Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.749/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_749/2012

Urteil vom 28. August 2012
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Donzallaz, Stadelmann,
Gerichtsschreiber Hugi Yar.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Patrick Sutter,
Beschwerdeführer,

gegen

Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt, Spiegelgasse 6, 4051 Basel.

Gegenstand
Ausschaffungshaft,

Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt
als Verwaltungsgericht, Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht,
vom 29. Juni 2012.

Sachverhalt:

A.
X.________ (geb. 1975) ist vietnamesischer Staatsbürger chinesischer
Abstammung. Er kam 1991 als Kontingentsflüchtling in die Schweiz, wo ihm am 5.
Juli 1991 Asyl gewährt wurde. Zuvor waren seine Familie und er nach Malaysia
geflohen und hatten sich dort längere Zeit in einem Lager aufgehalten. Am 20./
21. Mai 2002 beging X.________ mit Landsleuten in Bern einen Raub, in dessen
Verlauf zwei Personen ums Leben kamen. Das Obergericht des Kantons Bern
verurteilte ihn am 17. November 2006 wegen Raubes (unter Offenbarung besonderer
Gefährlichkeit [Art. 140 Abs. 3 StGB]) sowie (mittäterschaftlich) begangenen
mehrfachen Mordes (Art. 112 StGB) zu 15 Jahren Zuchthaus sowie 12 Jahren
Landesverweisung. Das Bundesgericht bestätigte diesen Entscheid am 17. Mai 2007
(Urteil 6P.19/2007 und 6S.51/2007 vom 17. Mai 2007).
Am 15. August 2007 wies das Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt
X.________ aus der Schweiz aus. Am 6. Februar 2009 widerrief das Bundesamt für
Migration das Asyl, wogegen X.________ erfolglos an das
Bundesverwaltungsgericht gelangte. Dieses hielt in seinem Urteil vom 17.
September 2010 fest, dass die Aberkennung des Asyls nicht automatisch auch die
Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft nach sich ziehe; der Verlust des Asyls
wirke sich für den Betroffenen deshalb nicht unmittelbar und konkret nachteilig
aus, insbesondere könne er sich weiterhin in der Schweiz aufhalten und
arbeiten.

B.
Am 29. Juni 2012 ist X.________ nach Verbüssung von zwei Dritteln seiner
Freiheitsstrafe bedingt aus dem Strafvollzug entlassen worden. Das
Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt nahm ihn am gleichen Tag für drei Monate
in Ausschaffungshaft. Der Einzelrichter für Zwangsmassnahmen am
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt bestätigte diese am 29. Juni 2012.
Er verwarf die Einwände von X.________, dem Vollzug der Ausweisung stünden das
Rückschiebungsverbot und sein Flüchtlingsstatus entgegen. Dabei stellte er auf
einen Amtsbericht des Bundesamts für Migration (BFM) vom 18. Juni 2012 ab, der
zum Schluss gekommen war, dass sich X.________ wegen seiner besonderen
Gefährlichkeit nicht auf das Rückschiebungsverbot berufen könne (Art. 5 Abs. 2
AsylG [SR 142.31]; Art. 33 Abs. 2 Flüchtlingskonvention [FK; SR 0.142.30]; Art.
3 EMRK; vgl. BGE 135 II 110 ff.) bzw. ihm heute in seiner Heimat keine
Verfolgung mehr drohe.

C.
X.________ beantragt mit Eingabe vom 2. August 2012, den Entscheid des
Haftrichters am Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt aufzuheben; er sei
sofort aus der Ausschaffungshaft zu entlassen. Die Ausweisungsverfügung sei
nichtig, da im Ausweisungsentscheid vom 15. August 2007 die
flüchtlingsrechtliche Problematik überhaupt nicht berücksichtigt worden sei. Im
Übrigen fehle es an einem Haftgrund und sei die Ausschaffungshaft
unverhältnismässig, da keinerlei Wiederholungsgefahr bestehe; er habe sich seit
neun Jahren tadellos verhalten und werde sich den Behörden bei seiner Familie
zur Verfügung halten.

