Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.655/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_655/2012

Urteil vom 13. Februar 2013
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Seiler,
Bundesrichter Stadelmann,
Gerichtsschreiberin Genner.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Denis G. Giovannelli,
Beschwerdeführer,

gegen

Amt für Migration Basel-Landschaft,
Parkstrasse 3, 4402 Frenkendorf,
Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft, Regierungsgebäude, Rathausstrasse
2, 4410 Liestal.

Gegenstand
Widerruf der Niederlassungsbewilligung und Wegweisung,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung
Verfassungs- und Verwaltungsrecht, vom 25. April 2012.

Sachverhalt:

A.
A.a Der türkische Staatsangehörige X.________ wurde am 21. Februar 1984 in der
Schweiz geboren und erhielt in der Folge eine Niederlassungsbewilligung. Er
besuchte die obligatorischen Schulen und absolvierte eine Anlehre als
Verkäufer.
A.b X.________ trat bereits als Jugendlicher strafrechtlich in Erscheinung,
namentlich wegen sexueller Belästigung (zwei Anzeigen im Jahr 1997). Als
Erwachsener wurde er folgendermassen verurteilt:
5. November 2003: bedingte Gefängnisstrafe von acht Monaten wegen Raubs;
31. März 2006: bedingte Gefängnisstrafe von sechs Monaten wegen mehrfachen
Diebstahls, mehrfacher Sachbeschädigung und mehrfachen Hausfriedensbruchs;
2. November 2007: Geldstrafe von zehn Tagessätzen wegen Sachbeschädigung;
11. Mai 2009: 13 Monate Freiheitsstrafe und Busse von Fr. 100.-- wegen
Angriffs, Raufhandels und einfacher Körperverletzung (mit einem gefährlichen
Gegenstand) und Übertretung des Transportgesetzes, teilweise als Zusatzstrafe
zum Urteil des Strafgerichtspräsidiums Basel-Landschaft vom 31. März 2006 und
als Zusatzstrafe zum Urteil des Strafgerichtspräsidiums Basel-Stadt vom 2.
November 2007;
3. Dezember 2010: sechs Monate Freiheitsstrafe und Busse von Fr. 200.-- wegen
mehrfachen Diebstahls, mehrfachen Hausfriedensbruchs, Sachentziehung,
Sachbeschädigung, Hehlerei, mehrfacher Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz, mehrfacher Widerhandlung gegen das
Strassenverkehrsgesetz und Diensterschwerung, als Gesamtstrafe und als
teilweise Zusatzstrafe zum Urteil des Strafgerichts Basel-Stadt vom 11. Mai
2009;
8. Juni 2011: Busse von Fr. 250.-- wegen Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz.
Das Amt für Migration Basel-Landschaft (nachfolgend: Migrationsamt) verwarnte
X.________ am 11. Februar 2004 sowie am 31. Mai 2010.
A.c Am 24. April 2012 waren in Bezug auf X.________ 44 Betreibungen im
Gesamtbetrag von Fr. 44'097.15 und 40 Verlustscheine (davon 32 offene) im
Gesamtbetrag von Fr. 47'873.45 registriert.
A.d Das Migrationsamt gewährte X.________ am 9. März 2011 das rechtliche Gehör
betreffend den beabsichtigten Widerruf der Niederlassungsbewilligung.
X.________ liess sich dazu nicht vernehmen.
Am 16. Juni 2011 widerrief das Migrationsamt die Niederlassungsbewilligung und
verpflichtete X.________ mit Wirkung auf den Zeitpunkt der (bedingten)
Entlassung aus dem Strafvollzug zur Ausreise aus der Schweiz.

B.
X.________ focht diese Verfügung beim Regierungsrat des Kantons
Basel-Landschaft an, welcher die Beschwerde am 13. September 2011 abwies. Das
Kantonsgericht Basel-Landschaft bestätigte diesen Entscheid mit Urteil vom 25.
April 2012.

