Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.239/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_239/2012

Urteil vom 10. September 2012
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichter Corboz,
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
Gerichtsschreiber Gelzer.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Franz Hollinger,
Beschwerdeführer,

gegen

X.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Ruf,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Mietzins,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 4. Kammer, vom 28. Februar 2012.

Sachverhalt:

A.
Die X.________ AG (Vermieterin) vermietete A.________ (Mieter) und seiner
Ehefrau eine 3,5-Zimmerwohnung im 10. Obergeschoss an der Y.________strasse in
Z.________. Am 5. Dezember 2008 zeigte die Vermieterin dem Mieter und seiner
Ehefrau eine Mietvertragsänderung mit Wirkung ab 1. April 2009 an, welche eine
Erhöhung des bisherigen Mietzinses (ohne Nebenkosten) von Fr. 983.-- auf Fr.
1'202.-- vorsah.

B.
Der Mieter focht diese Mietvertragsänderung am 6. Januar 2009 bei der
Schlichtungsbehörde für das Mietwesen des Bezirks Brugg an, die am 25. November
2009 das Nichtzustandekommen einer Einigung feststellte.

Am 23. Dezember 2009 klagte die Vermieterin beim Bezirksgericht Brugg gegen den
Mieter auf Feststellung, dass ein monatlicher Nettomietzins von CHF 1'202.--
zuzüglich Nebenkosten mit Wirkung ab 1. April 2009 für die unter anderem vom
Mieter gemietete 3,5-Zimmerwohnung nicht missbräuchlich sei. Mit Verfügung vom
15. März 2011 stellte der Präsident des Bezirksgerichts fest, die dem Mieter
von der Vermieterin angezeigte Mietzinsänderung vom 5. Dezember 2008 sei
rechtsgültig geworden und trat auf die Klage nicht ein (Dispositiv Ziff. 1 und
2). Die Gerichtskosten, bestehend aus einer Gerichtsgebühr von Fr. 3'500.--,
einer Kanzleigebühr und Auslagen von Fr. 360.--, insgesamt Fr. 3'860.--
auferlegte er dem Mieter (Dispositiv Ziff. 3), den er darüber hinaus
verpflichtete, der Vermieterin eine Parteientschädigung von Fr. 9'814.40 (inkl.
Fr. 727.-- MwSt.) zu bezahlen (Dispositiv Ziff. 4). Auf dem Rubrum findet sich
unter der Rubrik "Gegenstand" der Vermerk "Ordentliches Zivilverfahren
betreffend Mietzinsanfechtung". In der Rechtsmittelbelehrung führte der
Gerichtspräsident unter Hinweis auf Art. 308 ff. ZPO aus, dieser Entscheid
könne innert 30 Tagen nach seiner Zustellung beim Obergericht des Kantons Aarau
mit Berufung angefochten werden. Innert dieser Frist erhob der Mieter beim
Obergericht Berufung, mit der er einzig die Höhe der Gerichts- und Parteikosten
gemäss Ziff. 3 und 4 des Dispositivs des erstinstanzlichen Entscheides anfocht.
Das Obergericht qualifizierte die Berufung als Kostenbeschwerde und trat mit
Entscheid vom 28. Februar 2012 wegen Verspätung darauf nicht ein.

C.
Der Mieter (Beschwerdeführer) beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in
Zivilsachen/subsidiärer Verfassungsbeschwerde, den Entscheid des Obergerichts
vom 28. Februar 2012 aufzuheben und die Sache an das Obergericht
zurückzuweisen. Die Vermieterin (Beschwerdegegnerin) hat auf eine Stellungnahme
verzichtet. Hingegen hat das Obergericht eine Vernehmlassung mit dem Antrag auf
Abweisung der Beschwerde eingereicht. Der Beschwerdeführer hat sich dazu in
einer Replik geäussert.

