Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.552/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_552/2012

Urteil vom 21. Februar 2013
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichter Corboz,
Bundesrichterin Niquille,
Gerichtsschreiber Leemann.

Verfahrensbeteiligte
X.________ SA,
vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Adrian W. Kammerer, Tamir Livschitz und Dr.
Andreas D. Blattmann,
Beschwerdeführerin,

gegen

1. A.Y.________ Holdings SA,
2. B.Y.________ SpA,
3. C.Y.________ SpA,
4. D.Y.________ Holdings Inc.,
alle vier vertreten durch
Rechtsanwälte Philipp Ganzoni und Eric Fiechter,
Beschwerdegegnerinnen.
Gegenstand

Internationales Schiedsgericht,

Beschwerde gegen den Schiedsentscheid des ICC Schiedsgerichts mit Sitz in Genf
vom 20. August 2012.

Sachverhalt:

A.
Die A.Y.________ Holdings SA, die B.Y.________ SpA, die C.Y.________ SpA und
die D.Y.________ Holdings Inc. (Verkäuferinnen, Klägerinnen,
Beschwerdegegnerinnen) schlossen im Jahre 2008 mit der Z.________ Ltd.
(Käuferin, Beklagte) mit Sitz in J.________ einen Kaufvertrag über eine
100%-Beteiligung an der Q.________ Holding Sàrl ab.
Im Aktienkaufvertrag vom 7. Februar 2008 ("Share Purchase Agreement" bzw.
"SPA") wurde unter anderem vereinbart, dass die Z.________ Ltd. innert einer
bestimmten Frist eine von ihr kontrollierte Gesellschaft benennen könne, die
sie als Käuferin unter dem Aktienkaufvertrag ablösen würde. Der Vertrag
enthielt sodann eine Schiedsklausel sowie eine Rechtswahl zugunsten des
italienischen Rechts.
Am 23. April 2008 machte die Z.________ Ltd. vom erwähnten Recht Gebrauch und
benannte ihre Tochtergesellschaft X.________ SA (Käuferin, Beklagte,
Beschwerdeführerin) als Käuferin des Aktienpakets unter dem Kaufvertrag vom 7.
Februar 2008.
Am 30. April 2008 unterzeichneten die Verkäuferinnen mit der X.________ SA eine
Ergänzung zum Kaufvertrag vom 7. Februar 2008 ("Addendum"), die insbesondere
den Wechsel der Vertragspartei auf Seiten der Käuferschaft bestätigte. Im
Weiteren wurde unter anderem der ursprüngliche Kaufpreis von EUR 34'614'000.--
auf EUR 33'800'000.-- reduziert, wovon EUR 28'980'000.-- sofort und der Rest
(d.h. EUR 4'820'000.--) spätestens am 30. Juli 2008 zu bezahlen waren.
Der Kaufpreisanteil von EUR 28'980'000.-- wurde fristgerecht beglichen. Über
den Restkaufpreis von EUR 4'820'000.-- stellte die X.________ SA den
Verkäuferinnen sogenannte Promissory Notes aus. Die entsprechende Zahlung des
Restkaufpreises erfolgte jedoch nicht.

B.
B.a In der Folge leiteten die Verkäuferinnen nach den Bestimmungen der
Internationalen Handelskammer (ICC) ein Schiedsverfahren gegen die Z.________
Ltd. und die X.________ SA ein. Ihre Rechtsbegehren lauteten wie folgt:
"1. Having ascertained that both RESPONDENTS failed to comply with their
obligations under the SPA, the ADDENDUM and the Promissory Notes, to condemn
the RESPONDENTS jointly and severally to pay to the CLAIMANTS the amount of the
Deferred Payment subdivided between each of them as resulting from the
Promissory Notes, i.e.:
(i) A.Y.________ Holdings SA euro 3.484.195,00;
(ii) B.Y.________ SpA euro 851.800,00;
(iii) C.Y.________ SpA euro 53.059,00;
(iv) D.Y.________ Holdings Inc. euro 246.255,00.
All the above amounts with interest calculated from July 30th [2008] until the
date of payment.
..."
B.b Mit Schiedsurteil vom 20. August 2012 entschied das ICC Schiedsgericht mit
Sitz in Genf wie folgt:
"Based on the foregoing, the Arbitral Tribunal:
a) Declares that it has jurisdiction on Claimants' claims;
b) Rejects all claims as directed against Z.________ Ltd.;
c) Orders X.________ SA to pay the following amounts:
EUR3,484,195 to A.Y.________ Holdings SA;
EUR851,800 to B.Y.________ SpA;
EUR246,255 to D.Y.________ Holdings Inc.;
EUR53,059 to C.Y.________ SpA;
d) Says that such amounts will bear simple interest, at the applicable legal
rate for the relevant periods, from 30 July 2008 to full payment.
..."