C.
Mit Eingabe vom 4. Juli 2012 erhebt X.________ beim Bundesgericht Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, allenfalls subsidiäre
Verfassungsbeschwerde mit den Anträgen, das angefochtene Urteil sei aufzuheben;
eventuell sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Zudem beantragt X.________ die Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege unter Beiordnung seines Rechtsvertreters.
Das Kantonsgericht verzichtet auf Vernehmlassung. Der Regierungsrat und das
Bundesamt für Migration schliessen auf Abweisung der Beschwerde; das
Migrationsamt hat sich nicht geäussert.
Mit Präsidialverfügung vom 6. Juli 2012 ist der Beschwerde antragsgemäss
aufschiebende Wirkung erteilt worden.

Erwägungen:

1.
1.1 Angefochten ist der letztinstanzliche, verfahrensabschliessende Entscheid
eines kantonalen Gerichts auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, welcher
grundsätzlich der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
unterliegt (vgl. Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG, Art. 90 BGG, Art. 82 lit. a BGG).
Gegen Entscheide über den Widerruf einer Niederlassungsbewilligung ist die
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig, weil
grundsätzlich ein Anspruch auf das Fortbestehen dieser Bewilligung gegeben ist
(BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4). Ob der Anspruch auf Aufhebung des Widerrufs im
konkreten Fall zu bejahen ist, betrifft nicht die Eintretensfrage, sondern die
materielle Behandlung der Beschwerde (BGE 136 II 177 E. 1.1 S. 179). Die
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist somit zulässig.
Demgemäss bleibt für die subsidiäre Verfassungsbeschwerde kein Raum, weshalb
darauf nicht einzutreten ist (vgl. Art. 113 BGG).

1.2 Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass,
weshalb auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
einzutreten ist.

2.
2.1 Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine
Rechtsverletzung nach Art. 95 und Art. 96 BGG gerügt werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). In Bezug
auf die Verletzung von Grundrechten gilt eine qualifizierte Rüge- und
Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254).

2.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Feststellung des Sachverhalts
kann nur beanstandet bzw. vom Bundesgericht von Amtes wegen berichtigt oder
ergänzt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG beruht (Art. 97 Abs. 1 BGG bzw. Art.
105 Abs. 2 BGG). Eine entsprechende Rüge, welche rechtsgenüglich substanziiert
vorzubringen ist (vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254), setzt zudem voraus,
dass die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein
kann (Art. 97 Abs. 1 BGG).

3.
Der Beschwerdeführer moniert, die Vorinstanz habe eine seiner Rügen nicht
behandelt und damit eine Gehörsverletzung begangen. Diese formelle Rüge ist
vorab zu behandeln (vgl. BGE 138 I 232 E. 5.1 S. 237).

3.1 In der Beschwerde an die Vorinstanz habe er - der Beschwerdeführer -
geltend gemacht, "Opfer" der höchstrichterlichen Praxisänderung geworden zu
sein. Der Regierungsrat habe den Widerruf der Niederlassungsbewilligung auf
Art. 62 lit. b AuG (SR 142.20) gestützt. Er habe auf die Praxis des
Bundesgerichts zum ANAG (BS 1 121) aus dem Jahr 1999 Bezug genommen, wonach
gemäss BGE 125 II 521 eine Ausweisung erst bei einer Verurteilung der
betroffenen Person zu einer Freiheitsstrafe von zwei oder mehreren Jahren
möglich gewesen sei. Weiter habe der Regierungsrat BGE 135 II 377 aus dem Jahr
2009 zitiert, wonach der Widerrufsgrund des Art. 62 lit. b AuG bereits bei
einer ausgesprochenen Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr erfüllt sei.
Gleichzeitig habe der Regierungsrat aber die herrschende Lehre erwähnt, welche
den Widerrufsgrund der längerfristigen Freiheitsstrafe erst bei einer
Verurteilung von deutlich über einem Jahr als erfüllt erachtet habe. Da er -
der Beschwerdeführer - im Jahr 2009 zu einer Freiheitsstrafe von 13 Monaten
verurteilt worden sei, sollte nicht von einer Freiheitsstrafe von deutlich über
einem Jahr gesprochen werden. Er habe die Taten in den Jahren 2005 und 2007
verübt; in jener Zeit habe noch die höchstrichterliche Praxis gegolten, wonach
eine Ausweisung erst bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei
oder mehreren Jahren möglich gewesen sei. Es dürfe nicht sein, dass er "Opfer"
der Revision des AuG und der damit zusammenhängenden höchstrichterlichen
Gesetzeskonkretisierung werde.

