Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.678/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_678/2012

Urteil vom 17. Mai 2013
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Donzallaz,
Gerichtsschreiber Kocher.

Verfahrensbeteiligte
Eidgenössische Steuerverwaltung,
Beschwerdeführerin,

gegen

X.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch PricewaterhouseCoopers AG.

Gegenstand
Mehrwertsteuer (1. Quartal 1995 bis 4. Quartal 2004). Baugewerblicher
Eigenverbrauch; Praxisänderung, Vorbehalt.

Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I, vom 30.
Mai 2012.

Sachverhalt:

A.
Aufgrund von Arbeiten an eigenen Bauwerken im Zeitraum vom ersten Quartal 1995
bis zum vierten Quartal 1996, die noch nicht der Mehrwertsteuer unterstellt
worden waren, erliess die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) am 15.
Dezember 1998 gegenüber der X.________ die Ergänzungsabrechnung Nr. 7'370'645
über Fr. ... Gegen den Entscheid der ESTV vom selben Tag erhob die
Steuerpflichtige am 29. Januar 1999 Einsprache, worauf die ESTV eine
Betriebskontrolle vornahm. Am 22. Oktober 2001 erliess sie die
Ergänzungsabrechnungen Nr. 260'518 über Fr. ... (Fr. ... abzüglich des gemäss
der Ergänzungsabrechnung Nr. 7'370'645 geschuldeten Betrags) für den Zeitraum
vom ersten Quartal 1995 bis und mit dem vierten Quartal 2000 und Nr. 260'522
über Fr. ... für die beiden ersten Quartale 2001.

B.
Im Anschluss an eine Besprechung und Korrespondenzen anerkannte die
Steuerpflichtige mit Schreiben vom 21. Dezember 2001 die von der ESTV gewählte
Berechnungsmethode und die Schätzung des baugewerblichen Eigenverbrauchs. Sie
erklärte, sie müsse "einzig zum Einbezug der Bauzinsen in die
Bemessungsgrundlage einen Vorbehalt anbringen". Die Frage, ob auch
Eigenkapitalzinsen in die Bemessungsgrundlage des baugewerblichen
Eigenverbrauchs flössen, sei zu sistieren, bis in einem Parallelverfahren ein
Entscheid vorliege. Noch im Dezember 2001 beglich die Steuerpflichtige die
Ergänzungsabrechnungen Nr. 260'518 und 260'522.
Zuletzt am 18. Juni 2002 kam es zu weiteren Gesprächen. Die ESTV erstellte tags
darauf eine "Kurznotiz für interne Zwecke", worin sie zum baugewerblichen
Eigenverbrauch die Bemerkung "akzeptiert, Rechtsverfahren einstellen"
anbrachte. Die Steuerpflichtige ersuchte am 12. Juli 2002 in Bezug auf drei
Aspekte um Erlass einer Verfügung, nicht jedoch hinsichtlich der Arbeiten an
eigenen Bauten. Mit Beschluss vom 27. Februar 2003, ohne Rechtsmittelbelehrung
versehen, schrieb die ESTV die Einsprache vom 29. Januar 1999 als erledigt ab.

C.
Nach der Praxisänderung der ESTV vom 1. Januar 2005, wonach die Bauzinsen nicht
mehr in die Anlagekosten einzurechnen waren, ersuchte die Steuerpflichtige am
13. April 2005 und 23. August 2005 um Rückvergütung der zu viel entrichteten
(Eigenverbrauchs-)Steuern der Jahre 1995 bis 2004. Die ESTV nahm das
Rückerstattungsgesuch als Revisionsgesuch gegen den Abschreibungsbeschluss vom
27. Februar 2003 entgegen und erliess am 29. November 2005 einen
Nichteintretensentscheid. Sie führte aus, die Steuerpflichtige habe am 12. Juli
2002 "implizit" auf die Weiterführung des Einspracheverfahrens verzichtet,
weswegen der Entscheid vom 15. Dezember 1998 in Rechtskraft erwachsen und das
Verfahren abzuschreiben gewesen sei. Revisionsgründe würden weder geltend
gemacht noch lägen sie vor.
Dagegen erhob die Steuerpflichtige am 13. Januar 2006 Einsprache, die von der
ESTV antragsgemäss als Sprungbeschwerde an die Eidgenössische
Steuerrekurskommission weitergeleitet wurde. Das Bundesverwaltungsgericht,
nunmehr zuständig, hiess die Beschwerde mit Urteil A-1625/2006 vom 15. Dezember
2008 im Sinne der Erwägungen teilweise gut, soweit darauf einzutreten war, und
wies die Sache unangefochten zur Fällung eines "Erstentscheids" an die ESTV
zurück. Das Bundesverwaltungsgericht erwog, der Rückzug einer Einsprache habe
klar, ausdrücklich und unbedingt zu erfolgen. Ein bloss "impliziter" Rückzug,
wie ihn die ESTV dem Schreiben vom 12. Juli 2002 glaube entnehmen zu können,
lasse keine Abschreibung eines Einspracheverfahrens zu. Ebenso wenig sei das
Schreiben vom 21. Dezember 2001 als Rückzug der Einsprache zu betrachten, habe
die Steuerpflichtige darin doch einen klaren Vorbehalt bezüglich des Einbezugs
der Bauzinsen angebracht (Entscheid, E. 7.1).
Der rechtsgrundlose Abschreibungsbeschluss sei freilich nicht nichtig, sondern
bloss anfechtbar. Mit ungenutztem Ablauf der 30-tägigen Rechtsmittelfrist des
Abschreibungsbeschlusses sei der Entscheid vom 15. Dezember 1998 (Fr. ...) in
Rechtskraft erwachsen (E. 7.2). Was diesen Entscheid betreffe, habe die ESTV
die Eingabe vom 13. April 2005 richtigerweise als Revisionsgesuch
entgegengenommen und mit einem Nichteintretensentscheid erledigt. Für die
darüber hinausgehende Forderung für die Jahre 1995 und 1996 sowie für die Jahre
1997 bis 2004 stehe ein Leistungsentscheid freilich noch aus, weshalb die ESTV
zunächst einen "Erstentscheid" zu fällen haben werde (E. 7.3).

