Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.91/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_91/2012

Urteil vom 9. Juli 2012
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Rottenberg Liatowitsch, Kiss,
Gerichtsschreiber Gelzer.

Verfahrensbeteiligte
Kommanditgesellschaft X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Franz Portmann,
Beschwerdeführerin,

gegen

Y.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Spieler,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Vertragsverletzung; Schadenersatz,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn,
Zivilkammer, vom 9. Januar 2012.

Sachverhalt:

A.
Die in Cham ansässige Y.________ AG produziert und vertreibt Lötanlagen. Am 25.
Mai 2005 schloss sie mit der italienischen Kommanditgesellschaft X.________
(Beschwerdeführerin) ein "Distribution-Agreement", einen Vertriebsvertrag,
gemäss welchem die Beschwerdeführerin für bestimmte Länder und Gebiete als
Händlerin für die Produkte der Beschwerdegegnerin eingesetzt wurde. Grundlage
der Vertragsbeziehungen bildeten nebst dem Distribution-Agreement auch die
"General Conditions of Sale Y.________ AG". Nach deren Ziffer 4.4 war die
Beschwerdegegnerin bei Nichteinhaltung der Zahlungstermine durch die
Beschwerdeführerin berechtigt, ohne Vorankündigung einen Verzugszins von einem
Prozent pro Monat zu verrechnen und zugesagte weitere Lieferungen unter Wahrung
aller Rechte von angemessenen Sicherheiten abhängig zu machen.

Mit Schreiben vom 9. September 2009 kündigte die Beschwerdegegnerin den Vertrag
fristlos unter Hinweis darauf, dass die Beschwerdeführerin entgegen ihren
Versprechungen ihre Zahlungen stets verspätet geleistet habe und die für eine
ausstehende Zahlung angesetzte letzte Frist ungenutzt habe verstreichen lassen.
Am 17. September und 7. Oktober 2009 gab die Beschwerdeführerin, welche damals
mit Zahlungen im Rückstand war, bei der Beschwerdegegnerin zwei weitere
Bestellungen auf. Die Beschwerdegegnerin verlangte vor der Ausführung dieser
Bestellungen als Sicherheit die Vorauszahlung oder eine Bankgarantie. Die
Beschwerdeführerin war nicht bereit, diese Sicherheiten zu leisten.

B.
Am 15. Dezember 2009 klagte die Beschwerdegegnerin beim Richteramt Thal-Gäu
gegen die Beschwerdeführerin auf Zahlung von Fr. 33'957.60 nebst 12 % Zins seit
1. Juli 2009. Damit verlangte sie den ihr gemäss dem Vertriebsvertrag
zustehenden Betrag aus Verkäufen, welche die Beschwerdeführerin getätigt hatte.
Diese schloss auf Abweisung der Klage und verlangte widerklageweise
Schadenersatz in der Höhe von Fr. 40'585.20 wegen verweigerter Lieferung der am
17. September und 7. Oktober 2009 bestellten Waren. Mit Urteil vom 16. Juni
2011 verpflichtete das Amtsgericht die Beschwerdeführerin, der
Beschwerdegegnerin Fr. 13'157.60 nebst Zins zu 12 % auf Fr. 20'800.-- vom 1.
Juli 2009 bis 15. Oktober 2009 zu bezahlen. In Gutheissung der Widerklage
verpflichtete es ferner die Beschwerdegegnerin, der Beschwerdeführerin Fr.
40'585.20 nebst 5 % Zins seit 16. Oktober 2009 zu bezahlen. Das Obergericht des
Kantons Solothurn hiess mit Urteil vom 9. Januar 2012 eine dagegen von der
Beschwerdegegnerin erhobenen Berufung teilweise gut, indem es das
erstinstanzliche Urteil aufhob, die Beschwerdeführerin verpflichtete, der
Beschwerdegegnerin Fr. 33'957.60 nebst 12 % Zins auf Fr. 20'800.-- seit 1. Juli
2009 zu bezahlen und die Widerklage abwies.

C.
Die Beschwerdeführerin beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in
Zivilsachen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 9. Januar
2012 aufzuheben und die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, ihr Fr. 27'427.60
(d.h. Fr. 40'585.20 abzüglich eines als geschuldet anerkannten Betrages von Fr.
13'157.60) nebst 5 % Zins seit 6. Oktober 2009 zu bezahlen. Eventuell sei das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Das gleichzeitig gestellte Gesuch um Gewährung der
aufschiebenden Wirkung wurde mit Präsidialverfügung vom 24. Februar 2012
abgewiesen. Ebenso wurde das Gesuch der Beschwerdegegnerin um Sicherstellung
einer allfälligen Parteientschädigung am 21. März 2012 abgewiesen. In der Sache
beantragt die Beschwerdegegnerin, die Beschwerde abzuweisen, während die
Vorinstanz auf Stellungnahme verzichtet.

