Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.747/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_747/2012

Urteil vom 12. März 2013
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Klopfenstein.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Josef Flury,

gegen

Amt für Migration des Kantons Luzern, Fruttstrasse 15, Postfach 3439, 6002
Luzern,
Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern, Bahnhofstrasse 15, 6002
Luzern.

Gegenstand
Ausländerrecht,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern,
Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 26. Juni 2012.

Sachverhalt:

A.
Der aus Tunesien stammende X.________ (geb. 1971) reiste am 11. Mai 1995 im
Rahmen des Familiennachzugs zu seiner hier niedergelassenen Ehefrau Y.________
(geb. 1964) in die Schweiz ein und erhielt eine Aufenthaltsbewilligung, welche
in der Folge regelmässig verlängert wurde, zuletzt bis zum 1. Oktober 2009. Am
1. Januar 2002 verstarb Y.________. Am 31. Oktober 2006 heiratete X.________
die ungarische Staatsangehörige Z.________ (geb. 1981). Nach der Trennung der
Eheleute anfangs 2009 wurde diese Ehe mit Urteil des Bezirksgerichts Luzern vom
30. August 2011 geschieden.

B.
Am 16. Oktober 2009 hatte X.________ um eine weitere Verlängerung seiner
Aufenthaltsbewilligung ersucht. Am 9. November 2009 teilte ihm das Amt für
Migration des Kantons Luzern mit, es sehe sich aufgrund zur Aktenlage zu
weiteren Abklärungen veranlasst. Auf sämtliche Aufforderungen des Amtes zur
Akteneinreichung (verbunden mit Androhungen des Nichteintretens auf das
Verlängerungsgesuch) reagierte X.________ nicht. Ebenso wenig beachtete er die
mehrmaligen Schreiben des Amtes - eines davon wurde ihm am 29. März 2011 gar
polizeilich zugestellt -, welche ihm die Gelegenheit einräumten, sich zum
vorgesehenen Nichteintreten zu äussern. Daraufhin trat das Amt für Migration
mit Verfügung vom 15. April 2011 wegen Verletzung der Mitwirkungspflichten auf
das Verlängerungsgesuch nicht ein.

C.
Nachdem das Amt für Migration es am 12. Mai 2011 abgelehnt hatte, die am 15.
April 2011 ergangene Verfügung in Wiedererwägung zu ziehen, focht X.________ am
19. Mai 2011 diese Verfügung fristgerecht mit Verwaltungsbeschwerde beim
Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern an. Diese Beschwerde
blieb erfolglos, und mit Urteil vom 26. Juni 2012 wies das Verwaltungsgericht
des Kantons Luzern die gegen den Departementsentscheid vom 2. November 2011
gerichtete Beschwerde ebenfalls ab, soweit es darauf eintrat.

D.
Mit Eingabe vom 2. August 2012 führt X.________ beim Bundesgericht Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit den Anträgen, das letztgenannte
Urteil aufzuheben und die Sache an das Amt für Migration zurückzuweisen unter
gleichzeitiger Verpflichtung, auf das Gesuch um Verlängerung der
Aufenthaltsbewilligung vom 16. Oktober 2009 einzutreten und dem
Beschwerdeführer Gelegenheit zur Einreichung der notwendigen Unterlagen zu
geben. Sodann wird um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ersucht.
Das Migrationsamt hat sich nicht vernehmen lassen. Das Verwaltungsgericht
schliesst auf Abweisung der Beschwerde, ebenso das Bundesamt für Migration.
X.________ machte von der Möglichkeit, sich noch einmal zu äussern, keinen
Gebrauch.

E.
Mit Verfügung vom 6. August 2012 hat der Abteilungspräsident der Beschwerde -
antragsgemäss - aufschiebende Wirkung zuerkannnt.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit bzw. die Zulässigkeit des
Rechtsmittels von Amtes wegen (Art. 29 Abs. 1 BGG) und mit freier Kognition (
BGE 138 III 471 E. 1 S. 475; 137 III 417 E. 1 S. 417):

1.1 Anfechtungsobjekt ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid, der
einen Nichteintretensentscheid der Verwaltung geschützt hat. Die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen einen kantonal letztinstanzlichen
Endentscheid (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG) auf dem
Gebiet des Ausländerrechts ist nur zulässig, wenn ein bundes- oder
völkerrechtlicher Anspruch auf die anbegehrte Bewilligung besteht (Art. 83 lit.
c Ziff. 2 BGG).