D.
In der Folge verfügte die ESTV am 25. Juni 2009 die Abweisung des
(Rückerstattungs-)Gesuchs der Steuerpflichtigen vom 13. April 2005 bzw. 23.
August 2005, soweit dazu nicht bereits ein rechtskräftiger Entscheid vorliege.
Sie führte im Wesentlichen aus, die Steuerpflichtige habe die
Ergänzungsabrechnungen Nr. 260'518 und 260'522, alsdann die
Quartalsabrechnungen jeweils ohne Vorbehalt beglichen. In ihrer dagegen
gerichteten Einsprache vom 25. August 2009 entgegnete die Steuerpflichtige, sie
habe den Vorbehalt nie zurückgezogen, weswegen die Praxisänderung rückwirkende
Anwendung finde und ihr die zu viel bezahlte Mehrwertsteuer der Jahre 1995 bis
und mit 2004, nunmehr Fr. ..., nebst Vergütungszins zu erstatten sei. Am 4.
April 2011 ergänzte sie, den Vorbehalt habe sie anlässlich einer allgemeinen
Diskussion angebracht und nicht im Hinblick auf eine bestimmte
Quartalsabrechnung ausgesprochen.
Mit Einspracheentscheid vom 13. April 2011 wies die ESTV die Einsprache ab. Zur
Hauptsache führte sie aus, die Steuerpflichtige habe im Jahr 2002 den Vorbehalt
an Gesprächen mit der ESTV zurückgenommen und alsdann die Quartalsabrechnungen
der Jahre 2002 bis 2004 vorbehaltlos eingereicht und bezahlt. Der Entscheid der
Eidgenössischen Steuerrekurskommission, den die Steuerpflichtige habe abwarten
wollen, sei am 12. August 2002 ergangen [CRC 2001-051, in: VPB 67.18]. Darin
habe die Steuerrekurskommission erkannt, es sei nicht gesetzeswidrig, die
Finanzierungskosten in die Berechnungsgrundlage des baugewerblichen
Eigenverbrauchs einzubeziehen.

E.
Am 27. Mai 2011 erhob die Steuerpflichtige beim Bundesverwaltungsgericht
Beschwerde, welche dieses mit Urteil A-3075/2011 vom 30. Mai 2012 im Sinne der
Erwägungen guthiess, den Einspracheentscheid vom 13. April 2011 aufhob und die
Sache zur Fällung eines neuen Einspracheentscheids im Sinne der Erwägungen an
die Vorinstanz zurückwies. Das Bundesverwaltungsgericht erwog, die
Steuerpflichtige habe mit Schreiben vom 21. Dezember 2001 einen Vorbehalt
angebracht und die Eigenverbrauchssteuer nur unter diesem Vorbehalt entrichtet
(Entscheid, E. 5.2). Vorbehalt und Rückzug des Vorbehalts könnten einzig in
Schriftform erklärt werden. Ein expliziter schriftlicher Rückzug sei nie
erfolgt (E. 5.3). Nach Treu und Glauben habe für die ESTV klar sein müssen,
dass sich der Vorbehalt auf den gesamten Zeitraum (1995 bis und mit 2004)
beziehe (E. 5.4). Der beanspruchte Betrag von Fr. ... lasse sich allerdings
nicht nachvollziehen. Infolge dessen sei die Sache zur Ermittlung des
Rückforderungsanspruchs an die ESTV zurückzuweisen (E. 5.5).

F.
Die ESTV erhebt mit Eingabe vom 9. Juli 2012 beim Bundesgericht Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt, es seien der Entscheid
des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Mai 2012 aufzuheben und der
Einspracheentscheid vom 13. April 2011 zu bestätigen. Eventualiter sei
festzustellen, dass der Anspruch der Steuerpflichtigen auf Rückvergütung der
Mehrwertsteuer nur für die Jahre bis 2001 bestehe und dass sich der Vorbehalt
ausschliesslich auf die Einrechnung der Eigenkapitalzinsen in die
Bemessungsgrundlage beziehe.
Während das Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, auf eine Vernehmlassung
verzichtet, nimmt die Steuerpflichtige ausführlich Stellung. Sie beantragt die
Abweisung der Beschwerde und die Rückvergütung des Betrags von Fr. ..., nebst
Zins seit dem 21. Dezember 2001, eventualiter von Fr. ..., nebst Zins seit dem
21. Dezember 2001. Dies veranlasst die ESTV und hierauf die Steuerpflichtige
zur Einreichung abschliessender Bemerkungen.

Erwägungen:

1.
1.1 Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die weiteren
Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 29 Abs. 1 BGG) und mit freier
Kognition (Art. 95 lit. a BGG; BGE 139 V 42 E. 1 S. 44; 138 I 367 E. 1 S. 369;
138 III 471 E. 1 S. 475; 138 IV 258 E. 1.4 S. 262).

1.2 Beim angefochtenen Urteil handelt es sich um einen Entscheid des
Bundesverwaltungsgerichts in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts, der
beim Bundesgericht unter Vorbehalt des Nachfolgenden mit Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten angefochten werden kann (Art. 82 ff.
BGG).

1.3 In verfahrensrechtlicher Hinsicht massgebend ist hier gemäss seinem Art.
113 Abs. 2 das Bundesgesetz vom 12. Juni 2009 über die Mehrwertsteuer (MWSTG
2010; SR 641.20). Zur Frage der Legitimation der ESTV zur Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten spricht sich das Gesetz nicht aus.
Immerhin verweist Art. 141 der Mehrwertsteuerverordnung vom 27. November 2009
(MWSTV 2010; SR 641.201) auf die (allgemeine) Behördenbeschwerde nach Art. 89
Abs. 2 lit. a BGG (vgl. dazu BGE 136 II 359 E. 1.2 S. 362 ff.). Diese setzt
keine ausdrückliche formell-gesetzliche Grundlage voraus (Art. 89 Abs. 2 lit. d
BGG e contrario). Die ESTV ist damit zur vorliegenden Beschwerde berechtigt.

