Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.23/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_23/2012

Urteil vom 2. Juli 2012
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Marazzi, von Werdt,
Gerichtsschreiber V. Monn.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans M. Weltert,
Beschwerdeführer,

gegen

Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht,
2. Kammer, Obere Vorstadt 38, Postfach, 5001 Aarau,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Negative Feststellungsklage nach Art. 85a SchKG, unentgeltliche Rechtspflege,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht,
2. Kammer, vom 30. November 2011.

Sachverhalt:

A.
A.a In einer Betreibung auf Grundpfandverwertung gegen X.________ hatte die
Bank Y.________ am 5. Juli 2007 für den Betrag von Fr. 199'750.57 zuzüglich
Zinsen die Rechtsöffnung erwirkt. Die Aberkennungsklage von X.________ war am
30. September 2009 abgewiesen worden.
A.b Am 23. Juni 2010 reichte X.________ beim Bezirksgericht Aarau eine negative
Feststellungsklage ein und stellte Antrag auf Bewilligung der unentgeltlichen
Rechtspflege. Der Präsident des Bezirksgerichts Aarau wies das
Armenrechtsgesuch ab und setzte dem Kläger Frist zur Leistung eines
Kostenvorschusses (Verfügung vom 28. Juni 2010). X.________ wehrte sich gegen
die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege vergeblich. Letztinstanzlich
wies das Bundesgericht seine Beschwerde mit Urteil 5A_684/2010 vom 20. Oktober
2010 ab.

B.
B.a Mit Verfügung vom 8. November 2010, die er irrtümlich X.________ persönlich
zugestellt hatte, beraumte der Gerichtspräsident eine letzte Frist von zehn
Tagen zur Leistung des Kostenvorschusses von Fr. 10'000.-- an. Auf Gesuch des
Rechtsvertreters von X.________ wurde die Frist mit Verfügung vom 24. November
2010 neu bis zum 15. Dezember 2010 angesetzt.
B.b Unterdessen stellte X.________ am 2. Dezember 2010 erneut ein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege. Wiederum verweigerte ihm das Bezirksgericht das
Armenrecht (Verfügung vom 6. Dezember 2010). Die hierauf erhobenen Beschwerden
wiesen das Obergericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 6. Januar 2011 und
das Bundesgericht mit Urteil 5A_123/2011 vom 14. März 2011 ab.
B.c In einem Schreiben an das Bezirksgericht vom 13. Dezember 2010 nimmt
X.________s Rechtsvertreter Bezug auf ein Telefonat mit dem Bezirksgericht und
hält fest, "dass die Frist vom 15. Dezember 2010 bezüglich der Einzahlung des
Kostenvorschusses aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde hinfällig
ist. Nach einer allfälligen abschlägigen Beurteilung durch das Obergericht
würde eine neue Frist angesetzt".

B.d Mit Urteil vom 19. Januar 2011 trat das Bezirksgericht Aarau auf die
negative Feststellungsklage infolge Nichtleistung des Kostenvorschusses nicht
ein.

C.
C.a Hierauf erhob X.________ am 8. Februar 2011 Berufung beim Obergericht des
Kantons Aargau. Sein gleichzeitig eingereichtes Gesuch um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege für das Berufungsverfahren wies der
Instruktionsrichter mit Verfügung vom 1. Juni 2011 ab. Mit Urteil vom 7.
Oktober 2011 hob das Bundesgericht diese Verfügung auf (Verfahren 5A_460/2011).
C.b In der Folge beantragte X.________ dem Obergericht mit Eingabe vom 13.
Oktober 2011, das erstinstanzliche Urteil vom 19. Januar 2011 aufzuheben und
ihm eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen. Zur Begründung wurde
ausgeführt, infolge aussergerichtlicher Einigung sei die negative
Feststellungsklage (s. Bst. B) gemäss beiliegendem Schreiben an das
Bezirksgericht Aarau zurückgezogen worden. Am 14. Oktober 2011 ging beim
Obergericht die vom Bezirksgericht zuständigkeitshalber weitergeleitete
Rückzugserklärung ein.
C.c Mit Urteil vom 30. November 2011 hob das Obergericht das Urteil des
Bezirksgerichts (Bst. B.d) auf und schrieb das Verfahren als durch Klagerückzug
erledigt ab. Auf die Anträge vom 13. Oktober 2011 trat es nicht ein. Das Gesuch
um unentgeltliche Rechtspflege für das Berufungsverfahren wies es ab, soweit es
darauf eintrat.

D.
Mit Beschwerde vom 10. Januar 2012 wendet sich X.________ (fortan
Beschwerdeführer) an das Bundesgericht. Er beantragt, das Urteil des
Obergerichts des Kantons Aargau vom 30. November 2011 aufzuheben und das
Verfahren zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen; eventualiter
sei ihm für das vorinstanzliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu
gewähren. Weiter ersucht er darum, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu
erteilen und ihm für das bundesgerichtliche Verfahren das Armenrecht zu
gewähren.