Erwägungen:

1.
Da vor Vorinstanz nur noch die Nebenfolgen des erstinstanzlichen Urteils
umstritten waren und der Beschwerdeführer zutreffend darlegt, der Streitwert
betrage weniger als Fr. 15'000.--, ist die Beschwerde in Zivilsachen
grundsätzlich nicht gegeben (Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG). Indessen macht der
Beschwerdeführer geltend, es stelle sich eine Frage von grundsätzlicher
Bedeutung, weshalb die Beschwerde in Zivilsachen gestützt auf Art. 74 Abs. 2
BGG dennoch zulässig sei. Ob dies zutrifft, braucht indessen nicht entschieden
zu werden, da die Beschwerde aufgrund der Rüge der Verletzung von
Verfassungsrecht, die auch mit der subsidiären Verfassungsbeschwerde erhoben
werden kann und erhoben wurde, gutzuheissen ist, wie nachstehend zu zeigen ist.

2.
2.1 Was das Übergangsrecht anbelangt, hielt die Vorinstanz unangefochten und zu
Recht fest, da der in Anwendung des bisherigen Prozessrechts getroffene
erstinstanzliche Entscheid nach dem Inkrafttreten der Schweizerischen
Zivilprozessordnung (ZPO) am 1. Januar 2011 eröffnet worden sei, gelte diese
nach Art. 405 Abs. 1 ZPO für das kantonale Rechtsmittelverfahren.

2.2 Die ZPO sieht als Rechtsmittel die Berufung (Art. 308 ff. ZPO) und die
Beschwerde (Art. 319 ff. ZPO) vor. Diese Rechtsmittel sind bei der
Rechtsmittelinstanz innert 30 Tagen seit Zustellung des begründeten Entscheids
schriftlich und begründet einzureichen (Art. 311 Abs. 1 und Art. 321 Abs. 1
ZPO). Gegen einen im summarischen Verfahren ergangenen Entscheid beträgt die
Frist zur Einreichung der Berufung und der Beschwerde jedoch zehn Tage (Art.
314 Abs. 1 und Art. 321 Abs. 2 ZPO).

2.3 Die Vorinstanz ging davon aus, bei der Berufung handle es sich um eine
Kostenbeschwerde im Sinne von Art. 110 i.V.m. Art. 319 lit. b Ziff. 1 ZPO, da
der Beschwerdeführer damit lediglich die Höhe der Gerichts- und Parteikosten
gemäss Ziff. 3 und 4 des Dispositivs des erstinstanzlichen Entscheids
angefochten habe.

Sodann hielt die Vorinstanz dafür, der erstinstanzliche Entscheid sei trotz der
im Rubrum anders lautenden Bezeichnung im summarischen Verfahren ergangen,
entscheide doch der Gerichtspräsident nach § 20 Abs. 1 lit. b der
erstinstanzlich geltenden kantonalen Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz
über die Änderung des Obligationenrechts (Miete und Pacht) vom 25. Juni 1990
über Streitigkeiten betreffend die Missbräuchlichkeit von Miet- und Pachtzinsen
oder Forderungen des Vermieters oder Verpächters im summarischen Verfahren.
Dies habe auch der Beschwerdeführer erkannt. Die Beschwerdefrist betrage
demnach gemäss Art. 321 Abs. 2 ZPO zehn Tage. Diese Frist habe der
Beschwerdeführer nicht eingehalten, weshalb auf die Beschwerde nicht
einzutreten sei. Daran ändere nichts, dass ihm in der Rechtsmittelbelehrung
eine dreissigtägige Berufungsfrist angegeben worden sei. Da er rechtskundig
vertreten gewesen sei und bei zumutbarer Sorgfalt allein durch Konsultation der
massgeblichen Verfahrensvorschriften die Unrichtigkeit der
Rechtsmittelbelehrung hätte erkennen können und müssen, sei ihm versagt, sich
darauf zu berufen, aus einer falschen Rechtsmittelbelehrung dürfe ihm kein
Rechtsnachteil erwachsen. Damit erübrige es sich zu entscheiden, ob das
Rechtsmittel auch wegen der falschen Bezeichnung unzulässig wäre.