1.4 Anfechtbar beim Bundesgericht sind Entscheide, die das Verfahren ganz
(Endentscheide; Art. 90 BGG) oder in Bezug auf unabhängig voneinander zu
beurteilende Begehren (objektive Klagehäufung) bzw. auf einen Teil der
Streitgenossinnen und Streitgenossenen (subjektive Klagehäufung) abschliessen
(Teilendentscheide; Art. 91 BGG). Selbstständig eröffnete Vor- oder
Zwischenentscheide regeln eine formell- oder materiellrechtliche Frage im
Hinblick auf die Verfahrenserledigung und stellen lediglich einen Schritt auf
dem Weg zum Endentscheid dar (BGE 139 V 42 E. 2 S. 44; 136 V 131 E. 1.1 S.
133). Sie können vor Bundesgericht nur unter den einschränkenden
Voraussetzungen von Art. 92 oder 93 BGG angefochten werden.
Mit einem Rückweisungsentscheid oder einem Rechtsmittelentscheid gegenüber
einem Rückweisungsentscheid geht keine Beendigung des Verfahrens einher. Ein
solcher Entscheid fällt grundsätzlich unter die Zwischenentscheide (Art. 93
BGG; BGE 134 II 124 E. 1.3 S. 127; Urteil 2C_645/2011 vom 12. März 2012 E.
1.3.1, in: StE 2012 B 72.19 Nr. 15), und zwar selbst dann, wenn die
rückweisende Behörde in ihrem Entscheid zuhanden der unteren Instanz
materiellrechtliche Teilaspekte des Streitverhältnisses klärt (BGE 135 II 30 E.
1.3.1 S. 34; 134 II 137 E. 1.3.2 S. 140; 133 V 477 E. 4.1.3 S. 481). Anders
verhält es sich nur, sofern der unteren Instanz kein eigener
Entscheidungsspielraum verbleibt und die Rückweisung nur noch der
(rechnerischen) Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten dient. In solchen
Fällen liegt ein (Quasi-)Endentscheid vor und unterliegt das angefochtene
Urteil nunmehr Art. 90 BGG (BGE 135 V 141 E. 1.1 S. 143; 134 II 124 E. 1.3 S.
127; Urteile 2C_572/2012, 2C_573/2012 vom 27. März 2013 E. 2.4; 2C_383/2012 vom
6. September 2012 E. 1.3, in: StE 2013 B 23.43.2 Nr. 17, StR 67/2012 S. 836).
Im vorliegenden Fall reicht die Anweisung an die Unterinstanz über eine blosse
rechnerische Umsetzung hinaus, indem die Unterinstanz verpflichtet wird, den
Rückforderungsanspruch zu ermitteln (angefochtener Entscheid, E. 5.5). Damit
entfällt ein (Quasi-)Endentscheid und bleibt es bei einem reinen
Zwischenentscheid.
Gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ist die Beschwerde gegen andere - als die in
Art. 92 BGG genannten -, selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide
zulässig, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können (
BGE 137 III 380 E. 1.2.1 S. 382; 136 IV 92 E. 4 S. 95). Ein
Rückweisungsentscheid, der mit materiellen Vorgaben an die Unterinstanz zum
weiteren Vorgehen verbunden ist, kommt einem nicht wieder gutzumachenden
Nachteil rechtlicher Natur gleich. Ausschlaggebend hiefür ist, dass die
Verwaltungsbehörde, die gemäss Rückweisungsentscheid einen ihr nicht genehmen
Entscheid zu erlassen hat, zu dessen späterer Anfechtung nicht befugt wäre,
sodass im Ergebnis der allenfalls rechtswidrige Entscheid keiner
bundesgerichtlichen Überprüfung unterzogen werden könnte (so u. a. BGE 134 II
124 E. 1.3 S. 128; 133 II 409 E. 1.2 S. 412; 133 V 477 E. 5.2 S. 483 ff.;
Urteile 2C_705/2011 vom 26. April 2012 E. 1.3, in: StE 2012 B 44.12.3 Nr. 6;
2C_645/2011 vom 12. März 2012 E. 1.3.2, in: StE 2012 B 72.19 Nr. 15). Die
frühere Praxis gemäss Urteil 2A.264/2006 vom 3. September 2008 E. 2.2, publ.
in: RDAF 2009 II 186, auf die sich die ESTV bezieht, gilt unter Herrschaft des
Bundesgerichtsgesetzes nicht mehr.

1.5 Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 und 96 BGG
geltend gemacht werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an
(Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde
vorgebrachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann
die Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen, und es
kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz
abweichenden Begründung abweisen (Motivsubstitution; BGE 138 III 537 E. 2.2 S.
540; 137 III 385 E. 3 S. 386; 133 III 545 E. 2.2. S. 550).
Trotz der Rechtsanwendung von Amtes wegen prüft das Bundesgericht, unter
Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42
BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen
Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389; 134
III 102 E. 1.1 S. 104; 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Die Verletzung von
Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht untersucht es in
jedem Fall nur, soweit eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und
begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Die bundesgerichtliche Praxis
verlangt, dass die geltend gemachte Verfassungsverletzung klar und detailliert
anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids dargelegt wird. Auf rein
appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht
ein (BGE 136 II 489 E. 2.8 S. 494 mit Hinweisen; Urteile 2C_984/2012 vom 21.
März 2013 E. 1.4; 2C_545/2012 vom 22. Februar 2013 E. 2.2; 2C_605/2012 vom 20.
Februar 2013 E. 2.3).
Fragen des Bundesrechts klärt das Bundesgericht mit freier Kognition (Art. 95
lit. a BGG; Urteile 2C_1003/2011 vom 18. Februar 2013 E. 1.3; 2C_708/2012 vom
21. Dezember 2012 E. 1.4; 2C_92/2012 vom 17. August 2012 E. 1.4, in: StR 67/
2012 S. 828).

1.6 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Deren tatsächlichen
Feststellungen können nur berichtigt werden, sofern sie entweder offensichtlich
unrichtig, d. h. willkürlich ermittelt worden sind (Art. 9 BV; BGE 137 II 353
E. 5.1 S. 356; zum Willkürbegriff: BGE 138 I 49 E. 7.1 S. 51; 138 V 74 E. 7 S.
82; 137 I 1 E. 2.4 S. 5) oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95
BGG beruhen (Art. 105 Abs. 2 BGG). Zudem hat die beschwerdeführende Partei
aufzuzeigen, dass die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 137 III 226 E. 4.2 S. 234).

