Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.476/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_476/2012

Urteil vom 10. Juli 2012
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichter Marazzi, von Werdt,
Gerichtsschreiber V. Monn.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Advokatin Dr. Helena Hess,
Beschwerdeführerin,

gegen

Y.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Sandra Mäder,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Eheschutzmassnahmen (Unterhaltsbeiträge),

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 5. Kammer, vom 30. April 2012.

Sachverhalt:

A.
Y.________ (geb. 1968) und X.________ (geb. 1969) sind die seit 1995
verheirateten Eltern der A.________ (geb. 2001) und des B.________ (geb. 2003).
Die Ehegatten haben sich im Februar 2011 getrennt.
Auf Gesuch des Ehemannes regelte das Gerichtspräsidium Rheinfelden mit Urteil
vom 6. Januar 2012 die Folgen der Trennung: Es bewilligte das Getrennleben,
wies die eheliche Liegenschaft der Ehefrau und den Kindern zur alleinigen
Nutzung zu, stellte die Kinder unter die Obhut der Mutter, regelte das Besuchs-
und Ferienrecht und verpflichtete den Vater, Kinderunterhaltsbeiträge von
monatlich je Fr. 1'000.-- (zzgl. Kinderzulagen) vom 22. Februar 2011 bis 29.
Februar 2012 und von je Fr. 950.-- (zzgl. Kinderzulagen) ab 1. März 2012 und
der Ehefrau an deren persönlichen Unterhalt monatlich Fr. 3'084.-- vom 22.
Februar 2011 bis 31. März 2011, Fr. 2'233.-- vom 1. April 2011 bis 29. Februar
2012 und Fr. 1'433.-- ab 1. März 2012 zu bezahlen. Ausserdem verpflichtete das
Gerichtspräsidium die Ehefrau zur Herausgabe bestimmter Gegenstände an den
Ehemann und ordnete die Gütertrennung per 5. April 2011 an. Streitig war unter
anderem die Arbeitsfähigkeit der Ehefrau. Das Gerichtspräsidium anerkannte bis
Ende November 2011 eine ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit und rechnete
ihr nach Einräumung einer dreimonatigen Übergangsfrist ab März 2012 ein
hypothetisches Einkommen aus dem Betrieb ihres Tanzstudios an.

B.
Die Ehefrau focht den erstinstanzlichen Entscheid mittels Berufung beim
Obergericht des Kantons Aargau an und beantragte, den Ehemann zu verpflichten,
ab Aufnahme des Getrenntlebens an den Unterhalt der Kinder je Fr. 1'170.--
(zzgl. Kinderzulagen), eventuell je Fr. 1'100.--, und an ihren persönlichen
Unterhalt vom Februar 2011 bis März 2012 Fr. 3'541.-- (eventuell Fr. 3'216.--),
vom April 2012 bis Juni 2012 Fr. 4'000.-- (eventuell Fr. 3'743.--) sowie ab
Juli 2012 Fr. 3'281.-- (eventuell Fr. 2'956.--) zu bezahlen. In seinem Urteil
vom 30. April 2012 präzisierte das Obergericht die Liste der an den Ehemann
herauszugebenden Gegenstände, wies die Berufung im Übrigen aber ab.
Insbesondere verneinte es die Beweiskraft der eingereichten Arztzeugnisse mit
der Begründung, diese seien pauschal gehalten, ohne jede Diagnose oder
Beschreibung allfälliger Beeinträchtigungen zur Ausübung einer konkreten
Tätigkeit, und rechnete der Ehefrau bereits ab Februar 2011 ein hypothetisches
Einkommen an.