3.2 Das rechtliche Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV verlangt, dass die Behörde die
Vorbringen der betroffenen Person auch tatsächlich hört, prüft und in der
Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus folgt die Verpflichtung der Behörde,
ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass sie sich
mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne
Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den
Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst
sein, dass sich die betroffene Person über die Tragweite des Entscheids
Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz
weiterziehen kann. In diesem Sinn müssen wenigstens kurz die Überlegungen
genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich
ihr Entscheid stützt (vgl. BGE 136 I 229 E. 5.2 S. 236 mit Hinweisen).
Die Vorinstanz hat die anwendbaren Rechtsgrundlagen korrekt zitiert und
gestützt darauf konzis und nachvollziehbar begründet, warum ihrer Auffassung
nach der Regierungsrat den Widerrufsgrund des Art. 62 lit. b AuG zu Recht als
erfüllt erachtet hatte. Darin, dass die Vorinstanz auf die nicht nur
unzutreffenden, sondern auch abwegigen übergangsrechtlichen Ausführungen des
rechtskundig vertretenen Beschwerdeführers nicht näher eingegangen ist, liegt
keine Gehörsverletzung.

3.3 Ob die Vorinstanz den Widerrufsgrund des Art. 62 lit. b AuG mit
zutreffender Begründung bejaht hat, wird im Rahmen der materiellen Rügen (vgl.
E. 6) zu prüfen sein.

4.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Gebots von Treu und Glauben
gemäss Art. 9 BV.

4.1 Entgegen den Ausführungen im vorinstanzlichen Urteil habe das Migrationsamt
bei der Aussprechung der Verwarnung am 31. Mai 2010 Kenntnis des laufenden
Verfahrens gegen den Beschwerdeführer wegen Widerhandlungen gegen das
Betäubungsmittelgesetz gehabt. Dennoch habe es nicht sofort den Widerruf der
Niederlassungsbewilligung verfügt, sondern durch die Verwarnung beim
Beschwerdeführer ein schützenswertes Vertrauen erweckt. Indem das Migrationsamt
schliesslich am 16. Juni 2011 die Niederlassungsbewilligung in Kenntnis des
letzten Strafverfahrens und trotz des seit 2010 straffreien Verhaltens des
Beschwerdeführers widerrufen habe, habe es den Schutz des Vertrauens in den
Rechtsstaat und in die Rechtssicherheit sowie das Verbot des widersprüchlichen
und rechtsmissbräuchlichen Verhaltens in krasser Weise verletzt.

4.2 In Bezug auf den Vertrauensschutz im Ausländerrecht hat das Bundesgericht
in Übereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen (vgl. Urteil 9C_419/2011 vom
17. September 2012 E. 4.2.1; BGE 131 V 472 E. 5) entschieden, dass das in Art.
9 BV verankerte Gebot von Treu und Glauben nach den Umständen, jedoch nur in
engen Grenzen ein Recht auf die Erteilung einer Bewilligung verleihen kann.
Dies ist namentlich der Fall, wenn die ausländische Person auf falsche
Auskünfte der zuständigen Behörde vertraut und gestützt darauf unumkehrbare
Vorkehrungen getroffen hat (Urteile 2C_40/2012 vom 15. Oktober 2012 E. 5;
2C_503/2009 vom 8. Januar 2010 E. 2.4 mit Hinweisen). Die gleichen
Anforderungen müssen gelten, wenn die berechtigte Erwartung geschützt werden
soll, dass eine Bewilligung nicht widerrufen wird.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe darauf vertraut, dass die
Niederlassungsbewilligung nicht widerrufen werde. Er verkennt, dass die
Verwarnung vom 31. Mai 2010 im Zusammenhang mit der am 11. Mai 2009 erfolgten
Verurteilung zu 13 Monaten Freiheitsstrafe zu sehen ist: Das entsprechende
Urteil des Strafgerichts Basel-Stadt war am 1. März 2010 in Rechtskraft
erwachsen. Anstatt in diesem Zeitpunkt den Widerruf der
Niederlassungsbewilligung zu verfügen, hat das Migrationsamt eine letzte
Verwarnung ausgesprochen; es hat dabei das laufende Strafverfahren explizit
erwähnt. Dem Beschwerdeführer musste deshalb klar sein, dass er die drohende
Massnahme kaum mehr würde abwenden können. Dies begründet jedoch kein
berechtigtes Vertrauen dahingehend, dass die Behörde vom Widerruf der
Bewilligung absehen würde. Eine Vertrauensgrundlage ist auch nicht dadurch
entstanden, dass das Migrationsamt mit dem Widerruf zugewartet hat, bis der
Beschwerdeführer erneut (rechtskräftig) verurteilt wurde. Vielmehr war dies -
in Anbetracht der Möglichkeit eines Freispruchs - sogar angezeigt. Der
Beschwerdeführer kann sich somit nicht auf eine Vertrauensgrundlage berufen.
Auch die übrigen Voraussetzungen des Vertrauensschutzes, namentlich eine
falsche Zusicherung des Migrationsamts sowie unumkehrbare Dispositionen auf
Seiten des Beschwerdeführers, sind nicht erfüllt. Eine Verletzung des Rechts
auf Treu und Glauben ist daher zu verneinen.