Das Justiz- und Sicherheitsdepartement und der Einzelrichter für
Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht am Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt sowie das Bundesamt für Migration beantragen, die Beschwerde
abzuweisen und die angeordnete Ausschaffungshaft zu bestätigen. Das Bundesamt
weist daraufhin, dass es mit Verfügung vom 16. August 2012 inzwischen die
Flüchtlingseigenschaft von X.________ aberkannt habe.
X.________ hat am 23. August 2012 an seinen Anträgen und Ausführungen
festgehalten und verschiedene verfahrensrechtliche Anträge gestellt.

Erwägungen:

1.
Wurde ein erstinstanzlicher Weg- oder Ausweisungsentscheid eröffnet, kann die
zuständige Behörde den betroffenen Ausländer zur Sicherstellung von dessen
Vollzug unter anderem in Ausschaffungshaft nehmen bzw. in dieser belassen, wenn
er andere Personen ernsthaft bedroht oder an Leib und Leben erheblich gefährdet
und deshalb strafrechtlich verfolgt wird oder er wegen eines Verbrechens
verurteilt worden ist (Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 in Verbindung mit Art. 75
Abs. 1 lit. g [hierzu das Urteil 2C_304/2012 vom 1. Mai 2012 E. 2.2.1 mit
Hinweisen] und lit. h [hierzu das Urteil 2C_455/2009 vom 5. August 2009 E. 2.1]
AuG). Der Wegweisungsentscheid muss dabei nicht bereits rechtskräftig sein; es
genügt, dass sein Vollzug (z.B. wegen fehlender Papiere) noch nicht möglich,
jedoch absehbar erscheint. Der Vollzug der Weg- oder Ausweisung darf sich nicht
aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen als undurchführbar erweisen (vgl.
Art. 80 Abs. 6 lit. a AuG) und muss mit dem nötigen Nachdruck verfolgt werden
(Art. 76 Abs. 4 AuG: "Beschleunigungsgebot"). Die ausländerrechtliche
Festhaltung hat zudem als Ganzes verhältnismässig zu sein (vgl. das Urteil des
EGMR Jusic gegen Schweiz vom 2. Dezember 2010 [Nr. 4691/06], §§ 67 ff.,
insbesondere § 73; THOMAS HUGI YAR, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, in:
Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], Ausländerrecht, 2. Aufl. 2009, N.
10.114 ff.).

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, dass seine Ausweisung vom 15. August 2007
nicht durch eine Ausschaffungshaft gesichert werden könne, da sie sich nicht zu
den flüchtlingsrechtlichen Vollzugshindernissen und insbesondere zur Frage des
Rückschiebungsverbots äussere; sie habe als nichtig zu gelten.

2.1 Das Verfahren vor dem Haftrichter dient nicht der Überprüfung des
Wegweisungsentscheids oder von anderen den Ausländer zur Ausreise
verpflichtenden Verfügungen. Der Haftrichter hat sich grundsätzlich nur zu
vergewissern, ob (überhaupt) ein Weg- oder Ausweisungsentscheid vorliegt;
dessen Rechtmässigkeit bildet nicht Gegenstand seines Verfahrens.
Diesbezügliche Einwände sind im Asyl-, Bewilligungs- oder Wegweisungsverfahren
durch die jeweils zuständigen Behörden zu prüfen, nicht (erstinstanzlich) durch
den Haftrichter (vgl. die Urteile 2C_304/2012 vom 1. Mai 2012 E. 2.1 und 2C_455
/2009 vom 5. August 2009 E. 2.3). Die betroffene Person muss sich in diesen
Punkten nötigenfalls mit einem Wiedererwägungsgesuch an das Bundesamt oder die
zuständige kantonale Ausländerbehörde wenden und hernach den entsprechenden
Rechtsweg beschreiten (vgl. BGE 125 II 217 E. 2; TARKAN GÖKSU, in: Caroni/
Gächter/Thurnherr [Hrsg.], Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer
[AuG], 2010, N. 14 zu Art. 80; ANDREAS ZÜND, in: Spescha/Thür/Zünd/Bolzli,
Migrationsrecht, 3. Aufl. 2012, N. 6 f. zu Art. 80 AuG [e contrario]; HUGI YAR,
a.a.O., N. 10.28). Nur wenn der Wegweisungsentscheid offensichtlich unzulässig,
d.h. geradezu willkürlich bzw. nichtig erscheint, darf bzw. muss die
Haftgenehmigung verweigert werden, da der Vollzug einer in diesem Sinn
rechtswidrigen Anordnung nicht mit einer ausländerrechtlichen Zwangsmassnahme
sichergestellt werden kann (BGE 128 II 193 E. 2.2.2 S. 198 mit Hinweisen; 121
II 59 E. 2c; 130 II 56 E. 2 S. 58).