1.7 Streitig und zu prüfen ist eine Mehrwertsteuerforderung der Jahre 1995 bis
2004. Am 1. Januar 2010 ist das Bundesgesetz vom 12. Juni 2009 über die
Mehrwertsteuer (MWSTG 2010; SR 641.20) in Kraft getreten. Aufgrund von Art. 112
Abs. 1 MWSTG 2010 bleiben in Bezug auf das materielle Recht die bisherigen
Bestimmungen anwendbar (Urteile 2C_1003/2011 vom 18. Februar 2013 E. 1.5;
2C_835/2011 vom 4. Juni 2012 E. 1.5). Massgebend ist demnach das frühere Recht,
d. h. das Bundesgesetz vom 2. September 1999 über die Mehrwertsteuer (MWSTG
2001; AS 2000 1300), das am 1. Januar 2001 in Kraft getreten war. Für den
Zeitraum davor, die Jahre 1995 bis und mit 2000, ist die seinerzeitige
Verordnung vom 22. Juni 1994 über die Mehrwertsteuer (MWSTV 1995; AS 1994 1464)
heranzuziehen, auf welche Art. 93 Abs. 1 MWSTG 2001 verweist (Urteil 2C_399/
2011 vom 13. April 2012 E. 1.4.1, nicht publ. in: BGE 138 II 251).

2.
2.1 Die Mehrwertsteuer in der bis Ende 2009 herrschenden Ausprägung folgt dem
Konzept der reinen Selbstveranlagungssteuer (Art. 38 Abs. 1 MWSTV 1995, Art. 46
MWSTG 2001), während das seitherige System aufgrund der ausgeglicheneren
Aufgabenverteilung zwischen steuerpflichtigen Personen und ESTV einer
modifizierten Selbstveranlagung entspricht (IVO P. BAUMGARTNER/DIEGO
CLAVADETSCHER/MARTIN KOCHER, Vom alten zum neuen Mehrwertsteuerrecht, 2010, §
10 N. 8). Das bisherige Recht stellt beträchtliche Anforderungen an die
steuerpflichtigen Personen. Ihnen obliegt die volle und alleinige Verantwortung
für die richtige und vollständige umsatzsteuerrechtliche Behandlung der
Geschäftsvorfälle. Die Aufgabe der ESTV beschränkt sich altrechtlich auf den
Bezug und die Kontrolle der Steuer unter dem Gesichtspunkt der Richtigkeit und
Vollständigkeit (Urteile 2C_232/2012 vom 23. Juli 2012 E. 4.1; 2C_835/2011 vom
4. Juni 2012 E. 2.1; 2C_650/2011 vom 16. Februar 2012 E. 2.5.2).

2.2 Das Legalitätsprinzip beherrscht das Abgaberecht in einem umfassenden Sinn
(BGE 138 V 32 E. 3.1.1 S. 35; 136 II 337 E. 5.1 S. 348 f.; 132 I 157 E. 2.2 S.
159; 131 II 562 E. 3.1 S. 565; Urteile 2C_337/2012 vom 19. Dezember 2012 E.
2.6; 2C_196/2012 vom 10. Dezember 2012 E. 3.2.4). Zu den Abgaben des Bundes
hält Art. 164 Abs. 1 lit. d BV fest, dass die grundlegenden Bestimmungen über
den Kreis der Abgabepflichtigen sowie den Gegenstand und die Bemessung von
Abgaben in einem formellen Gesetz zu erlassen sind (Urteil 1C_78/2012 vom 10.
Oktober 2012 E. 6; BGE 127 I 60 E. 2d S. 64 ff.). Entsprechend der Erhebung
unterliegt auch die Nichterhebung der (gesetzlich geschuldeten) Steuer dem
Vorbehalt des Gesetzes (Urteile 2C_596/2012 E. 5.3 und 2C_702/2012 E. 3.3, je
vom 19. März 2013; zum Einzelfallverzicht MICHAEL BEUSCH, Der Untergang der
Steuerforderung, 2012, S. 259; PETER STÄHLI, Das Steuergrundpfandrecht, 2006,
N. 4.630 S. 278).

2.3 Soweit es um die Rückvergütung einer (gesetzlich nicht geschuldeten) Steuer
geht, findet sich in den Steuergesetzen regelmässig keine positivrechtliche
Norm. Dessen ungeachtet muss eine Rückerstattung der zu Unrecht erbrachten
Steuerzahlung zulässig sein. Ausgangspunkt bildet der allgemeine
öffentlich-rechtliche Grundsatz der Rückvergütung einer rechtsgrundlos
erbrachten Leistung (Art. 62 ff. OR per analogiam; BGE 138 V 426 E. 5.1 S. 430
f.; 135 II 274 E. 3.1 S. 276; PIERRE MOOR/ETIENNE POLTIER, Droit administratif,
Band II, 3. Aufl., 2011, S. 168 N. 1.5.3; ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER/FELIX
UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl., 2010, N. 760 ff.; FRITZ GYGI,
Verwaltungsrecht, 1986, S. 287 [Zahlungen ohne Rechtstitel]; BEUSCH, a.a.O., S.
62).
Ausgehend davon hat sich im Bereich der einstigen Warenumsatzsteuer
(Bundesrats-Beschluss vom 29. Juli 1941 über die Warenumsatzsteuer [WUStB; AS
1941 793]) eine langjährige Praxis entwickelt (BGE 102 Ib 45 E. 1b S. 47 f.;
Urteile 2C_486/2009 vom 1. Februar 2010 E. 2.4; A.40/1982 vom 14. September
1984 E. 6, in: ASA 55 S. 62; DIETER METZGER, Handbuch der Warenumsatzsteuer,
1983/1992, N. 888 ff.; WILHELM WELLAUER, Die eidgenössischen Steuern, Zölle und
Abgaben, Band 1, Warenumsatzsteuer, 1959, N. 879 ff.). Praxisgemäss können die
zur Warenumsatzsteuer entwickelten Grundsätze auch für die Mehrwertsteuer
herangezogen werden (Urteil 2A.320/2002 vom 2. Juni 2003 E. 3.4.2 f., in: ASA
74 S. 666, RDAF 2004 II 100). Danach ist die Rückvergütung bezahlter
Mehrwertsteuern möglich, wenn:
(1.) die steuerpflichtige Person die Mehrwertsteuer aufgrund einer eigenen
Abrechnung oder einer amtlichen Ergänzungsabrechnung, nicht jedoch aufgrund
eines rechtkräftigen Steuerentscheids, entrichtet und dabei den ausdrücklichen
Vorbehalt des Ausgangs des konkreten Steuerentscheidverfahrens oder der
Vornahme einer allgemeinen Praxisänderung angebracht hat,
(2.) in der Folge das vorbehaltene Ereignis (Entscheid, Praxisänderung)
eintritt und den Standpunkt der steuerpflichtigen Person bestätigt, womit die
erbrachte Steuerzahlung rückblickend als Leistung einer Nichtschuld
("rechtsgrundlos") gilt, und
(3.) die zurückzuerstattende Steuer noch nicht verjährt ist
(dazu ALOIS CAMENZIND/NIKLAUS HONAUER/KLAUS A. VALLENDER/MARCEL R. JUNG/SIMEON
L. PROBST, Handbuch zum Mehrwertsteuergesetz, 3. Aufl., 2012, N. 2060 ff. und
2154 ff.; PASCAL MOLLARD/XAVIER OBERSON/ANNE TISSOT BENEDETTO, Traité TVA,
2009, Kap. 1 N. 447 ff. und Kap. 6 N. 176 ff.). Die Zahlung unter Vorbehalt
stellt sich damit als Leistung unter ausdrücklicher Bestreitung der
Steuerpflicht dar (MARKUS KÜPFER, in: Martin Zweifel/Michael Beusch/Maja
Bauer-Balmelli [Hrsg.], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, VStG, 2.
Aufl., 2012, N. 13 zu Art. 39 VStG). Sie dient dazu, den Lauf des Verzugszinses
aufzuhalten (WELLAUER, a.a.O., N. 830; HANS PETER HOCHREUTENER, in: Martin
Zweifel/Peter Athanas/Maja Bauer-Balmelli [Hrsg.], Kommentar zum
Schweizerischen Steuerrecht, Band II/3, StG, 2002, N. 27 zu Art. 38 StG).
Aufgrund des Vorbehalts bleibt die durch die steuerpflichtige Person erstellte
Abrechnung "hängig". Sie verweilt in der Schwebe, bis die ESTV das zu
eröffnende Entscheidverfahren abgeschlossen hat (Art. 63 MWSTG 2001; SANDRA
KNOPP PISI, Das Selbstveranlagungsprinzip bei der Mehrwertsteuer, in: ASA 74 S.
389, insb. S. 394; zur Bestreitung der Ergänzungsabrechnung auch METZGER, N.
828 und 842.), längstens aber bis zum Eintritt der Verjährung (Art. 49 f. MWSTG
2001; Art. 40 f. MWSTV 1995, die keine absolute Verjährung kennen).

