Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.651/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_651/2012

Urteil vom 7. Februar 2013
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichter Corboz,
Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiber Widmer.

Verfahrensbeteiligte
X.________ GmbH,
vertreten durch Rechtsanwalt Flurin Turnes,
Beschwerdeführerin,

gegen

Y.________ AG,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Mietvertrag, Prozessrecht,

Beschwerde gegen den Entscheid des
Kantonsgerichts St. Gallen, III. Zivilkammer,
vom 27. September 2012.

Sachverhalt:

A.
Zwischen der X.________ GmbH (Beschwerdeführerin) als Mieterin und den
Y.________ AG (Beschwerdegegnerin) als Vermieterin bestand ein Mietverhältnis
über die Geschäftsflächen des ehemaligen Restaurants B.________ in C.________.
Mit Schreiben bzw. amtlichem Formular vom 7. März 2011 kündigte die
Beschwerdegegnerin das Mietverhältnis per 31. Januar 2013.
Die Beschwerdeführerin erhob am 10. August 2011 beim Kreisgericht
Werdenberg-Sarganserland Klage gegen die Beschwerdegegnerin mit den Anträgen,
es sei die Kündigung aufzuheben, eventuell festzustellen, dass der Mietvertrag
bis 30. Juni 2017 unkündbar sei, subeventuell das Mietverhältnis bis zu diesem
Zeitpunkt zu erstrecken. Die Einzelrichterin des Kreisgerichts stellte mit
Entscheid vom 4. November 2011 die Gültigkeit der Kündigung fest und wies die
Klage im weiteren Umfang ab.
Am 27. September 2012 wies das Kantonsgericht St. Gallen eine von der
Beschwerdeführerin gegen diesen Entscheid erhobene Berufung ab, soweit es
darauf eintrat. Es trat dabei namentlich auf das Eventualbegehren um
Mieterstreckung nicht ein.

B.
Die Beschwerdeführerin beantragt mit Beschwerde in Zivilsachen, der Entscheid
des Kantonsgerichts sei aufzuheben, soweit darin ein Nichteintretensentscheid
erfolgt sei. Ferner sei das Mietverhältnis "mindestens um die Zeitdauer zu
erstrecken, bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist gemäss
ursprünglichem Mietvertrag (30.6.2017)", bzw. die Sache sei eventuell in
dahingehendem Sinne an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Beschwerdegegnerin schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf
einzutreten sei. Die Vorinstanz verzichtete auf eine Vernehmlassung.
Die Parteien haben Replik und Duplik eingereicht.
Mit Präsidialverfügung vom 22. November 2012 wurde ein Gesuch der
Beschwerdeführerin um Gewährung der aufschiebenden Wirkung und mit
Präsidialverfügung vom 30. Januar 2013 ein Gesuch derselben um Anordnung einer
vorsorglichen Massnahme abgewiesen.

Erwägungen:

1.
Das angefochtene Urteil des Kantonsgerichts ist ein verfahrensabschliessender
Endentscheid (Art. 90 BGG) einer letzten kantonalen Instanz im Sinne von Art.
75 Abs. 1 und 2 BGG. Der Streitwert übersteigt die Grenze nach Art. 74 Abs. 1
lit. a BGG. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist
auf die gegen das genannte Urteil gerichtete Beschwerde - unter Vorbehalt einer
rechtsgenüglichen Begründung (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG) -
einzutreten.

2.
Die Erstinstanz stellte fest, dass die von der Beschwerdegegnerin am 7. März
2011 auf den 31. Januar 2013 ausgesprochene Kündigung des Mietverhältnisses
gültig sei. Sodann prüfte sie, ob die Voraussetzungen für eine Erstreckung des
Mietverhältnisses gegeben seien. Sie verneinte dies mit einlässlicher
Begründung und wies das Begehren um Erstreckung ab.
In der gegen diesen Entscheid erhobenen Berufung wiederholte die
Beschwerdeführerin ihren vor Kreisgericht gestellten Eventualantrag, "das
Mietverhältnis sei um mindestens die Zeitdauer zu erstrecken, bis zum Ablauf
der ordentlichen Kündigungsfrist gemäss ursprünglichem Mietvertrag (30.06.2017)
". Nach den grundsätzlich verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 105
Abs. 1 und 2 BGG) befasste sie sich jedoch überhaupt nicht mit dem
Eventualbegehren und setzte sich in keiner Weise mit den diesbezüglichen
Erwägungen im angefochtenen Urteil der Erstinstanz auseinander. Die Vorinstanz
trat deshalb auf das Eventualbegehren um Mieterstreckung nicht ein, weil es an
der Prozessvoraussetzung einer Begründung des Berufungsantrags fehle.
Die vorliegende Beschwerde richtet sich einzig gegen diesen
Nichteintretensentscheid, wogegen der Entscheid betreffend Wirksamkeit der
Kündigung nicht angefochten wird. Gegenstand des bundesgerichtlichen Verfahrens
ist damit einzig die Frage, ob die Vorinstanz auf den Erstreckungsantrag zu
Recht nicht eingetreten ist. Nicht zu beurteilen ist dagegen die von der
Vorinstanz nicht behandelte materiellrechtliche Frage, ob die Voraussetzungen
für eine Erstreckung vorliegend gegeben sind. Bei einer Gutheissung der
Beschwerde käme nur eine Rückweisung zur Beurteilung dieser Frage in Betracht.

