Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.649/2012
Zurück zum Index II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2012
Retour à l'indice II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2012



Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_649/2012

Urteil vom 17. Dezember 2012
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichter Marazzi, von Werdt,
Gerichtsschreiber V. Monn.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Fürsprecherin Annemarie Lehmann-Schoop,
Beschwerdeführerin,

gegen

Y.________,
vertreten durch Fürsprecher Dieter Caliezi,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Eheschutz,

Beschwerde gegen die Entscheide des Obergerichts
des Kantons Bern, Zivilabteilung, 1. Zivilkammer,
vom 9. und 16. August 2012.

Sachverhalt:

A.
X.________ (geb. 1977) und Y.________ (geb. 1967; kanadischer
Staatsangehöriger) haben am 13. September 1997 in Toronto (Kanada) geheiratet.
Sie sind die Eltern der Söhne A.________ (geb. 1999) und B.________ (geb.
2002). Die Eheleute hatten seit ihrer Heirat teils in der Schweiz, teils in
Kanada gelebt. Über die Jahre hatten sie sich zweimal vorübergehend getrennt.
Zuletzt verliess X.________ mit den Kindern Kanada und kehrte im Jahr 2008 in
die Schweiz zurück.

B.
B.a Seit dem 3. November 2009 ist ein vom Ehemann eingeleiteter Prozess
betreffend den Schutz der ehelichen Gemeinschaft hängig. In erster Instanz
hatte der Gerichtspräsident des Regionalgerichts Emmental-Oberaargau das
Getrenntleben geregelt und Y.________ verurteilt, seiner Ehefrau für die Dauer
der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts an den Unterhalt jedes Kindes monatlich
Fr. 650.-- zu bezahlen (Entscheid vom 28. März 2011).
B.b Vor dem Obergericht des Kantons Bern hatte Y.________ verlangt, die
monatlichen Unterhaltsbeiträge auf höchstens Fr. 150.-- pro Kind ab Einreichung
der Stellungnahme seiner Ehefrau festzusetzen. Mit Urteil vom 29. August 2011
hatte das Obergericht die Höhe der Unterhaltsbeiträge mit je Fr. 650.--
bestätigt. Es hatte jedoch befunden, Y.________ müsse diese Beiträge nicht für
die gesamte Dauer der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts, sondern erst ab 4.
November 2008 bezahlen.
B.c Hierauf hatte Y.________ die Beschwerde an das Bundesgericht ergriffen.
Dieses hob die Regelung des Kinderunterhalts sowie den Kostenentscheid des
Obergerichts auf und wies die Sache zu neuem Entscheid an das Obergericht des
Kantons Bern zurück (Urteil 5A_684/2011 vom 31. Mai 2012).

C.
In seiner Neubeurteilung vom 9. August 2012 verurteilte das Obergericht
Y.________, für seine beiden Söhne ab 1. Januar 2010 monatliche
Unterhaltsbeiträge von je Fr. 550.-- zu bezahlen, zuzüglich allfälliger
Familienzulagen, sofern diese nicht von der Mutter bezogen werden. Die
Gerichtskosten des ersten oberstinstanzlichen Verfahrens (Bst. B.b) wurden den
Parteien je zur Hälfte auferlegt, die diesbezüglichen Parteientschädigungen
wettgeschlagen. Beide Parteien prozessierten mit unentgeltlicher Rechtspflege.
Mit Entscheid vom 16. August 2012 berichtigte das Obergericht des Kantons Bern
diesen Entscheid. Neu beginnt die Zahlungspflicht des Vaters am 1. Januar 2011
anstatt am 1. Januar 2010.

D.
D.a Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 7. September 2012 wendet sich X.________
(Beschwerdeführerin) an das Bundesgericht. Sie beantragt, den obergerichtlichen
Entscheid vom 9. August 2012 bzw. den Berichtigungsentscheid vom 16. August
2012 aufzuheben und Y.________ (Beschwerdegegner) zu verurteilen, für seine
Söhne ab dem 4. November 2009 monatliche Unterhaltsbeiträge von je Fr. 550.--
zu bezahlen, zuzüglich Familienzulagen, sofern er darauf Anspruch hat;
eventualiter sei die Sache zur erneuten Beurteilung an das Obergericht
zurückzuweisen. Mit separater Eingabe gleichen Datums stellt die
Beschwerdeführerin das Begehren, den Beschwerdegegner zur Bezahlung ihres
Prozesskostenvorschusses sowie eines angemessenen Beitrags an ihre Parteikosten
von mindestens Fr. 3'500.-- zu verurteilen; eventualiter ersucht sie für das
Verfahren vor dem Bundesgericht um unentgeltliche Rechtspflege.
D.b Das Bundesgericht hat die Akten, jedoch keine Vernehmlassungen eingeholt.
D.c Mit Post vom 2. November 2012 stellt der Gerichtspräsident am
Regionalgericht Emmental-Oberaargau dem Bundesgericht eine Verfügung vom 1.
November 2012 zu, woraus sich ergibt, dass die Beschwerdeführerin unterdessen
die Scheidungsklage anhängig gemacht hat.

