Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Subsidiäre Verfassungsbeschwerde 2D.27/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2D_27/2012

Urteil vom 11. Juli 2012
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Seiler,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Gerichtsschreiber Kocher.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dieter Roth,

gegen

Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau, Rechtsdienst,
Bahnhofplatz 3C, 5001 Aarau.

Gegenstand
Wegweisung; Wiedererwägungsgesuch (Revision),

Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Rekursgerichts im Ausländerrecht des
Kantons Aargau vom 22. März 2012.

Sachverhalt:

A.
X.________, türkischer Staatsangehöriger, geboren 1960, erhielt 1991 im Kanton
Aargau eine Aufenthaltsbewilligung, die am 21. Februar 2001 in eine
Niederlassungsbewilligung umgewandelt wurde. In der Folge zog er seine Ehefrau
und die drei gemeinsamen Kinder in die Schweiz nach. Am 1. März 2005 trennte er
sich von seiner Ehefrau und kehrte per 31. Juli 2005 in die Türkei zurück,
worauf die Niederlassungsbewilligung erlosch. Am 2. Mai 2008 reiste X.________
erneut in die Schweiz ein, nachdem das Migrationsamt des Kantons Aargau ein
Gesuch der Ehefrau um Nachzug ihres Ehemannes bewilligt und diesem eine bis zum
31. Mai 2009 gültige Aufenthaltsbewilligung erteilt hatte. Wegen Wegfalls der
bei der Bewilligungserteilung verlangten finanziellen Sicherheit verfügte das
Migrationsamt des Kantons Aargau am 14. Juli 2009 die Nichtverlängerung der
Aufenthaltsbewilligung und ordnete die Wegweisung X.________s an. Diese
Verfügung erwuchs in Rechtskraft.

B.
Am 24. Juni/26. Juli 2010 reichte X.________ ein Asylgesuch ein. Mit Verfügung
vom 28. Februar 2011 trat das Bundesamt für Migration auf dieses Gesuch nicht
ein, wies X.________ aus der Schweiz weg, setzte ihm Ausreisefrist bis zum 30.
März 2011 und verpflichtete den Kanton Aargau, die Wegweisungsverfügung zu
vollziehen. Auf Beschwerde hin hob das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom
1. April 2011 die Verfügung des Bundesamts für Migration vom 28. Februar 2011
auf. Es erwog, mit der Eingabe vom 24. Juni 2010 habe X.________ kein
Asylgesuch gestellt, sondern einzig um Feststellung der Unzulässigkeit oder
Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs ersucht. Darüber sei aber bereits mit
der Verfügung vom 14. Juli 2009 rechtskräftig entschieden worden, weshalb kein
schutzwürdiges Interesse an der Feststellung der Unzumutbarkeit oder
Unzulässigkeit des Wegweisungsvollzugs bestehe.

C.
Am 6. Mai 2011 ersuchte X.________ das Amt für Migration und Integration des
Kantons Aargau um wiedererwägungsweise Prüfung der Zumutbarkeit und
Zulässigkeit des Wegweisungsvollzugs. Darauf trat das Migrationsamt mit
Schreiben vom 13. Mai 2011 nicht ein. Die dagegen erhobene Einsprache wies es
mit Entscheid vom 11. Juli 2011 ab.
Dagegen erhob X.________ Beschwerde an das Rekursgericht im Ausländerrecht des
Kantons Aargau mit dem Antrag, das Amt für Migration und Integration des
Kantons Aargau sei anzuweisen, ein Verfahren zur Prüfung der Unzulässigkeit
oder Unzumutbarkeit der Wegweisung einzuleiten und dem Bundesamt für Migration
einen Antrag um vorläufige Aufnahme zu stellen. Das Rekursgericht wies die
Beschwerde mit Urteil vom 22. März 2012 ab.

