Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.49/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_49/2012

Urteil vom 7. Mai 2012
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichter Kolly, Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiberin Schreier.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Rainer Wey,
Beschwerdeführerin,

gegen

X.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Mathias Merki,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Auftrag: Verkehrswertschätzung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht,
1. Kammer,
vom 6. Dezember 2011.

Sachverhalt:

A.
A.a A.________ (Auftraggeberin, Klägerin, Beschwerdeführerin) beauftragte die
X.________ AG (Beauftragte, Beklagte, Beschwerdegegnerin) mit der Erstellung
einer Verkehrswertschätzung der Liegenschaft Y.________ in Z.________.
In ihrer Schätzung vom 26. Juni 2006 gab die Beauftragte einen Verkehrswert von
Fr. 580'000.-- an. Im Liegenschaftsbeschrieb war unter dem Titel
"Parkplatzsituation" vermerkt, dass "auf der Parzelle auf der Rückseite der
Liegenschaft mindestens ein Personenwagen abgestellt werden [könne], der
Liegenschaft [aber] keine Garage zugeteilt" sei. Der Schätzung war die
Schlussbemerkung angefügt, dass die Liegenschaft als Liebhaberobjekt eingestuft
werde, weshalb der realisierbare Verkaufspreis eher über dem geschätzten
Verkehrswert liege, wobei eine Abweichung von 5-10 % im tolerierbaren Bereich
liege.
A.b Am 11. Juli 2006 erwarb die Auftraggeberin die Liegenschaft zu einem
Kaufpreis von Fr. 620'000.--.
A.c Nach Darstellung der Auftraggeberin verfügt die Liegenschaft entgegen den
Angaben in der Verkehrswertschätzung über keine rechtlich gesicherten
Parkplätze, weshalb der tatsächliche Verkehrswert der Liegenschaft um 25 %
unter dem von der Beauftragten geschätzten Wert von Fr. 580'000.-- liege. Dies
ergebe einen Minderwert von Fr. 145'000.--.

B.
B.a Mit Klage vom 7. November 2008 beantragte die Auftraggeberin dem
Bezirksgericht Aarau, es sei die Beauftragte zur Zahlung von Fr. 145'000.-- zu
verpflichten.
Mit Urteil vom 16. Juni 2010 wies das Bezirksgericht Aarau die Klage ab.
B.b Gegen dieses Urteil erhob die Auftraggeberin Appellation an das Obergericht
des Kantons Aargau mit dem Begehren, das Urteil des Bezirksgerichts sei
aufzuheben und die Beauftragte sei zur Zahlung von Fr. 145'000.-- zu
verpflichten, eventuell sei die Sache zu neuer Beurteilung an das
Bezirksgericht zurückzuweisen.

Mit Urteil vom 6. Dezember 2011 wies das Obergericht des Kantons Aargau die
Appellation ab.

C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 26. Januar 2012 beantragt die
Beschwerdeführerin dem Bundesgericht, es sei das Urteil des Obergerichts
aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt die Abweisung der Beschwerde. Die Vorinstanz
hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Parteien reichten unaufgefordert
Replik und Duplik ein.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein
Rechtsmittel zulässig ist (BGE 137 III 417 E. 1; 136 II 436 E. 1, 101 E. 1).

1.1 Die Beschwerde richtet sich gegen einen verfahrensabschliessenden Entscheid
(Art. 90 BGG) einer oberen kantonalen Instanz, die auf ein Rechtsmittel hin
kantonal letztinstanzlich in einer Zivilsache entschieden hat (Art. 75 i.V.m.
Art. 72 BGG), die Rechtsbegehren der Beschwerdeführerin sind im kantonalen
Verfahren nicht geschützt worden (Art. 76 Abs. 1 BGG), der massgebende
Streitwert beträgt mehr als Fr. 30'000.-- (Art. 51 i.V.m. Art. 74 Abs. 1 lit. b
BGG) und die Beschwerdefrist ist eingehalten (Art. 100 Abs. 1 i.V.m. Art. 46
Abs. 1 lit. c BGG). Auf die Beschwerde ist insoweit unter Vorbehalt einer
hinreichenden Begründung (Art. 42 Abs. 2 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG)
einzutreten.