Erwägungen:

1.
Die binnen Frist eingereichte Beschwerde richtet sich gegen den Endentscheid
einer letzten kantonalen Instanz (Art. 75, 90, 100 Abs. 1 BGG). Die Parteien
streiten um den Unterhalt für ihre Kinder. Das ist eine Zivilsache (Art. 72
Abs. 1 BGG) vermögensrechtlicher Natur. Der angefochtene Entscheid ist auf
einen Rückweisungsentscheid des Bundesgerichts hin ergangen (s. Sachverhalt
Bst. B.c und C). Die Beschwerde in Zivilsachen bleibt daher zulässig,
unabhängig davon, ob die nach dem Rückweisungsentscheid noch streitigen Beträge
für sich allein die gesetzliche Streitwertgrenze (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG)
erreichen (Urteil 4A_225/2011 vom 15. Juli 2011 E. 1).

2.
Vor Bundesgericht unzulässig ist der Antrag der Beschwerdeführerin, den
Beschwerdegegner zur Finanzierung ihrer Gerichts- und Anwaltskosten im
bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren zur Bezahlung eines Kostenvorschusses
zu verurteilen. Der Anspruch auf Bevorschussung von Prozesskosten ist im
materiellen Zivilrecht begründet und daher vor demjenigen Gericht geltend zu
machen, das für den Erlass vorsorglicher Massnahmen zuständig ist (Urteil
5A_793/2008 vom 8. Mai 2009 E. 6.2).

3.
Weil Eheschutzentscheide der in Art. 98 BGG enthaltenen Vorschrift unterstehen
(BGE 133 III 393 E. 5.1 und 5.2 S. 397 f.), kann einzig die Verletzung
verfassungsmässiger Rechte gerügt werden. Hierfür gilt das strenge Rügeprinzip
(Art. 106 Abs. 2 BGG). Das bedeutet, dass das Bundesgericht nur klar und
detailliert erhobene und soweit möglich belegte Rügen prüft, während es auf
ungenügend begründete Rügen und rein appellatorische Kritik am angefochtenen
Entscheid nicht eintritt. Wird die Verletzung des Willkürverbots gerügt, reicht
es demnach nicht aus, wenn die Beschwerdeführerin die Sach- oder Rechtslage aus
ihrer Sicht darlegt und den davon abweichenden angefochtenen Entscheid als
willkürlich bezeichnet. Vielmehr ist im Einzelnen darzulegen, inwiefern das
kantonale Gericht willkürlich entschieden haben soll und der angefochtene
Entscheid deshalb an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet (
BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246). Das Bundesgericht hebt einen Entscheid jedoch
nur dann als willkürlich auf, wenn er nicht bloss in der Begründung, sondern
auch im Ergebnis unhaltbar ist; dass eine andere Lösung ebenfalls als
vertretbar oder zutreffender scheint oder sogar vorzuziehen wäre, genügt nicht
(BGE 134 II 124 E. 4.1 S. 133).

4.
Streitig ist vor Bundesgericht der Zeitpunkt, von dem an der Beschwerdegegner
die monatlichen Unterhaltsbeiträge von je Fr. 550.-- bezahlen müssen soll.

4.1 In tatsächlicher Hinsicht kommt das Obergericht im Berichtigungsentscheid
vom 16. August 2012 zum Schluss, der Beschwerdegegner weise erst ab 1. Januar
2011 einen Einkommensüberschuss auf. Wie sich dem Entscheid vom 9. August 2012
entnehmen lässt, beträgt der Überschuss Fr. 1'367.-- pro Monat (Monatseinkommen
von Fr. 4'056.-- abzüglich des monatlichen Bedarfs von Fr. 2'689.--). Das
Obergericht führt aus, gemäss den Erwägungen des Berufungsentscheids vom 29.
August 2011 (s. Sachverhalt Bst. B.b) sei der Überschuss im Verhältnis von 80 %
zu 20 % zu verteilen, was für die beiden Kinder einen monatlichen
Unterhaltsbeitrag "von je rund Fr. 550.--" ergebe. Für die Zeit vor Januar 2011
stellt das Obergericht hingegen ein monatliches Manko von Fr. 813.--. fest.
Daraus folgert es, der Beschwerdeführer könne erst ab dem 1. Januar 2011
Kinderunterhaltsbeiträge leisten.

4.2 Die Beschwerdeführerin rügt, das Obergericht halte "ohne nähere Begründung"
und damit in Verletzung von Art. 9 BV fest, dass die ermittelten, tatsächlichen
Einkünfte für den jeweiligen Zeitraum massgebend seien. Dass es der
angefochtenen Unterhaltsregelung schlechthin an einer Begründung fehlen würde,
kann jedoch nicht gesagt werden. Offensichtlich stützt sich das Obergericht auf
die in Ziffer III/2 des Entscheids vom 9. August 2012 enthaltenen Ausführungen,
wonach hypothetische Einkünfte nicht rückwirkend, sondern erst für die Zukunft
angenommen werden dürften, da eine rückwirkende Einkommenssteigerung "rein
faktisch ausser Betracht" falle.