2.2 Wie das Bundesgericht festgestellt hat, sind das asyl- bzw. flüchtlings-
und das ausländerrechtliche Verfahren jeweils zu koordinieren (vgl. BGE 135 II
110 E. 3 S. 116 ff.; Urteil 2C_833/2011 vom 6. Juni 2012 E. 2.2). In der Regel
ist über die Ausweisung und die Frage, ob ihrem Vollzug asyl- bzw.
flüchtlingsrechtliche Gründe entgegenstehen, in einer einzigen Verfügung zu
entscheiden. Eine Aufteilung auf zwei Verfahren - analog der Praxis bei der
früheren strafrechtlichen Landesverweisung (vgl. BGE 116 IV 105 E. 4f S. 114;
118 IV 221 ff.; 121 IV 345 ff.; 123 IV 107 ff.) - ist indessen nicht
bundesrechtswidrig (so die Urteile 2A.313/2005 vom 25. August 2005 E. 3.3 und
2C_87/2007 vom 18. Juni 2007 E. 2.1; siehe auch BGE 124 II 289 E. 4). Dies gilt
insbesondere in Fällen wie dem vorliegenden, in dem zwischen der Ausweisung und
dem tatsächlichen Vollzug ein von der Sache her bedingter (Strafvollzug)
relativ langer Zeitraum liegt, in dem sich die Verhältnisse verändert haben
können (vgl. Urteil 2A.139/1994 vom 1. Juli 1994 E. 4b, bestätigt in den
Urteilen 2A.313/2005 vom 25. August 2008 E. 3.3.2 und 2A.51/2006 vom 8. Mai
2006 E. 2.3). Nach der Praxis bildete die unbedingt ausgesprochene
(altrechtliche) strafrechtliche Landesverweisung (vgl. alt-Art. 55 StGB [AS
1951 1] i.V.m. mit Ziff. 1 Abs. 2 der Schlussbestimmungen der Änderung des StGB
vom 13. Dezember 2002) dementsprechend eine im Sinne von Art. 76 Abs. 1 AuG
sicherbare Entfernungsmassnahme, selbst wenn die Vollstreckungsverfügung noch
ausstand. Dies muss analog für ausländerrechtliche Ausweisungsentscheide
gelten, welche bis zum Inkrafttreten des Ausländergesetzes an die Stelle der
Ende 2006 weggefallenen strafrechtlichen Landesverweisung getreten sind (vgl.
hierzu das Rundschreiben des Bundesamts für Zuwanderung, Integration und
Auswanderung an die Fremdenpolizeibehörden vom 21. Juli 2003 betreffend
"Teilrevision des Schweizerischen Strafgesetzbuches. Abschaffung der
gerichtlichen Landesverweisung"). Diese müssen ebenfalls weder rechtskräftig
noch bereits vollziehbar sein, damit sie mit einer Ausschaffungshaft
sichergestellt werden können, falls die Festhaltung dennoch verhältnismässig
erscheint und - trotz allfälligen weiteren noch erforderlichen Verfahren - mit
dem Wegweisungsvollzug in einem angemessenen Zeitraum gerechnet werden kann (
BGE 128 II 103 E. 1.3 zu Art. 13b ANAG; vgl. auch die Urteile 2A.636/2005 vom
15. November 2005 E. 4 und 2A.13/1999 vom 28. Januar 1999 E. 3).