1.2 Der Beschwerdeführer beruft sich nicht auf einen solchen Rechtsanspruch.
Ein solcher liegt auch nicht auf der Hand: Die Ehe, die beim Inkrafttreten des
Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer
(AuG, SR 142.20) am 1. Januar 2008 bestand und aus der der Beschwerdeführer
gestützt auf Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG einen Anspruch hätte ableiten können
(vgl. zur übergangsrechtlichen Regelung Urteil 2C_869/2010 vom 19. April 2011
E. 2.3), hat weniger als drei Jahre gedauert, so dass die entsprechenden
Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Gründe nach Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG (also
wichtige persönliche Gründe, die einen Aufenthalt in der Schweiz erforderlich
machen), werden in der Beschwerdeschrift nicht geltend gemacht. Die frühere Ehe
mit Y.________ hätte zwar mehr als drei Jahre gedauert, war aber vor dem
Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes bereits aufgelöst, so dass daraus
nicht rückwirkend ein Rechtsanspruch entstehen kann (Urteil 2C_371/2008 vom 9.
Februar 2009 E. 2.2 mit Hinweisen).

1.3 Der Beschwerdeführer macht aber geltend, es gehe hier nicht um eine
materiell-rechtliche Beurteilung, sondern um den Nichteintretensentscheid einer
Verwaltungsbehörde, so dass auch ohne Anspruch auf eine ausländerrechtliche
Bewilligung auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
einzutreten sei.
Im Bereich der Ausnahmen von Art. 83 BGG sind auch sämtliche Zwischen- oder
Prozessentscheide nicht mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten anfechtbar (vgl. Urteil 2C_18/2007 vom 2. Juli 2007 E. 2,
HANSJÖRG SEILER/NICOLAS VON WERDT/ ANDREAS GÜNGERICH, Bundesgerichtsgesetz
[BBG]: Bundesgesetz über das Bundesgericht, Bern 2007, Rz. 13 zu Art. 83;THOMAS
HÄBERLI, in: Basler Kommentar BGG, 2. A. 2011, Rz. 9 zu Art. 83), auch
Nichteintretensentscheide (BGE 137 I 371 E 1.1, Urteile 2C_64/2007 vom 29. März
2007 E. 2.1, 2C_933/2011 vom 7. Juni 2012 E. 1 und 2C_331/2011 vom 25. Januar
2012 E. 1.1). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers gilt das nicht nur,
wenn die unmittelbare Vorinstanz auf das bei ihr erhobene Rechtsmittel nicht
eingetreten ist, sondern auch wenn bereits eine Verwaltungsbehörde auf ein
Gesuch nicht eingetreten ist und die Vorinstanz diesen Entscheid geschützt hat
(vgl. Urteil 2C_197/2009 vom 28. Mai 2009 E. 6).

1.4 Die vorliegend erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses den
Nichteintretensentscheid des Amtes für Migration geschützt hat, ist nach dem
Gesagten unzulässig.

2.
Es ist indes zu prüfen, ob die Eingabe als subsidiäre Verfassungsbeschwerde
nach Art. 113 ff. BGG entgegenzunehmen ist.

2.1 Gemäss Art. 119 BGG kann dieses Rechtsmittel in der gleichen Rechtsschrift
eingereicht werden wie die ordentliche Beschwerde, und es ist vom Bundesgericht
im gleichen Verfahren zu behandeln. Die falsche Bezeichnung des Rechtsmittels
schadet dem Beschwerdeführer nicht, sofern bezüglich des jeweils statthaften
Rechtsmittels sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind (vgl. BGE 131 I
291 E. 1.3 S. 296).

2.2 Zur Verfassungsbeschwerde ist legitimiert, wer (a) vor der Vorinstanz am
Verfahren teilgenommen oder zu Unrecht keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten
hat und (b) ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung
des angefochtenen Entscheids dartun kann (Art. 115 BGG). Das erforderliche
rechtlich geschützte Interesse ergibt sich dabei nicht bereits aus dem
verfassungsrechtlichen Willkürverbot oder dem Verhältnismässigkeitsprinzip
(vgl. BGE 134 I 153 E. 4). Zur Willkürrüge ist eine Partei nur legitimiert,
wenn sie sich auf eine gesetzliche Norm berufen kann, die ihr im Bereich der
betroffenen und angeblich verletzten Interessen einen Rechtsanspruch einräumt
oder zumindest den Schutz ihrer Interessen bezweckt (vgl. BGE 133 I 185 E. 6.1
S. 198). Trotz fehlender Legitimation in der Sache kann der Betroffene die
Verletzung von Parteirechten rügen, deren Missachtung einer formellen
Rechtsverweigerung gleichkommt (sog. "Star"-Praxis). Unzulässig sind
Vorbringen, die im Ergebnis wiederum auf eine materielle Überprüfung des
angefochtenen Entscheids abzielen, wie die Behauptung, die Begründung sei
unvollständig oder zu wenig differenziert bzw. die Vorinstanz habe sich nicht
oder in willkürlicher Weise mit den Argumenten der Partei auseinandergesetzt
und Beweisanträge in offensichtlich unhaltbarer antizipierter Beweiswürdigung
abgelehnt (vgl. BGE 114 Ia 307 E. 3c S. 313 [zum OG]; 133 I 185 E. 6.2 S. 199;
137 II 305 E. 2 S. 308).