Die Beschwerdeführerin hat unverlangt eine Replik, die Beschwerdegegnerin eine
Duplik eingereicht.

Erwägungen:

1.
1.1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann diese
Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG). Soweit die Beschwerdeführerin den Sachverhalt ergänzen
will, hat sie mit Aktenhinweisen darzulegen, dass entsprechende
Sachbehauptungen bereits im vorinstanzlichen Verfahren prozesskonform
aufgestellt worden sind (Urteil 4A_682/2011 vom 31. Mai 2012 E. 2.4; vgl. auch
BGE 115 II 484 E. 2a S. 486 mit Hinweisen). Überdies ist in der Beschwerde
darzutun, inwiefern die Behebung des gerügten Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 135 I 19 E. 2.2.2).

1.2 Eine Replik kann nicht dazu dienen, die Beschwerdeschrift zu ergänzen oder
unzulässige Noven einzureichen. Die entsprechenden Ausführungen der
Beschwerdeführerin bleiben ausser Acht.

2.
2.1 Die Beschwerdeführerin erhebt vor Bundesgericht einzig Einwände mit Bezug
auf die Berechtigung der Widerklage. Dazu erwog die Vorinstanz, die
Beschwerdeführerin sei im Zeitpunkt der Bestellungen vom 17. September und 7.
Oktober 2009 mit ihren Zahlungen im Rückstand gewesen, weshalb die
Beschwerdegegnerin gemäss Art. 4.4 der anwendbaren Allgemeinen
Verkaufsbedingungen weitere Lieferungen von angemessenen Sicherheiten habe
abhängig machen dürfen. Inwiefern die von ihr verlangte Vorauszahlung oder
Stellung einer Bankgarantie nicht angemessen im Sinne der genannten Bestimmung
gewesen sei, habe die Beschwerdeführerin nicht dargetan. Dies sei nicht
ersichtlich, zumal auch nach Art. 82 OR entweder bereits erfüllt haben oder die
Erfüllung anbieten müsse, wer bei einem zweiseitigen Vertrag den andern zur
Erfüllung anhalten wolle, sofern er nach dem Inhalt oder nach der Natur des
Vertrages nicht erst später zu erfüllen habe. Dass die verlangten Sicherheiten
vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise der Maschinenindustrie realitätsfremd
seien, wie die Beschwerdeführerin vorgebracht hatte, wertete die Vorinstanz als
nicht belegte Schutzbehauptung. Da sich die Beschwerdegegnerin grundsätzlich
bereit erklärt habe, die beiden Bestellungen auszuführen und vertragsgemäss
befugt gewesen sei, die Lieferung von angemessenen Sicherheiten abhängig zu
machen, habe sie unabhängig davon, ob die fristlose Kündigung berechtigt
gewesen oder in eine ordentliche umzudeuten sei, keine Vertragsverletzung
begangen.

2.2 Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe verkannt, dass es sich
beim Bestand der Wirtschaftskrise der Maschinenindustrie in den Jahren 2009/
2010 um eine allgemein bekannte und damit gerichtsnotorische Tatsache handle,
welche das Gericht von Amtes wegen zu berücksichtigen habe. Indem die
Vorinstanz diesbezüglich eine formelle Beweisführung gefordert habe, habe sie
ein bundesrechtswidriges Beweismass angewandt und das Recht auf Beweis gemäss
Art. 8 ZGB verletzt. Die Wirtschaftskrise und die sich daraus ergebende
Unangemessenheit der von der Beschwerdegegnerin geforderten Sicherheit sei für
die Anwendung von Ziff. 4.3 (recte 4.4) der "General Conditions of Sale"
massgebend, weshalb die Vorinstanz eine rechtserhebliche Tatsache nicht
berücksichtigt habe.

2.3 Art. 8 ZGB gibt der beweispflichtigen Partei in allen bundesrechtlichen
Zivilstreitigkeiten einen Anspruch darauf, für rechtserhebliche Vorbringen zum
Beweis zugelassen zu werden, wenn ihr Beweisantrag nach Form und Inhalt den
Vorschriften des kantonalen Rechts entspricht (BGE 133 III 295 E. 7.1 S. 299).
Offenkundige bzw. notorische Tatsachen müssen im kantonalen Verfahren weder
behauptet noch bewiesen werden (BGE 135 III 88 E. 4.1 S. 89; 130 III 113 E. 3.4
S. 121) und können im Verfahren vor Bundesgericht von Amtes wegen
berücksichtigt werden (Art. 105 Abs. 2 BGG; Urteil 4A_412/2011 vom 4. Mai 2012
E. 2.2).