C.
Mit Eingabe vom 21. Juni 2012 gelangt X.________ (Beschwerdeführerin) an das
Bundesgericht und unterbreitet diesem die bereits vor Obergericht gestellten
Unterhaltsbegehren; eventualiter sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung an
die Vorinstanz zurückzuweisen. Ferner ersucht die Beschwerdeführerin um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
In der Sache sind die Akten, hingegen keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde gemäss Art. 72 ff. BGG gegen den kantonal letztinstanzlichen
Eheschutzentscheid über die Verpflichtung des Beschwerdeführers zur Zahlung von
Unterhaltsbeiträgen an die Beschwerdegegnerin und deren Kinder ist zulässig.
Mit der Beschwerde kann nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt
werden (Art. 98 BGG; BGE 133 III 393 E. 5.1 und 5.2 S. 396 f.). Das
Bundesgericht wendet dabei das Recht nicht von Amtes wegen an, sondern prüft
nur in der Beschwerde vorgebrachte und begründete Rügen (Art. 106 Abs. 2 BGG).
Die Beschwerdeführerin hat klar und detailliert anhand der Erwägungen des
angefochtenen Entscheids darzulegen, inwiefern verfassungsmässige Rechte
verletzt worden sein sollen (vgl. BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246). Das
Bundesgericht hebt einen Entscheid jedoch nur auf, wenn nicht bloss die
Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist; dass eine andere Lösung
ebenfalls als vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht (BGE 134
II 124 E. 4.1 S. 133 mit Hinweisen).
Die Beschwerdeführerin kommt den Anforderungen an die Beschwerdebegründung in
weiten Teilen nicht nach. So behauptet sie beispielsweise, das Obergericht sei
willkürlich von einem zu tiefen Einkommen des Beschwerdegegners ausgegangen,
allerdings ohne den ihrer Auffassung nach korrekten Betrag zu benennen,
geschweige denn aufzuzeigen, aufgrund welcher der in den Akten liegenden
Beweismittel von einem höheren Einkommen auszugehen gewesen wäre. Sodann wendet
die Beschwerdeführerin ein, die - vom Beschwerdegegner bezahlten - Mietzinse
für das Tanzstudio, in welchem sie Tanzunterricht erteilt (bzw. erteilen soll)
und ihr Einkommen generiert (bzw. generieren soll), seien zu Unrecht in den
Bedarf des Beschwerdegegners eingerechnet worden. Sie legt indes nicht dar, wie
hoch die Unterhaltszahlungen nach Vornahme der von ihr behaupteten Korrektur
ausfallen müssten. Überhaupt wird aus der Beschwerdebegründung nicht
ersichtlich, wie sich die in den Rechtsbegehren geforderten Unterhaltsbeiträge
errechnen. Die Beschwerdeführerin müsste aber aufzeigen, dass und inwiefern die
von ihr beanstandeten Punkte - sofern diese tatsächlich willkürlich wären - das
Ergebnis der obergerichtlichen Entscheidung in derjenigen Weise beeinflusst
hätten, die in den Rechtsbegehren zum Ausdruck kommt. Nachdem sie ihrer
Begründungspflicht nicht nachkommt, kann auch nicht auf die Vorwürfe
eingetreten werden, das Obergericht habe die Beweiskraft der eingereichten
Arztzeugnisse verworfen, in Verletzung der Dispositionsmaxime (sic!) ohne jeden
Einwand des Beschwerdegegners eine Detaillierung der Arztzeugnisse verlangt,
die Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin bejaht und ihr in willkürlicher
Rechtsanwendung ein hypothetisches Einkommen angerechnet.
Ebenfalls nicht einzutreten ist auf die Rüge, das Obergericht habe
Verfahrensgarantien, darunter das verfassungsmässig garantierte Recht auf ein
faires Verfahren verletzt, denn die Beschwerdeführerin behauptet nicht und legt
nicht dar, welche (verfassungsmässigen) Verfahrensgarantien bzw. welche
Teilgehalte daraus gemeint sein könnten und inwiefern diese verletzt worden
sein sollen.

