Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.158/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_158/2012

Urteil vom 7. Mai 2012
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Rottenberg Liatowitsch, Kiss,
Gerichtsschreiber Kölz.

Verfahrensbeteiligte
X.________ GmbH,
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Kern,
Beschwerdeführerin,

gegen

1. Y.________, Kantonsgerichtspräsident,
2. Z.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Martin Michel,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Ausstand,

Beschwerde gegen die Verfügung des Kantonsgerichts Schwyz,
Kantonsgerichtsvizepräsidentin,
vom 8. März 2012.

Sachverhalt:

A.
Die X.________ GmbH (Beschwerdeführerin) und Z.________ (Beschwerdegegner 2)
stehen einander im Berufungsverfahren ZK1 2012 11 vor dem Kantonsgericht Schwyz
gegenüber. Mit Verfügungen vom 8. Februar 2012 setzte der
Kantonsgerichtspräsident, Dr. Y.________ (Beschwerdegegner 1), der
Beschwerdeführerin Frist für die Berufungsantwort und dem Beschwerdegegner 2
Frist zur Leistung eines Kostenvorschusses.

Am 10. Februar 2012 fragte der Vertreter der Beschwerdeführerin Dr. Y.________
"kollegialiter" an, ob dieser wegen seiner Beziehungen zum Rechtsanwalt des
Beschwerdegegners 2 selbst in den Ausstand trete oder ob er ein Ausstandsgesuch
stellen müsse.

Am 13. Februar 2012 antwortete Dr. Y.________, dass ein formeller
Ausstandsgrund nicht gegeben sei. Hingegen werde er aus organisatorischen
Gründen nicht an der Instruktion und Beurteilung der vorliegenden
Berufungssache mitwirken.

B.
Am 17. Februar 2012 reichte die Beschwerdeführerin ein Ausstandsgesuch ein und
beantragte, der Kantonsgerichtspräsident Dr. Y.________ habe im
Berufungsverfahren der Parteien in den Ausstand zu treten, wobei sie sich auf
freundschaftliche Beziehungen zwischen dem Kantonsgerichtspräsidenten und dem
Rechtsvertreter des Beschwerdegegners 2 berief (Art. 47 Abs. 1 lit. f ZPO; SR
272). Am 22. Februar 2012 wurde die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf die
Mitteilung des Kantonsgerichtspräsidenten vom 13. Februar 2012, nicht an der
Instruktion und Beurteilung der vorliegenden Berufungssache mitzuwirken,
angefragt, ob sie dennoch einen Entscheid über den Ausstand mit entsprechenden
Kostenfolgen verlange. Die Beschwerdeführerin liess mit Schreiben vom 24.
Februar 2012 antworten, dass sie am Ausstandsgesuch festhalte und ersuchte um
Mitteilung, wer die Verfahrensleitung ausübe.

Mit Verfügung vom 8. März 2012 hielt die Kantonsgerichtsvizepräsidentin fest,
dass sie selbst die Leitung des Berufungsverfahrens übernehme
(Dispositiv-Ziffer 1). Ferner schrieb sie das Ausstandsgesuch vom 17. Februar
2012 als gegenstandslos ab (Dispositiv-Ziffer 2). Die Kosten von Fr. 100.-- für
diese Zwischenverfügung wurden der Beschwerdeführerin auferlegt
(Dispositiv-Ziffer 3). Zur Begründung erwog die Kantonsgerichtsvizepräsidentin,
das Ausstandsgesuch vom 17. Februar 2012 sei von vorneherein gegenstandslos
gewesen, nachdem der Kantonsgerichtspräsident am 13. Februar 2012 mitgeteilt
habe, er werde an der Instruktion und Beurteilung der vorliegenden
Berufungssache nicht mitwirken.

