Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.455/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_455/2012

Urteil vom 5. Dezember 2012
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Marazzi, von Werdt,
Gerichtsschreiber Möckli.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Manuel Duss,
Beschwerdeführerin,

gegen

Y.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Helen Schmid,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Definitive Rechtsöffnung,

Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts Schwyz, Beschwerdekammer,
vom 9. Mai 2012.

Sachverhalt:

A.
Am 20. März 2009 stellte X.________ beim Bezirksgericht A.________ ein
Eheschutzgesuch. Am 4. Juni 2009 reichte ihr Ehemann Y.________ beim
Bezirksgericht B.________ die Scheidungsklage ein.
Mit Eheschutzverfügung vom 20. Juli 2009 wurde der Ehemann zu
Unterhaltsbeiträgen von monatlich Fr. 11'200.-- ab Januar 2009 verpflichtet.
Die hiergegen erhobenen Rechtsmittel vor dem Kantonsgericht Schwyz und dem
Bundesgericht blieben erfolglos (vgl. Urteil 5A_107/2011 vom 28. April 2011).

B.
Gestützt auf die Eheschutzverfügung leitete die Ehefrau mit Zahlungsbefehl vom
2. März 2011 für Fr. 302'400.-- nebst Zins zu 5 % die Betreibung Nr. xxxx des
Betreibungsamtes A.________ ein. Am 28. Dezember 2011 erteilte das
Bezirksgericht A.________ hierfür sowie für Fr. 195.-- Zahlungsbefehlskosten
definitive Rechtsöffnung. Auf Beschwerde des Ehemannes hin erteilte das
Kantonsgericht Schwyz mit Entscheid vom 9. Mai 2012 nur für Fr. 67'200.-- und
Fr. 95.-- Zahlungsbefehlskosten Rechtsöffnung. Es erwog, dass der
Eheschutzrichter nur bis zur Einleitung des Scheidungsverfahrens
entscheidzuständig gewesen sei und die Eheschutzverfügung für die spätere Zeit
kein Rechtsöffnungstitel mehr sein könne.

C.
Gegen diesen Entscheid hat die Ehefrau am 14. Juni 2012 eine Beschwerde in
Zivilsachen erhoben, mit welcher sie dessen Aufhebung und Rechtsöffnung für Fr.
302'400.-- nebst Zins zu 5 % seit 22. März 2011 sowie für Fr. 195.--
Zahlungsbefehlskosten verlangt. Ferner verlangt sie eine Anpassung der
kantonalen Kostenregelung. Mit Vernehmlassungen vom 2. August 2012 und vom 15.
Oktober 2012 schlossen das Kantonsgericht und der Ehemann auf Abweisung der
Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne. Mit Schreiben vom 15.
Oktober 2012 wies die Beschwerdeführerin auf das zwischenzeitlich ergangene
Urteil 5A_324/2012 hin und mit Eingabe vom 1. November 2012 bekräftigte sie
nochmals ihren Standpunkt.

Erwägungen:

1.
Der angefochtene Rechtsöffnungsentscheid ist ein kantonal letztinstanzlicher
Endentscheid mit Fr. 30'000.-- übersteigendem Streitwert, gegen den
grundsätzlich die Beschwerde in Zivilsachen ergriffen werden kann (Art. 72 Abs.
2 lit. a, Art. 74 Abs. 1 lit. b, Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG).
Der Rechtsöffnungsentscheid ist keine vorsorgliche Massnahme im Sinne von Art.
98 BGG, weshalb alle Rügen gemäss Art. 95 f. BGG zulässig sind und das
Bundesgericht behauptete Rechtsverletzungen mit freier Kognition prüft (BGE 133
III 399 E. 1.5 S. 400).

2.
Strittig ist, ob die mit Eheschutzentscheid festgesetzten Unterhaltsbeiträge
während des Scheidungsverfahrens weitergelten, wenn das Eheschutzgesuch vor der
Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens eingereicht wurde, aber der
Eheschutzentscheid nach diesem Zeitpunkt ergangen ist. Das Kantonsgericht hat
unter Verweis auf das Urteil 5A_139/2010 befunden, der Eheschutzrichter habe
nur für die Zeit vor Hängigkeit der Scheidung Unterhalt festsetzen dürfen. Die
Ehefrau bringt vor, gemäss BGE 101 II 1 und 129 III 60 gelte der
Eheschutzentscheid, auch wenn er nach dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der
Scheidungsklage getroffen worden sei, während dem Scheidungsverfahren weiter,
solange der Scheidungsrichter keine abweichenden vorsorglichen Massnahmen
getroffen habe.

