Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.291/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_291/2012

Urteil vom 15. August 2012
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichter Marazzi, von Werdt,
Gerichtsschreiber V. Monn.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Anita Meincke,
Beschwerdeführer,

Stadt A.________, Jugendamt,
Deutschland,
Verfahrensbeteiligte,

gegen

Z.________,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Sorgerecht (Vollstreckung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 15.
Februar 2012.

Sachverhalt:

A.
X.________ und Z.________ sind die nicht verheirateten Eltern von Y.________
(geb. 2002; deutsche Staatsangehörige). Die Mutter ist alleinige Inhaberin der
elterlichen Sorge; sie hat zwischenzeitlich ihren jetzigen Ehemann Z.________
geheiratet.

B.
Am 10. März 2011 hatte X.________ beim Amtsgericht Lünen (Deutschland) die
Übertragung der elterlichen Sorge beantragt (Verfahren AZ 11 F 86/11). Mit
Urteil vom 7. Juni 2011 hob das Amtsgericht Lünen eine im Rahmen des
Sorgerechtsprozesses erlassene einstweilige Anordnung vom 27. Mai 2011 auf, mit
der es die Obhut über Y.________ dem Jugendamt A.________ übertragen hatte, und
wies den Antrag des Jugendamts A.________ auf Entziehung der elterlichen Sorge
der Kindesmutter ab. Am 27. Juni 2011 zog Z.________ mit ihrem Ehemann und
ihrer Tochter von A.________ in die Schweiz. Mit einstweiliger Anordnung vom 1.
Juli 2011 entzog das Amtsgericht Lünen der Mutter wiederum vorläufig die
elterliche Sorge für Y.________ und ordnete "insoweit" die Vormundschaft an;
zum Vormund wurde das Jugendamt A.________ bestellt. Zur Begründung führte das
Amtsgericht aus, es bestehe Anlass zur Annahme, dass die Mutter ohne Wissen des
Vaters und ohne Rücksichtnahme auf die Bindungen des Kindes Y.________ ins
Ausland verbracht habe und das Kind auf diese Art und Weise der zu erwartenden
Sorgerechtsentscheidung im Verfahren 11 F 86/11 zu entziehen versuche. Auf
Antrag des Jugendamts A.________ ergänzte das Amtsgericht am 11. August 2011
diese Anordnung und verpflichtete Z.________, ihre Tochter an das Jugendamt
A.________ oder an die zuständigen Behörden in der Schweiz herauszugeben.

C.
Mit Eingabe vom 18. Juli 2011 gelangte die Stadt A.________ (Jugendamt) über
den Rechtshilfeweg an das Bezirksgericht Münchwilen und ersuchte darum, die
einstweilige Anordnung des Amtsgerichts Lünen vom 1. Juli und 11. August 2011
betreffend Sorgerechtsentzug und Herausgabe des Kindes (s. Bst. A) anzuerkennen
und zu vollstrecken. Nachdem er beim Vormundschaftsamt B.________ einen Bericht
über das Wohlergehen bzw. über eine allfällige Gefährdung des Kindes eingeholt,
die Mutter zur Stellungnahme eingeladen und Y.________ persönlich angehört
hatte, wies der Einzelrichter des Bezirksgerichts Münchwilen das Begehren um
Vollstreckung des Urteils des Amtsgerichts Lünen mit Entscheid vom 18. November
2011 ab.

D.
Am 8. Dezember 2011 erhob der Kindsvater X.________, der im
bezirksrichterlichen Verfahren als "Verfahrensbeteiligter" aufgeführt worden
war, Beschwerde und beantragte dem Obergericht des Kantons Thurgau, dem Antrag
der Stadt A.________ zu entsprechen. Das Obergericht wies die Beschwerde ab;
der Entscheid vom 15. Februar 2012 wurde von X.________ am 16. April 2012 in
Empfang genommen.

