Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.243/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_243/2012

Urteil vom 19. April 2012
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichter Marazzi, von Werdt,
Gerichtsschreiber V. Monn.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Clivia Wullimann,
Beschwerdeführer,

gegen

Y.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Alfred Dätwyler,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Vorsorgliche Massnahmen (Scheidung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Solothurn,
Zivilkammer, vom 15. Februar 2012.

Sachverhalt:

A.
A.a X.________ (geb. 1968) und Y.________ (geb. 1963) haben 1996 in Gambia
geheiratet und leben seit November 2010 getrennt. Sie sind die Eltern des
Z.________ (geb. 2004). Im Rahmen eines Eheschutzverfahrens stellte das
Richteramt Solothurn-Lebern mit Urteil vom 26. November 2010 den Sohn unter die
elterliche Obhut der Mutter und verpflichtete den Vater zur Leistung von
Unterhaltsbeiträgen. Das Urteil erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
A.b Am 8. September 2011 reichten die Parteien beim Richteramt Solothurn-Lebern
ein gemeinsames Scheidungsbegehren ein. Anlässlich einer Gerichtsverhandlung
vom 18. November 2011 vor dem Amtsgerichtspräsidenten beantragte die Ehefrau
den Erlass vorsorglicher Massnahmen. Der Ehemann widersetzte sich den meisten
Begehren und ersuchte seinerseits um Herabsetzung der im Eheschutzverfahren
gesprochenen Unterhaltsbeiträge. Gleichentags hiess der Amtsgerichtspräsident
die Anträge der Mutter gut und wies denjenigen des Vaters ab. Er stellte
Z.________ unter die alleinige elterliche Sorge der Mutter, beauftragte die
zuständige Vormundschaftsbehörde, für Z.________ eine Erziehungsbeistandschaft
im Sinne von Art. 308 Abs. 2 ZGB zu errichten, und den KJPD, bis Ende März 2012
einen Bericht zur Frage der elterlichen Sorge und der Regelung des persönlichen
Verkehrs zu verfassen.

B.
Gegen die Zuweisung der alleinigen elterlichen Sorge an die Mutter und die
verweigerte Herabsetzung des Unterhaltsbeitrages für die Ehefrau führte
X.________ Berufung, welche das Obergericht des Kantons Solothurn mit Urteil
vom 15. Februar 2012 abwies.

C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 22. März 2012 gelangt X.________ (nachfolgend
Beschwerdeführer) an das Bundesgericht und beantragt, den Entscheid des
Obergerichts hinsichtlich der vorsorglichen Zuweisung der alleinigen
elterlichen Sorge an Y.________ (nachfolgend Beschwerdegegnerin) aufzuheben.
Zudem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Es wurden die Akten, aber keine Vernehmlassungen eingeholt.

Erwägungen:

1.
1.1 Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid in einer nicht
vermögensrechtlichen Zivilsache (Regelung der elterlichen Sorge als
vorsorgliche Massnahme für die Dauer des Scheidungsverfahrens). Dagegen steht
die Beschwerde in Zivilsachen grundsätzlich offen (Art. 72 Abs. 1, Art. 75 Abs.
1 und Art. 90 BGG; BGE 134 III 426 E. 2.2 S. 431).

1.2 Weil es sich um eine vorsorgliche Massnahme im Sinn von Art. 98 BGG handelt
(BGE 133 III 393 E. 5.1 S. 397), kann nur die Verletzung verfassungsmässiger
Rechte gerügt werden. Hierfür gilt das strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2
BGG). Das bedeutet, dass das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene
und soweit möglich belegte Rügen prüft, während es auf ungenügend begründete
Rügen und rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid nicht
eintritt. Wird die Verletzung des Willkürverbots gerügt, reicht es sodann nicht
aus, die Rechtslage aus Sicht des Beschwerdeführers darzulegen und den davon
abweichenden angefochtenen Entscheid als willkürlich zu bezeichnen. Vielmehr
ist im Einzelnen darzulegen, inwiefern das kantonale Gericht willkürlich
entschieden haben soll und der angefochtene Entscheid deshalb an einem
qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet (BGE 134 II 244 E. 2.2 S.
246). Ob der Beschwerdeführer diesen Rügeanforderungen nachkommt, wird im
Sachzusammenhang zu prüfen sein.