C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die X.________ SA dem Bundesgericht, es
sei der Schiedsentscheid vom 20. August 2012 aufzuheben und zur erneuten
Entscheidung zurückzuweisen.
Die Beschwerdegegnerinnen beantragen die Abweisung der Beschwerde. Das
Schiedsgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

D.
Mit Verfügung vom 14. Dezember 2012 wies das Bundesgericht das Gesuch der
Beschwerdeführerin um Gewährung der aufschiebenden Wirkung ab.

Erwägungen:

1.
Nach Art. 54 Abs. 1 BGG ergeht der Entscheid des Bundesgerichts in einer
Amtssprache, in der Regel in jener des angefochtenen Entscheids. Wurde dieser
in einer anderen Sprache redigiert, verwendet das Bundesgericht die von den
Parteien gewählte Amtssprache. Der angefochtene Entscheid ist in englischer
Sprache abgefasst. Da es sich dabei nicht um eine Amtssprache handelt und sich
die Parteien vor Bundesgericht verschiedener Sprachen bedienen, ergeht der
Entscheid des Bundesgerichts praxisgemäss in der Sprache der Beschwerde.

2.
Im Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ist die Beschwerde in
Zivilsachen unter den Voraussetzungen der Art. 190-192 IPRG (SR 291) zulässig
(Art. 77 Abs. 1 lit. a BGG).

2.1 Der Sitz des Schiedsgerichts befindet sich vorliegend in Genf. Die Parteien
hatten im relevanten Zeitpunkt ihren Sitz ausserhalb der Schweiz. Da sie die
Bestimmungen des 12. Kapitels des IPRG nicht schriftlich ausgeschlossen haben,
gelangen diese zur Anwendung (Art. 176 Abs. 1 und 2 IPRG).

2.2 Zulässig sind allein die Rügen, die in Art. 190 Abs. 2 IPRG abschliessend
aufgezählt sind (BGE 134 III 186 E. 5 S. 187; 128 III 50 E. 1a S. 53; 127 III
279 E. 1a S. 282). Nach Art. 77 Abs. 3 BGG prüft das Bundesgericht nur die
Rügen, die in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden sind; dies
entspricht der in Art. 106 Abs. 2 BGG für die Verletzung von Grundrechten und
von kantonalem und interkantonalem Recht vorgesehenen Rügepflicht (BGE 134 III
186 E. 5 S. 187 mit Hinweis). Appellatorische Kritik ist unzulässig (BGE 134
III 565 E. 3.1 S. 567; 119 II 380 E. 3b S. 382).

2.3 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den das
Schiedsgericht festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung des Schiedsgerichts weder berichtigen noch ergänzen,
selbst wenn diese offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (vgl. Art. 77 Abs. 2 BGG, der die Anwendbarkeit
von Art. 97 BGG sowie Art. 105 Abs. 2 BGG ausschliesst). Allerdings kann das
Bundesgericht die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen
Schiedsentscheids überprüfen, wenn gegenüber diesen Sachverhaltsfeststellungen
zulässige Rügen im Sinne von Art. 190 Abs. 2 IPRG vorgebracht oder
ausnahmsweise Noven berücksichtigt werden (BGE 138 III 29 E. 2.2.1 S. 34; 134
III 565 E. 3.1 S. 567; 133 III 139 E. 5 S. 141; je mit Hinweisen). Wer sich auf
eine Ausnahme von der Bindung des Bundesgerichts an die tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz beruft und den Sachverhalt gestützt darauf
berichtigt oder ergänzt wissen will, hat mit Aktenhinweisen darzulegen, dass
entsprechende Sachbehauptungen bereits im vorinstanzlichen Verfahren
prozesskonform aufgestellt worden sind (vgl. BGE 115 II 484 E. 2a S. 486; 111
II 471 E. 1c S. 473; je mit Hinweisen).