E.
Mit Beschwerde vom 23. April 2012 gelangt X.________ (fortan Beschwerdeführer)
an das Bundesgericht. Er beantragt, den Entscheid des Obergerichts des Kantons
Thurgau aufzuheben und dem Antrag der Stadt A.________ vom 18. Juli 2011 zu
entsprechen.

Das Bundesgericht hat die kantonalen Akten eingeholt. Ein Schriftenwechsel
wurde nicht angeordnet. Trotzdem reichte Z.________ (fortan Beschwerdegegnerin)
nach erfolgter Zustellung der Beschwerde unaufgefordert eine Stellungnahme ein,
in welcher sie beantragt, die Beschwerde "abzulehnen". Das Schreiben vom 15.
Mai 2012 wurde dem Beschwerdeführer zugestellt. Dieser liess sich mit Eingabe
vom 14. Juni 2012 seinerseits vernehmen. Am 23. Juli 2012 erfolgte eine weitere
Zuschrift der Beschwerdegegnerin.

Erwägungen:

1.
1.1 Das Bundesgericht überprüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob
eine Beschwerde zulässig ist (BGE 135 III 212 E. 1 S. 216; 134 III 115 E. 1 S.
117, je mit Hinweisen).

1.2 Die rechtzeitig (Art. 100 BGG) eingereichte Beschwerde richtet sich gegen
den Endentscheid (Art. 90 BGG) einer letzten kantonalen Instanz (Art. 75 BGG),
der die Vollstreckung eines ausländischen Entscheids über den Entzug der
elterlichen Sorge und Obhut (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 1 BGG), also eine
nicht vermögensrechtliche Angelegenheit zum Gegenstand hat.

1.3 Zur Beschwerde in Zivilsachen ist nur berechtigt, wer durch den
angefochtenen Entscheid besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse
an dessen Aufhebung oder Änderung hat (Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG); das
Interesse kann rechtlicher oder bloss tatsächlicher Natur sein, vorausgesetzt,
es ist schutzwürdig (Urteil 5A_185/ 2011 vom 5. September 2011 E. 1.3). Die
einstweilige Anordnung vom 1. Juli und 11. August 2011, mit der die Stadt
A.________ der Beschwerdegegnerin die elterliche Sorge über Y.________
vorläufig entzog, das Kind unter die Vormundschaft des Jugendamts A.________
stellte und die Herausgabe des Kindes anordnete, erging im Rahmen des
Hauptverfahrens, in welchem der Beschwerdeführer als Kindesvater um die
Übertragung der elterlichen Sorge von der Beschwerdegegnerin auf ihn streitet
(s. Sachverhalt Bst. B). Unter diesen Umständen ist auch der Beschwerdeführer
als Vater und als Partei im Hauptverfahren durch den angefochtenen Entscheid
besonders berührt; er hat ein schutzwürdiges Interesse an der Anerkennung und
Vollstreckung des deutschen Urteils.

1.4 Der streitige Entscheid des Amtsgerichts Lünen betrifft eine "einstweilige
Anordnungssache" nach deutschem Recht; er erfolgte "wegen der Dringlichkeit
ohne vorherige Anhörung". Seiner Natur nach ist der anzuerkennende und zu
vollstreckende Entscheid somit eine superprovisorische Massnahme, wie sie auch
das schweizerische Zivilprozessrecht in Art. 265 ZPO kennt. Nun tritt das
Bundesgericht zwar auf Rechtsmittel gegen Entscheide über superprovisorische
Massnahmen grundsätzlich nicht ein, weil es in solchen Fällen an der
Beschwerdevoraussetzung der Ausschöpfung des Instanzenzuges mangelt (BGE 137
III 417 E. 1.2 S. 418 mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall steht jedoch kein
Entscheid über eine superprovisorische Massnahme zur Diskussion. Gegenstand des
angefochtenen Entscheides ist vielmehr die Anerkennung und
Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Entscheids. Hierzu hat vor dem
zuständigen Schweizer Gericht ein selbständiges Exequaturverfahren
stattgefunden. Die Beschwerde in Zivilsachen ist somit auch unter diesem
Blickwinkel zulässig.

