Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Subsidiäre Verfassungsbeschwerde 2D.58/2012
Zurück zum Index II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Subsidiäre Verfassungsbeschwerde 2012
Retour à l'indice II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Subsidiäre Verfassungsbeschwerde 2012



Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2D_58/2012

Urteil vom 23. Oktober 2012
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Donzallaz, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Hugi Yar.

1. Verfahrensbeteiligte
X.________,
2. X.Y.________,
3. X.A.________,
4. X.B.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin Cornelia Jurt,

gegen

Amt für Migration des Kantons Luzern, Fruttstrasse 15, 6002 Luzern,
Justiz- und Sicherheitsdepartement des
Kantons Luzern,
Bahnhofstrasse 15, Postfach 3768, 6002 Luzern.

Gegenstand
Ausländerrecht (Wegweisung),

Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons
Luzern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 11. September 2012.

Erwägungen:

1.
1.1 X.________ (geb. 1964) stammt aus Armenien. Er reiste am 15. Oktober 2005
mit seiner Frau (geb. 1973) und seinen beiden Kindern (geb. 1998 und 2002),
welche (wie die Gattin) über die russische Staatsbürgerschaft verfügen, in die
Schweiz ein. X.________ erhielt im Kanton Luzern eine kontingentierte
Kurzaufenthaltsbewilligung zu Erwerbszwecken (Geschäftsführung der Q.________
AG in A.________), während seinen Angehörigen Kurzaufenthaltsbewilligungen zum
Verbleib beim Gatten bzw. beim Vater erteilt wurden. Die Bewilligungen sind am
9. November 2006 bis zum 13. Oktober 2007 verlängert worden.

1.2 In der Folge bemühte sich die Familie X.________ wiederholt und erfolglos
um die Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen. Mit Entscheid vom 21. August
2008 verweigerte das Bundesamt für Migration seine Zustimmung zum Vorentscheid
über die Bewilligung einer Erwerbstätigkeit, da die gesetzlichen
Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Das Bundesverwaltungsgericht wies eine
hiergegen gerichtete Beschwerde am 11. August 2011 ab (Urteil C-6135/2008).

1.3 Am 8. November 2011 ersuchte X.________ erneut um die Erteilung einer
Aufenthaltsbewilligung (Aufenthaltszweck: Geschäftsführung der Firma R.________
GmbH). Das Amt für Migration teilte ihm am 5. Dezember 2011 mit, dass eine
Prüfung des (neuen) Gesuchs um Bewilligungserteilung erst nach der Ausreise der
Familie erfolgen könne (Art. 17 AuG [SR 142.20]). Nachdem X.________ am 8.
Februar 2012 um materielle Behandlung seiner Eingabe ersucht hatte, trat das
Amt für Migration des Kantons Luzern am 9. März 2012 auf das Gesuch vom 8.
November 2011 nicht ein und forderte ihn und seine Familie auf, die Schweiz zu
verlassen und die Erwerbstätigkeit sofort einzustellen. Das Justiz- und
Sicherheitsdepartement hiess die hiergegen gerichtete Beschwerde teilweise gut
(Festsetzung der Ausreisefrist), wies die Familie X.________ jedoch ebenfalls
weg und forderte sie auf, das Land bis zum 16. Juli 2012 zu verlassen. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wies am 11. September 2012 die von der
Familie X.________ hiergegen eingereichte Beschwerde ab, soweit es darauf
eintrat; es hielt die Familie X.________ an, das Land bis zum 31. Oktober 2012
zu verlassen.

1.4 Mit Beschwerde vom 8. Oktober 2012 beantragen X.________, X.Y.________
sowie X.A.________ und X.B.________, das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Luzern aufzuheben und festzustellen, dass der Vollzug der Wegweisung
gegen ihre verfassungsmässigen Rechte verstosse und als unzumutbar zu gelten
habe.

2.
2.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist gegen
Entscheide auf dem Gebiet des Ausländerrechts unzulässig, die Bewilligungen
betreffen, auf die weder das Bundes- noch das Völkerrecht einen Anspruch
einräumt (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Sie ist ausgeschlossen gegen Entscheide
über die vorläufige Aufnahme (Ziff. 3) sowie über die Abweichung von den
Zulassungsvoraussetzungen (Ziff. 5 i.V.m. Art. 20 AuG) und die Wegweisung
(Ziff. 4). Gegen kantonale Urteile bezüglich der Wegweisung bzw. hinsichtlich
des Zwischenentscheids, den Ausgang des Bewilligungsverfahrens im Ausland
abwarten zu müssen, steht die subsidiäre Verfassungsbeschwerde offen (Urteile
2D_67/2009 vom 4. Februar 2010 E. 2.1, 2D_98/2008 vom 12. Dezember 2008 E. 1).
Der Betroffene kann in diesem Rahmen - in dem es nicht mehr um den negativen
Sach-, sondern mit der Wegweisung lediglich noch um den damit verbundenen
Vollzugsentscheid geht - keine Rügen mehr erheben, die Gegenstand des
Entscheids über den Widerruf bzw. über die Nichtverlängerung oder die Erteilung
der Bewilligung gebildet haben oder hätten bilden müssen (BGE 137 II 305 E.
1.1; Urteile 2C_425/2010 vom 17. August 2010 E. 4 und 2D_67/2009 vom 4. Februar
2010 E. 2.4 und 5).