C.
Die Beschwerdeführerin beantragt mit Beschwerde in Zivilsachen, die
Dispositiv-Ziffern 2 und 3 der Verfügung der Vizepräsidentin des
Kantonsgerichts vom 8. März 2012 aufzuheben und die Sache zur Beurteilung an
die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei das Ausstandsgesuch der
Beschwerdeführerin vom 17. Februar 2012 gutzuheissen und
Kantonsgerichtspräsident Dr. Y.________ anzuweisen, im Berufungsverfahren der
Parteien vor Kantonsgericht Schwyz (Prozess Nr. ZK1 2012 11) in den Ausstand zu
treten.

Es wurden keine Beschwerdeantworten und keine Vernehmlassung eingeholt.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein
Rechtsmittel zulässig ist (BGE 138 III 41 E. 1; 135 III 212 E. 1, 329 E. 1).

1.1 Die angefochtene Verfügung der Vizepräsidentin des Kantonsgerichts Schwyz
bildet einen selbständig eröffneten Zwischenentscheid über ein
Ausstandsbegehren. Gegen einen solchen Zwischenentscheid ist die Beschwerde
zulässig (Art. 92 Abs. 1 BGG).

1.2 Nach dem Grundsatz der Einheit des Verfahrens sind Zwischenentscheide mit
dem in der Hauptsache zulässigen Rechtsmittel anzufechten (BGE 134 V 138 E. 3
S. 144; 133 III 645 E. 2.2). In der Hauptsache geht es um eine
Zivilrechtsstreitigkeit mit einem Streitwert von über 30'000 Franken (Fr.
80'000.--). In der Hauptsache ist demnach die Beschwerde in Zivilsachen gegeben
(Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG).

1.3 Nach Art. 75 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde zulässig gegen Entscheide
letzter kantonaler Instanzen. Bei der letzten kantonalen Instanz muss es sich
um ein oberes Gericht handeln (Art. 75 Abs. 2 Satz 1 BGG). Zudem muss dieses
obere Gericht als Rechtsmittelinstanz entscheiden (Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BGG),
es sei denn, es liege einer der Ausnahmefälle von Art. 75 Abs. 2 lit. a bis c
BGG vor. Eine allgemeine Ausnahme vom Erfordernis der double instance für
Zwischenentscheide besteht nicht. Vorbehalten bleibt folgender Fall: Ist ein
oberes Gericht mit einem Rechtsmittelverfahren befasst und fällt es in diesem
Rahmen einen Zwischenentscheid (z.B. über den Ausstand eines Mitglieds des
oberen Gerichts), so ist die Beschwerde an das Bundesgericht bei im Übrigen
gegebenen Voraussetzungen zulässig (BGE 138 III 41 E. 1.1 S. 42; 137 III 424 E.
2.2 S. 426).

Diese Konstellation liegt hier vor: Die Kantonsgerichtsvizepräsidentin
entschied im Rahmen des beim Kantonsgericht hängigen Berufungsverfahren über
das von der Beschwerdeführerin eingereichte Ausstandsgesuch gegen den
Kantonsgerichtspräsidenten und schrieb dieses als gegenstandslos ab. Gegen
diesen Zwischenentscheid ist direkt die Beschwerde an das Bundesgericht
zulässig.

Nachdem auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die
Beschwerde einzutreten.

2.
2.1 Die Beschwerdeführerin beanstandet, dass die Vorinstanz das Ausstandsgesuch
nicht materiell behandelte, sondern dieses als gegenstandslos abschrieb. Darin
erblickt sie eine Verletzung von Art. 242 ZPO betreffend die
Gegenstandslosigkeit eines Verfahrens sowie eine Rechtsverweigerung und eine
Gehörsverletzung (Art. 53 Abs. 1 ZPO, Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1
EMRK). Zudem verletze die angefochtene Verfügung die Ausstandspflicht
befangener Gerichtspersonen (Art. 47 ff. ZPO) und höhle den Anspruch der
Beschwerdeführerin auf ein faires Verfahren und ein unparteiisches Gericht aus
(Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK).