5.
Der Beschwerdeführer macht eine unvollständige Sachverhaltsfeststellung und
willkürliche Beweiswürdigung im Sinn von Art. 97 Abs. 1 BGG geltend.
Er müsste im Fall einer Wegweisung sofort in den türkischen Militärdienst
treten; dieser dauere 15 Monate. Als Sohn kurdisch-stämmiger Auswanderer würde
ihm zudem eine menschenrechtsverletzende und schikanöse Behandlung drohen.
Indem die Vorinstanz den zu leistenden Militärdienst nur mit einem Satz
erwähnte, ihn aber nicht berücksichtigte, habe sie den Sachverfalt
unvollständig festgestellt und Beweise willkürlich gewürdigt.
Welche Beweise die Vorinstanz willkürlich gewürdigt haben soll, geht aus der
Beschwerde nicht hervor. Sodann entbehrt die Behauptung, der Beschwerdeführer
wäre im Militärdienst menschenrechtsverletzender und schikanöser Behandlung
ausgesetzt, jeglicher Grundlage. Die Rüge ist nicht hinreichend substanziiert,
so dass darauf nicht einzugehen ist (vgl. E. 2.2).

6.
Die Vorinstanz bestätigte den Widerruf der Niederlassungsbewilligung gestützt
auf Art. 63 Abs. 1 lit. a AuG in Verbindung mit Art. 62 lit. b AuG. Zudem kam
sie zum Schluss, auch der Widerrufsgrund des Art. 63 Abs. 1 lit. b AuG sei
erfüllt.

6.1 Gemäss Art. 63 Abs. 1 lit. a AuG in Verbindung mit Art. 62 lit. b AuG kann
die Niederlassungsbewilligung widerrufen werden, wenn die ausländische Person
zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt oder gegen sie eine
strafrechtliche Massnahme angeordnet wurde. Nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung fällt unter den Begriff der längerfristigen Freiheitsstrafe jede
Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr (BGE 135 II 377 E 4.2), wobei die
Strafe sich zwingend auf ein einziges Strafurteil stützen muss (BGE 137 II 297
E. 2).

6.2 Der Beschwerdeführer macht sinngemäss geltend, die Praxis zu Art. 62 lit. b
AuG sei auf ihn nicht anwendbar und die Unterstellung unter das AuG stelle eine
unzulässige echte Rückwirkung dar, da zur Zeit der Begehung der Straftaten das
AuG noch nicht in Kraft gestanden habe.
Am 1. Januar 2008 ist das AuG in Kraft getreten. Praxisgemäss bleibt in
analoger Anwendung von Art. 126 Abs. 1 AuG das bisherige (materielle) Recht
anwendbar, wenn ein Ausweisungsverfahren noch vor Inkrafttreten des neuen
Rechts eröffnet worden ist (vgl. Urteile 2C_745/2008 vom 24. Februar 2009 E.
1.2.3; 2C_701/2008 vom 26. Februar 2009 E. 2).
Grundsätzlich steht es im Ermessen der Migrationsbehörde zu entscheiden, in
welchem Zeitpunkt sie ein Widerrufsverfahren einleiten will. Vorliegend geschah
dies mit der Gewährung des rechtlichen Gehörs am 9. März 2011. Somit richtet
sich der Widerruf der Bewilligung nach den Bestimmungen des AuG, wobei auch die
zugehörige Rechtsprechung zu beachten ist. Für die Frage des intertemporalen
Rechts im vorliegenden Zusammenhang ist weder das Datum der
verfahrensauslösenden Verurteilung noch jenes der ihr zugrunde liegenden
Straftaten von Belang.

