten", lässt sich nichts für die Beschwerdelegitimation
ableiten.

2.5 Mangels eines hinreichenden Beschwerderechts kann auf die Beschwerde in
Zivilsachen nicht eingetreten werden. Ob ein Gläubigerbeschluss über die
Geltendmachung (Prozessführung) betreffend die strittigen Ansprüche der Masse
für den Fall, in welchem sie nicht Gegenstand eines Gläubigerbeschlusses
wurden, nachgeholt werden kann (vgl. BGE 77 III 79 E. 2 S. 83 f.; HÄNZI,
a.a.O., S. 179), ist hier nicht zu erörtern.

3.
Der Beschwerde in Zivilsachen ist kein Erfolg beschieden. Das Konkursamt hat
das Bundesgericht in Anspruch genommen, ohne dass es sich um
Vermögensinteressen (wie fiskalische oder gebührenrechtliche Interessen)
handelt, weshalb keine Verfahrenskosten auferlegt werden (Art. 66 Abs. 4 BGG).
Über eine Parteientschädigung ist nicht zu befinden, da keine Vernehmlassung
eingeholt worden ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Obergericht von Appenzell
A.Rh., Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 29. April 2013

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Escher

Der Gerichtsschreiber: Levante

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