4.3 Willkür erblickt die Beschwerdeführerin auch darin, dass die Vorinstanz dem
Beschwerdegegner für die Zeit vor Januar 2011 kein hypothetisches Einkommen
anrechne, obwohl es ihm in diesem Zeitraum "nachweisbar zumutbar gewesen wäre,
ein höheres Einkommen zu erzielen, als er tatsächlich erzielt hat". Es sei
erstellt, dass der Beschwerdegegner bei seinem Bruder ohne Entgelt gearbeitet
und damit freiwillig auf ein Einkommen verzichtet habe, obwohl "es ihm in
dieser Zeit zumutbar gewesen wäre, einer entgeltlichen Tätigkeit nachzugehen".
Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer im besten Alter und gesund sei sowie
einen Studienabschluss besitze, so dass es ihm "ohne weiteres zumutbar gewesen
wäre", eine weitere Anstellung zu finden und monatlich netto total Fr. 4'000.--
zu verdienen. Diese Umstände lasse das Obergericht ausser Acht, was sich
sachlich in keiner Weise rechtfertigen lasse. Indem das Obergericht keine
konkreten Gründe aufführe, warum einzig auf die tatsächlichen Einkünfte des
Beschwerdegegners abzustellen sei, verfalle es in Willkür.
Nach der Rechtsprechung, die das Bundesgericht für alle Matrimonialsachen
entwickelt hat, darf vom tatsächlichen Leistungsvermögen des
Unterhaltsschuldners nur dann abgewichen und von einem hypothetischen Einkommen
ausgegangen werden, wenn zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens
muss es dem Pflichtigen zumutbar sein, ein hypothetisches Einkommen in der
angenommenen Höhe zu erzielen, und zweitens muss die Erzielung dieses
Einkommens tatsächlich möglich sein (BGE 137 III 118 E. 2.3 S. 120 f.; 128 III
4 E. 4a S. 5). Dies hält auch das Obergericht fest. Die Beschwerdeführerin
äussert sich nur zur ersten Voraussetzung: zur Zumutbarkeit, ein höheres
Einkommen zu erzielen, einer entgeltlichen Tätigkeit nachzugehen, eine
Anstellung zu finden und monatlich Fr. 4'000.-- zu verdienen. Dass es dem
Beschwerdegegner im fraglichen Zeitraum vor dem 1. Januar 2011 auch tatsächlich
möglich gewesen wäre, all dies zu tun, behauptet sie hingegen nicht. Ebenso
wenig macht sie geltend, das Obergericht habe diese zweite Voraussetzung zu
Unrecht als nicht erfüllt erachtet. Daher sind ihre Vorbringen von vornherein
untauglich, den angefochtenen Entscheid, wonach der Beschwerdegegner erst ab
Januar 2011 Unterhalt zahlen muss, als im Ergebnis willkürlich auszuweisen.

4.4 Der weiteren Rüge, es liege gar keine eigentliche Rückwirkung vor, welche
die Anrechnung eines hypothetischen Einkommens ausschlösse, ist nach dem
Gesagten der Boden entzogen. Denn selbst wenn dem Beschwerdegegner - unter dem
Gesichtspunkt der Rückwirkung - für den Zeitraum vor Januar 2011 ein
hypothetisches Einkommen angerechnet werden dürfte, würde auch dies
voraussetzen, dass der Beschwerdegegner im fraglichen Zeitraum die tatsächliche
Möglichkeit gehabt hätte, das von der Beschwerdeführerin behauptete Einkommen
von Fr. 4'000.-- zu erzielen. Das aber behauptet die Beschwerdeführerin gerade
nicht.

5.
Im Ergebnis erweist sich die Beschwerde als unbegründet. Sie ist abzuweisen,
soweit darauf eingetreten werden kann. Die Beschwerdeführerin hat für die
Gerichtskosten aufzukommen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Beschwerdegegner ist kein
entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden. Wie aus den vorstehenden
Erwägungen hervorgeht, müssen die vor Bundesgericht gestellten Rechtsbegehren
als von Anfang an aussichtslos bezeichnet werden. Damit fehlt es an einer
materiellen Voraussetzung für die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege
(Art. 64 Abs. 1 BGG). Das entsprechende Gesuch ist abzuweisen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege für das
bundesgerichtliche Verfahren wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Bern,
Zivilabteilung, 1. Zivilkammer, und dem Regionalgericht Emmental-Oberaargau,
Zivilabteilung, Gerichtspräsident Schenk, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 17. Dezember 2012
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Hohl

Der Gerichtsschreiber: V. Monn