2.2 Die betroffene ausländische Person muss sich gegen den Wegweisungsentscheid
auf besondere verfassungsmässige Rechte berufen können, die ihr unmittelbar ein
rechtlich geschütztes Interesse im Sinne von Art. 115 lit. b BGG verschaffen
(vgl. BGE 137 II 305 E. 3.3). Zu denken ist dabei etwa an den Schutz des Lebens
(Art. 10 Abs. 1 BV/Art. 2 EMRK), an das Verbot jeder Art grausamer,
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (Art. 10 Abs. 3
BV/Art. 3 EMRK) oder an das Verbot einer Ausschaffung in einen Staat, in
welchem dem Betroffenen Folter oder eine andere Art grausamer und
unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung droht (Art. 25 Abs. 3 BV) bzw. an das
Gebot, Flüchtlinge nicht in einen Staat auszuschaffen oder auszuliefern, in dem
sie verfolgt werden (Art. 25 Abs. 2 BV). Die entsprechenden Rügen müssen
jeweils rechtsgenügend begründet werden (Art. 116 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG).
Das Bundesgericht prüft die Verletzung von Grundrechten nicht von Amtes wegen,
sondern nur soweit diese klar, sachbezogen und falls möglich belegt geltend
gemacht wird (Art. 106 Abs. 2 BGG; "qualifizierte Rügepflicht"; vgl. BGE 137 II
305 S. 311, 136 I 229 E. 4.1).

3.
3.1 Die Beschwerdeführer berufen sich auf keines der in BGE 137 II 305 ff.
genannten Rechte, sondern machen ausschliesslich geltend, der Vollzug der
Wegweisung sei für ihre beiden Kinder, die hier eingeschult seien, unzumutbar
und verstosse gegen Art. 3 der Kinderrechtskonvention (SR 0.107; vorrangige
Berücksichtigung der Kindsinteressen) bzw. Art. 11 Abs. 1 BV (Schutz der Kinder
und Jugendlichen). Das Kindeswohl sei durch die Vorinstanzen falsch gewichtet
worden. Die einzige Heimat, welche die Kinder kennen würden, sei die Schweiz,
weshalb sie und die sorgeberechtigten Eltern hier bleiben müssten.

3.2 Die Beschwerdeführer verkennen die Tragweite der angerufenen konventions-
und verfassungsrechtlichen Garantien: Sie sind im Rahmen von kontingentierten
Kurzaufenthaltsbewilligungen in die Schweiz gekommen und mussten von Anfang
davon ausgehen, dass sie das Land wieder zu verlassen haben würden. Ihre
Bewilligungen sind am 13. Oktober 2007 abgelaufen, seither halten sie sich
gestützt auf die aufschiebenden Wirkungen der von ihnen eingereichten
Rechtsmittel in der Schweiz auf. Das erste Bewilligungsverfahren ist mit dem
Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. August 2011 abgeschlossen
worden; das zweite ist hängig, wobei nunmehr aber Art. 17 AuG gilt, wonach
Ausländerinnen und Ausländer, die - wie die Beschwerdeführer - für einen
vorübergehenden Aufenthalt rechtmässig eingereist sind und die nachträglich
eine Bewilligung für einen dauerhaften Aufenthalt beantragen, den Entscheid im
Ausland abzuwarten haben, wenn die Zulassungsvoraussetzungen nicht
offensichtlich erfüllt erscheinen (vgl. Art. 6 VZAE [SR 142.201]). Ob dies der
Fall ist, kann das Bundesgericht nur insoweit prüfen, als ein konventions- oder
verfassungsrechtlicher Bewilligungsanspruch besteht (Art. 83 lit. c Ziff. 2
BGG), hingegen nicht hinsichtlich der von den Bundesbehörden zu beurteilenden
Zulassungsvoraussetzungen ausserhalb eines solchen (Art. 83 lit. c Ziff. 5 und
Art. 113 BGG).