1.5 Nach der Rechtsprechung ist ein selbständiger Exequaturentscheid keine
vorsorgliche Massnahme im Sinne von Art. 98 BGG, unabhängig davon, ob der
ausländische Entscheid einstweiligen Charakter hat oder nicht (BGE 135 III 670
E. 1.3 S. 672 f.). Gegen den angefochtenen Entscheid sind somit die allgemeinen
Beschwerdegründe zuzulassen. Mit der Beschwerde in Zivilsachen kann also u.a.
die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich des Bundesverfassungsrechts
sowie von Völkerrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a und b BGG). In diesem
Bereich wendet das Bundesgericht das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG) und prüft mit freier Kognition, ob der angefochtene Entscheid Recht
verletzt. Dagegen ist es an den festgestellten Sachverhalt grundsätzlich
gebunden (Art. 105 Abs. 1 BGG). Diesbezüglich kann einzig vorgebracht werden,
er sei offensichtlich unrichtig festgestellt worden (Art. 97 Abs. 1 BGG), wobei
"offensichtlich unrichtig" mit "willkürlich" gleichzusetzen ist (Botschaft, BBl
2001 IV 4338; 133 II 249 E. 1.2.2 S. 252; 133 III 393 E. 7.1 S. 398), oder er
beruhe auf einer anderen Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG (z.B. Art. 29
Abs. 2 BV oder Art. 8 ZGB). In der Beschwerde ist überdies darzutun, inwiefern
die Behebung der vorerwähnten Mängel für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 135 I 19 E. 2.2.2 S. 22).

1.6 Nach Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung in gedrängter Form
darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Die Begründung muss
in der Beschwerde selbst enthalten sein. Blosse Verweise auf die den
Vorinstanzen eingereichten Rechtsschriften genügen den Anforderungen von Art.
42 Abs. 2 BGG nicht (Urteil 5A_512/2007 vom 17. April 2008 E. 1.5 mit
Hinweisen, nicht publ. in: BGE 134 III 433). Daran ändert sich nichts, wenn der
Beschwerdeführer seine Eingabe an das Obergericht vom 8. Dezember 2011
"inhaltlich auch hier zum Vortrag" macht. Die darin enthaltenen verwiesenen
Vorbringen bleiben unbeachtlich (vgl. Urteil 5A_386/2008 vom 6. April 2009 E.
1).

2.
2.1 Die Stadt A.________ stützte ihr Anerkennungs- und Vollstreckungsbegehren
primär auf das Haager Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 über die
Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und
Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Massnahmen
zum Schutz von Kindern (Haager Kindesschutzübereinkommen, HKsÜ; SR
0.211.231.011) und in zweiter Linie auf das Europäische Übereinkommen vom 20.
Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das
Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechts (Europäisches
Sorgerechtsübereinkommen, ESÜ; SR 0.211.230.01). Das Obergericht erwog, das
HKsÜ sei hinsichtlich der involvierten Länder Deutschland und Schweiz später in
Kraft getreten als das ESÜ. Nachdem keiner dieser beiden völkerrechtlichen
Verträge die Anwendung einer anderen internationalen Übereinkunft zwischen dem
Ursprungsstaat und dem ersuchten Staat ausschliesse, dürfte das jüngere HKsÜ
gegenüber dem älteren ESÜ den Vorrang geniessen. Angesichts des
Verfahrensausgangs könne die Frage aber offengelassen werden; immerhin drücke
das HKsÜ adäquater die heutige Auffassung der Haager Konferenz und der
Staatengemeinschaft zum Kindeswohl aus. Entsprechend dem Antrag der Stadt
A.________ sei die Anerkennung und Vollstreckung des Beschlusses des
Amtsgerichts Lünen vom 1. Juli und 11. August 2011 in Anwendung des HKsÜ und,
falls dieses Übereinkommen nicht zum Ziel führe, gestützt auf das ESÜ zu
prüfen.

