Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.295/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_295/2012

Urteil vom 21. November 2012
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichter Corboz,
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Kolly,
nebenamtlicher Bundesrichter Berti,
Gerichtsschreiber Hurni.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jürg Peyer,
Beschwerdeführer,

gegen

Bank Z.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. René Schwarzmann,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Schadenersatz; Aktien,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I.
Zivilkammer, vom 12. April 2012.

Sachverhalt:

A.
X.________ war seit längerer Zeit Kunde der damaligen Bank Y.________
(Y.________) und heutigen Bank Z.________, Filiale A.________.
Am 28. Juni 1996 kaufte er 4'500 Namenaktien der W.________ AG von der
Y.________ zum Preis von je Fr. 9.25, insgesamt für einen Betrag von Fr.
42'120.45 (einschliesslich Kommission und Gebühren). Am 21. Januar 1997 wurde
der Konkurs über die W.________ AG eröffnet. X.________ geht davon aus, dass
die Y.________ beim Verkauf von Aktien der W.________ AG ab Februar 1996 sein
Vertrauen missbraucht habe.

B.
B.a Mit Klage vom 5. März 2002 beantragte X.________ (Kläger) dem
Bezirksgericht Hinwil die Verurteilung der (damaligen) Y.________ (Beklagte)
zur Bezahlung von Fr. 42'120.45.-- zuzüglich Zins zu 5% seit 3. Juli 1996,
unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der Beklagten.
Mit Urteil vom 13. Juli 2010 wies das Bezirksgericht die Klage vollumfänglich
ab.
B.b Dagegen erhob der Kläger Berufung an das Obergericht des Kantons Zürich.
Mit Urteil vom 12. April 2012 wies das Obergericht die Berufung ab.
Es ging davon aus, dass bei einem Verkauf von Aktien der W.________ AG aus
Eigenbeständen der Y.________ am 28. Juli 1996 von einer Treuwidrigkeit und
damit von einem Verstoss gegen Art. 398 Abs. 2 OR auszugehen wäre, hielt aber
den dem Kläger auferlegten Beweis einer Lieferung aus Eigenbeständen nicht für
erbracht.

C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 18. Mai 2012 liess X.________
(Beschwerdeführer) die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils beantragen und
seine vor dem Bezirksgericht Hinwil gestellten Rechtsbegehren erneuern.
Mit Vernehmlassung vom 17. Januar 2012 liess die Bank Z.________
(Beschwerdegegnerin) Abweisung der Beschwerde beantragen. Die Vorinstanz
verzichtete auf Vernehmlassung.
Die Parteien reichten Replik und Duplik ein.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein
Rechtsmittel zulässig ist (BGE 137 III 417 E. 1; 136 II 101 E. 1 S. 103, 470 E.
1 S. 472; 135 III 212 E. 1 S. 216).

1.1 Die Beschwerde richtet sich gegen einen verfahrensabschliessenden
Rechtsmittelentscheid eines oberen kantonalen Gerichts (Art. 90 BGG i.V.m. Art.
75 BGG). Sie ist (unter Berücksichtigung des Auffahrtsdonnerstages - 17. Mai
2012 - als Feiertag) innert der Beschwerdefrist (Art. 100 BGG) von der mit
ihren Rechtsbegehren unterlegenen Partei (Art. 76 Abs. 1 BGG) eingereicht
worden. Bei der Streitsache handelt es sich um eine Zivilsache (Art. 72 BGG)
mit einem Streitwert von über Fr. 30'000.-- (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG). Auf
die Beschwerde ist unter Vorbehalt einer rechtsgenügenden Begründung (Art. 42
Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG) einzutreten.

1.2 Mit der Beschwerde in Zivilsachen kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht
einschliesslich Bundesverfassungsrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG; BGE
134 III 379 E. 1.2 S. 382). Nicht zu den in Art. 95 BGG vorgesehenen
Rügegründen gehört hingegen die Verletzung der kantonalen Zivilprozessordnung,
deren Anwendung und Auslegung das Bundesgericht einzig unter dem Blickwinkel
eines Verstosses gegen Bundesrecht oder gegen Bundesverfassungsrecht beurteilen
kann (BGE 136 I 241 E. 2.4; 135 III 513 E. 4.3 S. 521; 134 III 379 E. 1.2 S.
382 f.).
Auf das Verfahren vor der Vorinstanz fand die nunmehr aufgehobene
Zivilprozessordnung des Kantons Zürich Anwendung. Soweit die Verletzung von
Normen des kantonalen Zivilprozessrechts gerügt wird, ist in der
Beschwerdeschrift mithin darzutun, dass dabei auch ein Verstoss gegen Bundes-
oder Bundesverfassungsrecht vorliegt (vgl. Urteil 4A_339/2011 vom 23. November
2011 E. 1.4).

1.3 Das Bundesgericht wendet das Recht zwar von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG; vgl. dazu BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Unter
Berücksichtigung der Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG) prüft es dabei
aber nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht
geradezu offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu
untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE
135 II 384 E. 2.2; 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254 mit Hinweisen).