1.3 Der Beschwerdeführer beantragt, eine Verhandlung durchzuführen. Es bleibt
aber unklar, ob er damit die Durchführung einer Parteiverhandlung meint (Art.
57 BGG) oder eine mündliche Urteilsberatung verlangt (Art. 58 BGG). So oder
anders begründet er seinen Antrag nicht, so dass nicht darauf eingetreten
werden kann.

2.
Umstritten ist die für die Dauer des Scheidungsverfahrens vorsorglich
angeordnete Zuweisung der alleinigen elterlichen Sorge über den Sohn Z.________
an die Beschwerdegegnerin.
2.1
2.1.1 Ist ein Scheidungsverfahren rechtshängig, trifft das Gericht die nötigen
vorsorglichen Massnahmen (Art. 276 Abs. 1 ZPO). Für die Aufhebung oder Änderung
von Massnahmen, die das Eheschutzgericht angeordnet hat, ist das
Scheidungsgericht zuständig (Art. 276 Abs. 2 ZPO; gemeint ist damit das
Gericht, das im Scheidungsverfahren zum Erlass vorsorglicher Massnahmen
zuständig wäre ). Die Bestimmungen über die Massnahmen zum Schutz der ehelichen
Gemeinschaft (Art. 172 ff. ZGB) sind sinngemäss anwendbar (Art. 276 Abs. 1
ZPO). Sind Kinder betroffen, trifft der Richter Massnahmen nach Massgabe der
Bestimmungen über die Wirkungen des Kindesverhältnisses (Art. 176 Abs. 3 ZGB).
Namentlich kann das Gericht die elterliche Sorge einem Ehegatten allein
zuteilen (Art. 297 Abs. 2 ZGB). In der Regel wird im Rahmen des
Eheschutzverfahrens oder von vorsorglichen Massnahmen während des
Scheidungsverfahrens jedoch nur das Obhutsrecht übertragen (BGE 136 III 353 E.
3.1 S. 356 mit Hinweisen). In diesem Sinne ist die elterliche Sorge in
derartigen Verfahren nur ausnahmsweise und in begründeten Fällen einem
Elternteil allein zuzuweisen.
2.1.2 Der Begriff der elterlichen Sorge wird im Gesetz nicht definiert. Nach
der Rechtsprechung ist darunter ein Pflichtrecht zu verstehen, das die
Gesamtheit der elterlichen Verantwortlichkeit und Befugnisse gegenüber dem Kind
umfasst, insbesondere mit Bezug auf die Erziehung, die gesetzliche Vertretung
und die Vermögensverwaltung (BGE 136 III 353 E. 3.1 S. 356 mit Hinweisen).
Neben dem Obhutsrecht umfasst die elterliche Sorge das Recht auf Bestimmung des
Namens (vgl. Art. 301 Abs. 4 ZGB), die Pflicht zur Verschaffung der allgemeinen
und beruflichen Ausbildung (vgl. Art. 302 ZGB) und das Verfügungsrecht
betreffend die religiöse Erziehung (vgl. Art. 303 ZGB). Ebenfalls dazu gehören
andere einschneidende bzw. das Leben des Kindes prägende Weichenstellungen (BGE
136 III 353 E. 3.2 S. 357).

