Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.118/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_118/2012

Urteil vom 19. Juni 2012
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichter Corboz,
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Kolly, Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiber Leemann.

Verfahrensbeteiligte
M.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Marco Unternährer,
Beschwerdeführer,

gegen

X.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwältin
Carmen Hool-Helfenstein,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
vorsorgliche Beweisführung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern, 1.
Abteilung, vom 13. Januar 2012.

Sachverhalt:

A.
M.________ (Beschwerdeführer) reichte am 25. Mai 2011 beim Bezirksgericht
Hochdorf ein Gesuch um vorsorgliche Beweisführung nach Art. 158 ZPO gegen die
X.________ AG (Beschwerdegegnerin) ein mit dem Antrag auf Einvernahme von sechs
namentlich genannten Zeugen, denen folgende Fragen zu unterbreiten seien:
"1. Wie lange arbeitete M.________ bei der X.________ AG, als sich der
Arbeitsunfall vom 26. April 2004 ereignete?
2. Wer hat M.________ in den Arbeitsprozess eingeführt?
3. War die Knetmaschine zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls vom 26. April 2004
überbrückt gewesen?
4. War diese besagte Knetmaschine bereits vor dem Arbeitsunfall vom 26. April
2004 überbrückt gewesen? Wenn ja, wie lange schon?
5. Wer hat dieses Überbrücken angeordnet und umgesetzt?
6. Welche Vorteile bestanden durch das Überbrücken?
7. Weitere Fragen ausdrücklich vorbehalten."
Mit Entscheid vom 1. Juli 2011 wies die Einzelrichterin der 1. Abteilung des
Bezirksgerichts Hochdorf das Gesuch ab.

B.
Mit Entscheid vom 13. Januar 2012 wies das Obergericht des Kantons Luzern eine
von M.________ gegen den bezirksgerichtlichen Entscheid vom 1. Juli 2011
erhobene Berufung ab, soweit es darauf eintrat.

C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt M.________ dem Bundesgericht, es sei
der Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern vom 13. Januar 2012
aufzuheben, die Erstinstanz habe die beantragte vorsorgliche Beweisabnahme
durchzuführen und die sechs namentlich aufgeführten Zeugen einzuvernehmen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, es sei auf die Beschwerde nicht einzutreten;
eventualiter sei diese abzuweisen. Die Vorinstanz beantragt die Abweisung der
Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit bei ihm eingereichter Beschwerden vom
Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 137 III 417 E. 1
S. 417 mit Hinweisen).

1.1 Der angefochtene Entscheid betrifft ein Gesuch um vorsorgliche
Beweisführung, auf das die Bestimmungen über die vorsorglichen Massnahmen
Anwendung finden (Art. 158 Abs. 2 ZPO). Massnahmeentscheide gelten nur dann als
Endentscheide im Sinne von Art. 90 BGG, wenn sie in einem eigenständigen
Verfahren ergehen und dieses abschliessen (BGE 138 III 46 E. 1.1 S. 46 mit
Hinweisen).
Der angefochtene Entscheid ist in einem Gesuchsverfahren betreffend
vorsorgliche Beweisführung ergangen, das von der Einleitung eines
Hauptverfahrens unabhängig und damit eigenständig ist. Er hat das Verfahren zum
Abschluss gebracht, indem er das Gesuch abgewiesen hat. Es handelt sich daher
um einen Endentscheid (Art. 90 BGG), gegen den die Beschwerde zulässig ist (BGE
138 III 46 E. 1.1 S. 46).
1.2
1.2.1 Da es sich beim Entscheid über die vorsorgliche Beweisführung um einen
Entscheid über vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 98 BGG handelt (BGE
138 III 46 E. 1.1 S. 46), kann mit der Beschwerde nur die Verletzung
verfassungsmässiger Rechte gerügt werden.
Die Verletzung dieser Rechte kann das Bundesgericht nur insofern prüfen, als
eine solche Rüge in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden ist
(Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 136 I 65 E. 1.3.1 S. 68; 134 I 83 E. 3.2 S. 88; 133
III 439 E. 3.2 S. 444 f.; je mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer muss klar und
detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darlegen,
inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (BGE 135 III
232 E. 1.2 S. 234; 133 III 589 E. 2 S. 591 f.). Macht der Beschwerdeführer eine
Verletzung von Art. 9 BV geltend, genügt es nicht, wenn er einfach behauptet,
der angefochtene Entscheid sei willkürlich; er hat vielmehr im Einzelnen zu
zeigen, inwiefern der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist (BGE
134 II 349 E. 3 S. 352; 133 I 1 E. 5.5 S. 5; 133 III 439 E. 3.2 S. 444).