2.3 Der Beschwerdeführer ist am 15. August 2007 rechtskräftig aus der Schweiz
ausgewiesen worden. Er hat im damaligen Verfahren keine Vollzugshindernisse
geltend gemacht und nicht auf die erst im Haftverfahren vorgebrachte
flüchtlingsrechtliche Problematik hingewiesen. Der Einzelrichter für
Zwangsmassnahmen hat die entsprechenden Einwände seinerseits gestützt auf einen
Amtsbericht des Bundesamts für Migration eingehend und mit freier Kognition
geprüft, obwohl er nach der Rechtsprechung materiell hierzu nur beschränkt
zuständig war (vgl. BGE 125 II 217 E. 2 und das Urteil 2A.47/2007 vom 18. April
2007 E. 2). Er hätte sich damit begnügen können und müssen, festzustellen, dass
ein erstinstanzlicher (rechtskräftiger) Ausweisungsentscheid vorliegt, dessen
Vollstreckbarkeit - unter Vorbehalt der Nichtigkeit - nicht im Haftverfahren
durch ihn zu prüfen sei, sondern durch die hierfür zuständigen Asyl- oder
Ausländer(beschwerde)behörden. Der Amtsbericht seitens des Bundesamts für
Migration legte nahe, dass keine Weg- oder Vollzugshindernisse vorlagen.
Gestützt hierauf musste der Haftrichter die Ausweisungsverfügung hinsichtlich
des zu sichernden Entscheids - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers -
nicht als offensichtlich unzulässig erachten und er durfte die Haftgenehmigung
nicht aus diesem Grund verweigern (vgl. das Urteil 2C_455/2009 vom 5. August
2009 E. 2.3; zum Begriff der Nichtigkeit: BGE 137 I 273 E. 3.1; 133 II 366 E.
3.1 und 3.2; 132 II 342 E. 2.1; 129 I 361 E. 2; je mit Hinweisen auf die
Rechtsprechung).