3.3 Der Anspruch wäre im Übrigen im Bewilligungsverfahren und nicht im
Vollzugsverfahren gegen den mit dem ersten negativen Entscheid automatisch
verbundenen Wegweisungsentscheid (vgl. Art. 64 Abs. 1 lit. d AuG) geltend zu
machen. Im Rahmen von Art. 17 Abs. 2 AuG durfte die Vorinstanz ohne
Konventions- oder Verfassungsverletzung davon ausgehen, dass ein solcher hier
nicht als offensichtlich gelten kann: Aus dem Schutz des Rechts auf
Familienleben können die Beschwerdeführer nichts zu ihren Gunsten ableiten, da
niemand von ihnen hier über ein gefestigtes Anwesenheitsrecht verfügt und sie
das Land zusammen zu verlassen haben (vgl. BGE 135 I 153 E. 2.1 S. 155). Aus
Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 BV ergibt sich weder ein Recht auf Einreise oder
Aufenthalt in einem bestimmten Staat noch auf Wahl des für das Familienleben am
geeignetsten erscheinenden Orts (BGE 130 II 281 E. 3.1 S. 285 mit Hinweisen;
bezüglich der Rechtsprechung des EGMR: Nichtzulassungsentscheid i.S. Biraga
gegen Schweden vom 3. April 2012 [1722/10] § 49 ff.; Urteile Antwi gegen
Norwegen vom 14. Februar 2012 [Nr. 26940/10] § 89 ff.; Arvelo Ponte gegen
Niederlande vom 3. November 2011 [Nr. 28770/05] § 54 f.). Aus dem Schutz des
Privatlebens lässt sich ein Recht auf Verbleib im Land bloss unter besonderen
Umständen ableiten; eine mehr oder weniger lange Anwesenheit und die damit
verbundene normale Integration genügen hierzu für sich allein nicht; es bedarf
vielmehr besonders intensiver, über eine normale Integration hinausgehender
privater Bindungen gesellschaftlicher oder beruflicher Natur bzw.
entsprechender vertiefter sozialer Beziehungen zum ausserfamiliären Bereich (
BGE 130 II 281 E. 3.2.1 S. 286; 126 II 377 E. 2c S. 384 ff.; 120 Ib 16 E. 3b S.
22). Von solchen kann bei einem zum Vornherein bloss zeitlich beschränkt
bewilligten Aufenthalt von lediglich zwei Jahren nicht ausgegangen werden, auch
wenn Kinder eingeschult wurden und es diesen, wegen der Dauer der verschiedenen
Rechtsmittelverfahren, inzwischen schwerfallen mag, das Land mit ihren Eltern
zu verlassen (vgl. Art. 6 Abs. 2 VZAE).

3.4 Zwar hat das Bundesgericht festgestellt, dass bei ausländerrechtlichen
Entscheiden im Rahmen von Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 (i.V.m. Art. 36) BV auch den
Kindsinteressen angemessen Rechnung zu tragen ist, es hat es indessen
abgelehnt, daraus einen eigenständigen Bewilligungsanspruch abzuleiten, wie ihn
die Beschwerdeführer im Rahmen der angeblichen Unzumutbarkeit des
Wegweisungsvollzugs für ihre Kinder geltend zu machen versuchen (BGE 137 I 247
E. 4.2.3 und 5.1.3; 126 II 377 E. 5d S. 391 f.; 124 II 361 E. 3b S. 367). Das
Kindeswohl ist ausländerrechtlich bloss ein im Rahmen von Art. 8 EMRK zu
berücksichtigender Faktor unter mehreren und nicht wie beim zivilrechtlichen
Zuteilungsentscheid (vgl. Art. 133 Abs. 2 und 3 ZGB) der allein
ausschlaggebende Aspekt (Urteil 2C_250/2012 vom 28. März 2012 E. 2.2.3). Als
widerstreitendes öffentliches Interesse gilt auch das Durchsetzen einer
restriktiven Einwanderungspolitik; eine solche ist im Hinblick auf ein
ausgewogenes Verhältnis zwischen der schweizerischen und der ausländischen
Wohnbevölkerung, auf die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die
Eingliederung der in der Schweiz bereits ansässigen Ausländer und die
Verbesserung der Arbeitsmarktstruktur sowie auf eine möglichst ausgeglichene
Beschäftigung zulässig (BGE 137 I 247 E. 4.1.2; 135 I 143 E. 2.2 S. 147, 153 E.
2.2.1 S. 156).

4.
4.1 Soweit die Beschwerdeführer hinreichend begründete Konventions- oder
Verfassungsrügen gegen den Wegweisungsentscheid erheben, verletzt der
angefochtene Entscheid somit weder nationales noch internationales Recht. Die
Beschwerde kann im Verfahren nach Art. 109 BGG erledigt werden. Ergänzend wird
auf die Ausführungen im angefochtenen Entscheid verwiesen (Art. 109 Abs. 3
BGG). Mit dem vorliegenden Urteil in der Sache selber wird das Gesuch um
aufschiebende Wirkung gegenstandslos.

4.2 Dem Verfahrensausgang entsprechend haben die unterliegenden
Beschwerdeführer die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art.
66 Abs. 1 BGG). Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (Art. 68 Abs. 3
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden den Beschwerdeführern unter
solidarischer Haftbarkeit auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Luzern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. Oktober 2012

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Zünd

Der Gerichtsschreiber: Hugi Yar