Mit Verfügung vom 23. April 2012 erkannte das präsidierende Mitglied der II.
zivilrechtlichen Abteilung der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu.

Das Bundesgericht hat die kantonalen Akten eingeholt. Am 19. Juni 2012 hat das
Obergericht des Kantons Aargau dem Bundesgericht mitgeteilt, es verzichte auf
eine Vernehmlassung zur Beschwerde. Das Schreiben wurde dem Beschwerdeführer
zur Wahrung des rechtlichen Gehörs zugestellt.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid (Art. 75 Abs. 1 BGG),
mit dem die unentgeltliche Rechtspflege in einem zivilrechtlichen Verfahren
verweigert worden ist. Dieser Entscheid ist ein Zwischenentscheid, der einen
nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann und daher gemäss Art. 93
Abs. 1 lit. a BGG selbständig anfechtbar ist (Urteile 5A_10/2007 vom 23. März
2007 E. 2.3; 5A_262/ 2008 vom 8. September 2008 E. 1.1; vgl. auch BGE 129 I 129
E. 1.1 S. 131). Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg jenem der
Hauptsache (BGE 133 III 645 E. 2.2 S. 647). Das Hauptsacheverfahren betraf eine
negative Feststellungsklage mit einem Antrag über der gesetzlichen
Streitwertgrenze; der diesbezügliche Abschreibungsentscheid des Obergerichts
konnte letztinstanzlich mit Beschwerde in Zivilsachen vor Bundesgericht
angefochten werden (Art. 72 Abs. 1 und Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG). Gegen den
letztinstanzlichen Entscheid betreffend die unentgeltliche Rechtspflege kann
mithin ebenfalls Beschwerde in Zivilsachen erhoben werden (Urteil 5A_123/2011
vom 14. März 2011 E. 1 mit Hinweisen).

2.
Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege geltend. Hierzu beruft er sich auf Art. 29 Abs. 3
BV und auf Art. 117 ZPO. Diesen Vorschriften zufolge hat eine Person Anspruch
auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn sie nicht über die erforderlichen Mittel
verfügt und ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Umstritten ist -
wie bereits im Beschwerdeverfahren 5A_460/2011 - die Aussichtslosigkeit der
Berufungsanträge, die der Beschwerdeführer vor Obergericht gestellt hat.
Hierbei handelt es sich um eine Rechtsfrage, die das Bundesgericht im
ordentlichen Beschwerdeverfahren mit freier Kognition prüft. Tatsächliche
Feststellungen der kantonalen Behörden überprüft es hingegen nur auf Willkür
(Art. 9 BV) hin (vgl. BGE 134 I 12 E. 2.3 S. 14 mit Hinweis). Für die
Geltendmachung der Verletzung verfassungsmässiger Rechte gilt das Rügeprinzip
(Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254).

3.
3.1 Die Natur des Rechtspflegeanspruches bringt es mit sich, dass ein Gericht
bis zum rechtskräftigen Entscheid über ein hängiges Rechtspflegegesuch keinen
Nichteintretensentscheid wegen Nichtleistung des Kostenvorschusses fällen darf.
Wird dem Gesuchsteller die unentgeltliche Rechtspflege ohne Einschränkung
gewährt, fällt die Kostenvorschussverfügung dahin; wird sie ihm rechtskräftig
verweigert, so muss ihm durch erneute Fristansetzung jedenfalls die Möglichkeit
eingeräumt werden, den verlangten Kostenvorschuss (noch) zu bezahlen. Dies
alles hat das Bundesgericht erst neulich in seiner Rechtsprechung zu Art. 101
Abs. 3 ZPO in Erinnerung gerufen, denn auch diese Vorschrift, wonach das
Gericht bei Nichtleistung des Kostenvorschusses auf die Klage nicht eintritt,
enthält keine Regel für den Fall, dass zugleich noch ein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege hängig ist (s. BGE 138 III 163 E. 4.2 S. 165; vgl.
auch die Urteile 5A_759/2011 vom 16. März 2012 E. 2.2 und 5D_7/2012 vom 26.
März 2012 E. 2.2). Die erwähnten Grundsätze gelten auch für entsprechende
Vorschriften des anwendbaren kantonalen Verfahrensrechts (vgl. Urteil 5A_241/
2012 vom 3. Mai 2012 E. 2.3.3), in diesem Fall für § 103 Abs. 1 der
aargauischen Zivilprozessordnung (ZPO/AG; SAR 221.100, in Kraft bis 31.
Dezember 2010).