2.4 Als Folge des Selbstveranlagungsprinzips hat die steuerpflichtige Person in
eigener Verantwortung darüber zu befinden, ob sie die von ihr geschuldete
Steuer vorbehaltlos, d. h. aufgrund der geltenden Praxis entrichten will
("paiement sans réserve"), oder ob sie, wenn sie mit dem einen oder anderen
Aspekt dieser Praxis nicht einverstanden ist, dies nur unter Vorbehalt tun will
("paiement sous réserve"). Sieht sie von einem Vorbehalt ab, ist die
steuerpflichtige Person nach dem Mehrwertsteuerrecht von 1995 bzw. 2001 an ihre
vorbehaltlose Abrechnung gebunden. Mit der vorbehaltlosen Abrechnung bringt sie
zum Ausdruck, sie sei bereit, die Steuer zu entrichten (Urteile 2A.304/2003 vom
14. November 2003 E. 3.5, in: ASA 76 S. 627; 2A.320/2002 vom 2. Juni 2003 E.
3.4.3.4, in: ASA 74 S. 666, RDAF 2004 II 100; direktsteuerlich: BGE 135 II 274
E. 3.1 S. 276 f. zur Rückvergütung zu viel entrichteter Quellensteuern). Bei
vorbehaltloser Leistung gilt denn auch das Prinzip der Nichtrückwirkung einer
Praxisänderung (Urteil 2A.320/2002 vom 2. Juni 2003 E. 3.4.3.7; WELLAUER, N.
881). Tritt eine solche ein, wirkt sie sich unter Herrschaft des
Mehrwertsteuerrechts von 1995 und 2001 für jedermann "ex nunc et pro futuro"
aus, für jene, die ihre Leistung unter Vorbehalt erbracht hatten, überdies "ex
tunc" (so BAUMGARTNER/CLAVADETSCHER/KOCHER, a. a. O., § 10 N. 5; vgl. auch
MOLLARD/OBERSON/TISSOT BENEDETTO, a. a. O., Kap. 1 N. 450;).

2.5 In der Sache selbst liegt gemäss Art. 8 Abs. 2 lit. a MWSTV 1995
(baugewerblicher) Eigenverbrauch auf (Anlage-)Liegenschaften vor, wenn die
steuerpflichtige Person an bestehenden oder neu zu erstellenden Bauwerken, die
zur entgeltlichen Veräusserung oder entgeltlichen Überlassung zum Gebrauch oder
zur Nutzung bestimmt sind, Arbeiten vornimmt oder vornehmen lässt und hierfür
nicht für die Versteuerung optiert (Urteile 2C_650/2011 vom 16. Februar 2012 E.
2.3 [Immobiliengesellschaft]; 2A.129/2005 vom 16. März 2006 E. 3, in: ASA 76 S.
786; 2A.476/2002 vom 7. März 2003 E. 2 [Etablissements de Bellechasse], in: ASA
73 S. 493 [Green-Keeper]; 2A.451/1998 vom 30. März 2001 E. 2a [Hauswart], in:
ASA 72 S. 158, RDAF 2001 II 376). Abgesehen von den Hauswartleistungen, die
unter dem Recht von 2001 nicht mehr steuerbar waren, gilt dasselbe gemäss Art.
9 Abs. 2 lit. a MWSTG 2001.

2.6 Die baugewerbliche (Eigenverbrauchs-)Steuer wird berechnet vom Preis (ohne
den Wert des Bodens), der im Falle der Lieferung einer unabhängigen Drittperson
in Rechnung gestellt würde (Art. 26 Abs. 3 lit. c MWSTV 1995 bzw. Art. 34 Abs.
4 MWSTG 2001). In den Fällen, in welchen die steuerpflichtige Person keinen
effektiven Drittpreis nachweisen kann, lässt die ESTV eine annäherungsweise
Ermittlung anhand der Anlagekosten zu. Gemäss Ziff. 7.3.3 der Spezialbroschüre
Nr. 04 der ESTV, Eigenverbrauch, in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung,
zählen zu den Anlagekosten namentlich auch die Bauzinsen (Fremd- und
Eigenkapitalzinsen; Urteil 2C_650/2011 vom 16. Februar 2012 E. 3.3.4). Aufgrund
der Praxisänderungen der ESTV ab 1. Januar 2005, Ziff. 2.2.2, sind die
Baukredit- und anderen Kreditzinsen sowie Kreditkommissionen (Bauzinsen) zur
annäherungsweisen Ermittlung nicht mehr in die Anlagekosten einzurechnen.

