Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.373/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_373/2012

Urteil vom 11. Juli 2012
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter L. Meyer, als Einzelrichter,
Gerichtsschreiber von Roten.

1. Verfahrensbeteiligte
X.________ AG,
2. Y.________,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. David Brunner,
Beschwerdeführer,

gegen

K.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Armin Eugster,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
vorsorgliche Massnahmen zum Schutz der Persönlichkeit,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Appenzell I.Rh., der
Präsident als Einzelrichter, vom 16. April 2012.

Sachverhalt:

A.
Die X.________ AG mit Sitz in A.________ betreibt in B.________ eine Fischfarm.
Mit Verfügung vom 17. August 2011 untersagte ihr das Amt für Verbraucherschutz
und Veterinärwesen vorsorglich, (eingeführte) Fische in die Zuchtanlage der
Fischfarm einzubringen, weil sie nicht über die hierfür erforderliche
Bewilligung zur Wildtierhaltung verfüge und den Nachweis für eine zulässige
Methode zur Betäubung und Tötung der Fische nicht erbracht habe. Für den Fall
der Nichtbeachtung wurde ihr die Ersatzvornahme angedroht. Die dagegen
eingelegten Rechtsmittel blieben erfolglos (vgl. Urteile des Bundesgerichts
2C_985/2011 vom 24. Januar 2012 und 2F_2/2012 vom 24. Februar 2012). Mit
Schreiben vom 4. November 2011 stellte das Amt für Verbraucherschutz und
Veterinärwesen das Vorhandensein von nicht zugelassenen Fischen im
Betriebsgebäude der Fischfarm fest. Es setzte für deren Beseitigung eine Frist
bis 9. November 2011 und kündigte für den Unterlassungsfall die Ersatzvornahme
an (Beschlagnahme und Tötung in geeigneter Form). Die X.________ AG rekurrierte
dagegen (vgl. zuletzt Verfahren vor Bundesgericht 2C_1/2012). Am 10. November
2011 wurde die Ersatzvornahme durchgeführt.

B.
K.________ war an der Ersatzvornahme vom 10. November 2011 als Kantonstierarzt
beteiligt. Er stellte am 11. November 2011 ein Gesuch unter anderem gegen die
X.________ AG und gegen Y.________ um Erlass vorsorglicher Massnahmen zum
Schutz seiner Persönlichkeit. Y.________ ist nach eigenen Angaben
Hauptaktionär, Verwaltungsratspräsident und Geschäftsführer der X.________ AG,
die als Betreiberin der Fischfarm auftritt.
Der Präsident des Bezirksgerichts Appenzell entsprach dem Gesuch am 14.
November 2011 superprovisorisch und erliess nach Einholung einer Gesuchsantwort
gegen die X.________ AG und gegen Y.________ vorsorglich das Verbot, gegenüber
K.________ persönlichkeitsverletzende Aussagen wie "Tiermörder, machtgeile,
unreife Beamte, polizeistaatliche Methoden, Behördenwillkür, amtliche
Fischkiller, skandalöses, perverses und verachtenswertes Verhalten" und
vergleichbare Ausdrücke zu tätigen. Er ordnete an, die K.________ in seiner
Persönlichkeit verletzenden Einträge im Facebook der Fischfarm seien
unverzüglich zu beseitigen. K.________ wurde zur klageweisen Geltendmachung
seiner Ansprüche eine Frist bis 22. Februar 2012 angesetzt (Entscheid vom 25.
Januar 2012).
Die dagegen von der X.________ AG und von Y.________ eingelegte Berufung hiess
das Kantonsgericht Appenzell I.Rh. insoweit gut, als es das Verbot auf die
konkret beanstandeten Ausdrücke beschränkte. Es erliess gegen die X.________ AG
und gegen Y.________ für die Dauer des inzwischen anhängig gemachten
Hauptverfahrens das Verbot, gegenüber K.________ die nachstehenden
persönlichkeitsverletzende Aussagen "Tiermörder, machtgeile, unreife Beamte,
polizeistaatliche Methoden, Behördenwillkür, amtliche Fischkiller, skandalöses,
perverses und verachtenswertes Verhalten" zu tätigen. Es ordnete an, die
Aussagen "Tiermörder, machtgeile, unreife Beamte, polizeistaatliche Methoden,
Behördenwillkür, amtliche Fischkiller, skandalöses, perverses und
verachtenswertes Verhalten" im Facebook der Fischfarm seien unverzüglich zu
beseitigen (Entscheid vom 16. April 2012).

C.
Mit Eingabe vom 16. Mai 2012 beantragen die X.________ AG und Y.________
(Beschwerdeführer) dem Bundesgericht in der Sache, die Begehren des
Gesuchstellers K.________ (Beschwerdegegner) abzuweisen, soweit darauf
einzutreten sei. Es sind die kantonalen Akten, hingegen keine Vernehmlassungen
eingeholt worden.