2.2 Die Beschwerdeführerin vertritt die Ansicht, es hätte über das
Ausstandsgesuch materiell entschieden werden müssen. Nur so wisse sie, dass die
betroffene Gerichtsperson am Justizverfahren nicht mitwirken dürfe. Die blosse
Mitteilung der betroffenen Gerichtsperson, sie werde an der Instruktion und
Beurteilung der Sache nicht mitwirken, genüge nicht. Denn damit bleibe die
gesuchstellende Partei im Ungewissen, ob die betroffene Gerichtsperson nicht
doch wieder mitwirken würde. Sie wäre dem guten Willen der betroffenen
Gerichtsperson ausgeliefert bzw. müsste allenfalls den zeit- und
kostenintensiven Rechtsmittelweg beschreiten, wenn die betroffene
Gerichtsperson doch wieder mitwirke. Die blosse Mitteilung anstelle eines
verbindlichen Entscheids über das Ausstandsgesuch unterlaufe ihren Anspruch auf
ein faires Verfahren und auf ein unabhängiges Gericht.
Zum gerichtlichen Entscheid über den Ausstand kommt es, wenn der geltend
gemachte Ausstandsgrund bestritten wird (vgl. Art. 50 Abs. 1 ZPO). Dies ist der
Fall, wenn eine Partei die Selbstanzeige einer Gerichtsperson bestreitet oder
die Gegenpartei bzw. die angesprochene Gerichtsperson zu einem Ausstandsgesuch
einer Partei negativ Stellung nimmt (vgl. WULLSCHLEGER, in: Kommentar zur
Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2010, N. 4 zu Art. 50 ZPO).

Kein materieller Entscheid über den Ausstand ist hingegen erforderlich, wenn
das vom geltend gemachten Ausstandsgrund betroffene Gerichtsmitglied - wie
vorliegend - bereits explizit erklärt hat, es werde am Prozess nicht mitwirken.
Diesfalls erweist sich ein erst im Nachgang zu dieser Erklärung eingereichtes
Ausstandsgesuch als gegenstandslos. Denn ein Ausstandsgesuch kann sich nicht
gegen ein erklärtermassen nicht mitwirkendes Gerichtsmitglied richten.

2.3 Die Beschwerdeführerin hebt hervor, dass der Kantonsgerichtspräsident den
geltend gemachten Ausstandsgrund bestritten habe und nur "aus organisatorischen
Gründen" nicht mitwirke.

Der Kantonsgerichtspräsident formulierte sein Schreiben vom 13. Februar 2012
dahingehend, "dass ein formeller Ausstandsgrund nicht gegeben" sei, er hingegen
aus "organisatorischen Gründen" nicht mitwirken werde. Diese Formulierung lässt
in der Tat erkennen, dass der Kantonsgerichtspräsident nicht von einem
eigentlichen Ausstandsfall ausging, wobei allerdings offen ist, was er unter
"formellem Ausstandsgrund" verstand. Dies ändert aber nichts am vorliegend
einzig entscheidenden Umstand, dass er dennoch unmissverständlich erklärte, er
werde am Berufungsverfahren nicht (mehr) mitwirken. Aufgrund dieser Erklärung
brauchte der Kantonsgerichtspräsident nicht mehr abgelehnt zu werden, und die
Frage seines Ausstands stellte sich nicht mehr, zumal auch die Gegenpartei
nicht etwa dessen Mitwirkung verlangte und den Ausstandsgrund bestritt. Im
Ergebnis lag damit die gleiche Situation vor, wie wenn der Ausstand nicht
bestritten ist und demzufolge das betroffene Gerichtsmitglied nicht mitwirkt.
In dieser Situation musste die Vorinstanz über das Ausstandsgesuch nicht
materiell entscheiden.