2.2 Indem es teilweise auf die Begründung des erstinstanzlichen Richters Bezug
nimmt, erwägt das Obergericht, beide Eltern - er Muslim und sie Katholikin -
würden ihre Religion aktiv ausüben. Die verschiedene Religionszugehörigkeit
habe über längere Zeit unter den Parteien kein grosses Problem dargestellt. Mit
der Geburt und Erziehung des Sohnes habe das Nebeneinander der sehr
unterschiedlichen Religionen allerdings zu Spannungen geführt. Die Aussagen der
Mutter über das allgemeine Verhalten des Kindes und der schulischen Leistungen
seien glaubhaft. Damit sei das Kindeswohl gefährdet. Bereits im
Eheschutzverfahren seien religiöse und weltanschauliche Divergenzen geäussert
worden. Grundsätzlich entscheide der Inhaber der elterlichen Sorge über die
religiöse Erziehung; verheiratete Eltern entschieden gemeinsam. Indes lebe das
Kind bei seiner Mutter. Sie sei die Hauptbezugsperson und müsse im Alltag das
Sagen haben. Angesichts der konfliktbeladenen Verhältnisse erscheine die
gemeinsame elterliche Sorge für die Zeit nach der Scheidung wenig
wahrscheinlich; es müsse davon ausgegangen werden, dass der Mutter die
alleinige elterliche Sorge übertragen werde. Es liege daher im Kindeswohl,
bereits heute diesbezüglich klare Verhältnisse zu schaffen.
2.3
2.3.1 An den tatsächlichen Feststellungen (einschliesslich der Beweiswürdigung)
des Obergerichts bemängelt der Beschwerdeführer, es würden einfach die Aussagen
der Beschwerdegegnerin, er sei ein Extremist, als glaubhaft taxiert, während
seinen eigenen Aussagen keine Beachtung geschenkt werde; die Massnahme stehe im
klaren Widerspruch zur tatsächlichen Situation, welche eine Zuteilung der
elterlichen Sorge in keiner Weise erfordere; während Jahren sei die Religion
unter den Parteien kein Thema gewesen und die Beschwerdegegnerin versuche
offensichtlich, mit aller Macht das Kind an sich zu reissen. Diese Ausführungen
erschöpfen sich in typischer appellatorischer Kritik, wie sie zur Begründung
von Willkürrügen unzulässig ist (vgl. E. 1.2). Der Beschwerdeführer begnügt
sich damit, die Sachlage aus seiner eigenen Sicht darzulegen, ohne im Einzelnen
aufzuzeigen, inwiefern das kantonale Gericht willkürlich entschieden haben soll
und der angefochtene Entscheid deshalb an einem qualifizierten und
offensichtlichen Mangel leidet (BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246).
Ins Leere läuft auch der Einwand, das Obergericht hätte keine eigenen
Abklärungen getroffen und das Ergebnis des beim KJPD in Auftrag gegebenen
Berichts abwarten müssen, denn es hat bereits für die Dauer des
Scheidungsverfahrens einen unmittelbaren Regelungsbedarf festgestellt, indem
religiöse und weltanschauliche Differenzen zwischen den Eltern zu Spannungen
führen würden, welche dem Kindeswohl abträglich seien. Auf der Basis dieser
willkürfrei festgestellten Ausgangslage bedurfte es keiner weitergehenden
Abklärungen, um gewisse Kompetenzen für die Dauer des Scheidungsverfahrens zu
regeln.
2.3.2 Der Beschwerdeführer rügt ausserdem eine willkürliche Anwendung von Art.
297 Abs. 2 ZGB. Das Obergericht habe überhaupt nicht geprüft, ob die bereits
erfolgte Zuteilung der Obhut an die Beschwerdegegnerin für die Dauer des
Verfahrens ausreichend wäre. Im Ergebnis sei der Entscheid unhaltbar, weil ohne
Notwendigkeit massiv in die Rechtsstellung des Beschwerdeführers eingegriffen
werde.
Indem es sich die Erwägungen der ersten Instanz im angefochtenen Entscheid zu
eigen machte, befand das Obergericht, dass der Entscheid über die religiöse
Erziehung des Sohnes dem Inhaber der elterlichen Sorge zustehe. Die Richtigkeit
dieser Aussage bestreitet der Beschwerdeführer - zu Recht - nicht (vgl. auch E.
2.1.2). Unter Willkürgesichtspunkten kann keine Rede davon sein, das
Obergericht habe die Verhältnismässigkeit und damit die Notwendigkeit der
streitgegenständlichen Massnahme nicht geprüft, denn mit seiner Begründung hat
es erklärt, weshalb für derartige Fragen die blosse Regelung der Obhut nicht
genügt.
Auch mit dem Vorhalt des präjudiziellen Charakters der streitigen Massnahme
lässt sich keine Willkür dartun, denn der Scheidungsrichter wird in der Frage
der elterlichen Sorge auf den in Auftrag gegebenen Bericht abzustellen haben.

3.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten
werden kann. Der Beschwerdeführer unterliegt und wird kostenpflichtig (Art. 66
Abs. 1 BGG). Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, muss die Beschwerde als
von Anfang an aussichtslos bezeichnet werden, weshalb es an einer materiellen
Voraussetzung der unentgeltlichen Rechtspflege mangelt (Art. 64 Abs. 1 BGG) und
das entsprechende Gesuch abzuweisen ist. Der Beschwerdegegnerin sind keine
entschädigungspflichtigen Aufwendungen entstanden (Art. 68 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Solothurn,
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. April 2012
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Hohl

Der Gerichtsschreiber: V. Monn