Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.306/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_306/2012

Urteil vom 14. November 2012
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter L. Meyer,
Gerichtsschreiber Zingg.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Fürsprecher Philipp Studer,
Beschwerdeführerin,

gegen

Z.________,
vertreten durch Fürsprecherin Eva Saluz,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Abänderung des Scheidungsurteils (Klagebewilligung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern,
Zivilabteilung, 2. Zivilkammer, vom 23. März 2012.

Sachverhalt:

A.
Die Ehe von X.________ und Z.________ wurde 1982 geschieden. In der gerichtlich
genehmigten Scheidungskonvention verpflichtete sich Z.________ zu
Unterhaltszahlungen an seine Ehefrau.

Um diese Unterhaltsbeiträge abändern zu lassen, ersuchte Z.________ am 9.
Februar 2009 um Ladung zum Aussöhnungsversuch. Nach Sistierung des Verfahrens
fand der Aussöhnungsversuch am 7. Februar 2011 statt. An diesem Termin wurde
Z.________ die Klagebewilligung erteilt. Am 11. Mai 2011 erhob er schliesslich
Klage beim Regionalgericht Bern-Mittelland auf Abänderung der
Unterhaltsbeiträge.

X.________ beantragte daraufhin, das Verfahren sei vorerst auf die Frage der
rechtzeitigen Klageeinreichung zu beschränken und die Klage sei zurückzuweisen.
Mit Verfügung vom 11. Januar 2012 wies der zuständige Gerichtspräsident diese
Anträge ab und trat auf die Abänderungsklage ein.

B.
Am 27. Januar 2012 erhob X.________ gegen diese Verfügung Beschwerde. Sie
beantragte, die Verfügung aufzuheben und das Regionalgericht anzuweisen, nicht
auf die Abänderungsklage vom 11. Mai 2011 einzutreten.

Mit Entscheid vom 23. März 2012 wies das Obergericht des Kantons Bern die
Beschwerde ab und bestätigte die angefochtene Verfügung.

C.
Am 27. April 2012 hat X.________ (Beschwerdeführerin) Beschwerde in Zivilsachen
erhoben. Sie beantragt, den Entscheid des Obergerichts vom 23. März 2012
aufzuheben und das Regionalgericht anzuweisen, auf die Abänderungsklage nicht
einzutreten.

Z.________ (Beschwerdegegner) beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit
darauf eingetreten werden könne. Das Obergericht hat auf Vernehmlassung
verzichtet.

Erwägungen:

1.
Der angefochtene Entscheid bestätigt die Rechtzeitigkeit der Klageeinreichung.
Er schliesst somit das Verfahren nicht ab, sondern stellt einen Zwischenschritt
im Prozess der Parteien auf Abänderung des Scheidungsurteils dar. Folglich
handelt es sich um einen Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG. Die
Beschwerde ist zulässig, wenn der Zwischenentscheid einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) oder wenn die
Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit
einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges
Beweisverfahren ersparen würde (Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG). Die Gutheissung der
Beschwerde würde sofort einen Endentscheid herbeiführen. Gälte nämlich für die
Dauer der Klagefrist die Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO; SR 272) und
wäre sie verpasst, so würden sich auch die Folgen der verpassten Klagefrist
nach der Schweizerischen ZPO richten. Danach ist auf eine Klage, die nach
Ablauf der Wirksamkeit der Klagebewilligung eingereicht wurde, grundsätzlich
nicht einzutreten (vgl. Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen
Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 Ziff. 5.13 zu Art. 206 des Entwurfs; FREI/
WILLISEGGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N.
11 zu Art. 220 ZPO). Mit einem sofortigen Nichteintretensentscheid, den das
Bundesgericht selber fällen kann (Art. 107 Abs. 2 BGG), könnte ein bedeutender
Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart
werden, wie sich aus dem Umfang der bereits im Recht liegenden Akten und der am
11. Januar 2012 ergangenen Beweisverfügung ableiten lässt.

Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg demjenigen der Hauptsache (BGE 137
III 380 E. 1.1 S. 382). In der Hauptsache geht es um eine Zivilsache (Art. 72
Abs. 1 BGG) vermögensrechtlicher Natur, wobei der Streitwert von Fr. 30'000.--
überschritten ist (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG). Die Beschwerde ist rechtzeitig
erfolgt (Art. 100 Abs. 1 BGG) und richtet sich gegen ein kantonal
letztinstanzliches, auf Rechtsmittel hin ergangenes Urteil (Art. 75 BGG).

2.
Gemäss dem bernischen Gesetz vom 7. Juli 1918 über die Zivilprozessordnung
(nachfolgend: ZPO/BE; ehemals BSG 271.1) berechtigte die Klagebewilligung im
Normalfall zur Klageeinreichung während einer Frist von sechs Monaten (Art. 153
Abs. 3 ZPO/BE). Demgegenüber beträgt die normale Klagefrist unter der
Schweizerischen Zivilprozessordnung drei Monate (Art. 209 Abs. 3 ZPO).