2.
Einzutreten ist hingegen auf die Rüge, das Obergericht habe die
Begründungspflicht (als Teilgehalt des rechtlichen Gehörs; Art. 29 Abs. 2 BV)
verletzt. Die Beschwerdeführerin wirft dem Obergericht vor, es sei nicht auf
ihren Einwand eingegangen, die erst im März 2012 rückwirkend für die
vergangenen zwölf Monate bezahlten Mietzinse für ihr Tanzstudio dürften nicht
in den Grundbedarf des Beschwerdegegners eingerechnet werden, zumal es sich um
güterrechtliche Schulden handle.
Das Obergericht hat sich in zwei (wohl irrtümlich je mit der Ziffer 2.2.3
nummerierten) Erwägungen (S. 7 und 8 des angefochtenen Urteils) sehr wohl mit
dem fraglichen Einwand befasst und erwogen, die vom Beschwerdegegner bezahlten
Mietzinse für das Tanzlokal der Beschwerdeführerin seien als Gestehungskosten
ab April 2011 bis auf Weiteres im Bedarf des Beschwerdegegners einzusetzen.
Dass das Obergericht den Einwand, es handle sich um güterrechtliche Schulden,
nicht ausdrücklich widerlegt hat, verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör
nicht. Mit dem Hinweis, die Mietzinse seien als Gestehungskosten zu betrachten,
konnte sich die Beschwerdeführerin über die Tragweite des Urteils Rechenschaft
geben und es in voller Kenntnis der Sache an das Bundesgericht weiterziehen.
Eine Verletzung der verfassungsmässigen Prüfungs- und Begründungspflicht liegt
nicht vor (BGE 134 I 83 E. 4.1 S. 88).
Überhaupt übersieht die Beschwerdeführerin, dass der erstinstanzliche Richter
ab dem 5. April 2011 die Gütertrennung angeordnet hat und demzufolge ab diesem
Zeitpunkt keine güterrechtlich relevanten Schulden mehr entstehen konnten.

3.
Ausserdem rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Verbots der
reformatio in peius, weil das Obergericht ihr, anders als die erste Instanz,
bereits ab Februar 2011 ein hypothetisches Einkommen angerechnet habe.
Beim Verbot der reformatio in peius handelt es sich um einen klaren und
unumstrittenen Rechtsgrundsatz, dessen Missachtung gegen das Willkürverbot
(Art. 9 BV) verstösst (BGE 129 III 417 E. 2.1.1 S. 419). Das
Verschlechterungsverbot besagt namentlich, dass die Rechtsmittelinstanz das
angefochtene Urteil nicht zu Ungunsten der beschwerdeführenden Partei abändern
darf, es sei denn, die Gegenpartei habe ihrerseits ein Anschlussrechtsmittel
ergriffen (vgl. BGE 110 II 113 E. 3a S. 114). Im unterhaltsrechtlichen
Zusammenhang bezieht sich das Verbot nicht auf einzelne Einkommens- oder
Bedarfspositionen, sondern auf die Rechtsbegehren insgesamt (Urteil 5A_122/2011
vom 9. Juni 2011 E. 5.3).
Nun hat das Obergericht die Berufung hinsichtlich der von der
Beschwerdeführerin verlangten Unterhaltsbeiträge abgewiesen und damit die vom
erstinstanzlichen Gericht ermittelten Beträge unverändert gelassen; ein
Verstoss gegen das Verbot der reformatio in peius ist daher nicht auszumachen.

4.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten
werden kann. Die Beschwerdeführerin unterliegt und wird kostenpflichtig (Art.
66 Abs. 1 BGG). Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, muss die Beschwerde als
von Anfang an aussichtslos gelten, weshalb es bereits an den materiellen
Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege fehlt (Art. 64 Abs. 1 BGG) und
das betreffende Gesuch ohne zusätzliche Prüfung der formellen Voraussetzungen
(Prozessarmut) abzuweisen ist. Dem Beschwerdegegner ist kein
entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 5. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. Juli 2012
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Hohl

Der Gerichtsschreiber: V. Monn