D.
X.________ (hienach: der Beschwerdeführer) erhebt subsidiäre
Verfassungsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Rekursgerichts im
Ausländerrecht des Kantons Aargau sei aufzuheben und das Amt für Migration und
Integration des Kantons Aargau sei anzuweisen, die Verfügung vom 14. Juli 2009
in Revision oder Wiedererwägung zu ziehen. Zugleich ersucht er um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Von der Bundesgerichtskanzlei
aufgefordert, einen Kostenvorschuss zu bezahlen, überwies er diesen, ersuchte
aber um Rückerstattung, sofern die Mittellosigkeit als glaubhaft erachtet
werde. Das Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau sowie das
Rekursgericht im Ausländerrecht des Kantons Aargau beantragen die Abweisung der
Beschwerde. Der Beschwerdeführer verzichtet auf weitere Bemerkungen, obwohl er
in seiner subsidiären Verfassungsbeschwerde darum ersucht hatte, es sei ihm ein
"Replikrecht zu allfälligen Stellungnahmen des Beschwerdegegners" einzuräumen.
Mit Verfügung des Präsidenten der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des
Bundesgerichts vom 14. Mai 2012 wurde der Beschwerde antragsgemäss die
aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit der eingereichten Rechtsmittel von
Amtes wegen (Art. 29 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer erhebt ausdrücklich
subsidiäre Verfassungsbeschwerde, nicht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten, und beantragt Revision, eventualiter Wiedererwägung der
Verfügung des Migrationsamts des Kantons Aargau vom 14. Juli 2009. Mit dieser
Verfügung wurde einerseits die Aufenthaltsbewilligung nicht verlängert,
andererseits die Wegweisung angeordnet, sodass sich das vor Bundesgericht
gestellte Begehren an sich auf beide Teile beziehen könnte. In Bezug auf die
Aufenthaltsbewilligung wäre vor Bundesgericht die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig, soweit der Beschwerdeführer in
vertretbarer Weise geltend macht, er habe aufgrund seiner Ehe einen Anspruch
auf Bewilligung (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG e contrario; vgl. hinten E. 4).
Indessen können vor Bundesgericht keine Anträge gestellt werden, die nicht
bereits vor der Vorinstanz gestellt worden sind (Art. 99 Abs. 2 BGG). Im
vorinstanzlichen Verfahren hat der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer nicht
um Wiedererwägung der Nichterteilung der Aufenthaltsbewilligung ersucht,
sondern ausdrücklich nur um Prüfung der Unzulässigkeit oder Unzumutbarkeit der
Wegweisung und um Beantragung einer vorläufigen Aufnahme. Nur dies kann
Streitgegenstand vor Bundesgericht sein. Diesbezüglich ist die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unzulässig (Art. 83 lit. c Ziff. 3 und 4
BGG) und die subsidiäre Verfassungsbeschwerde zulässig (Art. 113 ff. BGG).

2.
Mit der Verfassungsbeschwerde kann nur die Verletzung verfassungsmässiger
Rechte gerügt werden (Art. 116 BGG). Das Bundesgericht prüft diese Verletzung
nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet
worden ist (Art. 106 Abs. 2 i.V.m. Art. 117 BGG). In der Beschwerde ist klar
und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen,
inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (BGE 134 I 83
E. 3.2 S. 88 mit Hinweisen). Das Bundesgericht legt seinem Entscheid den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 116 BGG beruht (Art. 118 BGG).

3.
3.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 3 EMRK (Verbot der
Folter): Er sei psychisch krank und auf Betreuung angewiesen, die in der Türkei
nicht möglich sei. Im Falle einer Wegweisung drohe ihm Verwahrlosung.

3.2 Die Vorinstanz hat - u.a. mit Hinweis auf eine ausführliche Länderanalyse
des Bundesamtes für Migration - eingehend dargelegt, dass der Beschwerdeführer
aufgrund seiner psychischen Krankheit auf medizinische Behandlung angewiesen
sei, diese aber auch in der Türkei möglich sei. Der Beschwerdeführer bringt
auch nicht ansatzweise vor, dass und inwiefern diese Sachverhaltsfeststellung
offensichtlich unrichtig sein soll. Diese ist somit für das Bundesgericht
verbindlich. Bei dieser Sachlage ist in keiner Weise erkennbar, inwiefern die
Wegweisung des Beschwerdeführers gegen Art. 3 EMRK verstossen sollte.

4.
Der Beschwerdeführer rügt sodann eine Verletzung des Rechts auf Familienleben
(Art. 13 Abs. 1 und Art. 14 BV, Art. 8 Ziff. 1 EMRK und Art. 17 UNO-Pakt II).
Er bringt vor, er habe aufgrund seines Gesundheitszustands und seiner fehlenden
Rechtskenntnisse die Einsprachefrist gegen die Nichtverlängerung der
Aufenthaltsbewilligung verpasst. Weil er verheiratet sei, liege die
Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung nicht mehr im Ermessen des Amtes für
Migration und Integration des Kantons Aargau. Zudem sei er auf die Betreuung
durch seine Ehefrau und Kinder angewiesen. Diese Beschwerdebegründung bezieht
sich auf die Aufenthaltsbewilligung, die indessen gar nicht Gegenstand des
Verfahrens ist (E. 1).

5.
Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet. Der Beschwerdeführer trägt die
Kosten des Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung ist wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde
abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Rekursgericht im
Ausländerrecht des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. Juli 2012
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Zünd

Der Gerichtsschreiber: Kocher