3.
3.1
3.1.1 Die Ausschaffungshaft soll den Vollzug der Entfernungsmassnahme
sicherstellen und muss ernsthaft geeignet sein, diesen Zweck zu erreichen, was
nicht (mehr) der Fall ist, wenn die Weg- oder Ausweisung trotz der behördlichen
Bemühungen nicht in einem dem konkreten Fall angemessenen Zeitraum vollzogen
werden kann. Die Festhaltung hat, weil unverhältnismässig, dann als unzulässig
zu gelten, wenn triftige Gründe für solche Verzögerungen sprechen oder
praktisch feststeht, dass sich der Vollzug kaum innert vernünftiger Frist wird
realisieren lassen (BGE 130 II 56 E. 4.1.3 S. 61 mit Hinweisen). Eine
Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung durch den Betroffenen vorbehalten,
welche die Verhältnismässigkeit der Aufrechterhaltung der Haft wegen eines
überwiegenden öffentlichen Interesses in einem etwas anderen Licht erscheinen
lassen kann, ist dabei nicht notwendigerweise auf die maximale Haftdauer,
sondern vielmehr auf einen den gesamten Umständen des konkreten Falles
angemessenen Zeitraum abzustellen (BGE 130 II 56 E. 4.1.3 S. 61 mit Hinweisen).
Die Ausschaffungshaft muss verhältnismässig und zweckbezogen auf die Sicherung
des Wegweisungsverfahrens ausgerichtet sein; es muss jeweils aufgrund
sämtlicher Umstände geklärt werden, ob sie (noch) geeignet bzw. erforderlich
erscheint und nicht gegen das Übermassverbot, d.h. das sachgerechte und
zumutbare Verhältnis von Mittel und Zweck, verstösst (zur Ausschaffungshaft:
BGE 133 II 1 E. 5.1 S. 5 und unpublizierte E. 7; BGE 126 II 439 ff.; zur
Durchsetzungshaft: BGE 134 I 92 E. 2.3.2 S. 97; 133 II 97 E. 2.2 S. 100).
3.1.2 Die entsprechenden Anforderungen an die ausländerrechtliche Festhaltung
ergeben sich aus dem Haftzweck, aus Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK und dem
Verhältnismässigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 2 und Art. 36 Abs. 3 i.V.m. Art. 10
Abs. 2 BV), aber auch aus der für die Schweiz im Rahmen des
Schengen-Besitzstands relevanten sog. "Rückführungsrichtlinie" (Richtlinie 2008
/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 16. Dezember 2008 über
gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal
aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. L 348 vom 24. Dezember 2008 S. 98 ff;
vgl. ANDRÉ EQUEY, Änderungen im Bereich der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht
aufgrund der Übernahme der EG-Rückführungsrichtlinie durch die Schweiz, AJP
2011 S. 924 ff., dort S. 934): Diese geht grundsätzlich vom Vorrang der
freiwilligen Ausreise aus (vgl. Art. 7 RL 2008/115/EG). Machen die
Mitgliedstaaten - als "letztes Mittel" - von Zwangsmassnahmen zur Durchführung
der Abschiebung von Widerstand leistenden Drittstaatsangehörigen Gebrauch, so
müssen diese Massnahmen verhältnismässig sein und dürfen nicht über die Grenzen
des Erforderlichen hinausgehen. Sie müssen nach dem einzelstaatlichen Recht im
Einklang mit den Grundrechten und unter gebührender Berücksichtigung der
Menschenwürde und körperlichen Unversehrtheit der betroffenen Personen erfolgen
(Art. 8 Abs. 4 RL 2008/115/EG). Drittstaatsangehörige, gegen die ein
Rückkehrverfahren hängig ist, können nur in Haft genommen werden, wenn im
konkreten Fall keine anderen, milderen Zwangsmassnahmen wirksam erscheinen
(vgl. EQUEY, a.a.O., S. 936); die Haftdauer hat so kurz wie möglich zu sein;
sie darf sich nur auf die Dauer der laufenden Abschiebungsvorkehrungen
erstrecken, soweit diese mit der gebotenen Sorgfalt vorangetrieben werden (vgl.
Art. 15 Abs. 1 RL 2008/115/EG). Erweist sich, dass aus rechtlichen oder
anderweitigen Erwägungen keine hinreichende Aussicht auf Abschiebung mehr
besteht oder dass die Haftbedingungen nicht mehr gegeben sind, so ist die Haft
nicht länger gerechtfertigt und die betroffene Person unverzüglich freizulassen
(Art. 15 Abs. 4 RL 2008/115/EG). Als weniger intensive Massnahmen nennt die
Richtlinie eine regelmässige Meldepflicht bei den Behörden, die Hinterlegung
einer angemessenen Sicherheit, das Einreichen von Papieren und die
Verpflichtung, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten (Art. 7 Abs. 3 RL 2008/
115/EG; EQUEY, a.a.O., S. 936). In verfahrensrechtlicher Hinsicht sieht sie
vor, dass die Rückkehrentscheidung eine sachliche und rechtliche Begründung
sowie Informationen über mögliche Rechtsbehelfe enthalten muss und dem
Betroffenen das Recht zu gewähren ist, gegen den entsprechenden Entscheid einen
wirksamen Rechtsbehelf einlegen zu können (Art. 13 Abs. 1 RL 2008/115/EG).
3.2
Entgegen der Annahme des Haftrichters erscheint der Wegweisungsvollzug im
vorliegenden Fall nicht hinreichend absehbar und hat die Ausschaffungshaft des
Beschwerdeführers bei einer Auslegung von Art. 76 und Art. 80 AuG im Lichte der
Vorgaben der Rückführungsrichtlinie und von Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK als
unverhältnismässig zu gelten:
3.2.1 Der Beschwerdeführer ist am 12. Juni 2012 aus dem Strafvollzug entlassen
worden. Er hat sich wiederholt bereit erklärt, sich den Behörden für den
Vollzug der Ausweisung, falls dieser flüchtlingsrechtlich zulässig sein sollte,
bei seinen Eltern zur Verfügung zu halten. Entgegen der Einschätzung des
Haftrichters bestehen trotz der früheren, schweren Straffälligkeit des
Beschwerdeführers heute keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass er sich den
Behörden für den Vollzug seiner Entfernungsmassnahme nach Beurteilung der Frage
der flüchtlingsrechtlichen Vollziehbarkeit unter dem Gesichtswinkel des
Non-Refoulement-Prinzips durch die zuständigen (Rechtsmittel-)Behörden zu
gegebener Zeit nicht zur Verfügung halten wird: Der Beschwerdeführer wurde
bereits am 13. August 2008 trotz der schweren Delikte, an denen er beteiligt
war, durch die zuständige Kommission als nicht gemeingefährlich eingestuft. Der
Therapieverlaufsbericht des Psychologischen Dienstes der Interkantonalen
Strafanstalt Bostadel hielt am 25. Januar 2010 unter anderem fest, dass die
Deliktsaufarbeitung mit dem Ziel der Risikoverminderung als abgeschlossen