2.4 Der Beschwerdeführer stimmt der Vorinstanz insoweit zu, als auch er seine
kantonale Berufung als Kostenbeschwerde qualifiziert. Er macht jedoch geltend,
gemäss Art. 405 Abs. 1 ZPO bestimme das neue Recht, welches Rechtsmittel gegen
den unter neuem Recht eröffneten Entscheid zu ergreifen sei. Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts sei diesbezüglich der Inhalt des
angefochtenen Beschlusses entscheidend. Mit Blick auf das zutreffende
Rechtsmittel sei somit zu ermitteln, in welchem Verfahren der angefochtene
Entscheid nach der ZPO hätte ergehen müssen. Dies wäre vorliegend gemäss Art.
243 Abs. 2 lit. c ZPO das vereinfachte Verfahren gewesen. Somit betrage die
Beschwerdefrist in Anwendung von Art. 321 Abs. 1 ZPO dreissig Tage. Indem die
Vorinstanz in Bezug auf die Rechtsmittel von einem summarischen Verfahren
ausgehe, wende sie nach dem Inkrafttreten der ZPO weiterhin die
Verfahrensbestimmungen der kantonalen Zivilprozessordnung an, was eine krasse
Verletzung von Art. 405 Abs. 1 ZPO darstelle.
Selbst wenn eine Frist von zehn Tagen zur Anwendung gelangen sollte, müsste auf
die Kostenbeschwerde eingetreten werden, da diesfalls das Nichteintreten dem
Grundsatz von Treu und Glauben gemäss Art. 9 BV widersprechen würde, habe die
Vorinstanz doch für die Berufungsantwort in Anwendung von Art. 312 Abs. 2 ZPO
eine Frist von 30 Tagen angesetzt und damit die Anwendung der dreissigtätigen
Berufungsfrist gemäss Art. 311 ZPO impliziert. Damit verlange die Vorinstanz
von den Parteien und ihren Anwälten mehr als von sich selbst, was gegen Treu
und Glauben verstosse. Hinzu komme, dass die Vorinstanz im Rubrum des
angefochtenen Entscheides wie auch in der Fristansetzung an die Gegenpartei zur
Berufungsantwort das Verfahren als "ordentliches" Verfahren betreffend
Mietzinsanfechtung bezeichnet habe. Sie sei also selbst nicht von einem
vereinfachten Verfahren ausgegangen.