Unerlässlich ist im Hinblick auf Art. 42 Abs. 2 sowie Art. 106 Abs. 2 BGG, dass
die Beschwerde auf die Begründung des angefochtenen Entscheids eingeht und im
Einzelnen aufzeigt, worin eine Rechtsverletzung liegt. Der Beschwerdeführer
soll in der Beschwerdeschrift nicht bloss die Rechtsstandpunkte, die er im
kantonalen Verfahren eingenommen hat, erneut bekräftigen, sondern mit seiner
Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz
ansetzen (vgl. BGE 134 II 244 E. 2.1 S. 245 f.; 121 III 397 E. 2a S. 400; 116
II 745 E. 3 S. 749).
1.2.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG); neue Tatsachen und
Beweismittel sind grundsätzlich unzulässig (Art. 99 Abs. 1 BGG). Da gegen den
angefochtenen Entscheid nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte geltend
gemacht werden kann (Art. 98 BGG), kommt eine Berichtigung oder Ergänzung der
Sachverhaltsfeststellungen (vgl. Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG) nur
dann in Frage, wenn die Vorinstanz verfassungsmässige Rechte verletzt hat. Wird
Letzteres geltend gemacht, ist neben der Erheblichkeit der gerügten
Tatsachenfeststellung für den Ausgang des Verfahrens klar und detailliert
darzutun, inwiefern diese verfassungswidrig, insbesondere willkürlich, sein
soll (BGE 133 III 393 E. 7.1 S. 398, 585 E. 4.1 S. 588 f.; je mit Hinweisen).
1.2.3 Der Beschwerdeführer verfehlt die gesetzlichen Begründungsanforderungen
über weite Strecken. Er zitiert seitenweise wörtlich aus seiner Gesuchseingabe
an die Erstinstanz und kritisiert den angefochtenen Entscheid mehrheitlich in
appellatorischer Weise, ohne zulässige Rügen zu erheben.

2.
Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz vor, Art. 158 ZPO willkürlich (Art. 9
BV) und in Verletzung des Gehörsanspruchs (Art. 29 Abs. 2 BV) angewendet zu
haben.
Nach Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO nimmt das Gericht jederzeit Beweis ab, wenn die
gesuchstellende Partei eine Gefährdung der Beweismittel oder ein schutzwürdiges
Interesse glaubhaft macht.