3.2 Das Obergericht kam zum Schluss, jedenfalls mit Ablauf der Frist zur
Bezahlung des Kostenvorschusses am 15. Dezember 2010 sei der Beschwerdeführer
säumig geworden. Die gesetzliche Säumnisfolge gemäss § 103 Abs. 1 ZPO/AG bleibe
von der Einreichung einer Beschwerde gegen ein abgewiesenes Armenrechtsgesuch
unberührt; nach rechtskräftiger Abweisung der Beschwerde betreffend die
unentgeltliche Rechtspflege habe der Nichteintretensentscheid "zwangsläufig"
erfolgen müssen, weshalb die dagegen erhobene Beschwerde klar aussichtslos
erscheine und kein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege bestehe. In der Tat
stellte das Bezirksgericht in seinem Urteil vom 19. Januar 2011 fest, dass das
Obergericht die Beschwerde gegen die Verweigerung des Armenrechts mit Urteil
vom 6. Januar 2011 abgewiesen habe, dieses Urteil sogleich rechtskräftig wurde,
weil eine allfällige Weiterziehung an das Bundesgericht keine aufschiebende
Wirkung habe, und damit die Frist zur Leistung des Kostenvorschusses abgelaufen
sei, weshalb auf die Klage infolge Nichtleisten des Kostenvorschusses nicht
einzutreten sei.

3.3 Faktisch setzte das Bezirksgericht den Beschwerdeführer mit seiner
Vorgehensweise unter Zwang, den Kostenvorschuss von Fr. 10'000.-- bis
spätestens am 15. Dezember 2010 zu bezahlen, um einen Nichteintretensentscheid
abzuwenden - obwohl bei Ablauf der Zahlungsfrist noch keine Gewissheit über die
Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege bestand. Dies kommt einer
Aushöhlung des Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege gleich und läuft auf
eine Rechtsverweigerung hinaus, wird der Partei, die auf die Beurteilung ihres
Rechtspflegegesuchs wartet und den Gerichtskostenvorschuss nicht bezahlen kann,
der Rechtsweg doch geradezu abgeschnitten. Entgegen der Darstellung des
Obergerichts kann also keine Rede davon sein, dass die mit Eingabe vom 8.
Februar 2011 gestellten Berufungsanträge des Beschwerdeführers "klar
aussichtslos" waren. Nachdem die Erfolgsaussichten eines kantonalen
Rechtsmittels in Frage stehen, muss es für die Verneinung der
Aussichtslosigkeit genügen, dass gewisse Chancen auf eine zumindest teilweise
Gutheissung der Berufungsanträge bestehen (vgl. Urteil 5A_107/2010 vom 30.
April 2010 E. 2.3 mit Hinweisen). Dass dies der Fall war, zeigen im Übrigen
nicht nur die vorstehenden Ausführungen, sondern auch der Entscheid des
Obergerichts vom 6. Januar 2011, mit dem die Beschwerde gegen die Verweigerung
des Armenrechts abgewiesen wurde. Dort führt das Obergericht aus, die
Beschwerde im Sinne von § 335 ZPO/AG habe gemäss § 342 i.V.m. § 320 ZPO/AG
aufschiebende Wirkung, weshalb kein Anlass bestehe, das Verfahren zur Bezahlung
des Kostenvorschusses zu sistieren. Auch wenn dahingestellt bleiben kann,
welche Bewandtnis es mit der aufschiebenden Wirkung der kantonalen Beschwerde
hatte, lässt sich der angefochtene Entscheid vom 19. Januar 2011 in Anbetracht
dieser Ausführungen erst recht nicht nachvollziehen.

3.4 War die Berufung gegen das Urteil des Bezirksgerichts Aarau vom 19. Januar
2011 schon deshalb nicht aussichtslos, weil der erstinstanzliche
Nichteintretensentscheid mit der Verfahrensgarantie der unentgeltlichen
Rechtspflege als solcher unvereinbar ist, kann auch vor Bundesgericht
offenbleiben, wie es sich mit den fernmündlichen Aussagen der
Gerichtsschreiberin des Bezirksgerichts Aarau verhält, die der Beschwerdeführer
in seinem - unwidersprochenen - Schreiben an das Bezirksgericht vom 13.
Dezember 2010 (s. Bst. B.c) festgehalten haben will. Ebenso wenig braucht
beurteilt zu werden, ob der Beschwerdeführer das Bezirksgericht nur deshalb
angerufen hatte, um sich nach einem Gesuch um Sistierung der Frist zur
Bezahlung des Kostenvorschusses zu erkundigen, wie er dies vor Bundesgericht
zum ersten Mal behauptet.

4.
Im Ergebnis ist die Beschwerde also gutzuheissen. Ziffer 3 des angefochtenen
Urteils ist aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid an das Obergericht des
Kantons Aargau zurückzuweisen. Der Kanton Aargau hat keine Kosten zu tragen,
muss aber den Beschwerdeführer für das Verfahren vor Bundesgericht entschädigen
(Art. 66 Abs. 4 und Art. 68 Abs. 2 BGG). Das Gesuch des Beschwerdeführers um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren
wird damit gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Ziffer 3 des Urteils des Obergerichts des
Kantons Aargau, Zivilgericht, 2. Kammer, vom 30. November 2011 wird aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kanton Aargau hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. Juli 2012
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Escher

Der Gerichtsschreiber: V. Monn