3.
Die Beschwerdeführerin erhebt eine Rüge "gemäss Art. 105 BGG", mit der sie sich
sinngemäss gegen die vorinstanzliche Feststellung wendet, wonach sie sich
überhaupt nicht mit dem Eventualbegehren befasst und sich in keiner Weise mit
den diesbezüglichen Erwägungen im angefochtenen Urteil der Erstinstanz
auseinandergesetzt habe. Sie macht geltend, der Sachverhalt betreffend den
Kündigungs- und Erstreckungsaspekt sei von Anfang an immer klar gewesen, es
gebe keine Sachverhaltsfeststellung, die festhalte, von Erstreckung könne nicht
die Rede sein. Aus den für die Beschwerdeführerin gemachten Ausführungen ergehe
mit aller genügenden Deutlichkeit, dass eine Erstreckung zwingend greifen
müsste, wenn die Kündigung nicht aufgehoben werde.
Mit diesen vagen Vorbringen und dem allgemein gehaltenen Verweis auf die "für
die Beschwerdeführerin gemachten Ausführungen" begründet die Beschwerdeführerin
ihre Sachverhaltsrüge nicht hinreichend. Sie zeigt nicht einmal ansatzweise mit
dazu erforderlichen, präzisen Aktenhinweisen auf, dass die kritisierte
Feststellung der Vorinstanz offensichtlich unrichtig wäre (vgl. dazu BGE 136 II
508 E. 1.2; 133 II 249 E. 1.4.3; 133 III 350 E. 1.3, 393 E. 7.1, 462 E. 2.4 S.
466; betreffend die Anforderungen an Aktenhinweise s. die Urteile 4A_214/2008
vom 9. Juli 2008 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 134 III 570; 4A_470/2009 vom 18.
Februar 2010 E. 1.2). Darauf kann nicht eingetreten werden und es ist im
Folgenden von der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz auszugehen.

4.
Die Beschwerdeführerin rügt eine unrichtige bzw. willkürliche Anwendung der
Bestimmungen von Art. 272, 272a, 273 Abs. 4 (gemeint wohl: Abs. 5) i.V.m. Art.
263 und insbesondere Art. 273c OR. Der Mieter könne auf die Rechte im
Zusammenhang mit der Erstreckung des Mietverhältnisses nicht verzichten. Wenn
daher die Vorinstanz trotz erdrückendem Tatbestand und trotz eindeutiger
Sachverhaltsschilderung den formalistischen Standpunkt einnehme, der Antrag auf
Erstreckung sei nicht begründet worden, so verfalle sie in Willkür.

4.1 Das Bundesgericht kann die Anwendung von Bundesrecht im Rahmen der
vorliegenden Beschwerde in Zivilsachen frei prüfen (vgl. Art. 95 lit. a BGG).
Der erhobenen Willkürrüge kommt neben der Rügen der Verletzung von
Bundeszivilrecht keine selbständige Bedeutung zu.