Erwägungen:

1.
Der angefochtene Entscheid betrifft den Schutz der Persönlichkeit (Art. 28 ZGB)
im Rahmen vorsorglicher Massnahmen (Art. 261 ff. ZPO) und damit eine nicht
vermögensrechtliche Zivilsache (Art. 72 Abs. 1 BGG; vgl. BGE 91 II 401 E. 1 S.
403; 136 III 410 E. 1, nicht veröffentlicht). Er ist kantonal letztinstanzlich
(Art. 75 BGG) und lautet zum Nachteil der Beschwerdeführer (Art. 76 Abs. 1
BGG).

2.
Der angefochtene Entscheid heisst ein vorprozessual gestelltes Gesuch um
vorsorgliche Massnahmen (Art. 261 ff. ZPO) zum Schutz der Persönlichkeit (Art.
28 ZGB) gut. Das Hauptverfahren ist inzwischen rechtshängig.

2.1 Massnahmenentscheide gelten als Endentscheide gemäss Art. 90 BGG, wenn sie
in einem eigenständigen Verfahren ergehen. Selbstständig eröffnete
Massnahmenentscheide, die vor oder während eines Hauptverfahrens erlassen
werden und nur für die Dauer des Hauptverfahrens Bestand haben bzw. unter der
Bedingung, dass ein Hauptverfahren eingeleitet wird, stellen Zwischenentscheide
im Sinne von Art. 93 BGG dar (BGE 134 I 83 E. 3.1 S. 86 f.; BGE 138 III 76 E.
1.2 S. 79). Der angefochtene Massnahmenentscheid ist somit ein
Zwischenentscheid. Er unterliegt dem in der Hauptsache zulässigen Rechtsmittel
(vgl. BGE 137 III 261 E. 1.4 S. 264) und damit der Beschwerde gemäss Art. 72
ff. BGG (vgl. E. 1 soeben).