2.2 Richtig ist, dass beide erwähnten Übereinkommen die Anwendung eines anderen
Staatsvertrages zulassen: So schliesst das ESÜ nicht aus, dass eine andere
internationale Übereinkunft zwischen dem Ursprungsstaat und dem ersuchten Staat
oder das nichtvertragliche Recht des ersuchten Staates angewendet wird, um die
Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung zu erwirken (Art. 19 ESÜ).
Und das HKsÜ lässt internationale Übereinkünfte unberührt, denen
Vertragsstaaten als Vertragsparteien angehören und die Bestimmungen über die in
diesem Übereinkommen geregelten Angelegenheiten enthalten, sofern die durch
eine solche Übereinkunft gebundenen Staaten keine gegenteilige Erklärung
abgeben (Art. 52 Abs. 1 HKsÜ). Eine solche Erklärung haben zu Lasten des ESÜ
weder Deutschland noch die Schweiz abgegeben. Bestimmen aber beide
Staatsverträge, dass sie mit einem anderen (später bzw. früher geschlossenen)
Vertrag nicht als unvereinbar anzusehen sind, so sind grundsätzlich beide
Übereinkommen nebeneinander anwendbar, ohne dass ein Übereinkommen gegenüber
dem anderen von sich aus den Vorrang genösse (vgl. KRAH, Das Haager
Kinderschutzübereinkommen, Frankfurt a. M. et al. 2004, S. 103;
JAMETTI-GREINER, in: Ingeborg Schwenzer [Hrsg.], Familienrechtskommentar
Scheidung, 2. A., Bern 2011, N 114 zum Anhang IPR; BUCHER, in: Commentaire
Romand, Loi sur le droit international privé - Convention de Lugano, Basel
2011, N 96 zu Art. 85 IPRG).

2.3 Für den Fall, dass nicht alle Vertragsparteien eines früheren Vertrages -
hier des ESÜ - zu den Vertragsparteien eines späteren - hier des HKsÜ -
gehören, bestimmt Art. 30 Abs. 4 lit. a des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai
1969 über das Recht der Verträge (SR 0.111), dass zwischen den Staaten, die
Vertragsparteien beider Verträge sind, Absatz 3 desselben Artikels Anwendung
findet. Dieser Vorschrift zufolge ist dann, wenn ein früherer und ein späterer
völkerrechtlicher Vertrag zwischen den gleichen Vertragsparteien nebeneinander
anwendbar sind, der frühere Vertrag nur insoweit anzuwenden, als er mit dem
späteren Vertrag vereinbar ist. Die Norm fusst auf der Überlegung, dass
Staaten, die eine bereits staatsvertraglich geregelte Materie mittels einer
neuen Übereinkunft anders regeln wollen, damit auch ihre Absicht zum Ausdruck
bringen, die Rechte und Pflichten aus dem früheren völkerrechtlichen Vertrag
durch die neu geschaffenen Regeln zu ersetzen (s. PAOLILLO, in: CORTEN/KLEIN,
Les conventions de Vienne sur le droit des traités, Commentaire article par
article, Bd. II, Brüssel 2006, N 41 zu Art. 30 des Wiener
Vertragsrechtsübereinkommens von 1969; vgl. auch Conclusions des travaux du
Groupe d'étude de La fragmentation du droit international: difficultés
découlant de la diversification et de l'expansion du droit international,
angenommen im Jahr 2006 durch die Commission du droit international der
Vereinten Nationen, Rz. 24 ff., in: Annuaire de la Commission du droit
international, 2006, Bd. II [2]).

