Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.955/2012
Zurück zum Index II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2012
Retour à l'indice II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2012



Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_955/2012

Urteil vom 5. Oktober 2012
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Stadelmann,
Gerichtsschreiber Hugi Yar.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dieter Roth,

gegen

Departement des Innern des Kantons Solothurn, vertreten durch Migration und
Schweizer Ausweise, Ambassadorenhof, 4509 Solothurn.

Gegenstand
Widerruf der Aufenthaltsbewilligung/Wegweisung aus der Schweiz,

Beschwerde gegen das Urteil vom 22. August 2012 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Solothurn.

Erwägungen:

1.
1.1 X.________ (geb. 1982) stammt aus Tunesien (Djerba) und heiratete am 9.
März 2010 eine Schweizer Bürgerin (geb. 1961), worauf ihm im Familiennachzug
eine Aufenthaltsbewilligung erteilt wurde. Im Juni 2010 wurde den Eheleuten das
Getrenntleben gestattet. Das Departement des Innern des Kantons Solothurn
verlängerte am 14. April 2011 die Aufenthaltsbewilligung von X.________, da die
Ehegatten erklärt hatten, wieder zusammenleben zu wollen, hierfür aber noch
etwas Zeit zu brauchen. Im Februar 2012 wurde die Aufenthaltsbewilligung ein
weiteres Mal verlängert, nachdem die Gattin am 25. Juli 2011 mitgeteilt hatte,
dass sie am 1. August 2011 wieder mit X.________ zusammenziehen werde und
dieser seinerseits am 6. Januar 2012 bestätigte, (wieder) mit seiner Frau in
einem gemeinsamen Haushalt zu leben. Am 17. Juli 2012 wurde X.________ wegen
einfacher Körperverletzung (teilweise mit einem gefährlichen Gegenstand) zu
einer bedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten und einer Busse verurteilt; er
war als Urheber eines Überfalls mit einem Messer auf eine Prostituierte
ermittelt worden.

1.2 Am 5. Juni 2012 stellte das Departement des Innern des Kantons Solothurn
fest, dass der Aufenthaltszweck von X.________ entfallen sei; seine bis zum 28.
Februar 2013 gültige Aufenthaltsbewilligung werde widerrufen und er aus der
Schweiz weggewiesen. X.________ lebe trotz gelegentlicher Kontakte seit
spätestens Mitte September 2011 nicht mehr mit seiner Gattin zusammen; er habe
im Februar 2012 diesbezüglich falsche Angaben gemacht. X.________ gelangte
hiergegen erfolglos an das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn. Er
beantragt vor Bundesgericht, dessen Entscheid vom 22. August 2012 aufzuheben
und die kantonalen Behörden anzuweisen, seine Aufenthaltsbewilligung "zu
verlängern".

2.
2.1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, wie die
Vorinstanz ihn festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann diesen bloss
berichtigen oder ergänzen, wenn er offensichtlich unrichtig oder in Verletzung
wesentlicher Verfahrensrechte ermittelt worden ist (Art. 105 Abs. 2 BGG). Die
beschwerdeführende Person muss rechtsgenügend dartun, dass und inwiefern der
festgestellte Sachverhalt bzw. die beanstandete Beweiswürdigung klar und
eindeutig mangelhaft erscheint (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl.
BGE 133 II 249 E. 1.4.3; 133 III 350 E. 1.3). Auf rein appellatorische Kritik
an der Sachverhaltsermittlung und an der Beweiswürdigung geht das Bundesgericht
nicht ein (BGE 136 II 101 E. 3 S. 104 f.). Der Beschwerdeführer muss zudem - in
Auseinandersetzung mit der Begründung im angefochtenen Entscheid - dartun,
inwiefern dieser Recht verletzt (vgl. BGE 134 II 244 E. 2.1 - 2.3).

2.2 Die vorliegende Eingabe genügt diesen Anforderungen nur teilweise: Zwar
macht der Beschwerdeführer geltend, er sei Opfer eines "Mobbings" durch die
Kinder seiner Gattin geworden, er und seine Ehefrau liebten sich immer noch und
wollten wieder zusammenleben, er legt indessen nicht dar, inwiefern die
Vorinstanz diesbezüglich den Sachverhalt offensichtlich falsch festgestellt
bzw. die verschiedenen Umstände der Trennung willkürlich gewürdigt hätte. Seine
Ausführungen erschöpfen sich diesbezüglich in unzulässiger appellatorischer
Kritik am angefochtenen Entscheid.

