Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.10/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_10/2012

Urteil vom 14. März 2012
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter von Werdt,
Gerichtsschreiber Zingg.

Verfahrensbeteiligte
X.________ und Y.________,
vertreten durch Advokat Dr. Stefan Suter,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberrichter Z.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Ausstand,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom
23. Dezember 2011.

Sachverhalt:

A.
X.________ und Y.________ (Beschwerdeführer) sind die Eltern von W.________
(geb. xxxx 1995). Das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn ist mit einer
Beschwerde der Beschwerdeführer gegen eine Verfügung des Departements des
Innern des Kantons Solothurn vom 11. November 2011 befasst. In dieser Verfügung
hatte das Departement unter anderem die Vollstreckung einer Verfügung der
Vormundschaftsbehörde A.________ vom 9. November 2011 aufgeschoben und
angeordnet, dass W.________ bis auf weiteres unter Obhutsentzug fremdplatziert
bleibe und V.________ weiterhin als seine Beiständin eingesetzt sei. In der
genannten Verfügung vom 9. November 2011 hatte die Vormundschaftsbehörde den am
10. Oktober 2011 angeordneten Obhutsentzug und die Fremdplatzierung aufgehoben
und Beiständin V.________ durch U.________ ersetzt. Oberrichter Z.________ ist
Referent des Verfahrens vor Verwaltungsgericht.

Am 20. Dezember 2011 führte Oberrichter Z.________ eine Instruktionsverhandlung
durch. An dieser Verhandlung stellten die Beschwerdeführer ein
Ausstandsbegehren gegen ihn. Er nahm am 21. Dezember 2011 schriftlich dazu
Stellung. Nachdem den Beschwerdeführern diese Stellungnahme zugestellt worden
war, begründeten sie ihr Ausstandsbegehren am 22. Dezember 2011 schriftlich.
Mit Urteil vom 23. Dezember 2011 wies das Verwaltungsgericht das
Ausstandsbegehren ab.

B.
Dagegen haben die Beschwerdeführer am 6. Januar 2012 - der vorinstanzlichen
Rechtsmittelbelehrung folgend - Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten erhoben. Sie verlangen die Aufhebung des angefochtenen Urteils
und ersuchen darum, Oberrichter Z.________ für befangen zu erklären. Zudem
beantragen sie für das Verfahren vor Bundesgericht unentgeltliche Rechtspflege
und Verbeiständung.

Das Bundesgericht hat die Akten beigezogen, aber keine Vernehmlassungen
eingeholt.

Erwägungen:

1.
Gegenstand der Beschwerde an das Bundesgericht bildet der selbständig eröffnete
Zwischenentscheid über ein Ausstandsbegehren (Art. 92 BGG) gegen einen
Oberrichter, der als Referent mit einem Rechtsmittelverfahren im Zusammenhang
mit der Obhut und der Platzierung eines Kindes betraut ist. Bei
Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg demjenigen der Hauptsache (BGE 137 III
380 E. 1.1 S. 382). Die Hauptsache ist Gegenstand der Beschwerde in Zivilsachen
(Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 5 und Ziff. 7 BGG) und hat keinen
vermögensrechtlichen Charakter. Die als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten bezeichnete Eingabe ist deshalb als Beschwerde in Zivilsachen
entgegenzunehmen. Das Obergericht hat zwar als einzige Instanz über das
Ausstandsbegehren entschieden, doch ist dies kein Verstoss gegen das Prinzip
der double instance, da es als Rechtsmittelinstanz mit der Hauptsache befasst
ist (Art. 75 BGG; BGE 137 III 424 E. 2.2 S. 426 mit Hinweisen; zur Publikation
vorgesehenes Urteil 5A_622/2011 vom 12. Januar 2012 E. 1.1).

Die Beschwerdeführer rügen die Verletzung von Grundrechten. Eine
Verfassungsrüge muss in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet werden
(Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 134 I 83 E. 3.2 S. 88). Dies bedeutet, dass anhand
der Erwägungen des angefochtenen Entscheids klar und detailliert darzulegen
ist, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (BGE 135
III 232 E. 1.2 S. 234 mit Hinweisen).