Bezogen auf den vorliegenden Fall folgt aus Art. 30 Abs. 3 des Wiener
Vertragsrechtsübereinkommens zunächst, dass der Schweizer Richter einem
deutschen Entscheid, den er nach dem Haager Kindesschutzübereinkommen
anerkennen und vollstrecken muss, die Anerkennung und Vollstreckung nicht mit
der Begründung verweigern darf, das Europäische Sorgerechtsübereinkommen stehe
dem entgegen. Diese Beurteilung der Rechtslage steht nicht nur im Einklang mit
dem erläuternden Bericht zum ESÜ, dem zufolge dieses Übereinkommen gegenüber
anderen staatsvertraglichen oder landesrechtlichen Vorschriften zurücktritt,
welche die Anerkennung und Vollstreckung erleichtern (Erläuternder Bericht zum
ESÜ, Rz. 75, in: BT-Drs 11/5314, S. 67). Sie harmoniert auch mit der in der
Lehre geäusserten Ansicht, die Durchsetzung einer Sorgerechtsentscheidung nach
dem Haager Kindesschutzübereinkommen bringe gegenüber einer solchen nach dem
ESÜ erhebliche Erleichterungen (KRAH, a.a.O.) bzw. das Europäische
Sorgerechtsübereinkommen werde mit dem moderneren HKsÜ "noch weiter
zurückgedrängt" (so JAMETTI GREINER, a.a.O.). Gleichermassen folgt aus Art. 30
Abs. 3 des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens aber auch der (Umkehr-)Schluss,
dass der Schweizer Richter einen deutschen Entscheid, dem er die Anerkennung
und Vollstreckung gestützt auf das HKsÜ aus einem bestimmten Grund versagen
muss, jedenfalls nicht mit der Begründung anerkennen und vollstrecken darf, das
ESÜ verbiete die Anerkennung und Vollstreckung aus diesem gleichen Grund nicht.
Denn dies käme einer Umgehung von Vorgaben des späteren Staatsvertrages gleich,
mit denen der frühere Vertrag eben im Sinne von Art. 30 Abs. 3 der Wiener
Vertragsrechtskonvention nicht vereinbar ist.

3.
Der Beschwerdeführer stellt die Anwendbarkeit des Haager
Kindesschutzübereinkommens und des Europäischen Sorgerechtsübereinkommens nicht
in Frage. Er bestreitet aber, dass der Beschluss des Amtsgerichts Lünen vom 1.
Juli und 11. August 2011 gestützt darauf nicht vollstreckbar sein soll.

3.1 Mit Bezug auf das Haager Kindesschutzübereinkommen führt das Obergericht
aus, gemäss Art. 23 Abs. 2 lit. a HKsÜ könne die Anerkennung und Vollstreckung
verweigert werden, wenn die Massnahme von einer Behörde getroffen wurde, die
nicht nach Art. 5 ff. HKsÜ zuständig war. Laut Art. 5 Abs. 1 HKsÜ seien die
Behörden des Vertragsstaats, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt
hat, zuständig, Massnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Kindes
zu treffen. Vorbehältlich von Art. 7 HKsÜ seien bei einem Wechsel des
persönlichen Aufenthalts des Kindes in einen anderen Vertragsstaat nach Art. 5
Abs. 2 HKsÜ die Behörden des Staates des neuen gewöhnlichen Aufenthalts
zuständig; eine Festsetzung des Gerichtsstands (perpetuatio fori) gebe es im
Verhältnis unter den Konventionsstaaten nicht.