3.
Gestützt auf den verbindlich festgestellten Sachverhalt erweist sich die
Eingabe, die als öffentlich-rechtliche Beschwerde entgegenzunehmen ist (Art. 82
ff. BGG; BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4; Urteil 2C_562/2011 vom 21. November 2011
E. 1.1), womit auf die gleichzeitig erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde
nicht eingetreten werden kann (vgl. Art. 113 BGG), als offensichtlich
unbegründet und kann ohne Weiterungen im Verfahren nach Art. 109 BGG erledigt
werden:

3.1 Ausländische Ehegatten von Schweizer Bürgern haben unter Vorbehalt von Art.
51 Abs. 1 AuG (SR 142.20) Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der
Aufenthaltsbewilligung, wenn sie mit ihrem Partner zusammenwohnen (Art. 42 Abs.
1 AuG). Der Bewilligungsanspruch besteht trotz Auflösens bzw. definitiven
Scheiterns der Ehegemeinschaft fort, wenn diese mindestens drei Jahre gedauert
und die betroffene ausländische Person sich hier erfolgreich integriert hat
(Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG; BGE 136 II 113 E. 3.3.3). Eine (relevante)
Ehegemeinschaft liegt vor, solange die eheliche Beziehung tatsächlich gelebt
wird und ein gegenseitiger Ehewille besteht. Dabei ist im Wesentlichen auf die
Dauer der nach aussen wahrnehmbaren ehelichen Wohngemeinschaft abzustellen
(Urteil 2C_544/2010 vom 23. Dezember 2010 E. 2.2).

3.2 Der Beschwerdeführer lebte nach Erhalt der Aufenthaltsbewilligung nur
gerade rund sechs Monate mit seiner Schweizer Gattin zusammen. In der Folge
wurde seine Bewilligung zweimal verlängert, weil die Ehegatten geltend gemacht
hatten, wieder zusammenwohnen zu wollen. Zwar kam es zu einem Versuch hierzu,
doch scheiterte dieser. Der Beschwerdeführer übernachtete während etwa fünf
Wochen gelegentlich bei seiner Gattin; ein echtes Zusammenleben bestand jedoch
nach deren Angaben nicht mehr. Die Ehefrau wiederholte mündlich wie
schriftlich, dass sie sich vom Beschwerdeführer scheiden lassen wolle; das
entsprechende Verfahren ist inzwischen denn auch eingeleitet worden. Zwar
können eheliche Probleme einen wichtigen Grund bilden, um nicht mehr
zusammenzuwohnen (vgl. Art. 49 AuG), doch kann dies nur eine kurzfristige
vorübergehende Trennung rechtfertigen, nicht eine solche - wie hier - über
längere Zeit hinweg; dass die Trennung jeweils beruflich bedingt gewesen wäre,
macht der Beschwerdeführer nicht mehr geltend. Die Vorinstanz ist damit zu
Recht davon ausgegangen, dass der Aufenthaltszweck entfallen ist und sich der
Beschwerdeführer rechtsmissbräuchlich darauf beruft, dass die Ehe noch nicht
geschieden wurde (vgl. Art. 62 lit. d und Art. 51 Abs. 1 lit. a AuG).