2.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die er in der
Missachtung der Begründungspflicht durch die Vorinstanz erblickt. Das
Obergericht habe zwar angenommen, die Beschwerdegegnerin hätte beim Verkauf der
Aktien aus dem Eigenbestand eine Treuepflichtverletzung begangen; es habe aber
nicht begründet, weshalb - wie der Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren
gehörig behauptet habe - eine Treuepflichtverletzung nicht auch dann anzunehmen
wäre, wenn die Beschwerdegegnerin die Aktien über die Börse bezogen hätte. Die
Frage sei rechtserheblich, weil die Vorinstanz zum Schluss gelangt sei, die
Beschwerdegegnerin habe die Aktien nicht aus ihren eigenen Beständen verkauft.
Der Beschwerdeführer räumt allerdings selber ein, dass die Vorinstanz auf die
Rechtsfrage doch - wenn auch nur am Rande - eingegangen sei. Die Frage kann
indessen offen bleiben, falls die Feststellung der Vorinstanz, die
Beschwerdegegnerin habe die Aktien nicht aus ihrem Eigenbestand verkauft, sich
als rechtsfehlerhaft erweist.

3.
Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe den Sachverhalt willkürlich und
in Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften, insbesondere Art. 8 ZGB,
insofern unrichtig festgestellt, als sie davon ausging, die Beschwerdegegnerin
habe die dem Beschwerdeführer verkauften Aktien über die Börse beschafft.

3.1 Die erste Instanz hat dem Kläger (Beschwerdeführer) den Beweis dafür
aufgelegt, dass er 4'500 Namenaktien der W.________ AG aus Eigenbeständen der
damaligen Y.________ erworben habe. Als einziges Beweismittel hat der Kläger
eine von der Y.________ erstellte Wertschriftenabrechnung vom 28. Juni 1996
eingereicht. In dieser erklärte die Y.________, sie habe die Aktien dem
Beschwerdeführer "aufgrund der Statuten und Usanzen der Zürcher Effektenbörse
als Selbstkontrahent" verkauft. Beide kantonale Instanzen hielten diese Urkunde
nicht für geeignet, die Herkunft der Aktien zu beweisen. Die Vorinstanz erwog,
die Wertschriftenabrechnung besage lediglich, dass die Y.________ den Auftrag
aufgrund der Statuten und Usanzen der Zürcher Effektenbörse als
"Selbstkontrahent" ausgeführt habe. Das genüge angesichts der Bestreitungen der
Beklagten nicht für den Nachweis, dass die Y.________ die an den Kläger
verkauften Aktien der W.________ AG aus den Eigenbeständen bezogen habe.
Bezüglich dieser Frage ging die Vorinstanz mithin zulasten des Klägers von
Beweislosigkeit aus.

3.2 Demgegenüber vertritt der Beschwerdeführer die Ansicht, die
Beschwerdegegnerin trage die Beweislast für ihre Behauptung, wonach die an den
Kläger verkauften Aktien über die Börse gekauft worden seien, weil sie aus
diesem Umstand für sich Rechte im Sinne von Art. 8 ZGB ableiten wolle.

3.3 Nach Art. 8 ZGB hat, wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, derjenige das
Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte
ableitet. Beim Kommissionsvertrag wird die Beweislastgrundregel des Art. 8 ZGB
durch eine gesetzliche Vermutung ergänzt: Bei Kommissionen zum Einkauf von
Wertpapieren, die einen Börsenpreis haben, ist die Kommissionärin, wenn der
Kommittent nicht etwas anderes bestimmt hat, befugt, die Wertpapiere, die sie
einkaufen soll, als Verkäuferin selbst zu liefern (Art. 436 Abs. 1 OR). Meldet
die Kommissionärin in den Fällen, wo der Eintritt als Eigenhändlerin
zugestanden ist, die Ausführung des Auftrages, ohne eine andere Person als
Verkäuferin namhaft zu machen, so ist anzunehmen, dass sie selbst die
Verpflichtung einer Verkäuferin auf sich genommen habe (Art. 437 OR).

3.4 Die Vorinstanz erwog, es sei in Wertschriftenabrechnungen häufig auch dann
von einem Selbsteintritt, von "Selbstkontrahent" die Rede, wenn der Auftrag
über die Börse abgewickelt wurde. Die Behauptung der Beklagten, dass von einem
unechten Selbsteintritt auszugehen sei und die fraglichen Aktien an der Börse
erworben wurden, sei daher mit der vom Kläger eingereichten
Wertschriftenabrechnung nicht widerlegt.