gelten könne. Aus dem Führungsbericht der Strafanstalt vom 14. Januar 2010
ergibt sich, dass sich der Beschwerdeführer während des sechsjährigen
Aufenthalts stets tadellos verhalten und sich "äusserst einsichtig" gezeigt
habe; er habe zum Ausdruck bringen können, dass er sein Fehlverhalten
aufrichtig bedauere. In der Aussenwohngruppe - mit gelockertem Regime und
regelmässigem Freigang - wurde er als "humorvoller, meist gut gelaunter
Gefangener beschrieben, der sowohl den Angestellten wie auch den Mitgefangenen
gegenüber ein korrektes, hilfsbereites und freundliches Auftreten" gezeigt
habe. Sein Arbeitsmeister hebe seine exakte und saubere Arbeitsweise hervor;
seine überdurchschnittliche Selbstdisziplin und Unermüdlichkeit seien manchmal
kaum zu stoppen gewesen. Die Abteilung Straf- und Massnahmenvollzug ging in
ihrer Verfügung vom 10. Mai 2012 dementsprechend davon aus, dass sich der
Beschwerdeführer im Laufe der Therapie vom Delikt des Raubüberfalls
distanziert, sein Verhalten als verwerflich betrachtet und die Verantwortung
für seine Tat übernommen habe. Was das Risiko aktiver Tötungshandlungen
betreffe, habe ein solches "in keinem Moment" bestanden. Es könne bei ihm nach
wie vor weder von chronischer Gewalt- noch Tötungsbereitschaft ausgegangen
werden; auch bestünden keine Anzeichen für die Annahme, dass er anderweitig
weitere Verbrechen oder Vergehen begehen werde. Ob seine Wegweisung wird
vollzogen werden können, sei noch unklar; auf jeden Fall könne davon
ausgegangen werden, dass er in der Schweiz über einen sehr guten familiären
Rückhalt verfüge, welcher ihm in der Zeit nach dem Freiheitsentzug zugutekommen
werde.
3.2.2 Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, weshalb die
Ausschaffungshaft zur Sicherung des Vollzugs der Ausweisung aus dem Jahr 2007
erforderlich wäre und die beabsichtigte Sicherstellung nicht mit milderen
Massnahmen (Ein- oder Ausgrenzung [Art. 74 AuG], Meldepflicht [Art. 64e AuG]
usw.) ebenso wirksam, aber für den Betroffenen weniger einschneidend erreicht
werden könnte. Soweit der Haftrichter auf die bisherige - bezüglich der
Anordnung milderer Massnahmen relativ strenge - Praxis des Bundesgerichts
verweist, verkennt er, dass die entsprechenden Urteile vor der Übernahme der RL
2008/115/EG und dem darin verankerten "Subsidiaritätsprinzip" ergangen sind,
heute bei den Zwangsmassnahmen jedoch jeweils auch den entsprechenden
europäischen Vorgaben Rechnung zu tragen ist (vgl. THOMAS HUGI YAR, Das Urteil
El Dridi, die EU-Rückführungsrichtlinie und der Schengen-Besitzstand, in:
Jusletter 11. Juli 2011, Rz. 15). Im Übrigen darf die Ausschaffungshaft - wie
das Bundesgericht unlängst wieder festgestellt hat - nicht strafprozessualen
oder ausschliesslich polizeilichen Sicherungszwecken dienen, sondern muss im
Rahmen der Zweckgebundenheit der Festhaltung auf eine absehbare Ausschaffung
ausgerichtet sein und hierfür erforderlich erscheinen (Urteil 2C_304/2012 vom
1. Mai 2012 E. 2.3.2; GÖKSÜ, a.a.O., N. 20 zu Art. 75 AuG; ZÜND, a.a.O., N. 10
zu Art. 75 AuG).
3.3
3.3.1 Neben der Erforderlichkeit erscheint auch die Absehbarkeit des Vollzugs
vorliegend unter dem Gesichtswinkel der Verhältnismässigkeit problematisch: Das
Bundesamt für Migration hat dem Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt
am 24. Mai 2012 im Rahmen von dessen Anfrage um Vollzugsunterstützung
mitgeteilt, dass im Ausweisungsentscheid keine Prüfung der
flüchtlingsrechtlichen Fragen und einer allfälligen Verfolgungssituation
erfolgt sei, weshalb die entsprechende Verfügung vom 15. August 2007 an einem
"schwerwiegenden Mangel" leide. Zwar prüfte es - nach Rücksprache mit dem
Kanton - in der Folge die entsprechenden Aspekte im Rahmen seines Amtsberichts
vom 18. Juni 2012, doch erging zu keinem Zeitpunkt vor der Haftanordnung eine
anfechtbare Widerrufsverfügung hinsichtlich des materiellen Status des
Beschwerdeführers als Flüchtling im Sinne der Flüchtlingskonvention. Das
Bundesamt erliess eine solche erst während des vorliegenden Verfahrens am 16.
August 2012. Diese kann nunmehr innert 30 Tagen beim Bundesverwaltungsgericht
angefochten werden; mit dessen Entscheid dürfte realistischerweise indessen
kaum vor Ablauf der maximal möglichen Haftdauer von sechs Monaten (vgl. Art. 79
Abs. 1 AuG) zu rechnen sein. Zwar hat bereits der Haftrichter einlässlich
geprüft, ob Weg- oder Vollzugshindernisse vorliegen, doch war er hierzu - wie
dargelegt (vgl. E. 2.1) - unzuständig.
3.3.2 Eine zusätzliche Haftverlängerung bis zu 18 Monaten setzte voraus, dass
die betroffene Person nicht mit der zuständigen Behörde kooperiert oder sich
die Übermittlung der für die Ausreise erforderlichen Unterlagen durch einen
Nicht-Schengen-Staat verzögert (Art. 79 Abs. 2 AuG). Da dem Betroffenen in
Anwendung der Rückführungsrichtlinie die Möglichkeit eines wirksamen
Rechtsbehelfs gegen die Rückkehrentscheidung einzuräumen ist (vgl. Art. 13 Abs.
1 RL 2008/115/EG), wozu auch deren flüchtlingsrechtliche Vollziehbarkeit unter
dem Aspekt der Flüchtlingskonvention und der Grundrechte gehört, kann darin,
dass er hiervon Gebrauch macht bzw. Gebrauch machen will, keine Verletzung der
Mitwirkungspflichten gesehen werden, welche eine Verlängerung der
ausländerrechtlichen Festhaltung über 6 Monate hinaus rechtfertigen könnte.
Dies gilt hier umso mehr, als die Behörden während des Strafvollzugs
hinreichend Gelegenheit gehabt hätten, die flüchtlingsrechtlichen Aspekte
rechtzeitig zu prüfen und nötigenfalls der richterlichen Beurteilung
zuzuführen, hiermit aber erst im Rahmen des Haftverfahrens begonnen haben und
damit der gebotenen Sorgfalt bzw. den Geboten der Verfahrensbeschleunigung
ungenügend nachgekommen sind. Wie das Bundesgericht bereits festgehalten hat,
gilt das Beschleunigungsgebot auch während des Strafvollzugs und haben die
Behörden die Ausschaffung zeitlich so vorzubereiten, dass möglichst keine
zusätzliche ausländerrechtliche Haft zu deren Sicherung erforderlich wird (HUGI
YAR, a.a.O., N. 10.99 ff.).