2.1 Die Vorinstanz erwog, es entspreche der Lebenserfahrung, dass sich ein
Zeuge - ausser bei ganz aussergewöhnlichen Ereignissen - nach mehr als sieben
Jahren nicht mehr oder nur noch vage an ein Geschehen zu erinnern vermöge. Ein
weiteres Zuwarten mit der Zeugeneinvernahme könne daher deren Beweiskraft nicht
mehr entscheidend reduzieren.
Die Vorinstanz hat zutreffend dafür gehalten, dass sich eine vorsorgliche
Beweisabnahme aufgrund einer Gefährdung der Beweismittel (Art. 158 Abs. 1 lit.
b 1. Satzteil ZPO) nur bei einer entscheidenden Reduktion der möglichen
Beweiskraft des betreffenden Beweismittels rechtfertigt, wofür eine gewisse
Wahrscheinlichkeit sprechen muss (PETER GUYAN, in: Basler Kommentar,
Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N. 3 zu Art. 158 ZPO; WALTER
FELLMANN, in: Sutter-Somm und andere [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen
Zivilprozessordnung, 2010, N. 12 f. zu Art. 158 ZPO; PHILIPPE SCHWEIZER, in:
Bohnet und andere [Hrsg.], Code de procédure civile commenté, 2011, N. 11 zu
Art. 158 ZPO). Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers lässt sich mit dem
blossen Hinweis auf den allgemein bekannten Umstand, dass das
Erinnerungsvermögen von Zeugen mit der Zeit nachlässt, nicht auf eine
Gefährdung im Sinne von Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO schliessen. Das abnehmende
Erinnerungsvermögen liegt in der Natur dieses Beweismittels und rechtfertigt
für sich allein keine vorsorgliche Beweisabnahme. Die Vorinstanz hat weder das
Willkürverbot noch den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, wenn sie den
vom Beschwerdeführer behaupteten drohenden Beweisverlust als nicht glaubhaft
erachtet hat.

2.2 Die Vorinstanz erachtete im Weiteren ein schutzwürdiges Interesse des
Beschwerdeführers als nicht glaubhaft gemacht (Art. 158 Abs. 1 lit. b 2.
Satzteil ZPO). Eine vorprozessuale Einvernahme der angebotenen Zeugen sei im zu
beurteilenden Fall nicht notwendig. Die Sachverhaltsdarstellungen der Parteien
seien klar; es gehe im Wesentlichen darum, ob der Beschwerdeführer die
Knetmaschine, an der er verunfallte, selber und entgegen einer ausdrücklichen
Weisung überbrückt hat oder ob sie schon früher überbrückt worden war und
seither gewohnheitsmässig so bedient wurde. Es seien Protokolle und
Zeugenbescheinigungen vorhanden, aus denen sich ergebe, welcher Zeuge welche
Sachverhaltsdarstellung bestätige. Bei dieser Sachlage bedürfe es keiner
vorprozessualen Einvernahme dieser Zeugen, um die Beweis- und Prozessaussichten
- im Sinne der Vermeidung aussichtsloser Prozesse - abschätzen zu können.
Der Beschwerdeführer kritisiert die vorinstanzlichen Erwägungen lediglich in
appellatorischer Weise und behauptet, die Voraussetzung eines schutzwürdigen
Interesses nach Art. 158 Abs. 1 lit. b 2. Satzteil ZPO seien entgegen dem
angefochtenen Entscheid erfüllt. Dabei stützt er sich in unzulässiger Weise auf
neue tatsächliche Vorbringen (vgl. Art. 99 Abs. 1 BGG), wie etwa die
Behauptung, die beantragten Zeugen G.________ und H.________ hätten ihre
Aussagen inzwischen relativiert bzw. geändert. Eine Verletzung
verfassungsmässiger Rechte zeigt der Beschwerdeführer mit seinen Ausführungen
nicht auf. Abgesehen davon verkennt er, dass im Vorfeld eines Prozesses nie mit
Gewissheit feststeht, wie ein Zeuge genau aussagen wird, und dass im Verfahren
der vorsorglichen Beweisführung keine Beweiswürdigung stattfindet (vgl. HANS
SCHMID, in: Oberhammer [Hrsg.], Kurzkommentar ZPO, 2010, N. 4 zu Art. 158 ZPO;
DOMINIK GASSER/BRIGITTE RICKLI, Schweizerische Zivilprozessordnung,
Kurzkommentar, 2010, N. 8 zu Art. 158 ZPO). Der blosse Hinweis auf den Umstand,
dass die Aussagen bestimmter Zeugen nicht leicht abschätzbar seien,
rechtfertigt daher keine vorsorgliche Beweisabnahme.

3.
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden kann. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird der
Beschwerdeführer kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 sowie Art.
68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, 1.
Abteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. Juni 2012

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Klett

Der Gerichtsschreiber: Leemann