Bezüglich des konkreten Falls und unter Hinweis auf den Beschluss des
Amtsgerichts Lünen vom 7. Juni 2011 (s. Sachverhalt Bst. B) hält das
Obergericht fest, das Amtsgericht Lünen habe seine (erste) einstweilige
Anordnung am 7. Juni 2011 aufgehoben und den Antrag des Jugendamts auf
Entziehung der elterlichen Sorge abgewiesen gehabt (s. Sachverhalt Bst. B),
weshalb die Beschwerdegegnerin als alleinige Sorgerechtsinhaberin grundsätzlich
berechtigt gewesen sei, mit Y.________ in die Schweiz zu reisen und in
C.________ einen neuen Wohnsitz und damit einen gewöhnlichen Aufenthalt im
Sinne von Art. 5 HKsÜ zu begründen. Dies gelte "umso mehr", als der
Beschwerdeführer gemäss einer aktenkundigen "Einverständniserklärung" vom 26.
Juni 2011 vom Umzug in Kenntnis gesetzt worden sei, diesbezüglich ausführliche
Gespräche geführt habe und damit "im vollsten Umfang" einverstanden gewesen
sei. Y.________ und die Beschwerdegegnerin hätten beabsichtigt und würden
beabsichtigen, in der Schweiz zu bleiben; sie hätten sich bei den Behörden
angemeldet, und Y.________ besuche in C.________ die Schule. All diese Umstände
sprächen für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von Art. 5
HKsÜ in der Schweiz. Damit sei das Amtsgericht Lünen nicht mehr zuständig
gewesen, allfällige vorsorgliche Massnahmen zum Schutz des Kindes zu verfügen
und die Beschlüsse vom 1. Juli und 11. August 2011 zu fällen. Wegen fehlender
Zuständigkeit der erlassenden Behörde sei das Begehren deshalb in Anwendung von
Art. 26 Abs. 3 i.V.m. Art. 23 Abs. 2 lit. a HKsÜ abzuweisen.

3.2 In diesem Zusammenhang beanstandet der Beschwerdeführer, die Vorinstanz
habe sich im Wesentlichen auf die Einverständniserklärung gestützt, obwohl ihr
bekannt gewesen sei, dass er die Echtheit dieser Urkunde bestritten habe. Weil
der Inhalt dieser Erklärung unwahr und ein solches Dokument von ihm nie
unterzeichnet worden sei, habe er in Deutschland Strafanzeige wegen
Urkundenfälschung gestellt. Das Ermittlungsverfahren sei im Rahmen eines
Rechtshilfeersuchens an die Generalstaatsanwaltschaft in D.________ übersandt
worden. Soweit der Beschwerdeführer dem Obergericht damit vorwerfen will, es
habe den Sachverhalt unvollständig festgestellt oder die Beweise willkürlich
gewürdigt, tut er jedenfalls nicht dar, inwiefern die Behebung des Mangels für
den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein könnte, das Obergericht die
Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in der Schweiz nach Art. 5
HKsÜ also allein deshalb hätte verneinen müssen, weil er die Echtheit der
Einverständniserklärung bestritten hatte. Das Gesagte gilt sinngemäss für die
Behauptung, die Beschwerdegegnerin habe Y.________ in Deutschland weder an der
Schule noch in der Stadt A.________ abgemeldet und es fehle an konkreten
Feststellungen darüber, wann Y.________ in der Schule und bei der
Einwohnerkontrolle in der Schweiz angemeldet wurde. Inwiefern es für die
Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von Art. 5 HKsÜ auf die Ab-
und Anmeldung bei der Einwohnerbehörde bzw. auf den Zeitpunkt dieser Vorgänge
ankäme, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf und ist auch nicht ersichtlich.
Vielmehr wurde anlässlich der Arbeiten am Haager Kindesschutzübereinkommen
bewusst darauf verzichtet, den gewöhnlichen Aufenthalt des Minderjährigen mit
konkreten positiven oder negativen Kriterien zu umschreiben - gerade weil diese
Kriterien zwar als Indizien für einen bestimmten Aufenthaltsort in Frage
kommen, ihr Vorhandensein oder Fehlen im Einzelfall aber dennoch keine
zwingenden Schlüsse auf einen bestimmten gewöhnlichen Aufenthalt zulässt (vgl.
LAGARDE, Rapport explicatif, in: Conférence de La Haye de droit international
privé, Actes et documents de la Dix-huitième session, Bd. II, S. 552, Rz. 40;
SCHWANDER, Das Haager Kindesschutzübereinkommen 1996 [HKsÜ], in: ZVW 2009, S.
12 f.; KRAH, a.a.O., S. 143 ff.).