2.4 Die Beschwerdeführerin meint, die Erklärung des Kantonsgerichtspräsidenten,
er werde an der "Instruktion und Beurteilung" der vorliegenden
Berufungsverfahrens nicht mitwirken, genüge nicht. Der Ausstand betreffe das
gesamte Justizverfahren, also auch die Verfahrensleitung.

Es trifft zu, dass ein im Ausstand befindliches Gerichtsmitglied am
betreffenden Gerichtsverfahren durchgehend, d.h. in allen Verfahrensstadien,
nicht mitwirken darf. Dies war aber offensichtlich mit der Formulierung
"Instruktion und Beurteilung" auch gemeint. Die Verfahrensleitung kann zur
Instruktion gezählt werden. Entsprechend hielt vorliegend die
Kantonsgerichtsvizepräsidentin denn auch ausdrücklich fest, dass sie die
Verfahrensleitung übernehme.

2.5 Weiter bringt die Beschwerdeführerin vor, der Kantonsgerichtspräsident habe
am Berufungsverfahren der Parteien schon mehrfach mitgewirkt.

In der Tat war der Kantonsgerichtspräsident zu Beginn des Berufungsverfahrens
prozessleitend tätig. Die beiden von ihm getroffenen Verfügungen betreffend
Fristansetzung zur Berufungsantwort bzw. Leistung eines Kostenvorschusses
datieren vom 8. Februar 2012. Als Reaktion darauf erfolgte die informelle
Anfrage des Vertreters der Beschwerdeführerin an den
Kantonsgerichtspräsidenten, ob er von sich aus in den Ausstand trete oder ein
Ausstandsgesuch erforderlich sei. Daraufhin teilte der Kantonsgerichtspräsident
am 13. Februar 2012 den Parteien mit, dass er am Berufungsverfahren nicht
mitwirke. Damit war pro futuro klargestellt, dass der Kantonsgerichtspräsident
am Berufungsverfahren der Parteien nicht (mehr) beteiligt sein würde. Das im
Nachgang dazu gleichwohl eingereichte Ausstandsgesuch vom 17. Februar 2012
betraf demnach einen Richter, der von der Mitwirkung am vorliegenden Verfahren
ohnehin ausgeschlossen war, weshalb es gegenstandslos war.

Daran ändert nichts, wenn die Beschwerdeführerin befürchtet, der
Kantonsgerichtspräsident könnte im Laufe des Verfahrens dennoch wieder
verfahrensleitend tätig werden, z.B. in Vertretung der Vizepräsidentin.
Massgebend ist nicht eine Befürchtung der Beschwerdeführerin, sondern die
Pflicht des Kantonsgerichtspräsidenten, sich an seine Erklärung, nicht
mitzuwirken, zu halten. Sollte er dies nicht tun, wären seine Anordnungen unter
Ausstandsgesichtspunkten wiederum anfechtbar (vgl. Art. 51 Abs. 1 ZPO). Dies
ist nicht anders, als wenn eine Gerichtsperson in Missachtung eines materiellen
gerichtlichen Entscheids über ein Ausstandsgesuch tätig würde.

2.6 Da der Kantonsgerichtspräsident schon im Vorfeld zum Ausstandsgesuch
erklärte, er werde am Berufungsverfahren nicht mitwirken, erwies sich das
danach gestellte Ausstandsgesuch als gegenstandslos. Nachdem die
Beschwerdeführerin daran trotz Nachfrage des Gerichts festhielt, durfte die
Vorinstanz das Ausstandsgesuch kostenfällig abschreiben.

Aus diesen Gründen liegen die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten
Rechtsverletzungen nicht vor, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist.

3.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig
(Art. 66 Abs. 1 BGG). Da keine Beschwerdeantworten eingeholt wurden, sind keine
Parteientschädigungen zu sprechen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Schwyz,
Kantonsgerichtsvizepräsidentin, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. Mai 2012
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Klett

Der Gerichtsschreiber: Kölz