1.2 Die Beschwerde hat ein Rechtsbegehren zu enthalten (Art. 42 Abs. 1 BGG). Da
die Beschwerde an das Bundesgericht ein reformatorisches Rechtsmittel ist (Art.
107 Abs. 2 BGG), ist grundsätzlich ein materieller Antrag erforderlich. Ein
Rückweisungsantrag reicht aber ausnahmsweise aus, wenn das Bundesgericht im
Falle der Gutheissung die Sache ohnehin zurückweisen würde, weil die
erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz fehlen (BGE 134 III
379 E. 1.3 S. 383; 133 III 489 E. 3.1).

Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und
die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz. Ihrer Ansicht nach hat die
Vorinstanz namentlich willkürlich festgestellt, die Beschwerdeführerin habe nie
geltend gemacht, sie hätte bei Kenntnis der fehlenden Parkiermöglichkeit vom
Erwerb der Liegenschaft abgesehen. Gestützt auf diese willkürliche Feststellung
habe sich die Vorinstanz gar nicht erst mit ihren Ausführungen und
Beweisanträgen zum tatsächlichen Liegenschaftswert befasst. Es bestehen dazu
auch keine Sachverhaltsfeststellungen. Im Falle der Gutheissung der Beschwerde
müsste das Bundesgericht die Sache daher ohnehin an die Vorinstanz
zurückweisen. Der Antrag der Beschwerdeführerin erweist sich damit als
zulässig.

2.
Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz willkürliche
Sachverhaltsfeststellung vor. Nach den Feststellungen der Vorinstanz habe die
Beschwerdeführerin zwar geltend gemacht, sie hätte bei korrekter Information
über das Fehlen eines Abstellplatzes die Liegenschaft zu günstigeren
Konditionen erworben, nicht aber, dass sie vom Erwerb der Liegenschaft
abgesehen hätte. Diese Feststellungen seien offensichtlich und nachweisbar
aktenwidrig.

2.1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Zu dem von der Vorinstanz
grundsätzlich verbindlich festgestellten Sachverhalt gehören nicht nur die
Feststellungen über den Lebenssachverhalt, der dem Streitgegenstand zugrunde
liegt, sondern auch jene über den Ablauf des vorinstanzlichen und des diesem
vorangegangenen Verfahrens, wie namentlich die Parteivorbringen (Urteile 4A_210
/2009 vom 7. April 2010 E. 2; 4A_726/2011 vom 10. April 2012 E. 2.1). Das
Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen
oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
"Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 133 II 249 E.
1.2.2). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG). Die beschwerdeführende Partei, welche
die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz anfechten will, muss klar und
substanziiert aufzeigen, inwiefern die gerügten Feststellungen bzw. die
Unterlassung von Feststellungen offensichtlich unrichtig sind oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (vgl. BGE 133 II 249 E.
1.4.3; 133 III 350 E. 1.3, 393 E. 7.1, 462 E. 2.4).

2.2 Die Vorinstanz hat ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe im
erstinstanzlichen Verfahren nie geltend gemacht, dass sie - wenn sie von der
Beklagten über das Fehlen eines Abstellplatzes richtig informiert worden wäre -
vom Erwerb der Liegenschaft abgesehen hätte. Sie habe einzig vorgebracht, sie
hätte die Liegenschaft in diesem Falle vom Verkäufer zu günstigeren Konditionen
erwerben, d.h. den von diesem offerierten Preis weiter herunterhandeln können,
was die Beschwerdegegnerin bestritten habe. Der der Beschwerdeführerin aus der
unrichtigen Information über die Parkplatzsituation allenfalls erwachsene
Schaden bestehe somit nicht in der Differenz zwischen dem bezahlten Kaufpreis
und dem allfälligen Minderwert, den die Liegenschaft nach Angaben der
Beschwerdeführerin aufgrund der fehlenden Abstellmöglichkeit aufweise, sondern
in der Differenz zwischen dem bezahlten Kaufpreis und dem Preis, zu dem sie die
Liegenschaft bei richtiger Information über die Parkplatzsituation vom
Verkäufer hätte erwerben können. Bei dieser Sachlage sei auf die Ausführungen
und Beweisanträge der Beschwerdeführerin zum tatsächlichen Liegenschaftswert
nicht weiter einzugehen. Dass der vormalige Eigentümer der Liegenschaft bereit
gewesen wäre, den Kaufpreis zu reduzieren, sei von der Beschwerdeführerin
hingegen nicht einmal behauptet, geschweige denn glaubhaft gemacht worden. Der
Schadensnachweis sei damit nicht erbracht.