3.
Die Beschwerdeführerin beruft sich auf den Beschwerdegrund von Art. 190 Abs. 2
lit. c IPRG.

3.1 Nach dieser Bestimmung kann gegen einen internationalen Schiedsspruch
eingewendet werden, das Schiedsgericht habe über Streitpunkte entschieden, die
ihm nicht unterbreitet worden seien oder es habe Rechtsbegehren unbeurteilt
gelassen.
Die Beschwerdeführerin beruft sich auf den ersten Teil dieses Rügegrundes und
bringt vor, das Schiedsgericht habe über etwas entschieden, ohne dass dies von
den Beschwerdegegnerinnen verlangt worden sei. Das Schiedsgericht habe nämlich
nur die Beschwerdeführerin und nicht auch die Z.________ Ltd. zur Zahlung des
Restkaufpreises verpflichtet, obwohl es das von den Beschwerdegegnerinnen
gestellte Feststellungsbegehren nicht in deren Sinne habe gutheissen können und
obwohl die Beschwerdegegnerinnen nur eine gemeinsame Verpflichtung der
Z.________ Ltd. und der Beschwerdeführerin verlangt hätten.

3.2 Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist der Einleitungssatz von
Ziffer 1 der Anträge der Beschwerdegegnerinnen ("Having ascertained that both
RESPONDENTS failed to comply with their obligations under the SPA, the ADDENDUM
and the Promissory Notes ... ") nicht als Feststellungsbegehren, sondern als
Teil der Begründung des Leistungsbegehrens zu verstehen ("... to condemn the
RESPONDENTS jointly and severally to pay to the CLAIMANTS the amount of the
Deferred Payment ..."). Abgesehen davon leuchtet nicht ein, inwiefern sich aus
dem ins Feld geführten Umstand, dass ein angebliches Feststellungsbegehen der
Gegenpartei nicht zum Dispositiv erhoben worden sei, etwas zugunsten der
Beschwerdeführerin ableiten liesse.
Der Beschwerdeführerin kann nicht gefolgt werden, wenn sie das in
Antrags-Ziffer 1 enthaltene Leistungsbegehren in der Weise eingeschränkt
auffassen will, dass vorgängig eine Vertragsverletzung sowohl der
Beschwerdeführerin als auch der Z.________ Ltd. festgestellt werden muss. Die
Formulierung des Leistungsbegehrens ("... to condemn the RESPONDENTS jointly
and severally to pay ...") macht deutlich, dass die Beklagten solidarisch zur
Zahlung zu verurteilen seien und somit auch je einzeln zur Zahlung des
Gesamtbetrags verpflichtet werden sollen. Entsprechend ist Antrags-Ziffer 1 -
entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht - nach Treu und Glauben
nicht so zu verstehen, dass die Gutheissung des Leistungsbegehrens gegen eine
der Beklagten lediglich unter der Bedingung beantragt würde, dass zunächst eine
Vertragsverletzung auch der anderen Beklagten festgestellt wird.
Eine Einschränkung der Prüfungsbefugnis des Schiedsgerichts, wie sie die
Beschwerdeführerin behauptet, liegt nicht vor. Dabei ist unerheblich, ob die
Klage in erster Linie auf die Haftung der Z.________ Ltd. abzielte oder welche
Beweggründe die Beschwerdegegnerinnen veranlassten, auch die Beschwerdeführerin
ins Recht zu fassen. Ebenso wenig ist im Hinblick auf Art. 190 Abs. 2 lit. c
IPRG ausschlaggebend, dass eine Haftung der Beschwerdeführerin den
Beschwerdegegnerinnen angeblich "nichts bringt" bzw. sie "nur aus praktischen
und rechtlichen Überlegungen ... ins Verfahren einbezogen" worden sei.

3.3 Die in Antrags-Ziffer 1 beantragte Verurteilung der Beklagten zur
solidarischen Zahlungsverpflichtung umfasst auch eine Verpflichtung nur einer
der beiden Beklagten. Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht ist
dem Schiedsgericht keine Verletzung des Grundsatzes "ne eat iudex ultra petita
partium" (Art. 190 Abs. 2 lit. c IPRG) vorzuwerfen, wenn es den eingeklagten
Anspruch auf Geldzahlung einzig gegenüber der Beschwerdeführerin schützte,
während es die Schiedsklage gegenüber der Z.________ Ltd. abwies. Das
Schiedsgericht hat den Beschwerdegegnerinnen weder mehr noch anderes
zugesprochen, als sie verlangt haben (vgl. BGE 116 II 639 E. 3a S. 642).

4.
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen. Dem Ausgang des
Verfahrens entsprechend wird die Beschwerdeführerin kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 25'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerinnen für das bundesgerichtliche
Verfahren mit insgesamt Fr. 30'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem ICC Schiedsgericht mit Sitz in Genf
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. Februar 2013

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Klett

Der Gerichtsschreiber: Leemann