4.
4.1 Die vorliegende Beschwerde ist demnach gutzuheissen, die Haftgenehmigung
aufzuheben und der Beschwerdeführer sofort aus der Ausschaffungshaft zu
entlassen. Es steht den kantonalen Behörden frei, ihm Kontrollauflagen zu
machen oder seine Aus- oder Eingrenzung auf ein bestimmtes Gebiet zu prüfen.

4.2 Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind keine Kosten zu erheben (Art.
66 Abs. 4 BGG). Hingegen hat der Kanton Basel-Stadt den Beschwerdeführer für
das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und
2 BGG). Der Einzelrichter für Zwangsmassnahmen am Appellationsgericht des
Kantons Basel-Stadt wird über die kantonale Kosten- und Entschädigungsfrage neu
zu befinden haben (Art. 67 i.V.m. Art. 107 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Einzelrichters für
Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht am Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt vom 29. Juni 2012 wird aufgehoben. Der Beschwerdeführer ist mit
sofortiger Wirkung aus der Haft zu entlassen.

2.
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Der Kanton Basel-Stadt hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers für
das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.

2.3 Der Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht am
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt hat über die kantonale Kosten- und
Entschädigungsfrage neu zu befinden.

3.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Appellationsgericht des
Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht, Einzelrichter für Zwangsmassnahmen
im Ausländerrecht, und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 28. August 2012
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Zünd

Der Gerichtsschreiber: Hugi Yar