2.3 Mit der subsidiären Verfassungsbeschwerde kann nur die Verletzung
verfassungsmässiger Rechte gerügt werden (Art. 116 BGG). Das Bundesgericht
prüft solche Verletzungen nur insofern, als eine entsprechende Rüge in der
Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 i.V.m. Art.
117 BGG). Es ist klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen
Entscheids darzulegen, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein
sollen. Das Bundesgericht untersucht nicht von sich aus, ob der angefochtene
kantonale Entscheid verfassungskonform ist, sondern prüft nur rechtsgenügend
vorgebrachte, klar erhobene und belegte Rügen; auf rein appellatorische Kritik
am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (BGE 134 I 83 E. 3.2 S. 88; 133
II 249 E. 1.4.2 S. 254; 133 II 396 E. 3.2 S. 400).

2.4 Soweit die vorliegende Beschwerdeschrift überhaupt taugliche Willkürrügen
enthält, sind diese unbegründet. Insbesondere ist es entgegen der Auffassung
des Beschwerdeführers nicht willkürlich, wenn eine Verletzung der
Mitwirkungspflicht durch Nichteintreten auf ein Gesuch sanktioniert wird;
vielmehr entspricht dies auch der ständigen Bundesgerichtspraxis (vgl.
ebenfalls zu § 55 des luzernischen Gesetzes vom 3. Juli 1972 über die
Verwaltungsrechtspflege im Zusammenhang mit ausländerrechtlichen
Bewilligungsgesuchen die Urteile 2C_693/2007 vom 7. Dezember 2007, 2P.3/2007
vom 10. Januar 2007, 2A.629/2003 vom 28. Oktober 2003, 2A.292/2001 vom 20.
September 2001; ferner das Urteil 2D_23/2010 vom 26. August 2010, wo das
Bundesgericht zwar das Nichteintreten der Luzerner Behörden auf ein
ausländerrechtliches Bewilligungsgesuch als unzulässig erachtet hatte, dies
aber nur, weil im konkreten Fall die verlangten Unterlagen verfügbar gewesen
wären).
Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, ihm sei in verfassungswidriger Weise
im kantonalen Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
verweigert worden, ist er im Rahmen der "Star"-Praxis zwar zu dieser Rüge
legitimiert, doch erweist sie sich als ungenügend begründet: Die Vorinstanz hat
sich eingehend mit der Frage der Gewährung des prozessualen Armenrechts an den
Beschwerdeführer befasst (S. 10 des angefochtenen Entscheides) und dargelegt,
weswegen es den erhobenen Rechtsmitteln an hinreichender Erfolgsaussicht
mangelte. Der Beschwerdeführer setzt sich mit diesen vom Verwaltungsgericht
genannten Gründen nicht auseinander, sondern macht geltend, das angefochtene
Urteil beschränke sich darauf, seine - des Beschwerdeführers - "Fehler"
aufzuzählen. Darin liegt keine taugliche Verfassungsrüge im Sinne von Art. 116
bzw. 117 BGG, ebensowenig in der Anrufung des - allgemeinen -
Verhältnismässigkeitsprinzips, welches nicht als verfassungsmässiges Recht gilt
(BGE 135 V 172 E. 7.3.2 S. 182).

3.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, soweit darauf
einzutreten ist.
Der unterliegende Beschwerdeführer wird bei diesem Verfahrensausgang
kostenpflichtig (Art. 65 und Art. 66 BGG). Seinem Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung (Art. 64 BGG) kann nicht entsprochen werden, da
er - trotz bundesgerichtlicher Aufforderung - seine Bedürftigkeit nicht
nachgewiesen hat.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Amt für Migration, dem Justiz- und
Sicherheitsdepartement und dem Verwaltungsgericht (Verwaltungsrechtliche
Abteilung) des Kantons Luzern sowie dem Bundesamt für Migration schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 12. März 2013
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Zünd

Der Gerichtsschreiber: Klopfenstein