3.3 Im Ergebnis vermag der Beschwerdeführer mit seinen Vorbringen die
Erkenntnis des Obergerichts, dass der Beschluss des Amtsgerichts Lünen vom 1.
Juli und 11. August 2011 gestützt auf das Haager Kindesschutzübereinkommen
nicht anerkannt und vollstreckt werden kann, nicht ins Wanken zu bringen.

4.
4.1 Entsprechend dem ursprünglichen Antrag der Stadt A.________ hat das
Obergericht das Anerkennungs- und Vollstreckungsbegehren auch unter dem
Blickwinkel des Europäischen Sorgerechtsübereinkommens geprüft. Zur Hauptsache
hält es fest, nach Art. 13 Abs. 1 lit. d ESÜ habe der Antragsteller, der nicht
nur die Anerkennung, sondern auch die Vollstreckung einer
Sorgerechtsentscheidung verlange, ein Schriftstück vorzulegen, aus dem sich
ergibt, dass die Entscheidung nach dem Recht des Ursprungsstaats vollstreckbar
ist. Im vorliegenden Fall liege ein solches Schriftstück aber nicht im Recht.
Nachdem sich auch den Beschlüssen selbst nicht entnehmen lasse, dass sie
rechtskräftig und vollstreckbar sind, komme eine Vollstreckung gemäss ESÜ nicht
in Frage. Im Übrigen verweist das Obergericht auch noch auf Art. 10 Abs. 1 lit.
b ESÜ, wonach im Falle eines nicht unzulässigen Verbringens des Kindes in den
ersuchten Staat die Anerkennung und Vollstreckung versagt werden kann, "wenn
aufgrund der Verhältnisse die Wirkungen der ursprünglichen Entscheidung
offensichtlich nicht mehr dem Wohl des Kindes entsprächen". Das Obergericht
kommt zum Schluss, der Entscheid des Amtsgerichts Lünen entspreche zur Zeit
nicht dem Wohl des Kindes. Dies hätten die Abklärungen des Bezirksgerichts und
insbesondere die Befragung des Kindes ergeben. Eine Gefährdung des Kindes in
der Schweiz habe nicht festgestellt werden können; im Gegenteil fühle sich
Y.________ in ihrer neuen Umgebung wohl, habe sich in der Schule und in der
Nachbarschaft eingelebt und könne sich eine Rückkehr nach Deutschland nicht
vorstellen. Angesichts der Einverständniserklärung des Vaters sei zudem nicht
glaubhaft, dass die Mutter und Y.________ Deutschland überstürzt verlassen
hätten.

4.2 Wie es sich mit diesen Anerkennungs- und Vollstreckungsvoraussetzungen
gemäss ESÜ im Einzelnen verhält, kann grundsätzlich offenbleiben: Selbst wenn
ein Schriftstück im Sinne von Art. 13 Abs. 1 lit. d ESÜ tatsächlich im Recht
läge und der Versagungsgrund nach Art. 10 Abs. 1 lit. b ESÜ nicht gegeben wäre,
könnte der Beschluss des Amtsgerichts Lünen vom 1. Juli und 11. August 2011
nach dem in Erwägung 2.3 Ausgeführten in der Schweiz jedenfalls nicht mit der
Begründung anerkannt werden, der Versagungsgrund nach Art. 10 Abs. 1 lit. c ESÜ
sei nicht gegeben, obwohl Y.________ im fraglichen Zeitpunkt keinen Aufenthalt
mehr in A.________ hatte, käme dies im Ergebnis doch einer Umgehung des
Versagungsgrundes nach Art. 23 Abs. 2 lit. a HKsÜ gleich.

