Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.488/2012
Zurück zum Index I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2012
Retour à l'indice I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2012



Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_488/2012

Urteil vom 5. November 2012
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichter Kolly, Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiber Hurni.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin
Dr. Ursina Pally Hofmann,
Beschwerdeführerin,

gegen

B.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
vorsorgliche Beweisführung; unentgeltliche Rechtspflege,

Beschwerde gegen den Beschluss und das Urteil des Obergerichts des Kantons
Zürich, II. Zivilkammer, vom 30. Juni 2012.

Sachverhalt:

A.
Am 2., 9. und 13. März 2009 begab sich der Ehemann von A.________ bei Dr.med.
B.________ in ärztliche Behandlung. Am 16. März 2009 verstarb er.

B.
B.a Mit Eingabe vom 11. Juni 2012 stellte A.________ beim Bezirksgericht Zürich
gestützt auf Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO ein Gesuch um vorsorgliche
Beweisführung wie folgt:
"Es sei ein gerichtliches Gutachten zur Frage der ärztlichen Behandlung und des
Kausalzusammenhangs betreffend die ärztliche Behandlung durch den Gesuchsgegner
im Zusammenhang mit dem Tod des Ehegatten der Gesuchstellerin am 16.03.2009 zu
veranlassen."
Gleichzeitig ersuchte die Gesuchstellerin um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege einschliesslich Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands.
Mit Urteil vom 18. Juni 2012 wies das Bezirksgericht sowohl das Begehren um
vorsorgliche Beweisführung als auch das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege ab. Es kam u.a. zum Schluss, dass die Gesuchstellerin keinen
Versorgerschaden und damit keinen Schadenersatzanspruch glaubhaft gemacht habe,
weshalb ihr ein schutzwürdiges Interesse an der vorsorglichen Beweisführung
fehle.
B.b Am 4. Juli 2012 reichte A.________ daraufhin gegen die Abweisung des
Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege rechtzeitig Beschwerde beim Obergericht
des Kantons Zürich ein und stellte auch für das obergerichtliche Verfahren ein
entsprechendes Gesuch (einschliesslich Bestellung eines unentgeltlichen
Rechtsbeistands).
Mit Beschluss und Urteil vom 30. Juli 2012 wies das Obergericht die Beschwerde
und das Gesuch um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands zufolge
Aussichtslosigkeit der Rechtsmittelbegehren ab.

C.
Mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom 31. August 2012 stellt A.________ dem
Bundesgericht folgende Anträge:

"1. Der angefochtene Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich vom 30. Juli
2012 sei aufzuheben, soweit dadurch die Beschwerde der Beschwerdeführerin
abgewiesen wird (vgl. Ziff. 1 Dispositiv Urteil);
2. Der Beschwerdeführerin sei vor den kantonalen Instanzen die unentgeltliche
Prozessführung zu gewähren, indem die Kosten von CHF 2'500.-- einstweilen auf
die Gerichtskasse zu nehmen sind, und ihr eine angemessene Entschädigung für
die unentgeltliche Rechtsverbeiständung vor erster und zweiter Instanz
zugesprochen werden;
3. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung
zurückzuweisen;
4. Der Beschwerdeführerin sei für das vorliegende Verfahren die unentgeltliche
Prozessführung zu bewilligen und ihr in der Person der Unterzeichneten eine
unentgeltliche Rechtsbeiständin zu bestellen;
5. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen."
Vernehmlassungen wurden nicht eingeholt.

Erwägungen:

1.
1.1 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente
noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus
einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde
mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen
(vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254; 132 II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E.
1.4 S. 140). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der
allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG),
grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel
nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu
untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE
135 II 384 E. 2.2.1 S. 389; 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254 mit Hinweisen). Eine
qualifizierte Rügepflicht gilt hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten und
von kantonalem und interkantonalem Recht. Das Bundesgericht prüft eine solche
Rüge nur insofern, als sie in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet
worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).

1.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Dazu gehören sowohl die
Feststellungen über den Lebenssachverhalt, der dem Streitgegenstand zugrunde
liegt, als auch jene über den Ablauf des vor- und erstinstanzlichen Verfahrens,
namentlich die Parteivorbringen in denselben (Urteile 4A_210/2009 vom 7. April
2010 E. 2; 4A_439/2010 vom 20. Oktober 2011 E. 2.1). Das Bundesgericht kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Überdies muss die Behebung des Mangels für
den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue
Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als der
Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).