2.2 Gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ist die Beschwerde gegen selbstständig
eröffnete Vor- und Zwischenentscheide zulässig, wenn sie einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken können.
2.2.1 Ein nicht wieder gutzumachender Nachteil muss nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung rechtlicher Natur sein, was voraussetzt,
dass er sich auch mit einem späteren günstigen Endentscheid nicht oder nicht
vollständig beseitigen lässt. Die blosse Möglichkeit eines nicht wieder
gutzumachenden Nachteils rechtlicher Natur genügt. Dagegen reichen rein
tatsächliche Nachteile wie die Verfahrensverlängerung oder -verteuerung nicht
aus (vgl. BGE 137 III 380 E. 1.2.1 S. 382 und 522 E. 1.3 S. 525; 138 III 190 E.
6 S. 192).
2.2.2 In der bisherigen Rechtsprechung wurde Zwischenentscheiden über
vorsorgliche Massnahmen ein nicht wieder gutzumachender Nachteil regelmässig
zuerkannt mit der Begründung, dass eine spätere Anfechtung des
Massnahmenentscheids zufolge dessen Wegfalls mit dem Hauptentscheid nicht mehr
möglich ist. Der Nachteil wurde in der Verweigerung der Verfassungskontrolle
erblickt, d.h. in der Beeinträchtigung des Beschwerdeführers in seiner
formellen Rechtsstellung. Die neuere Rechtsprechung hat dieses Verständnis des
nicht wieder gutzumachenden Nachteils im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG,
das für letztinstanzliche Entscheide über vorsorgliche Massnahmen ohne weiteres
die Beschwerdemöglichkeit an das Bundesgericht eröffnet, infrage gestellt.
Danach ist in Zukunft jedenfalls zu fordern, dass der Beschwerdeführer, der
einen Massnahmenentscheid beim Bundesgericht anficht, in der
Beschwerdebegründung aufzeigt, inwiefern ihm im konkreten Fall ein nicht wieder
gutzumachender Nachteil rechtlicher Natur droht, ansonsten auf die Beschwerde
mangels hinreichender Begründung nicht einzutreten ist (vgl. BGE 137 III 324 E.
1.1 S. 327 ff.). Der blosse Hinweis auf den Verlust einer Verfassungskontrolle,
wenn nicht auf die Beschwerde eingetreten würde, genügt nicht mehr als nicht
wieder gutzumachender Nachteil (Urteile 4A_478/2011 vom 30. November 2011 E.
1.1, in: SZZP 2012 S. 214, 4A_460/2011 vom 20. Dezember 2011 E. 1.2 und 4A_111/
2012 vom 26. März 2012).
2.2.3 Unter Hinweis auf die Rechtsprechung begründen die Beschwerdeführer den
sie angeblich treffenden nicht wieder gutzumachenden Nachteil. Sie machen
geltend, mit dem angefochtenen Massnahmenentscheid würden sie während den
laufenden öffentlich-rechtlichen (mit Hinweis auf die Beschwerde 2C_1/2012) und
zivilrechtlichen Verfahren mundtot gemacht und es werde ihre
Meinungsäusserungsfreiheit eingeschränkt. Sie dürften den Beschwerdegegner, der
die unrechtmässige und auch tierethisch mehr als fragwürdige Ersatzvornahme vom
10. November 2011 in der Fischfarm offenbar angeordnet habe, praktisch nicht
mehr kritisieren, wenn ihnen verboten würde, gegenüber dem Beschwerdegegner die
Aussagen "Tiermörder, machtgeile, unreife Beamte, polizeistaatliche Methoden,
Behördenwillkür, amtliche Fischkiller, skandalöses, perverses und
verachtenswertes Verhalten" zu tätigen, und wenn sie gezwungen würden,
entsprechende Einträge im Facebook zu löschen. Dieser Nachteil könne mit einer
späteren Abweisung der Hauptsachenklage des Beschwerdegegners nicht mehr
gutgemacht werden. Eine dannzumalige Abweisung der Hauptsachenklage vermöge den
Maulkorb (und damit die Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit), der
ihnen mit dem angefochtenen Massnahmenentscheid auferlegt werde, nicht wieder
gut zu machen.
Die Beschwerdeführer halten weiter dafür, sie müssten heute und jetzt die
Möglichkeit und das Recht haben, sich auch in der Öffentlichkeit gegen die
unrechtmässige und auch tierethisch mehr als fragwürdige Ersatzvornahme vom 10.
November 2011 in der Fischfarm zu wehren. Es nütze ihnen nichts, wenn sie sich
in der Öffentlichkeit erst nach Abweisung der Hauptsachenklage gegen die
Ersatzvornahme vom 10. November 2011 in der Fischfarm wehren könnten. Dies
treffe in besonderem Masse auf den Beschwerdeführer zu, der bereits in
fortgeschrittenem Alter (72) sei, an verschiedenen Krankheiten leide und nicht
wisse, ob er das Ende der Streitigkeit mit dem Kanton St. Gallen überhaupt noch
erlebe (S. 3 Ziff. II/6 der Beschwerdeschrift).
2.2.4 Mit ihren Vorbringen verkennen die Beschwerdeführer offensichtlich den
Inhalt des ihnen auferlegten Verbots. Entgegen ihrer Darstellung umfasst der
angefochtene Entscheid kein vorsorglich angeordnetes allgemeines Äusserungs-
oder Publikationsverbot, das in der Regel einen nicht wieder gutzumachenden
Nachteil bewirken dürfte (vgl. Urteile 5A_202/2007 vom 13. Juni 2007 E. 1.1 und
5A_706/2010 vom 20. Juni 2011 E. 1.2). Es ist den Beschwerdeführern nicht
untersagt, sich heute in der Öffentlichkeit über die ihrer Ansicht nach
unrechtmässige und tierethisch fragwürdige Ersatzvornahme vom 10. November 2011
zu äussern. Vorübergehend untersagt wird ihnen lediglich die Verwendung von ein
paar wenigen konkret bestimmten Begriffen, die inhaltsgleich auch anders
umschrieben werden können. Eine sachliche Kritik am behördlichen Vorgehen wird
dadurch nicht behindert und bleibt den Beschwerdeführern mit einem
geringfügigen Mehraufwand in der Wortwahl auch während des Hauptverfahrens
gewährleistet. Ihre Vorbringen vermögen keinen Nachteil, geschweige denn einen
nicht wieder gutzumachenden Nachteil zu begründen, den die Beschwerdeführer
dadurch erleiden könnten, dass sie vorübergehend die Begriffe "Tiermörder,
machtgeile, unreife Beamte, polizeistaatliche Methoden, Behördenwillkür,
amtliche Fischkiller, skandalöses, perverses und verachtenswertes Verhalten"
gegenüber dem Beschwerdegegner nicht mehr verwenden dürfen. Ob die
vorsorglichen Massnahmen begründet waren, wird sich im Hauptverfahren weisen
(vgl. Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches
(Persönlichkeitsschutz: Art. 28 ZGB und 49 OR) vom 5. Mai 1982, BBl. 1982 II
636 S. 670 Ziff. 254.2).
2.2.5 Insgesamt ist ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art.
93 Abs. 1 lit. a BGG weder ersichtlich noch dargetan.

2.3 Gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG ist die Beschwerde gegen selbstständig
eröffnete Vor- und Zwischenentscheide zulässig, wenn die Gutheissung der
Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden
Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen
würde. Die Variante fällt bei Massnahmenentscheiden von vornherein ausser
Betracht (vgl. BGE 134 I 83 E. 3.1 S. 87; 137 III 589 E. 1.2.3 S. 591).

3.
Aus den dargelegten Gründen kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.
Die Beschwerdeführer werden damit kostenpflichtig, nicht hingegen
entschädigungspflichtig, da der Beschwerdegegner nicht zur Vernehmlassung
eingeladen worden ist (Art. 66 Abs. 1 und 5 und Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt der Einzelrichter:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden den Beschwerdeführern unter
solidarischer Haftbarkeit auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Appenzell I.Rh., der
Präsident als Einzelrichter, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. Juli 2012
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Einzelrichter: Meyer

Der Gerichtsschreiber: von Roten