6.3 Da der Beschwerdeführer rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 13
Monaten verurteilt wurde, ist der Widerrufsgrund im Sinn von Art. 62 lit. b AuG
erfüllt. Es kann daher offen bleiben, ob die Vorinstanz den Widerrufsgrund des
Art. 63 Abs. 1 lit. b AuG, der einen schwerwiegenden Verstoss gegen die
öffentliche Sicherheit und Ordnung oder deren Gefährdung voraussetzt, zu Recht
als erfüllt erachtet hat. Die hohen Schulden des Beschwerdeführers sowie die
übrigen Verurteilungen dürfen im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung gemäss
Art. 96 Abs. 1 AuG (vgl. E. 7) jedoch berücksichtigt werden.

7.
Der Beschwerdeführer macht geltend, der Widerruf der Niederlassungsbewilligung
sei unverhältnismässig.

7.1 Bei gegebenen Voraussetzungen ist der Widerruf der Bewilligung nur
gerechtfertigt, wenn er sich nach einer im Einzelfall vorzunehmenden
Interessenwägung als verhältnismässig erweist (vgl. Art. 96 Abs. 1 AuG). Dabei
sind namentlich die Schwere des Verschuldens, der Grad der Integration bzw. die
Dauer der bisherigen Anwesenheit sowie die dem Betroffenen und seiner Familie
drohenden Nachteile zu berücksichtigen (BGE 135 II 377 E. 4.3 S. 381).