2.
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV. Sie ist der
Ansicht, die Vorinstanz habe ihr Gesuch um vorsorgliche Beweisführung (Art. 158
Abs. 1 lit. b ZPO) zu Unrecht als aussichtslos beurteilt und hätte ihr die
unentgeltliche Rechtspflege für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren
gewähren müssen.

2.1 Der verfassungsrechtliche Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung nach Art. 29 Abs. 3 BV bezweckt, auch der bedürftigen Partei den
Zugang zum Gericht und die Wahrung ihrer Parteirechte zu ermöglichen. Er
garantiert, dass jedermann unabhängig von seinen finanziellen Verhältnissen
nicht aussichtslose Streitsachen zur gerichtlichen Entscheidung bringen und
sich dabei im Prozess, sofern es sachlich geboten ist, durch einen Anwalt
vertreten lassen kann (BGE 135 I 1 E. 7.1 S. 2 mit Hinweisen). Er setzt neben
der Bedürftigkeit der gesuchstellenden Partei kumulativ voraus, dass ihre
Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheinen.
Als aussichtslos im Sinne von Art. 29 Abs. 3 BV sind Rechtsbegehren anzusehen,
bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die
Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können.
Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten
und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind
als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen
Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen
würde; eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr
nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet
(BGE 133 III 614 E. 5 S. 616; 124 I 304 E. 2c S. 306; je mit Hinweisen).

2.2 Art. 158 ZPO regelt die vorsorgliche Beweisführung. Nach Abs. 1 lit. b
nimmt das Gericht jederzeit Beweis ab, wenn die gesuchstellende Partei eine
Gefährdung der Beweismittel oder ein schutzwürdiges Interesse glaubhaft macht
(lit. b).
Gemäss der Botschaft wird mit dem Begriff des schutzwürdigen Interesses in Art.
158 Abs. 1 lit. b ZPO auf die Möglichkeit Bezug genommen, eine vorsorgliche
Beweisführung auch zur Abklärung der Beweis- und Prozessaussichten
durchzuführen. Diese Möglichkeit soll dazu beitragen, aussichtslose Prozesse zu
vermeiden (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung,
BBl 2006 7221, S. 7315; BGE 138 III 76 E. 2.4.2 S. 81).
Zur Glaubhaftmachung eines schutzwürdigen Interesse an einer vorsorglichen
Beweisführung genügt die blosse Behauptung eines Bedürfnisses, Beweis- und
Prozessaussichten abzuklären, freilich nicht. Eine vorsorgliche Beweisführung
kann nur mit Blick auf einen konkreten materiellrechtlichen Anspruch verlangt
werden, hängt doch das Interesse an einer Beweisabnahme vom Interesse an der
Durchsetzung eines damit zu beweisenden Anspruchs ab (BGE 138 III 76 E. 2.4.2
S. 81). Der Gesuchsteller, der sich auf Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO stützt, muss
daher glaubhaft machen, dass ein Sachverhalt vorliegt, gestützt auf den ihm das
materielle Recht einen Anspruch gegen die Gesuchsgegnerin gewährt, und zu
dessen Beweis das abzunehmende Beweismittel dienen kann (BGE 138 III 76 E.
2.4.2 S. 81 mit Hinweisen). Lediglich für Tatsachen, die mit dem vorsorglich
abzunehmenden Beweismittel bewiesen werden sollen, kann keine eigentliche
Glaubhaftmachung verlangt werden, denn sonst würde der Zweck von Art. 158 Abs.
1 lit. b ZPO, die vorprozessuale Abklärung von Beweisaussichten zu ermöglichen,
vereitelt. Stellt das abzunehmende Beweismittel das einzige dar, mit dem der
Gesuchsteller seinen Anspruch beweisen kann, muss es genügen, dass er das
Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen lediglich substanziiert behauptet
(BGE 138 III 76 E. 2.4.2 S. 82).