3.3 Soweit der Beschwerdeführer am 6. Januar 2012 erklärt hatte, er lebe mit
seiner Ehefrau (wieder) in einem gemeinsamen Haushalt, setzte er einen
zusätzlichen Widerrufsgrund: Dem Beschwerdeführer musste gestützt auf die
früheren Anhörungen klar gewesen sein, welche Bedeutung dem Zusammenleben für
die Aufrechterhaltung seiner Bewilligung zukam; dennoch erklärte er am 6.
Januar 2012 vorbehaltlos, mit seiner Gattin in einem gemeinsamen Haushalt zu
wohnen, obwohl er dies nicht mehr tat und der Versuch, wieder
zueinanderzufinden, bereits 2011 gescheitert war (vgl. Art. 62 Abs. lit. a
AuG), sodass allenfalls lediglich noch freundschaftliche Kontakte
fortbestanden.
3.4
3.4.1 Der Widerruf der Aufenthaltsbewilligung war - entgegen der Kritik des
Beschwerdeführers - auch verhältnismässig: Nach Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG
besteht der Bewilligungsanspruch nach einer gescheiterten Ehe fort, falls
wichtige persönliche Gründe einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz
erforderlich machen (vgl. BGE 137 II 345 E. 3.2 S. 348 ff.). Dabei ist
entscheidend, ob die persönliche, berufliche und familiäre Wiedereingliederung
der betroffenen ausländischen Person bei einer Rückkehr in ihre Heimat als
stark gefährdet zu gelten hätte und nicht, ob ein Leben in der Schweiz
einfacher wäre und von ihr vorgezogen würde (vgl. BGE 137 II 345 E. 3.2.3 S.
350 und die Urteile 2C_489/2011 vom 16. Juni 2011 E. 2.2 sowie 2C_216/2009 vom
20. August 2009 E. 3). Ein persönlicher, nachehelicher Härtefall setzt aufgrund
der gesamten Umstände eine erhebliche Intensität der Konsequenzen für das
Privat- und Familienleben voraus, die mit der Lebenssituation nach dem
Dahinfallen der gestützt auf Art. 42 Abs. 1 AuG abgeleiteten
Anwesenheitsberechtigung verbunden sein muss (vgl. BGE 137 II 345 E. 3.2.3 S.
350 und das Urteil 2C_781/2010 vom 16. Februar 2011 E. 2.2). Wurden wie im
vorliegenden Fall keine engen Beziehungen zur Schweiz geknüpft und war der
Aufenthalt im Land nur von kurzer Dauer, besteht praxisgemäss kein Anspruch auf
einen weiteren Verbleib, auch wenn die betroffene ausländische Person hier
nicht straffällig geworden ist, gearbeitet hat und inzwischen allenfalls auch
eine oder - wie der Beschwerdeführer - zwei Landessprachen beherrscht.
3.4.2 Der Beschwerdeführer hat nur rund zweieinhalb Jahre in der Schweiz
gelebt, davon ein halbes Jahr in Ehegemeinschaft und rund weitere sechs Monate
in Haft. Er ist im Alter von 27 Jahren in die Schweiz gekommen und mit den
Verhältnissen in seiner Heimat, wo er in der Tourismusbranche gearbeitet hat,
noch bestens vertraut. Er wurde in Tunesien sozialisiert, verfügt dort über
Angehörige und ein Haus. Er kann - wie die Vorinstanz zu Recht festgestellt hat
- ohne grössere Probleme in seine Heimat zurückkehren; dank seinen Sprach- und
den hier erworbenen technischen Kenntnissen (Schweisser-Diplom) dürfte er sich
beruflich ohne wesentliche Schwierigkeiten wieder integrieren können. Bei einem
missbräuchlichen Aufenthalt liegt im Übrigen regelmässig kein wichtiger
persönlicher Grund vor, der eine weitere Anwesenheit in der Schweiz
erforderlich machen könnte (BGE 137 II 345 E. 3.2 S. 348 ff.; Urteil 2C_932/
2012 vom 1. Oktober 2012 E. 3.2). Für den Scheidungsprozess wird er
nötigenfalls um ein Visum nachsuchen und von seiner Heimat aus anreisen können,
sollte seine Präsenz in der Schweiz erforderlich sein und sollten seine
Interessen nicht durch den Anwalt wahrgenommen werden können.

4.
4.1 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Ergänzend wird auf die Ausführungen im angefochtenen Entscheid verwiesen (Art.
109 Abs. 3 BGG). Mit dem vorliegenden Urteil werden die Gesuche um
aufschiebende Wirkung und die Durchführung eines zweiten Schriftenwechsels
gegenstandslos.

4.2 Da die vorliegende Eingabe als zum Vornherein aussichtslos zu gelten hatte,
ist das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung abzuweisen
(Art. 64 BGG). Der angefochtene Entscheid verletzt weder nationales noch
internationales Recht (Art. 8 EMRK). Der Beschwerdeführer hat die Kosten für
das bundesgerichtliche Verfahren zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es sind keine
Parteientschädigungen geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist.

1.2 Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.

2.
2.1 Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
abgewiesen.

2.2 Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 5. Oktober 2012

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Zünd

Der Gerichtsschreiber: Hugi Yar