2.
Nach Art. 30 Abs. 1 BV hat der Einzelne Anspruch darauf, dass seine Sache von
einem unabhängigen und unparteiischen Gericht ohne Einwirken sachfremder
Umstände entschieden wird. Die Garantie des verfassungsmässigen Richters ist
verletzt, wenn bei objektiver Betrachtungsweise Gegebenheiten vorliegen, die
den Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit zu
begründen vermögen (BGE 135 I 14 E. 2 S. 15; 131 I 113 E. 3.4 S. 116).
Voreingenommenheit und Befangenheit in diesem Sinne werden nach der
Rechtsprechung angenommen, wenn im Einzelfall anhand aller tatsächlichen und
verfahrensrechtlichen Umstände Gegebenheiten vorliegen, die geeignet sind,
Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Da Befangenheit
ein innerer, schwer nachweisbarer Zustand ist, braucht sein tatsächliches
Vorliegen nicht bewiesen zu werden. Es genügt vielmehr, wenn Umstände bestehen,
die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit zu
begründen vermögen. Solche Umstände können namentlich in einem bestimmten
Verhalten des Richters begründet sein. Auf das bloss subjektive Empfinden einer
Partei kann bei dieser Beurteilung allerdings nicht abgestellt werden. Das
Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise
begründet erscheinen (BGE 134 I 238 E. 2.1 S. 240 mit Hinweisen).

Verfahrensmassnahmen eines Richters als solche, seien sie richtig oder falsch,
vermögen im Allgemeinen keinen objektiven Verdacht der Befangenheit des
Richters zu erregen, der sie verfügt hat (BGE 114 Ia 153 E. 3b/bb S. 158 mit
Hinweis). Dasselbe gilt für einen allenfalls materiell falschen Entscheid (BGE
115 Ia 400 E. 3b S. 404). Anders liegt es nur, wenn besonders krasse oder
wiederholte Irrtümer vorliegen, die als schwere Verletzung der Richterpflichten
bewertet werden müssen (BGE 116 Ia 135 E. 3a S. 138; 115 Ia 400 E. 3b S. 404).
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass Verfahrensverstösse im dafür
vorgesehenen Rechtsmittelverfahren zu rügen sind und grundsätzlich nicht als
Begründung für die Verletzung von Art. 30 Abs. 1 BV herangezogen werden können
(BGE 114 Ia 153 E. 3b/bb S. 158 f. mit Hinweis; Urteil 5A_332/2010 vom 16. Juli
2010 E. 2).

3.
3.1
3.1.1 Die Beschwerdeführer hatten dem Beschwerdegegner vor der Vorinstanz
vorgeworfen, sich mit einer von ihm an der Instruktionsverhandlung gemachten
Aussage bereits festgelegt zu haben, indem er die Platzierung als logische
Konsequenz bezeichnet habe. Er sei deshalb befangen.

Die kritisierte Bemerkung lautet gemäss Verhandlungsprotokoll wie folgt:

"Nachdem die Anordnungen der Verfügung vom 30. Juni 2011 [der
Vormundschaftskommission A.________, mit der den Eltern Weisungen erteilt
worden waren, noch bevor am 10. Oktober 2011 der Obhutsentzug und die
Fremdplatzierung verfügt worden waren] nicht funktioniert hatten, war eine
Platzierung die logische Konsequenz und die Schule in B.________ sagte auch, es
funktioniere nicht, deshalb suchte man wohl etwas anderes?"

Die Vorinstanz hat dazu erwogen, die Äusserung sei in ihrem Kontext zu
verstehen. Zunächst sei sie als Frage an die Anwesenden formuliert worden. Der
Beschwerdegegner habe herausfinden wollen, ob die Anwesenden dies auch so sehen
würden; er habe zwar womöglich eine vorläufige Meinung gehabt, aber versucht,
weitere Erkenntnisse zu gewinnen. Der Gedanke, dass die Platzierung eine
logische Konsequenz des Scheiterns der anderen Massnahmen sei, sei zudem zuvor
durch T.________ vom Kinderschutz Kanton Solothurn ins Spiel gebracht worden
und der Beschwerdegegner habe ihn bloss aufgegriffen und mit einer Frage
vertieft. Ziel der Verfügung vom 30. Juni 2011 sei schliesslich gewesen, eine
Fremdplatzierung zu verhindern. Dies bedeute objektiv betrachtet, dass die
Fremdplatzierung logische Folge des Scheiterns der in dieser Verfügung
angeordneten Massnahmen bilde. Damit sei aber nicht gesagt, dass eine
Platzierung nun tatsächlich vorgenommen werden müsse, weshalb der
Beschwerdegegner diesbezüglich auch nachgefragt habe, wie die andern
Beteiligten dies sähen.