2.3 Das Bezirksgericht wies das Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen
Rechtspflege zufolge offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Sachbegehrens ab.
Es führte aus, dass die Beschwerdeführerin kein schutzwürdiges Interesse an der
vorsorglichen Beweisführung glaubhaft gemacht habe. Die Beschwerdeführerin habe
unter anderem weder einen Schaden substanziiert noch gar glaubhaft gemacht.
Ebensowenig habe sie etwas zum Anspruch auf Genugtuung ausgeführt. Insbesondere
ergebe sich aus der alleinigen Tatsache, dass der Verstorbene ihr Ehemann
gewesen sei, nicht schlüssig, dass die Beschwerdeführerin ihren Versorger
verloren und einen finanziellen Schaden erlitten habe. Zur Frage, wie viel Geld
ihr Ehemann zu Lebzeiten verdient hatte und in welchem Umfang die selber über
ein Invalidenrenteneinkommen verfügende Beschwerdeführerin von ihrem Ehemann
unterstützt wurde, werde in der Gesuchseingabe nichts gesagt. Aus den
eingereichten Unterlagen könne im Gegenteil der Eindruck entstehen, dass eine
Einkommenseinbusse durch Ehegattenpension und Witwenrente ausgeglichen werde.
Gegen diese Erwägungen brachte die Beschwerdeführerin vor der Vorinstanz
lediglich vor, dass hinsichtlich des Schadens keine Quantifizierung verlangt
werden könne, sondern nur die Glaubhaftmachung der Tatsache, dass die
Beschwerdeführerin durch den Verlust ihres Ehemannes einen Versorgerschaden
erlitten habe. Ein Beweis - wie angeblich vom Bezirksgericht verlangt - sei
nicht nötig. Zudem sei notorisch, dass eine Ehefrau als nahe Angehörige beim
Tod ihres Ehemanns eine Genugtuung verlangen könne, wenn dieser Tod durch einen
Dritten verursacht worden sei.
Die Vorinstanz ging auf diese Einwendungen nicht weiter ein und kam wie das
Bezirksgericht zum Schluss, dass die Beschwerdeführerin kein schutzwürdiges
Interesse an der vorsorglichen Beweisführung glaubhaft machen konnte und ihr
Gesuch somit aussichtslos sei.

2.4 Wie oben in E. 2.2 ausgeführt, muss der Gesuchsteller, der sich auf Art.
158 Abs. 1 lit. b ZPO stützt, das Vorliegen eines materiellrechtlichen
Anspruchs zwar nicht beweisen, sehr wohl aber glaubhaft machen. Dies scheint
auch die Beschwerdeführerin zuzugeben. Nach den unwidersprochen gebliebenen und
im angefochtenen Entscheid wiederholten Erwägungen des Bezirksgerichts hat die
Beschwerdeführerin einen materiellrechtlichen Anspruch in ihrer Gesuchseingabe
indessen nicht einmal in Umrissen behauptet, geschweige denn glaubhaft gemacht.
Auch in ihrer Beschwerde an das Bundesgericht macht die Beschwerdeführerin
nichts anderes geltend. Sowohl bezüglich einer allfälligen Sorgfaltswidrigkeit
des Beschwerdegegners als auch eines Schadens fehlen jegliche substanziierte
Behauptungen. Da nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eine vorsorgliche
Beweisführung nur mit Blick auf einen glaubhaft zu machenden bzw. jedenfalls
substanziiert zu behauptenden, konkreten materiellrechtlichen Anspruch verlangt
werden kann, ist das Gesuch der Beschwerdeführerin um vorsorgliche
Beweisführung gestützt auf Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO insoweit aussichtslos.
Soweit die Beschwerdeführerin der Auffassung ist, es sei notorisch, dass eine
Ehefrau als nahe Angehörige beim Tod ihres Ehemanns eine Genugtuung verlangen
könne, ist im Übrigen nicht ersichtlich, weshalb ihr nicht zuzumuten wäre, den
Genugtuungsanspruch direkt einzuklagen. Ein schutzwürdiges Interesse an der
Abklärung der Prozesschancen ist insoweit nicht ausgewiesen. Die Rüge, die
Vorinstanz habe das Gesuch um vorsorgliche Beweisführung in Verletzung von Art.
29 Abs. 3 BV zu Unrecht als aussichtslos beurteilt, ist damit unbegründet. Dass
die Vorinstanz bei der Beurteilung des schutzwürdigen Interesses an der
vorsorglichen Beweisführung zu Unrecht Gewicht darauf gelegt hat, dass der
Sachverhalt zu "umstritten" sei (angefochtener Entscheid, S. 12), ändert daran
nichts.

3.
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet und das Gesuch um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren
somit als aussichtslos (Art. 64 Abs. 1 BGG).
Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdeführerin für das
bundesgerichtliche Verfahren kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren
wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 5. November 2012

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Klett

Der Gerichtsschreiber: Hurni