2.4 Ob die Vorinstanz den Bestand der Wirtschaftskrise der Maschinenindustrie
als solchen oder vielmehr die Behauptung der Realitätsfremdheit, derartige
Sicherheiten in Zeiten der Wirtschaftskrise der Maschinenindustrie
einzufordern, als nicht belegte Schutzbehauptung abtat, kann offenbleiben. So
oder anders ist die Relevanz der Behauptung, es habe eine Krise in der
Maschinenindustrie geherrscht, nicht ersichtlich, weshalb insoweit eine
Verletzung von Art. 8 ZGB ausscheidet. Dass andere als die verlangten
Sicherheiten, etwa Bürgschaften oder Grundpfänder, in Krisenzeiten eher
angebracht gewesen wären als die von der Beschwerdegegnerin geforderte
Vorauszahlung oder Bankgarantie, legt die Beschwerdeführerin nicht dar. Ihre
Berufung auf die Wirtschaftskrise, in welcher es realitätsfremd sei, derartige
Sicherheiten zu fordern, ist daher dahin zu verstehen, die Beschwerdeführerin
halte die Tatsache, dass in Krisenzeiten überhaupt Sicherheiten verlangt
werden, für unangemessen. Dieser Einwand bricht sich indessen an der in Ziffer
4.4 der allgemeinen Verkaufsbedingungen vereinbarten Berechtigung der
Beschwerdegegnerin, bei Nichteinhaltung der Zahlungstermine weitere Lieferungen
von der Leistung von Sicherheiten abhängig zu machen. Danach war die
Beschwerdegegnerin nicht gehalten, die Ausstände unbegrenzt anwachsen zu lassen
und damit ein hohes Risiko der Uneinbringlichkeit ihrer Forderung einzugehen.
Weshalb in Krisenzeiten, in denen es häufig schwerfällt, die Abnehmer zu
veranlassen, die geschuldete Leistung bzw. die Kaufpreiszahlung zeitgerecht zu
erbringen, unangemessen sein soll, von weiteren Lieferungen abzusehen, wenn
deren Zahlung nicht sichergestellt wird, ist nicht nachvollziehbar. Gerade in
Zeiten grosser wirtschaftlicher Unsicherheit erlangte die betreffende
Bestimmung besondere Bedeutung und musste der Beschwerdegegnerin gestattet
sein, das darin statuierte Recht in Anspruch zu nehmen.

3.
3.1 Soweit die Beschwerdeführerin anführt, sie habe sich "strikte" an die
vereinbarten Zahlungsvereinbarungen gehalten", insbesondere an die vereinbarten
Zinszahlungen und habe in ihrer E-Mail vom 5. Oktober 2009 vertragsgemässe
Zahlungen offeriert, womit sie den Vertrag erfüllt habe, widerspricht sie
einerseits der für das Bundesgericht verbindlichen Feststellung der Vorinstanz,
wonach die Beschwerdeführerin im relevanten Zeitraum mit ihren Zahlungen im
Rückstand war. Andererseits verkennt die Beschwerdeführerin, dass mit einer
Zahlungszusicherung die Zahlungspflicht nicht erfüllt wird. Demnach waren die
Voraussetzungen gegeben, unter denen die Beschwerdegegnerin berechtigt war,
weitere Lieferungen von der Leistung von Sicherheiten abhängig zu machen. Die
Vorinstanz hat dies bundesrechtskonform erkannt und insoweit kein Bundesrecht
verletzt. Ihrem in diesem Zusammenhang erfolgten Hinweis auf Art. 82 OR kommt
keine selbstständige Bedeutung zu, weshalb auf die dagegen erhobene Rüge nicht
einzutreten ist.

3.2 Gleichfalls irrelevant ist unter den gegebenen Umständen, ob die
Beschwerdegegnerin im Zeitpunkt ihrer begründeten Lieferungsverweigerung
bereits einen anderen Vertriebspartner im Auge hatte, zumal für die Frage der
Schadenersatzpflicht der Beschwerdegegnerin die fristlose Kündigung des
Vertriebsvertrages, bzw. die Frage, was die Beschwerdegegnerin dazu veranlasst
hat, keine Rolle spielt. Auf die diesbezüglichen Vorbringen der
Beschwerdeführerin ist daher nicht einzutreten.

3.3 Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, die Vorinstanz habe ausser
Acht gelassen, dass die Existenz eines neuen Vertriebsvertrages und nicht die
unterlassene Vorauszahlung der wahre Grund für die Leistungsverweigerung der
Beschwerdegegnerin gewesen sei, verlangt die Beschwerdeführerin eine Ergänzung
des vorinstanzlich festgestellten Sachverhalts. Sie zeigt jedoch nicht mit
Aktenhinweisen auf, dass sie entsprechende Tatsachenbehauptungen bei den
Vorinstanzen prozesskonform eingebracht hat, weshalb auf das Begehren mangels
rechtsgenüglicher Begründung nicht einzutreten ist.

4.
Aus den dargelegten Gründen erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist
abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des
bundesgerichtlichen Verfahrens wird die Beschwerdeführerin dafür kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 2 und Art. 68 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 3'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Solothurn,
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 9. Juli 2012

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Klett

Der Gerichtsschreiber: Gelzer