7.2 Ausgangspunkt und Massstab für die Schwere des Verschuldens und die
fremdenpolizeiliche Interessenabwägung im Rahmen eines Bewilligungsentzugs
gestützt auf Art. 62 lit. b AuG (Verurteilung zu einer längerfristigen
Freiheitsstrafe) ist die vom Strafgericht verhängte Strafe (BGE 129 II 215 E.
3.1 S. 216). Der Beschwerdeführer wurde im Alter von 25 Jahren zu einer
Freiheitsstrafe von 13 Monaten verurteilt. Dabei handelte es sich bereits um
die vierte Verurteilung in fünfeinhalb Jahren; der Beschwerdeführer war
mehrmals - so auch diesmal - während der Probezeit rückfällig geworden. Das
Strafgericht Basel-Stadt erwog in seinem Urteil vom 11. Mai 2009, der ohne
wirklichen Anlass erfolgte gewalttätige Übergriff auf das Opfer sei äusserst
gravierend und absolut unverzeihlich, auch wenn berücksichtigt werde, dass der
Beschwerdeführer angetrunken gewesen sei. Der Schlag mit dem Bierglas mitten
ins Gesicht hätte buchstäblich ins Auge gehen und dem Opfer einen bleibenden
Schaden zufügen können. Das Strafgericht verwies auf die Vorstrafen und den
kurzen Zeitraum von nur drei Monaten zwischen der Tatbegehung und der
Verurteilung vom 31. März 2006. Es attestierte dem Beschwerdeführer ein
"beachtliches Aggressions- und Gewaltpotenzial" sowie eine "gehörige
Unbelehrbarkeit". Von einer "wirklichen Geständigkeit oder Reue" könne nicht
die Rede sein. Zwar habe der Beschwerdeführer seine Beteiligung am Raufhandel
und am Angriff nicht bestritten; die Schuld daran habe er jedoch mit der
Behauptung, provoziert worden zu sein, dem Geschädigten zuschieben wollen.
Allein die Deliktskarriere des Beschwerdeführers bis zur verfahrensauslösenden
Verurteilung vom 11. Mai 2009 zeigt, dass er weder aus den ersten beiden
Verurteilungen vom 5. November 2003 und vom 31. März 2006 noch aus der
Verwarnung vom 11. Februar 2004 Lehren gezogen hat. Obwohl diese Verwarnung im
Anschluss an die erste Verurteilung (zu immerhin acht Monaten Gefängnis
bedingt) ausgesprochen worden war, delinquierte der Beschwerdeführer noch
während der Probezeit erneut. Die fortgesetzte Uneinsichtigkeit des
Beschwerdeführers lässt auf eine konkrete Rückfallgefahr schliessen, welche das
öffentliche Interesse an seiner Wegweisung erhöht. In Anbetracht der Vorstrafen
und der Tatsache, dass der Beschwerdeführer am 3. Dezember 2010 - nach der
Verurteilung zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe im Sinn von Art. 62 lit.
b AuG - erneut zu sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde, muss das
Risiko der Rückfallgefahr als beträchtlich eingeschätzt werden. Die Vorinstanz
weist in diesem Zusammenhang zu Recht auf eine erhebliche
Bagatellisierungstendenz hin, welche der Beschwerdeführer anlässlich der
Parteiverhandlung vom 25. April 2012 hat erkennen lassen. Die Vorinstanz
würdigt auch den Strafbefehl vom 8. Juni 2011 (Busse wegen Erwerbs und Besitzes
von Speed für den Eigenkonsum) korrekt, indem sie darin - trotz der geringen
Schwere dieses Delikts - das Unvermögen des Beschwerdeführers, sich in die
schweizerische Rechtsordnung einzufügen, bestätigt sieht. Mit Blick auf diese
Begleitumstände und die Art der begangenen Delikte (davon mehrere
Gewaltdelikte) ist von einem erheblichen ausländerrechtlichen Verschulden
auszugehen. Es besteht daher ein wesentliches sicherheitspolizeiliches
Interesse an der Wegweisung des Beschwerdeführers.

7.3 Dem genannten öffentlichen Interesse sind die privaten Interessen des
Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz gegenüberzustellen. Je länger eine
ausländische Person in der Schweiz gelebt hat, desto strengere Anforderungen
sind an Entfernungs- und Fernhaltemassnahmen zu stellen. Solche sind indessen
selbst bei ausländischen Personen der "zweiten Generation", die in der Schweiz
geboren sind und hier ihr ganzes bisheriges Leben verbracht haben, bei
Gewaltdelikten bzw. wiederholter schwerer Straffälligkeit nicht generell
ausgeschlossen. Ausschlaggebend ist die Verhältnismässigkeit der Massnahme im
Einzelfall, die praxisgemäss gestützt auf die gesamten wesentlichen Umstände
geprüft werden muss (BGE 135 II 110 E. 2.1 S. 112).
7.3.1 Der Beschwerdeführer ist in der Schweiz geboren; er hat demnach sein
ganzes bisheriges Leben hier verbracht. Dieser Umstand spricht für den Verbleib
in der Schweiz.
7.3.2 Was die Integration betrifft, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich,
welche auf eine überdurchschnittliche Eingliederung in schweizerische
Verhältnisse schliessen liessen. Aus der mehrjährigen Delinquenz des
Beschwerdeführers ergibt sich vielmehr, dass die soziale Integration nicht
gelungen ist. Die berufliche Integration ist als mässig zu beurteilen, nachdem
der Beschwerdeführer - nach jahrelanger Sozialhilfeabhängigkeit - erst im
September 2011 und damit nach dem Widerruf der Niederlassungsbewilligung durch
das Migrationsamt begonnen hat, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die
Vorinstanz hat in diesem Zusammenhang zusätzlich negativ gewichtet, dass die
Betreibungen und Verlustscheine sich auch nach Anstellungsbeginn vermehrt
haben. Auch seine hohen Schulden hat der Beschwerdeführer erst unter dem
Eindruck des drohenden Bewilligungsentzugs abzuzahlen begonnen, wobei die
Bemerkung gegenüber der Vorinstanz, er tue dies "absolut freiwillig", Bedenken
weckt. Der Beschwerdeführer scheint nicht verstanden zu haben, dass die
Erfüllung privatrechtlicher und öffentlichrechtlicher Verpflichtungen in der
schweizerischen Rechtsordnung erwartet wird und keine freiwillige Leistung
darstellt. Insgesamt kann die Integration in schweizerische Verhältnisse nicht
als erfolgreich bezeichnet werden.
7.3.3 Eine Übersiedlung in die Türkei wäre für den Beschwerdeführer mit
Schwierigkeiten verbunden, da er dort keine nahen Verwandten hat. Immerhin gab
er im vorinstanzlichen Verfahren an, dass noch einige Cousins seiner Mutter
dort leben würden. Auch wenn dies nur entfernte Verwandte sind, wäre der
Beschwerdeführer nicht völlig auf sich allein gestellt. Er ist jung, gesund und
spricht die türkische Sprache; zudem ist er ledig und kinderlos. Unter diesen
Umständen ist die Ausreise in die Türkei nicht unzumutbar, auch wenn der
Beschwerdeführer sein Herkunftsland nur von Ferienaufenthalten kennt. Auch die
Tatsache, dass er allenfalls Militärdienst leisten müsste, steht dieser
Beurteilung nicht entgegen (vgl. Urteil 2C_66/2009 vom 1. Mai 2009 E. 3.3 am
Ende).