3.5 Der Beschwerdeführer rügt, es könne nicht Sache des Klägers sein, die
Entlastungsbehauptung der Beklagten, wonach von einem unechten Selbsteintritt
auszugehen sei, zu widerlegen.
3.5.1 Der Gesetzeswortlaut von Art. 437 OR unterscheidet nicht zwischen einem
echten und einem unechten Selbsteintritt, sondern knüpft schlicht an den Inhalt
der Ausführungsmeldung des Kommissärs an. Teilt dieser die Ausführung des
Auftrages mit, ohne eine andere Person als Verkäufer zu nennen, so ist der
Eintritt als Eigenhändler i.S.v. Art. 436 Abs. 1 OR anzunehmen bzw. -
ausweislich des Randtitels zu Art. 437 OR - zu vermuten. Dies gilt in den
Fällen, wo der Eintritt als Eigenhändler zugestanden ist, was gemäss Art. 436
Abs. 1 OR u.a. zutrifft, wenn, wie im vorliegenden Fall, der Auftrag den
Einkauf von Wertpapieren betrifft, die einen Börsenpreis haben, und der
Kommittent nicht etwas anderes bestimmt hat. Diesfalls ist der Kommissionär
befugt, statt die Wertpapiere bei einem Dritten einzukaufen, diese selbst als
Verkäufer zu liefern.
3.5.2 In der Lehre ist die Ansicht anzutreffen, dass zu unterscheiden sei, ob
der Kommissionär dem Kommittenten die Ausführung des Geschäfts ohne Bezeichnung
der Gegenpartei meldet, bevor er überhaupt ein Drittgeschäft abgeschlossen (VON
PLANTA/LENZ, in: Basler Kommentar, 5. Aufl. 2011, N. 2a zu Art. 437 OR sowie
VON PLANTA/ FLEGBO-BERNEY, in: Commentaire romand, 2. Aufl. 2012, N. 2a zu Art.
437 OR) oder aber nachdem er mit einem Dritten das Erwerbsgeschäft
abgeschlossen hat (VON PLANTA/LENZ, a.a.O., N. 2b zu Art. 437 OR sowie VON
PLANTA/FLEGBO-BERNEY, a.a.O., N. 2b zu Art. 437 OR). Im zweiten Fall soll Art.
437 OR nicht zur Anwendung kommen, weil mit dem Abschluss des Drittgeschäfts
das Selbsteintrittsrecht des Kommissionärs untergegangen sei. Wäre dem nicht
so, könnte der Kommissionär je nach Marktpreisentwicklung den Selbsteintritt
erklären bzw. darauf verzichten und so die guten Geschäfte für sich behalten,
die schlechten jedoch an den Kommittenten weitergeben (HOFSTETTER, SPR VII/6,
2000, S. 211 f., Ziff. 2d).
3.5.3 Der Gesetzeswortlaut bietet für eine solche Unterscheidung keine Stütze.
In jedem Falle aber hätte diese den Zweck, den Kommittenten vor der Auswirkung
des latenten Interessenkonflikts des Eigenhändlers zu schützen. Auf den
vorliegenden Fall übertragen, würde sie das Gegenteil bewirken: Dem
Kommittenten würde in der Frage, ob überhaupt ein Selbsteintritt vorliege, das
Beweisrisiko zugeschoben.
Die Frage kann indessen offen bleiben, weil im vorliegenden Fall nicht die
Preisgestaltung strittig ist, sondern die Herkunft der von der
Beschwerdegegnerin gelieferten Aktien. Indem sich die Beschwerdegegnerin in
ihrer Wertschriftenabrechnung bezüglich der Ausführung des Auftrages als
Selbstkontrahentin bezeichnete, ohne eine andere Person als Verkäuferin zu
nennen, löste sie die Vermutung aus, sie habe als Kommissionärin im Sinne von
Art. 437 i.V.m. 436 Abs. 1 OR von der Befugnis Gebrauch gemacht, auf den
Einkauf der Aktien, die sie einkaufen sollte, bei einem Dritten zu verzichten,
weil sie entsprechende Wertpapiere bereits in ihrem Eigentum hatte (GAUTSCHI,
Berner Kommentar, 1962, N. 1b zu Art. 437 OR). Die Vermutung ist widerlegbar
(GAUTSCHI, a.a.O; TERCIER/FAVRE/PEDRAZZINI, Les contrats spéciaux, 4. Aufl.
2009, N. 5878); die Beweislast der Widerlegung durch Nachweis eines Börsenkaufs
trägt aber die Beschwerdegegnerin als Kommissionärin (HANS PETER WALTER, in:
Berner Kommentar, 2012, N. 412, 428 zu Art. 8 ZGB). Indem die Vorinstanz die
Beweislast bezüglich der Beschaffungsweise der Aktien dem Beschwerdeführer
auferlegte, verletzte sie Art. 436 Abs. 1 und 437 OR i.V.m. Art. 8 ZGB.

4.
Die Beschwerde erweist sich damit als begründet. Der angefochtene Entscheid ist
aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung unter
Berücksichtigung der korrekten Beweislastverteilung zurückzuweisen.
Diesem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird die Beschwerdegegnerin kosten-
und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2.
Der angefochtene Entscheid wird aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zur
Neuentscheidung zurückgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

4.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. November 2012

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Klett

Der Gerichtsschreiber: Hurni