3.
3.1 Die ESTV rügt, die Vorinstanz habe den rechtserheblichen Sachverhalt
offensichtlich unrichtig festgestellt. Zu Unrecht gehe sie davon aus, dass die
Steuerpflichtige den am 21. Dezember 2001 erhobenen Vorbehalt aufrechterhalten
habe und darüber hinaus annehme, der Vorbehalt habe inhaltlich neben den
Eigenkapital- auch die Fremdkapitalzinsen erfasst. Mit dem formellen
Erfordernis der Schriftlichkeit des Rückzugs des Vorbehalts verletze die
Vorinstanz ebenso Bundesrecht wie mit der zeitlichen Erstreckung des Vorbehalts
auf den Zeitraum von 2002 bis und mit 2004.

3.2 Die Vorinstanz hat in für das Bundesgericht verbindlicher Weise (Art. 105
Abs. 1 BGG) festgestellt, die Steuerpflichtige habe erstmals mit Schreiben vom
26. Oktober 2001 und nochmals am 7. November 2001 die Frage des Einbezugs der
Kapitalzinsen in die Bemessungsgrundlage aufgeworfen. In der Folge habe sie am
21. Dezember 2001 schriftlich einen Vorbehalt angebracht ("... einzig zum
Einbezug der Bauzinsen in die Bemessungsgrundlage ..."). Ein schriftlicher
Rückzug des Vorbehalts lasse sich, was auch von der ESTV anerkannt wird, den
Akten nicht entnehmen.

3.3 Das System der reinen Selbstveranlagung, wie es bis Ende 2009 in Kraft
stand, kennzeichnet sich allem voran durch die Verteilung der Aufgaben. Danach
ist die ESTV (nur) für den Bezug und die Kontrolle der Steuer unter dem
Gesichtspunkt der Richtigkeit und Vollständigkeit zuständig. Alles Übrige
obliegt der steuerpflichtigen Person, wobei sie ihre Aufgaben hauptsächlich
durch Einreichung der Abrechnungen und Bezahlung der abrechnungsgemäss
geschuldeten Steuer erfüllt. Im Unterschied zur gemischten Veranlagung (z. B.
Art. 123 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer
[DBG; SR 642.11]; Urteil 2C_92/2012 vom 17. August 2012 E. 4.4, in: StE 2013 A
24.21 Nr. 24, StR 67/2012 S. 828), die sich durch wechselseitige Handlungen
kennzeichnet und die zu einer anfechtbaren Verfügung führt, bleibt die
(mehrwert-)steuerpflichtige Person dem Grundsatze nach ohne Rückmeldung der
ESTV. Anders kann es sich im Fall einer internen oder externen Kontrolle
verhalten (Art. 50 MWSTV 1995, Art. 62 MWSTG 2001).

3.4 Ein schriftliches, auf einige wenige, überdies standardisierte Erklärungen
der steuerpflichtigen Person beschränktes Verfahren erfordert der Form und dem
Inhalt nach unmissverständliche, überprüf- und auch nach längerer Zeit noch
nachweisbare Verfahrenshandlungen. Obliegt der steuerpflichtigen Person die
volle und alleinige Verantwortung für die richtige und vollständige
umsatzsteuerrechtliche Behandlung der Geschäftsvorfälle, hat sie sich zwingend
in einer Art auszudrücken, die es der ESTV ermöglicht, die ihr obliegende
Richtigkeits- und Vollständigkeitskontrolle ohne weitere Rückfragen vorzunehmen
und etwaige Massnahmen zu ergreifen. Die steuerpflichtige Person hat sich nicht
nur - der Form und dem Inhalt nach - klar zu äussern, sie muss sich in der
Folge auf ihr Verhalten auch behaften lassen. Im Umkehrschluss ist die ESTV an
die unmissverständlich abgegebene (Haupt-)Erklärung der steuerpflichtigen
Person gebunden, es sei denn, diese gebe eine ebenso eindeutige Gegenerklärung
ab. Dies gilt insbesondere auch im Bereich des Vorbehalts: Der
Erklärungspflicht der steuerpflichtigen Person steht die Befolgungspflicht der
Steuerverwaltung gegenüber. Vorbehaltserklärungen der steuerpflichtigen Person
sind für diese und die ESTV gleichermassen verbindlich.

3.5 Wirft die Haupt- und/oder die Gegenerklärung Fragen auf, erweist sie sich
beispielsweise als lückenhaft, unverständlich, mehrdeutig oder widersprüchlich,
gebietet die das Verwaltungsverfahren beherrschende Untersuchungspflicht (hier:
Art. 62 Abs. 1 MWSTG 2001 bzw. zuvor Art. 50 Abs. 1 MWSTV 1995) das Tätigwerden
der Behörde von Amtes wegen (allgemein auf Stufe Bund Art. 12 des
Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren [VwVG; SR
172.021]). Das Untersuchungsprinzip gilt freilich nicht uneingeschränkt und
findet seine Grenzen an der Mitwirkungspflicht der Parteien (auf Stufe Bund:
Art. 13 VwVG; BGE 138 V 86 E. 5.2.3 S. 97; 138 V 218 E. 6 S. 221 f.; 125 V 193
E. 2 S. 195; 122 V 157 E. 1a S. 158; Urteile 2C_605/2012 vom 20. Februar 2013
E. 2.3; 2C_3/2012 vom 15. August 2012 E. 6.4; vgl. ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER/
FELIX UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl., 2010, N. 1625; PIERRE
TSCHANNEN/ ULRICH ZIMMERLI/MARKUS MÜLLER, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3.
Aufl., 2009, § 30 N. 24; ANDRÉ MOSER/MICHAEL BEUSCH/LORENZ KNEUBÜHLER,
Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, 2008, N. 3.120).