3.1.2 Die Beschwerdeführer machen vor Bundesgericht weiterhin geltend, der
Beschwerdegegner habe sich mit seiner Bemerkung bereits festgelegt. Sie setzen
sich allerdings nicht mit den Ausführungen der Vorinstanz auseinander.
Insbesondere gehen sie nicht darauf ein, dass es sich bei der Bemerkung des
Beschwerdegegners um eine Frage an die an der Instruktionsverhandlung
Anwesenden gehandelt habe. Mangels genügender Begründung (oben E. 1) kann auf
die Rüge nicht eingetreten werden.
3.2
3.2.1 Die Beschwerdeführer hatten in ihrer Vernehmlassung vom 22. Dezember 2011
des Weiteren den Ablauf der Instruktionsverhandlung kritisiert. Sie sei nicht
gesetzmässig durchgeführt worden, sondern jeder habe nach Gutdünken das Wort
ergriffen, ohne dass die Personen einzeln in ihrer Rolle (Zeuge,
Auskunftsperson, Partei) befragt worden seien. Zudem habe der Beschwerdegegner
anlässlich der Befragung des Kindes im Kinderheim auf die Frage eines
Angestellten, wie das Verfahren weitergehe, geantwortet, das Gericht werde
demnächst entscheiden, falls die Beschwerde nicht heute zurückgezogen würde.
Diese Aussage habe der Druckausübung gedient.

Die Vorinstanz hat dazu erwogen, nach Art. 226 ZPO (SR 272), der im
Verwaltungsgerichtsverfahren sinngemäss zur Anwendung komme, diene die
Instruktionsverhandlung der freien Erörterung des Streitgegenstands, der
Ergänzung des Sachverhalts, dem Versuch der Einigung und der Vorbereitung der
Hauptverhandlung. Es sei die erklärte Absicht des Beschwerdegegners gewesen,
eine Einigung zu erzielen. In diesem Sinne sei auch seine Äusserung gegenüber
dem Angestellten des Kinderheims zu verstehen, sofern sie tatsächlich so
erfolgt sein sollte. Es sei nicht zu beanstanden, dass alle Beteiligten sich
hätten äussern können. Eine Beweisabnahme sei an der Instruktionsverhandlung
nicht erfolgt.

3.2.2 Die Beschwerdeführer machen geltend, die Ausführungen des
Verwaltungsgerichts seien willkürlich. Eine "Je-Ka-Mi-Befragung" sei gesetzlich
nicht vorgesehen. Das Verwaltungsgericht habe ausserdem das rechtliche Gehör
verletzt, da es sich nicht zur Aussage des Beschwerdegegners betreffend Rückzug
der Beschwerde geäussert habe.

Die Beschwerdeführer haben sich während der Instruktionsverhandlung nicht gegen
die Art der Verhandlungsführung gewehrt. Es kann jedoch offenbleiben, ob ihre
Rüge verspätet erscheint. Das Verfahren beruht auf dem kantonalen
Verwaltungsrechtspflegegesetz und die Vorinstanz hat die ZPO bloss
lückenfüllend beigezogen. Die Beschwerdeführer legen nicht detailliert dar,
inwiefern dieses Vorgehen willkürlich (Art. 9 BV) sein soll und genügen damit
den Begründungsanforderungen nicht (oben E. 1). Darauf kann nicht eingetreten
werden. Offensichtlich unbegründet ist die Rüge der Verletzung des rechtlichen
Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV): Das Verwaltungsgericht hat sich zur angeblichen
Aussage des Beschwerdegegners geäussert und sie mit seiner Absicht in
Zusammenhang gebracht, an der Instruktionsverhandlung eine Einigung
herbeizuführen (E. 5a des angefochtenen Urteils; vgl. oben E. 3.2.1).
3.3
3.3.1 Die Beschwerdeführer hatten die Befangenheit in ihrer Vernehmlassung vom
22. Dezember 2011 auch daraus abgeleitet, dass der Beschwerdegegner das
Verfahren gemäss Art. 314a ZGB führe. Dies entspreche nicht ihren Anträgen.