4.2 Nach Art. 311 Abs. 1 ZPO muss die Berufung eine Begründung enthalten.
Begründen im Sinne der genannten Vorschrift bedeutet aufzeigen, inwiefern der
angefochtene Entscheid als fehlerhaft erachtet wird. Dieser Anforderung genügt
der Berufungskläger nicht, wenn er lediglich auf die vor der ersten Instanz
vorgetragenen Vorbringen verweist, sich mit Hinweisen auf frühere
Prozesshandlungen zufriedengibt oder den angefochtenen Entscheid in allgemeiner
Weise kritisiert. Die Begründung muss hinreichend genau und eindeutig sein, um
von der Berufungsinstanz mühelos verstanden werden zu können. Dies setzt
voraus, dass der Berufungskläger im Einzelnen die vorinstanzlichen Erwägungen
bezeichnet, die er anficht, und die Aktenstücke nennt, auf denen seine Kritik
beruht (BGE 138 III 374 E. 4.3.1 S. 375; Urteil 4A_659/2011 vom 7. Dezember
2011 E. 3, in: SJ 2012 I S. 232). Die Begründung ist eine gesetzliche, von
Amtes wegen zu prüfende Zulässigkeitsvoraussetzung für die Berufung. Fehlt sie,
so tritt das obere kantonale Gericht auf die Berufung nicht ein (Urteile 5A_438
/2012 vom 27. August 2012 E. 2.2; 4A_659/2011 vom 7. Dezember 2011 E. 3, in: SJ
2012 I S. 232).
Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Erwägung 3) fehlte in der
Berufung offensichtlich eine hinreichende Begründung des gestellten
Erstreckungsbegehrens; wenn die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang unter
Ergänzung des vorinstanzlichen Sachverhalts die Behauptung aufstellt, in den
Rechtsschriften, auch in der Berufung, sei der Sachverhalt betreffend
Erstreckung laufend ausgedeutscht worden, ist sie damit nicht zu hören. Die
Vorinstanz trat mithin in diesem Punkt zu Recht nicht auf die Berufung ein.

4.3 Die Beschwerdeführerin vertritt nun allerdings sinngemäss die Ansicht, die
Vorinstanz hätte die Erstreckungsbegehren materiell prüfen müssen, weil es sich
bei den Ansprüchen auf Erstreckung um Rechte handle, auf die der Mieter nicht
verzichten könne.
Dem kann nicht gefolgt werden. Die vorstehend umschriebenen
Begründungsanforderungen sind von Rechtsmittelklägern auch in Verfahren zu
beachten, in denen der Untersuchungsgrundsatz gilt (BGE 138 III 374 E. 4.3.1 S.
375), geht es doch im Rechtsmittelverfahren allemal um die Überprüfung des vom
Erstgericht getroffenen Entscheids aufgrund von erhobenen Beanstandungen und
nicht darum, dass die Rechtsmittelinstanz von Grund auf eine eigene Prüfung
sich stellender Rechtsfragen vornimmt, als wäre dem Rechtsmittelverfahren noch
keine gerichtliche Beurteilung vorangegangen. Nichts anderes kann in Fällen
gelten, in denen wie vorliegend unverzichtbare Rechte des Rechtsmittelklägers
strittig sind. Befreite dieser Umstand die Beschwerdeführerin somit nicht von
ihrer Begründungspflicht, trat die Vorinstanz auch unter diesem Aspekt zu Recht
nicht auf das Erstreckungsbegehren ein und verletzte sie damit die von der
Beschwerdeführerin angerufenen Bestimmungen nicht.

5.
Die Beschwerdeführerin macht schliesslich eine Verletzung ihrer Ansprüche auf
gleiche und gerechte Behandlung und auf rechtliches Gehör nach Art. 29 BV
geltend; dass bei Voraussetzungen wie den vorliegenden die Frage der
Erstreckung des Mietverhältnisses nicht formalistisch abgewandelt (recte wohl:
abgehandelt) werden dürfe, ergehe aus den Intentionen des Gesetzgebers
bezüglich des Mietvertragsrechts, konkretisiert insbesondere auch mit den
Stichworten "Kündigungsschutz" und "Behörden und Verfahren" in den
Abschnittstiteln des OR.
Mit diesen Vorbringen genügt die Beschwerdeführerin den Anforderungen an die
Begründung der erhobenen Verfassungsrügen nicht, weshalb auf diese nicht
eingetreten werden kann (vgl. dazu Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 138 I 171 E. 1.4;
134 II 244 E. 2.1 und 2.2 S. 245 f.; je mit Hinweisen). Ohnehin gehen die Rügen
fehl. Denn die angerufenen allgemeinen Verfahrensgarantien entbinden eine
Prozesspartei nicht davon, die verfahrensrechtlichen Regeln zu befolgen, die
der Gesetzgeber im legitimen Interesse an einer effizienten Verfahrensführung
und im wohlverstandenen Interesse der anderen Parteien aufgestellt hat (BGE 132
I 134 E. 2.1 S. 137; 131 II 169 E. 2.2.3 S. 173; 124 I 322 E. 4d S. 325; Urteil
4A_659/2011 vom 7. Dezember 2011 E. 6).

6.
Die Beschwerde ist demnach abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei
diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66
Abs. 1 BGG). Der nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdegegnerin ist keine
Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 133 III 439 E.
4 S. 446).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, III.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. Februar 2013

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Klett

Der Gerichtsschreiber: Widmer