3.6 Soweit es sich im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes als unmöglich
erweist, aufgrund der Beweiswürdigung einen Sachverhalt zu ermitteln, kommt im
Steuerrecht die Normentheorie zum Tragen. In Konkretisierung des allgemeinen
Grundsatzes von Art. 8 ZGB, der auch im öffentlichen Recht gilt (BGE 138 II 465
E. 6.8.2 S. 486; 138 V 218 E. 6 S. 222), trägt die Steuerbehörde die Beweislast
für die steuerbegründenden und -erhöhenden Tatsachen, wogegen die
steuerpflichtige Person für die steueraufhebenden und -mindernden Tatsachen
beweisbelastet ist (Urteil 2C_92/2012 vom 17. August 2012 E. 4.3, in: StE 2013
A 24.21 Nr. 24, StR 67/2012 S. 828). Infolge dessen ist die steuerpflichtige
Person für die Erklärung, die ESTV für den Rückzug des Vorbehalts
beweisbelastet.

3.7 Der Nachweis des einen oder andern lässt sich in der Praxis allem voran
durch die Vorlage einer Urkunde erbringen. Nur in seltenen Umständen wird der
Beweis auf andere Weise erbracht werden können (zu einem dieser nicht häufig
auftretenden Fälle Urteil 2C_508/2010 vom 24. März 2011 E. 3.6.2, in: ASA 80 S.
61). Auch die ESTV anerkennt dies, wenn sie ausführt, die steuerpflichtige
Person habe den Vorbehalt respektive die Bestreitung grundsätzlich "in
geeigneter Art" zum Ausdruck zu bringen, "in der Regel schriftlich". Die
bisherige "reine" Selbstveranlagungssteuer kennzeichnet sich, wie gezeigt,
durch einige wenige, allerdings standardisierte Willensäusserungen (Abrechnung,
Bezahlung), denen im Regelfall keine wahrnehmbare Willensäusserung der ESTV
gegenübersteht.
In einem an sich ausschliesslich schriftlichen Verfahren wie demjenigen der
Mehrwertsteuer ist allein mit Blick auf das Beweisrecht im Ergebnis eine
schriftliche Erklärung des Vorbehalts erforderlich. Rechtssicherheit lässt sich
denn auch vornehmlich durch schriftliche Parteierklärungen erzielen. Dem
Erfordernis der Schriftlichkeit genügen dabei elektronische Eingaben mit
anerkannter elektronischer Signatur (Art. 21a VwVG) ebenso wie herkömmliche,
handschriftlich unterzeichnete Dokumente (Art. 13 f. OR; MICHAEL BEUSCH, in:
Felix Geiger/Regine Schluckebier [Hrsg.], MWSTG, 2012, N. 6 zu Art. 43 MWSTG
2010). Von keiner Bedeutung ist, ob das Papierdokument von der
steuerpflichtigen Person oder der ESTV - beispielsweise in Form eines
gemeinsamen Protokolls - erstellt wurde; entscheidend ist einzig die
unterschriftlich bezeugte Erklärung des Vorbehalts durch die steuerpflichtige
Person.

3.8 Ergibt sich damit im Ergebnis das Erfordernis der schriftlichen Kundgabe
des Vorbehalts, verhält es sich mit dessen Rückzug nicht anders. Dies führt zur
Parallelität der Formen, wie sie die Vorinstanz anruft und sie sich im
Zivilrecht etwa aus Art. 12 OR ergibt. Materielle Grundlage der unerlässlichen
Schriftlichkeit des Rückzugs eines Vorbehalts bildet freilich, über dieses rein
formale Kriterium hinaus, der Charakter der Mehrwertsteuer als einer (reinen)
Selbstveranlagungssteuer. Unerheblich ist auch hierbei, ob der schriftliche
Rückzug in einer elektronischen oder herkömmlichen Parteieingabe, einer von der
Behörde vorbereiteten Rückzugserklärung oder einem gemeinsamen Protokoll kund
getan wird. Entscheidend ist einzig die von der steuerpflichtigen Person
anerkannte Verbriefung ihres Rückzugswillens.

3.9 Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz
(Art. 105 Abs. 1 BGG) verblieb die "Kurznotiz für interne Zwecke" vom 19. Juni
2002 bei der ESTV, ohne dass die Steuerpflichtige über deren Erstellung in
Kenntnis gesetzt und zur Unterzeichnung eingeladen worden wäre. Dass die ESTV
in der Folge einen Abschreibungsbeschluss erliess, der durch den angeblichen
Rückzug veranlasst sein soll, ändert daran nichts. Der autoritativ erlassene
Beschluss, ohne Mitwirkung der Steuerpflichtigen ergangen, vermag den fehlenden
Nachweis eines formgültigen Rückzugs nicht zu ersetzen. Abgesehen von der
fehlenden Unterschrift der Steuerpflichtigen fällt auf, dass der
Abschreibungsbeschluss auf die Frage des Vorbehalts ohnehin nicht ausdrücklich
einging. Vor diesem Hintergrund hat die Vorinstanz den Sachverhalt willkürfrei
gewürdigt und das Vorliegen einer Rückzugserklärung bundesrechtskonform
verneint. Aufgrund des Fehlens eines gültigen Rückzugs ist der am 21. Dezember
2001 schriftlich erklärte Vorbehalt damit weiterhin aufrecht. Die Prüfung, ob
das von der Steuerpflichtigen geäusserte Verhalten unter Umständen als
"impliziter" Rückzug des Vorbehalts gedeutet werden könnte, erübrigt sich unter
diesen Umständen.

4.
4.1 Ist der Bestand des Vorbehalts vom 21. Dezember 2001 erstellt, bleibt
dessen Inhalt zu klären. Streitgegenstand sind der inhaltliche und zeitliche
Umfang.