Diese gesetzliche Ausgangslage wirft im vorliegenden Fall die
übergangsrechtliche Frage auf, welche Klagefrist massgeblich sein soll, wenn
das Schlichtungsverfahren (Aussöhnungsversuch nach Art. 144 ff. ZPO/BE) noch
unter der Geltung des kantonalen Prozessrechts eingeleitet, die
Klagebewilligung aber erst nach dem 1. Januar 2011 (Datum des Inkrafttretens
der Schweizerischen ZPO) ausgestellt worden ist.

Das Obergericht hat unter Berufung auf sein Kreisschreiben zum Übergangsrecht
ausgeführt, für die Durchführung des Aussöhnungsversuchs sei noch die ZPO/BE
massgeblich gewesen. Die Schlichtungsbehörde habe deswegen eine altrechtliche
Klagebewilligung erteilt und es sei folglich die altrechtliche Klagefrist von
sechs Monaten anwendbar. Würde die kürzere Klagefrist von drei Monaten gelten,
führte dies zu einer Schlechterstellung der rechtssuchenden Partei und zur
Schaffung einer Prozessfalle. Der Wechsel auf das neue Recht erfolge auf der
Stufe des urteilenden Gerichts, denn der Aussöhnungsrichter stelle eine eigene
Instanz im Sinne von Art. 404 Abs. 1 ZPO dar.

3.
Das Bundesgericht hat kürzlich in einem mietrechtlichen Fall entschieden, dass
sich die Klagefrist nach altem Recht bestimme, wenn die Schlichtungsbehörde
noch vor dem 1. Januar 2011 angerufen worden war, diese aber erst nach
Inkrafttreten der Schweizerischen ZPO entschieden hat (zur Publikation
vorgesehenes Urteil 4A_203/2012 vom 17. Oktober 2012 E. 2). Inwieweit dies für
andere als mietrechtliche Verfahren gilt, kann dahingestellt bleiben.
Vorliegend erweist sich nämlich, dass die Klage rechtzeitig eingereicht worden
ist, und zwar unabhängig vom Recht, dem die Klagefrist untersteht.

Die Klagebewilligung wurde am 7. Februar 2011 erteilt und den Parteien zugleich
eröffnet. Der Beschwerdegegner hat die Klage am 11. Mai 2011 (Poststempel) dem
Regionalgericht eingereicht. Die altrechtliche Klagefrist von sechs Monaten
wäre damit offensichtlich eingehalten. Die neurechtliche Frist von drei Monaten
(Art. 209 Abs. 3 ZPO) wäre grundsätzlich am 8. Mai 2011 abgelaufen (Art. 142
Abs. 1 und Abs. 2 ZPO). Das Bundesgericht hat jedoch kürzlich entschieden, dass
der Fristenstillstand über Ostern gemäss Art. 145 Abs. 1 lit. a ZPO auch für
die in Art. 209 ZPO vorgesehenen Fristen gilt. Art. 145 Abs. 2 lit. a ZPO,
wonach der Fristenstillstand für das Schlichtungsverfahren nicht gilt, bezieht
sich nur auf das Schlichtungsverfahren im eigentlichen Sinn (Art. 202 bis 207
ZPO), nicht aber auf die Klagefristen von Art. 209 ZPO, die erst nach
durchgeführtem Schlichtungsversuch zum Tragen kommen (zur Publikation
vorgesehenes Urteil 4A_391/2012 vom 20. September 2012 E. 2). Sollte vorliegend
auf die Klagefrist das neue Recht zur Anwendung kommen, so wäre folgerichtig
auch die Fristenstillstandsregel von Art. 145 Abs. 1 lit. a ZPO zu beachten. Da
Ostern auf den 8. April 2012 fiel, profitierte der Beschwerdegegner demnach vom
Fristenstillstand vom siebten Tag vor Ostern bis und mit dem siebten Tag nach
Ostern, womit die Klageeinreichung am 11. Mai 2012 auch unter neuem Recht
rechtzeitig erfolgt wäre. Die Beschwerde ist mithin abzuweisen.

Nicht geklärt zu werden braucht bei diesem Ergebnis, ob nach Schweizerischer
ZPO vor einer Abänderungsklage überhaupt ein Schlichtungsversuch stattfindet
(vgl. Art. 198 lit. c und Art. 284 Abs. 3 ZPO) und welche Konsequenzen für
einen übergangsrechtlichen Fall wie den vorliegenden zu ziehen wären, wenn das
neue Recht keinen Schlichtungsversuch mehr vorsehen sollte.

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie hat den Beschwerdegegner für das
bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner mit Fr. 2'500.-- für das
bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern,
Zivilabteilung, 2. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. November 2012
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Hohl

Der Gerichtsschreiber: Zingg