2.3 Die Beschwerdeführerin hält dem mehrere Zitate aus der Klage vom 7.
November 2008, der Replik vom 9. März 2009 und der Stellungnahme zum
Beweisergebnis vom 26. Mai 2010 entgegen. Diese Textausschnitte würden belegen,
dass sie mehrfach in aller Deutlichkeit behauptet habe, sie hätte bei richtiger
Information anders disponiert, d.h. den Kauf entweder zu einem entsprechend
reduzierten Preis oder gar nicht getätigt.
Ziff. 10 der Klage:
"Eine für den Kaufentscheid der Klägerin entscheidende Tatsache war, dass die
Möglichkeit bestand, auf der Liegenschaft Autos zu parkieren."
Ziff. 14a der Replik:
"Die Klägerin hält fest, dass die Verkehrswertschätzung sehr wohl die
entscheidende Grundlage für ihren Kaufentschluss war."
Ziff. 16.1a der Replik:
"Hätte die Klägerin von der tatsächlichen Situation Kenntnis gehabt, hätte sie
die Liegenschaft nicht gekauft bzw. sie hätte die Liegenschaft sicherlich nicht
zu diesem, sondern zu einem erheblich geminderten Preis gekauft."
Ziff. 6b und 6c der Stellungnahme zum Beweisergebnis:
"Die Klägerin durfte und musste daher in guten Treuen davon ausgehen, die
geschätzte Liegenschaft biete eine Parkierungsmöglichkeit für mindestens ein
Fahrzeug. Diese Annahme war - wie die Klägerin anlässlich ihrer Befragung vom
14. Oktober 2009 bestätigte - eine wesentliche Grundlage für den Entscheid, das
Einfamilienhaus in Z.________ zu erwerben."

2.4 Die Beschwerdeführerin belegt mit Aktenhinweisen, dass sie entgegen der
vorinstanzlichen Feststellung mehrfach entweder sinngemäss oder ausdrücklich
behauptet hat, sie hätte bei Kenntnis der fehlenden Parkiermöglichkeit die
Liegenschaft nicht erworben bzw. allenfalls zu einem reduzierten Preis. Die
vorinstanzliche Feststellung, die Beschwerdeführerin habe nur geltend gemacht,
sie hätte bei richtiger Information die Liegenschaft zu einem tieferen Preis
erworben, hingegen nie, sie hätte vom Erwerb abgesehen, erweist sich damit als
offensichtlich unrichtig. Die Sachverhaltsfeststellungen sind damit dahingehend
zu korrigieren, dass die Beschwerdeführerin geltend gemacht hat, sie hätte die
Liegenschaft nicht gekauft bzw. sicherlich nicht zu diesem, sondern zu einem
erheblich geminderten Preis. Die Behebung des Mangels kann für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein. Sollte der vormalige Eigentümer der Liegenschaft
nämlich nicht bereit gewesen sein, diese zu einem tieferen Preis zu verkaufen,
so hätte die Beschwerdeführerin die Liegenschaft gemäss ihren Behauptungen
nicht gekauft. Die Vorinstanz hat sich aufgrund ihrer offensichtlich
unrichtigen Sachverhaltsfeststellung nicht mit den Ausführungen und
Beweisanträgen der Beschwerdeführerin zum tatsächlichen Liegenschaftswert
befasst und insbesondere keine Sachverhaltsfeststellungen dazu getroffen. Das
vorinstanzliche Urteil ist damit aufzuheben und die Sache ist zur Ergänzung des
Sachverhalts und zu weiterer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

3.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen, das vorinstanzliche Urteil
aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdegegnerin kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 sowie Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau vom 6. Dezember 2011 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung
an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 5'000.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 6'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. Mai 2012

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Klett

Die Gerichtsschreiberin: Schreier