2.1 Gemäss BGE 101 II 1 fällt die Zuständigkeit des Eheschutzrichters durch die
Einleitung des Scheidungsverfahrens nicht dahin und bleiben seine Anordnungen
auch während des Scheidungsprozesses in Kraft, solange sie nicht durch
vorsorgliche Massnahmen abgeändert werden, was auch dann gilt, wenn die
Zuständigkeit des Eheschutzrichters vor der Einreichung der Scheidungsklage
begründet worden, aber der erst Eheschutzentscheid nach diesem Zeitpunkt
ergangen ist.
Diese Rechtsprechung wurde in BGE 129 III 60 für das neue Scheidungsrecht
bestätigt, und insbesondere wurde am Ende von E. 3 präzisiert, dass für die
zurückliegende Periode keine vorsorglichen Massnahmen zu treffen sind, wenn
noch ein Eheschutzgesuch hängig ist, weil hierüber der Eheschutzrichter
befinden wird. Sodann wurde in E. 4 der Grundsatz bestätigt, dass der
Eheschutzentscheid über den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Scheidungsklage
hinauswirkt, solange der Scheidungsrichter nichts anderes verfügt.
Im Urteil 5A_139/2010 vom 13. Juli 2010 E. 2.3 wurde die publizierte
Rechtsprechung zusammengefasst, in E. 2.3 und 2.4 aber unzutreffend
interpretiert, indem festgehalten wurde, gemäss BGE 129 III 60 könne der
Eheschutzentscheid während des Scheidungsverfahrens nur dann weitergelten, wenn
er vor der Rechtshängigkeit der Scheidungsklage gefällt worden sei.
In einem Urteil, welches zur Publikation vorgesehen und welches im Rahmen des
vor dem Bezirksgericht B.________ hängigen Scheidungsverfahrens zwischen den
vorliegenden Parteien ergangen ist, hat das Bundesgericht an der publizierten
Rechtsprechung festgehalten und die Schlussfolgerung im Urteil 5A_139/2010 als
falsch (erroné) bezeichnet (Urteil 5A_324/2012 vom 15. August 2012 E. 3.3.2).

2.2 Mit Schreiben vom 15. Oktober 2012 hat die Beschwerdeführerin darauf
hingewiesen und der Beschwerdegegner hat in seiner vom gleichen Tag datierenden
Vernehmlassung eingeräumt, dass mit dem zwischen den vorliegenden Parteien
ergangenen Urteil 5A_324/2012 die Frage, ob sich der Unterhaltsanspruch auch
heute noch auf die Eheschutzverfügung vom 20. Juli 2009 abstützen lasse,
höchstrichterlich beantwortet sei. Er stellt sich jedoch auf den Standpunkt,
dass dies keinen Einfluss auf das Rechtsöffnungsverfahren haben könne, weil
sich das Kantonsgericht im Rechtsöffnungsentscheid an die zum Urteilszeitpunkt
massgebende Rechtsprechung des Bundesgerichts, nämlich an das Urteil 5A_139/
2010, gehalten habe und die im Urteil 5A_324/2012 vollzogene Kehrtwendung nicht
zurückwirken dürfe.
Dieser Argumentation ist nicht zu folgen. Wie dargestellt, handelt es sich
nicht um eine Kehrtwendung, sondern hat das Bundesgericht in seiner
publizierten Rechtsprechung eine konstante Linie verfolgt. Ein einzelner
hiervon abweichender unpublizierter Entscheid kann weder als "massgebliche
Rechtslage" bezeichnet werden noch könnte er im Rahmen zivilrechtlicher
Auseinandersetzungen im Bereich des Unterhaltsrechts und der Rechtsöffnung
irgendwelchen Rechts- oder gar "Vertrauensschutz" bewirken.

2.3 Andere Einwendungen erhebt der Beschwerdegegner nicht. Insbesondere macht
er nicht geltend, dass inzwischen ein die Eheschutzverfügung ersetzender
Massnahmeentscheid ergangen wäre, und er bringt auch die vor erster Instanz
erhobene Einwendung der Tilgung nicht mehr vor.

3.
Nach dem Gesagten ist gestützt auf die Eheschutzverfügung des Bezirksgerichts
A.________ vom 20. Juli 2009 für den Betrag von Fr. 302'400.-- nebst Zins zu 5
% seit 22. März 2011 definitive Rechtsöffnung zu erteilen. Für die Kosten des
Zahlungsbefehls kann demgegenüber entgegen verbreiteter Praxis keine
Rechtsöffnung erteilt werden, weil hierfür kein Rechtsöffnungstitel vorliegt.
Ohnehin ist aber eine Rechtsöffnung auch überflüssig, weil gemäss Art. 68 Abs.
2 SchKG von den Zahlungen des Schuldners die Kosten vorab erhoben werden
können, womit diese im Ergebnis zur Schuld geschlagen werden (AMONN/ WALTHER,
Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 8. Aufl. Bern 2008, § 13
Rz. 9) und vom Schuldner zusätzlich zum Betrag, welcher dem Gläubiger
zugesprochenen worden ist, zu bezahlen sind (vgl. zum Ganzen: Urteil des Eidg.
Versicherungsgerichts K 144/03 vom 18. Juni 2004 E. 4.1; siehe auch: FRITZSCHE/
WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Band I, Zürich
1984, § 17 Rz. 37; EMMEL, Basler Kommentar, N. 22 zu Art. 68 SchKG; wohl a.M.:
STAEHELIN, Basler Kommentar, N. 67 zu Art. 84 SchKG).

4.
Zufolge grundsätzlicher Gutheissung der Beschwerde in Zivilsachen wird der
Beschwerdegegner kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art.
68 Abs. 2 BGG). Die Liquidation der kantonalen Kosten entsprechend dem neuen
Ausgang des Verfahrens wird dem Kantonsgericht Schwyz übertragen (Art. 68 Abs.
5 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In dahingehender Gutheissung der Beschwerde in Zivilsachen wird der Beschluss
des Kantonsgerichts Schwyz vom 9. Mai 2012 aufgehoben und der
Beschwerdeführerin in der Betreibung Nr. xxxx des Betreibungsamtes A.________
für Fr. 302'400.-- nebst Zins zu 5 % seit 22. Mai 2011 definitive Rechtsöffnung
erteilt.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3.
Der Beschwerdegegner hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 4'000.-- zu entschädigen.

4.
Die Liquidation der kantonalen Kosten wird dem Kantonsgericht Schwyz
übertragen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Schwyz,
Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 5. Dezember 2012
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Escher

Der Gerichtsschreiber: Möckli