4.3 Lediglich der guten Ordnung halber sei festgehalten, dass das, was der
Beschwerdeführer im Zusammenhang mit dem Europäischen Sorgerechtsübereinkommen
vorbringt, den angefochtenen Entscheid ohnehin nicht zu erschüttern vermöchte.
4.3.1 Unbehelflich ist zunächst der Einwand, aus den anwendbaren deutschen
Vorschriften ergebe sich, dass der Beschluss des Amtsgerichts Lünen mit
Bekanntgabe an die Beteiligten wirksam geworden sei; mangels eines zulässigen
Rechtsmittels sei die Rechtskraft sofort eingetreten. Denn massgeblich und für
das Bundesgericht verbindlich (s. E. 1.4) ist die vorinstanzliche tatsächliche
Feststellung, dass es an einem Schriftstück im Sinne von Art. 13 Abs. 1 lit. d
ESÜ fehlt und der zu vollstreckende Beschluss selbst keinen Aufschluss über
seine Rechtskraft und Vollstreckbarkeit gibt. Diese Feststellung lässt sich mit
dem erwähnten Einwand nicht als offensichtlich unrichtig oder willkürlich
ausweisen. Im Übrigen sei dem Beschwerdeführer in Erinnerung gerufen, dass der
Sinn der in Art. 13 Abs. 1 lit. d ESÜ enthaltenen formellen Anforderung gerade
darin besteht, der Behörde, die um Vollstreckung einer ausländischen
Entscheidung ersucht wird (Erläuternder Bericht zum ESÜ, Rz. 64, in: BT-Drs 11/
5314, S. 66) und mit dem Prozessrecht des Ursprungsstaates nicht vertraut ist,
diesbezügliche Nachforschungen zu ersparen.
4.3.2 Auch gegen die vorinstanzliche Erkenntnis, der Entschied des Amtsgerichts
Lünen entspreche im Sinne von Art. 10 Abs. 1 lit. b ESÜ nicht mehr dem Wohl des
Kindes, vermag der Beschwerdeführer nichts auszurichten. Mit der vagen,
unsubstantiierten Annahme, Y.________ habe in der Schweiz erhebliche, ihrem
Wohl entgegenstehende Probleme, kann es nicht gelingen, die erwähnten
vorinstanzlichen Feststellungen in Zweifel zu ziehen, ebenso wenig mit der
Behauptung, die Beschwerdegegnerin verweigere noch immer den Umgang zwischen
Y.________ und dem Beschwerdeführer und habe auf ein anwaltliches Schreiben
nicht reagiert. Um mit einer Sachverhaltsrüge vor Bundesgericht durchzudringen,
genügt es nicht, vor Bundesgericht einen von der Vorinstanz abweichenden
Sachverhalt zu behaupten. Vielmehr kann das Bundesgericht Vorbringen bezüglich
eines Sachverhaltes, der von den Feststellungen im angefochtenen Entscheid
abweicht, nur berücksichtigen, wenn die rechtssuchende Partei im Einzelnen
darlegt, inwiefern diese Feststellungen willkürlich bzw. unter Verletzung einer
verfahrensrechtlichen Verfassungsvorschrift zustande gekommen sind (BGE 133 II
249 E. 1.4.3 S. 255 und E. 1.4). Soweit sich der Beschwerdeführer auch in
diesem Kontext daran stört, dass sich das Obergericht auf die (von ihm
bestrittene) Einverständniserklärung stützt, kann auf das in Erwägung 3.2
Gesagte verwiesen werden.

5.
Gestützt auf die vorstehenden Erwägungen ist die Beschwerde abzuweisen, soweit
darauf eingetreten werden kann. Es muss also dabei bleiben, dass dem Begehren
um Anerkennung und Vollstreckung des Beschlusses des Amtsgerichts Lünen vom 1.
Juli und 11. August 2011 kein Erfolg beschieden ist. Angesichts der besonderen
Umstände verzichtet das Bundesgericht darauf, Gerichtskosten zu erheben (Art.
66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Der anwaltlich nicht vertretenen Beschwerdegegnerin, die
sich unaufgefordert zur Sache geäussert hat (s. Sachverhalt Bst. D), ist kein
entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Stadt A.________, Jugendamt, und dem
Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. August 2012
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Hohl

Der Gerichtsschreiber: V. Monn