Die Vorinstanz hat dazu ausgeführt, den Beschwerdeführern sei mit Verfügung vom
2. Dezember 2011 mitgeteilt worden, das Verfahren werde vorderhand als
Beschwerdeverfahren betreffend Platzierung gemäss Art. 314a ZGB geführt. Die
erstmalige Rüge in der Vernehmlassung zum Ausstandsverfahren vom 22. Dezember
2011 sei verspätet.

3.3.2 Die Beschwerdeführer bringen vor, sie hätten bereits mit Schreiben vom 5.
Dezember 2011 gerügt, dass sie mit der Führung des Verfahrens gemäss Art. 314a
ZGB nicht einverstanden seien. Die vorinstanzlichen Ausführungen seien
aktenwidrig.
Es trifft zu, dass die Beschwerdeführer bereits am 5. Dezember 2011 gerügt
haben, dass das Verfahren zu Unrecht als solches gemäss Art. 314a ZGB geführt
werde. Die Behebung des Mangels ist für den Verfahrensausgang jedoch nicht
relevant. Wie bereits gesagt (oben E. 2), sind angebliche Fehler der
Verfahrensführung mit den normalen Rechtsmitteln zu rügen und können
grundsätzlich nicht im Rahmen von Art. 30 Abs. 1 BV vorgebracht werden.
3.4
3.4.1 Schliesslich hatten die Beschwerdeführer die Befangenheit des
Beschwerdegegners in der Vernehmlassung vom 22. Dezember 2011 damit begründet,
dass er V.________ weiterhin als Beiständin von W.________ behandle, obschon
sie von der Vormundschaftskommission entlassen und stattdessen U.________
eingesetzt worden sei. Damit bringe er zum Ausdruck, dass er den Beschluss der
Vormundschaftskommission für falsch halte.

Die Vorinstanz hat dazu ausgeführt, es ergebe sich nicht aus den Akten, dass
der Beschwerdegegner einzig V.________ als Beiständin akzeptiert habe. Mangels
Vorliegens eines Rücktrittsschreibens sei er davon ausgegangen, sie sei
weiterhin Beiständin. Im Übrigen stehe diese Frage in keinem direkten Bezug zur
Platzierung. Es könne daraus jedenfalls nicht geschlossen werden, er halte den
Beschluss der Vormundschaftskommission für falsch. Schliesslich werde das
Verfahren nicht in einzelrichterlicher Kompetenz geführt, sondern in
Dreierbesetzung.

3.4.2 Die Beschwerdeführer machen weiterhin geltend, dass der Beschwerdegegner
sich mit der Behandlung von V.________ als Beiständin bereits in einer
zentralen Frage definitiv festgelegt habe.

Es trifft - wie bereits die Vorinstanz festgestellt hat - zu, dass der
Beschwerdegegner V.________ in der Instruktionsverhandlung als Beiständin
behandelt hat. Soweit diese Frage überhaupt Prozessthema sein sollte, kann
daraus aber noch nicht abgeleitet werden, dass sich der Beschwerdegegner in
dieser Beziehung bereits definitiv festgelegt hat.

3.5 Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden
kann.

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens tragen die Beschwerdeführer die
Gerichtskosten unter solidarischer Haftbarkeit (Art. 66 Abs. 1 und Abs. 5 BGG).
Da die Beschwerde von vornherein aussichtslos war, ist das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird als Beschwerde in
Zivilsachen entgegengenommen.

2.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

3.
Das Gesuch der Beschwerdeführer um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung wird abgewiesen.

4.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden den Beschwerdeführern unter
solidarischer Haftbarkeit auferlegt.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons
Solothurn schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. März 2012
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Hohl

Der Gerichtsschreiber: Zingg