4.2 Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz
steht fest, dass die Steuerpflichtige mit Schreiben vom 21. Dezember 2001
erklärte, sie müsse "einzig zum Einbezug der Bauzinsen in die
Bemessungsgrundlage einen Vorbehalt anbringen". Die Frage, ob auch
Eigenkapitalzinsen in die Bemessungsgrundlage des baugewerblichen
Eigenverbrauchs flössen, sei zu sistieren, bis in einem Parallelverfahren ein
Entscheid vorliege. Die massgebende Passage des in den Akten liegenden
Schreibens lautet wie folgt:
"Die [Steuerpflichtige] muss einzig zum Einbezug der Bauzinsen in die
Bemessungsgrundlage einen Vorbehalt anbringen. Die Frage, ob Eigenkapitalzinsen
bei der Berechnung des baugewerblichen Eigenverbrauchs in die
Bemessungsgrundlage einbezogen werden dürfen, ist bisher noch nicht entschieden
worden. [...] Ohne zu diesem Zeitpunkt detailliert Stellung zu nehmen, möchten
wir kurz unsere Überlegungen darlegen, wieso wir der Auffassung sind, dass
Eigenkapitalzinsen nicht in die Bemessungsgrundlage einfliessen dürfen. [...]"
Wie die ESTV mit Recht ausführt, äussert sich der angefochtene Entscheid zur
Frage der Bauzinsen nur beiläufig. Zusammenfassend gelangt die Vorinstanz zum
Schluss, die Steuerpflichtige habe mit ihrem Schreiben vom 21. Dezember 2001
einen Vorbehalt angebracht und damit die (alte) Praxis der ESTV bestritten,
wonach bei der Ermittlung des Eigenverbrauchs die Bauzinsen noch in die
Bemessungsgrundlage einzubeziehen waren. Der ESTV ist darin zuzustimmen, dass
dieser pauschale Hinweis an den Fakten vorbeizielt. Tatsächlich hat die
Steuerpflichtige den Aspekt der Bauzinsen auf die Frage des Einbezugs der
Eigenkapitalzinsen beschränkt. Mit Blick auf den hiervor wörtlich zitierten
Wortlaut steht fest, dass der Einbezug der Fremdkapitalzinsen im Umkehrschluss
nicht bestritten wird.

4.3 Der Inhalt eines Vorbehalts ist an den Regeln zu messen, wie sie für die
Form gelten: Oberstes Ziel in einem System der reinen Selbstveranlagung muss
die Wahrung der Rechtssicherheit sein. Ein erheblicher Vorbehalt liegt nur vor,
"wenn klar wird, worauf er sich bezieht" (BEUSCH, in: Geiger/Schluckebier, N. 7
zu Art. 43 MWSTG 2010, unter Bezugnahme auf KNOPP PISI, S. 389). Die
Bestreitung bzw. der Vorbehalt erfordern einen Wortlaut "suffisamment
concrétisé" (MOLLARD/OBERSON/TISSOT BENEDETTO, Kap. 1 N. 450). Die
Steuerpflichtige ist der gebotenen Deutlichkeit nachgekommen, indem sie ihren
Einwand auf die Frage der Eigenkapitalzinsen richtete. Die davon abweichende
Sichtweise der Vorinstanz überzeugt nicht. Eine vom eindeutigen Wortlaut
abweichende Auslegung der Willenserklärung ist nicht am Platz.

4.4 Aus Sinn und Zweck des Vorbehalts ergibt sich weiter, dass in einem
quartals- oder semesterbezogenen Abrechnungssystem, wie es altrechtlich bestand
(Art. 36 Abs. 1 MWSTV 1995; Art. 45 Abs. 1 MWSTG 2001), ein Vorbehalt
"periodenscharf" anzubringen ist. Idealerweise wird der Vorbehalt bis zur
Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage fortlaufend auf jeder einzelnen
Abrechnung erneuert oder immer wieder in einem Begleitschreiben zum Ausdruck
gebracht. Die im Schreiben vom 21. Dezember 2001 gemachten Ausführungen bezogen
sich auf die bis dahin ergangenen Ergänzungsabrechnungen. Ihnen eine darüber
hinaus fortdauernde Wirkung beizumessen, steht im Widerspruch zum
Selbstveranlagungsprinzip, das einen formell (schriftlich), inhaltlich
(konkret) und zeitlich (periodenscharf) hinreichenden Vorbehalt voraussetzt.

5.
5.1 Zusammenfassend ergibt sich, dass ein Vorbehalt der Steuerpflichtigen
insoweit besteht, als er inhaltlich die Eigenkapitalzinsen und zeitlich die
Perioden bis Ende 2001 umfasst. Soweit weitergehend, fehlt eine rechtsgenügende
Willenserklärung.

5.2 Bei ihrer Rechtsanwendung hat die Vorinstanz damit Bundesrecht verletzt
(Art. 95 lit. a BGG). Infolge dessen erweist sich die Beschwerde als begründet.
Sie ist im Sinne der Erwägungen teilweise gutzuheissen, und das angefochtene
Urteil ist aufzuheben. Gemäss Art. 107 Abs. 2 BGG entscheidet das Bundesgericht
in der Sache selbst oder weist diese an eine untere Instanz zurück, wenn es die
Beschwerde gutheisst. Das Bundesgericht entscheidet mithin nicht nur
kassatorisch, sondern kann den Streitpunkt auch reformatorisch neu regeln (BGE
139 V 21 E. 3 S. 26; Urteil 2C_900/2011 vom 2. Juni 2012 E. 6.4). Die
vorliegende Sach- und Rechtslage lässt eine solche direkte Beurteilung freilich
nicht zu. Dementsprechend ist die Sache zur weiteren Untersuchung und neuen
Entscheidung an die Unterinstanz zurückzuweisen (Art. 107 Abs. 2 Satz 2 BGG).

5.3 Bei diesem Ausgang des Verfahrens haben die Beschwerdeführerin, die in
ihrer Eigenschaft als Abgabegläubigerin Vermögensinteressen im Sinne von Art.
66 Abs. 4 BGG verfolgt, und die Beschwerdegegnerin die Kosten des Verfahrens
vor Bundesgericht je hälftig zu tragen (Art. 65 i. V. m. Art. 66 Abs. 1 BGG).
Die Beschwerdeführerin hat der Beschwerdegegnerin eine dem Ausgang des
Verfahrens entsprechend verminderte Parteientschädigung auszurichten (Art. 68
Abs. 1 BGG). Die Festsetzung der Kosten und Entschädigung für das
vorinstanzliche Verfahren wird der Vorinstanz übertragen (Art. 67 i. V. m. Art.
68 Abs. 5 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen teilweise gutgeheissen, das Urteil
des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Mai 2012 wird aufgehoben und die Sache
zur weiteren Untersuchung und neuen Entscheidung an die Eidgenössische
Steuerverwaltung sowie zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen für
das vorinstanzliche Verfahren an das Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen.

2.
Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens von Fr. 8'000.-- werden je
hälftig der Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat der Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 4'000.-- auszurichten.

4.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Bundesverwaltungsgericht,
Abteilung I, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 17. Mai 2013

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Zünd

Der Gerichtsschreiber: Kocher

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