2.5 In ihrer Vernehmlassung erklärt die Vorinstanz, bei der Ansetzung der
dreissigtägigen Frist zur Erstattung der Berufungsantwort sei ihr ein Versehen
unterlaufen, welches sie im Urteil korrigiert habe. Auch die Zuweisung der
Berufung in das ordentliche Verfahren sei fehlerhaft gewesen, was aber an der
Rechtsmittelfrist nichts ändere.
2.6
2.6.1 Aus dem Prinzip von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV) leitet
die Rechtsprechung ein Recht auf Vertrauensschutz ab. Daraus ergibt sich, dass
den Parteien aus einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung grundsätzlich keine
Nachteile erwachsen dürfen. Den erwähnten Schutz kann eine Prozesspartei nur
dann beanspruchen, wenn sie sich nach Treu und Glauben auf die fehlerhafte
Rechtsmittelbelehrung verlassen durfte. Dies trifft auf die Partei nicht zu,
welche die Unrichtigkeit erkannte oder bei gebührender Aufmerksamkeit hätte
erkennen müssen. Allerdings vermag nur eine grobe prozessuale Unsorgfalt der
betroffenen Partei oder ihres Anwalts eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung
aufzuwiegen (BGE 135 III 374 E. 1.2.2.1 S. 376 f. mit Hinweisen). Wann der
Prozesspartei eine als grob zu wertende Unsorgfalt vorzuwerfen ist, beurteilt
sich nach den konkreten Umständen und nach ihren Rechtskenntnissen, wobei bei
Anwälten naturgemäss ein strengerer Massstab anzulegen ist. Von ihnen wird
jedenfalls eine "Grobkontrolle" der Rechtsmittelbelehrung durch Konsultierung
der anwendbaren Verfahrensbestimmungen erwartet. Dagegen wird nicht verlangt,
dass neben den Gesetzestexten auch noch die einschlägige Rechtsprechung oder
Literatur nachgeschlagen wird (BGE 138 I 49 E. 8.3.2 S. 53 f. mit Hinweisen).
2.6.2 Mit Bezug auf Art. 314 Abs. 1 ZPO im Speziellen erkannte das
Bundesgericht, diese Bestimmung sehe vor, die Frist zur Einreichung der
Berufung betrage 10 Tage, wenn der angefochtene Entscheid im summarischen
Verfahren ergangen sei. Die Vorschrift präzisiere aber nicht, ob mit dem
"summarischen Verfahren" das konkret nach kantonalem Prozessrecht angewandte
oder das abstrakt nach ZPO anzuwendende Verfahren gemeint sei. Welche
Berufungsfrist übergangsrechtlich zu gelten habe, stehe damit nicht eindeutig
fest, weshalb ein diesbezüglicher Irrtum jedenfalls nicht als grobe Unsorgfalt
gewertet werden könne. Unter diesen Umständen sei auch eine anwaltlich
vertretene Partei in ihrem Vertrauen in eine unrichtige Angabe des
erstinstanzlichen Gerichts zu schützen (BGE 138 I 49 E. 8.4 S. 54).

2.7 Gestützt auf diese Rechtsprechung, welche sich auf Art. 321 Abs. 2 ZPO
übertragen lässt, steht fest, dass der von der Vorinstanz angenommene Mangel in
der Rechtsmittelbelehrung, sollte es sich denn um einen solchen handeln,
ausschliesslich anhand der Lektüre des einschlägigen Gesetzestexts nicht
erkennbar war. Vielmehr lässt sich die Geltung der vom erstinstanzlichen
Richter bezeichnete Rechtsmittelfrist mit guten Gründen vertreten (vgl. BGE 138
I 49 E. 7.3 S. 52). Welche Frist richtigerweise hätte Anwendung finden müssen,
braucht demnach nicht entschieden zu werden. So oder anders hätte die
Vorinstanz den Beschwerdeführer in seinem Vertrauen in die Richtigkeit der im
erstinstanzlichen Urteil angeführten Rechtsmittelfrist schützen und das
Rechtsmittel als rechtzeitig entgegen nehmen müssen. Die Rüge der Verletzung
des Grundsatzes von Treu und Glauben nach Art. 9 BV erweist sich als begründet.

3.
Aus den dargelegten Gründen ist die Beschwerde gutzuheissen, der angefochtene
Entscheid aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen (Art. 107 BGG). Die Beschwerdegegnerin kann im Verfahren vor
Bundesgericht nicht als unterliegende Partei betrachtet werden, zumal sie in
diesem Verfahren keinen Antrag stellte und die Vorinstanz die Rechtzeitigkeit
des Rechtsmittels von Amtes wegen zu prüfen hatte. Kosten sind daher nicht zu
erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Dagegen hat der Kanton Aargau den
Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu
entschädigen (Art. 68 Abs. 4 i.V.m. Art. 66 Abs. 3 BGG; vgl. Urteil 4A_595/2011
vom 17. Februar 2012 E. 3).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In Gutheissung der Beschwerde wird der Entscheid des Obergerichts des Kantons
Aargau vom 28. Februar 2012 aufgehoben. Die Sache wird zur Neubeurteilung an
die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Aargau hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 4. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. September 2012

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Klett

Der Gerichtsschreiber: Gelzer