7.4 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass dem privaten Interesse
des Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz ein erhebliches ordnungs- und
sicherheitspolizeiliches Interesse an seiner Wegweisung gegenübersteht. Zudem
dürfen generalpräventive Gesichtspunkte bei ausländischen Personen, welche sich
nicht auf das FZA (SR 0.142.112.681) berufen können, im Rahmen der
Interessenabwägung berücksichtigt werden (Urteil 2C_679/2011 vom 21. Februar
2012 E. 3. 1). Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in der Schweiz geboren
und aufgewachsen ist, und die zu erwartenden Schwierigkeiten bei einer Ausreise
in die Türkeit vermögen für sich allein genommen das öffentliche Interesse an
seiner Wegweisung nicht aufzuwiegen. Der angefochtene Entscheid erweist sich
somit als verhältnismässig im Sinn von Art. 96 AuG.

8.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.

8.1 Gemäss Art. 64 Abs. 1 BGG befreit das Bundesgericht eine Partei, die nicht
über die erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der
Gerichtskosten und von der Sicherstellung der Parteientschädigung, sofern ihr
Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Praxisgemäss sind Prozessbegehren
als aussichtslos anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich
geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft
bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos,
wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder
jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die
über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung
zu einem Prozess entschliessen würde; eine Partei soll einen Prozess, den sie
auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen
können, weil er sie nichts kostet (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 mit
Hinweisen).
Die vorstehenden Erwägungen haben gezeigt, dass der Beschwerde kaum
Erfolgsaussichten beschieden waren. In Bezug auf die Verhältnismässigkeit des
Bewilligungswiderrufs standen der Vielzahl negativer Aspekte (erhebliches
Verschulden bei der verfahrensauslösenden Verurteilung, mehrere weitere
Verurteilungen zu nicht geringfügigen Strafen, Rückfälle in der Probezeit,
erhebliche Rückfallgefahr, hohe Schulden, mangelnde soziale und berufliche
Integration) nur ein Aspekt gegenüber, welcher für einen Verbleib in der
Schweiz sprach: Der Beschwerdeführer ist Angehöriger der zweiten Generation
ausländischer Personen. Diese Verteilung der öffentlichen und privaten
Interessen hat die Abweisung der Beschwerde erwarten lassen, zumal die
Vorinstanz in fundierter Weise begründet hat, warum die Massnahme
verhältnismässig ist. Aufgrund der Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels ist das
Gesuch um unentgeltliche Prozessführung abzuweisen, und dem Verfahrensausgang
entsprechend sind dem Beschwerdeführer die Kosten zu auferlegen (vgl. Art. 66
Abs. 1 BGG).

8.2 Es ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (vgl. Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Kantonsgericht
Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, und dem
Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. Februar 2013

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Zünd

Die Gerichtsschreiberin: Genner